26. April 2013. Die Kenner werden jetzt warten, wann das erste Mal der Name Heiner Müller fällt. Weil es da diesen berühmten Brief vom 27. März 1983 von Müller an Gotscheff gibt. Gotscheff hatte die bulgarische Erstaufführung von Müllers "Philoktet" gemacht, Müller ihm daraufhin geschrieben, Gotscheff aber "nur Bahnhof" verstanden, wie er dem Kollegen Ulrich Seidler vor vier Jahren in einem Interview sagte. Nachvollziehbar.

gotscheff thalia theater deDimiter Gotscheff  © thalia-theater.deHeute würde er das Müller-Schreiben (und Müller überhaupt) aber immerhin "manchmal" verstehen. Oft genug, um immer wieder auf Müller zurückzukommen in seinen Inszenierungen. So oft, dass die Leut' bald anfingen zu denken, dieser Gotscheff hat irgendwie einen Müller-Stich. Stimmt natürlich gar nicht, ist auch nur eine dieser Theaterbetriebsklischees, die dauernd herumgereicht werden. Es gibt durchaus Gotscheff-Abende ohne. Aber es hat, vermutlich, nie einen gegeben, in dem nicht gerungen worden wäre. Mit der leeren Bühne und dem Nebel. Oder mit Konfetti. Oder Schaum. Gotscheff macht Ringer-Theater. Es kämpft immer, auch mit Heiner Müller, ja. Vor allem aber mit dieser unseren komischen Welt, den noch komischeren Menschen, dem sowieso komischen Theater und sich selbst, auch komisch.

Am deutlichsten ist mir, komischerweise, seine "Philoktet"-Inszenierung in Erinnerung. Nicht die bulgarische (gibt's noch wen, der das gesehen hat?), sondern die an der Volksbühne vor acht Jahren, herausgekommen am 76. Geburtstag von Heiner Müller (schon wieder der? na so was). Sepp Bierbichler saß herum und trank Whisky, Samuel Finzi saß da und hat Augen gemacht, und Gotscheff trug langen Mantel zum langen Haar, kramte in Zetteln und versuchte, den Text vorzulesen. Ich glaube, sie haben damals nicht Theater gespielt, jedenfalls in keiner Weise, was man gemeinhin so spielen heißt. Sie haben sich Vers für Vers durch den Text gebissen. Geschwiegen, gesessen, gesoffen, gerungen. Als ob der Traum des Gotscheff-Theaters das Wegsitzen und Niederringen des Theaters wäre. Ein komischer Traum, aber vielleicht ist es das, was dieser Theaterkunst ihre Kraft verleiht. Heute wird Dimiter Gotscheff 70 Jahre. Wir gratulieren sehr herzlich.

(dip)