Gewalten - In Leipzig ironisiert und bekränzt Sascha Haweman den anwesenden Autor Clemens Meyer
Ich bin noch da, ihr Schweine!
von Mathias Schulze
Leipzig, 25. April 2013. "Ich weeß nich, ob ich die nächste Buchmesse noch erlebe." Der Schmerz liegt im Rücken, zu viel gesessen, zu viel gedacht, zu viel geschrieben. Und schwupps knallt der rote Gymnastikball gegen den Kopf: "Mache´n Kopp zu."
Imago mori Lipiniensis
Clemens Meyer kennt sich aus in Leipzig, auf den Pferderennbahnen, im Dialekt, im Grobschlächtigen. Mit dem Centraltheater arbeitet er schon lange zusammen. Nun hat Regisseur Sascha Hawemann seine 2009 verfassten "Gewalten" auf die Bretter gestellt. Die elf Erzählungen sind als Tagebuch proklamiert, behaupten aus der Ich-Perspektive ein Sittenbild der Messestadt. Im Buch interessiert vornehmlich die irgendwann in der Nachwendezeit endgültig abgehängte Unterschicht, der Schriftsteller, der unsicher dem Westverleger entgegentritt, der am Egoshooter trainierte Amokläufer, der Kinderschänder, die Kaiserschnittnarben der Nutten, der Energiestrom beim Glücksspiel oder einfach nur das Rudern auf dem See.
Meyer hat geschrieben, wie der Hooligan im Stadion brüllt. Laut, dumpf und hart: "Ich bin noch da, ihr Schweine!" Bei Hawemann hingegen darf gelacht werden, das Stück wird zur spottenden Hommage an den Meyer-Kosmos. Edgar Eckert, Sarah Franke, Günther Harder, Janine Kreß, Christian Kuchenbuch und Ingolf Müller-Beck werfen sich die Prosastückchen erklärend zu, auskommen müssen sie mit einem Plastikstuhl, sächsischer Berglanderde, Gummibällen und Diskokugeln. Ausgespart wird vieles, die schwarzen und weißen Anzüge der Herren, die Abendkleider der Damen entschärfen Meyers Brutalität, viele Kurzgeschichten kommen einfach erst gar nicht vor.
Mache'n Kopp zu
Wenn Kuchenbuch halbnackt in engen Shorts seine Runden auf dem Klappfahrrad dreht, Auskunft über Tripper-Thilo daherbrüllt, gibt es die Alkis vom Aldi zum Schlapplachen. Wenn Müller-Beck dabei als Clemens im derzeitigen Rund der Centraltheater-Arena sitzt und selbstherrlich von den literarisch zu öffnenden Portalen redet, von der im Kopf veränderten Realität spricht und am Stuhl kleben bleibt, gibt es den Autor als egoman-lächerlichen Idioten. Über dem Hoffnungslosen liegt eine Knallkomik. Obwohl es den Ausreiseantrag für die Malediven niemals geben wird, es überall nach (Wende)-Opfern riecht, verzweifelt in der Erde gewühlt wird ("Ich will mein Idyll zurück."), die Jungs in der Bar vor Testosteron platzen und gleich zuschlagen werden, garniert dieser Humor die bekannte Meyer-Welt mit einer ungeahnten Note. Der Ossi Meyer, der nicht nur vom Feuilleton schon zum Haudrauf stilisierte Clemens wird ironisiert, sein Mythos wird befragt. In der Westbar macht er auf dicke Hose, prahlt mit seinen Russischkenntnissen. Seine Groupies erklären ihm, dass sie auch schreiben, dass sie es auch früher mit Rennpferden hatten. Und erhalten eine Abfuhr: "Mache´n Kopp zu."
Bild des Autors beim Beifall
Hawemann geht es nicht um "Gewalten", hier geht es um den Leipziger Schriftsteller selbst, um sein künstlerisches Proletenimage, dass sich prima verkaufen lässt, um die scheinbar authentisch geöffnete Brust - , der Buchmessenstar, der H&M-Plastikbeutel trägt und zu genau dem Establishment gehört, dem partout keine Erzählerstimme gewidmet wird. Meyer, bei der Premiere selbst anwesend, muss sich diese Späße gefallen lassen. Er liefert oft sensible Kunst, profitiert dabei freilich auch von den (einfach zu widerlegenden) Platitüden der Kunstkritiker, bedient ein Bedürfnis nach Leipziger Heimat und arbeitet hochprofessionell mit den Sehnsüchten nach kathartischem Loskrachen. Meyer verspricht das Echte, spiegelt ganz bewusst ohne analytischer Schärfe die Brüche und Widersprüche.
Am Ende des Stücks steht er sichtlich gern auf der Bühne, beim tosendem Beifall zwischen den Darstellern. Eine Ehrung nunmal, egal ob sie ihm gefallen hat. Auch ohne dröhnendes Durchhaltepathos kann festgestellt werden: Meyer ist noch da.
Gewalten
von Clemens Meyer
Regie: Sascha Hawemann, Kostüme: Hildegard Altmeyer, Bühne: Wolf Gutjahr, Musik: ear (Raphael Tschernuth und Günther Harder), Licht: Carsten Rüger, Dramaturgie: Johannes Kirsten.
Mit: Edgar Eckert, Sarah Franke, Günther Harder, Janine Kreß, Christian Kuchenbuch, Ingolf Müller-Beck.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
www.centraltheater-leipzig.de
"Hawemann, dieser kluge Realist, lässt durch die einfachen Lösungen für komplexe Bilder nie zu viel Gefühl aufkommen," so der Eindruck von Michael Laages in der Sendung "Kultur Heute" beim Deutschlandradio (26.4.2013). "Distanz und Nachbarschaft liegen immer ganz dicht beieinander in den Bildern von Hawemann und Bühnenbauer Wolf Gutjahr." Sascha Hawemann habe ansonsten Clemens Meyers "ruppige Melancholien ganz dem prächtigen Ensemble überlassen; die Konstellationen, die er mit ihnen findet, die szenischen Fantasien (mit Fahrrad oder Gummiball) markieren das große Einverständnis, das dieses Heimspiel für Meyer trägt; in anderen Konstellationen lägen Gemütlichkeit und Kitsch da nicht fern - davor aber bewahrt diese urtheatralischen "Gewalten" von vornherein die herb-poetische Sprache des Autors."
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Ich empfand die Verarbeitung der "Gewalten" erstaunlich zusammengefügt.
Die Essenz seiner Aussagen, die Stimme der tatsächlich Abgehängten ..und ein unglaublicher Günther Harder gibt wunderbar singend Elvis, Meyer, und liefert auch das Echte ; erzeugt genau das Gefühl, wenn der beste Freund und alte Hund stirbt.