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Neuer Protestaufruf gegen antidemokratische Entwicklungen in Ungarn
Betrifft: Freiheit der Kunst
27. April 2013. Auf der Internetseite des österreichischen P.E.N.-Clubs wurde ein weiterer Offener Brief von Künstlern veröffentlicht (nach dem Aufruf Stiftet Aufruhr! von Anfang April), der europaweit zu Protesten gegen die Beschränkung der Kunstfreiheit in Ungarn aufruft, wie sie in der Verfassung dort bereits de facto festgeschrieben ist. Der östereichische P.E.N.-Club hatte am Donnerstag in Wien zu einer Veranstaltung geladen, die sich mit der akuellen Situation der Künste in Ungarn auseinandergesetzt hat – Betrifft: Freiheit der Kunst.
Hier der Offene Brief im Wortlaut:
"Der von nationalkonservativen Künstlern gegründete, private Verein 'Ungarische Künstlerische Akademie' wird im Grundgesetz zu einer Körperschaft öffentlichen Rechts erklärt. Durch das neue Grundgesetz in Kombination mit anderen, von der Regierungspartei verabschiedeten Gesetzen, wurde die Künstlerische Akademie gesetzlich auf absehbare Zeit zur höchsten Instanz bei der Verteilung öffentlicher Fördergelder bestimmt. Das bedeutet, dass einem geschlossenen Kreis von stramm konservativ gesinnten Künstlern das Recht eingeräumt wird, über die Vergabe von Subventionen, Gehältern, Stipendien, Staatspreisen usw. an alle Künstler des Landes zu bestimmen. Der Präsident der Kunstakademie hat auch bereits ohne Umschweife erklärt, die Akademie werde künftig nur noch Künstler mit 'der echten nationalen Einstellung' unterstützen. Gleichzeitig hat er seinem Bedauern darüber Ausdruck gegeben, dass 'im Ausland auch György Konrád als Ungar betrachtet wird, was immer er auch über uns sagt.' Er tritt gegen seiner Meinung nach entarteten Kunstwerke in Ungarn auf und hat auch verkündet, Künstler, 'die Ungarn aus dem Ausland verunglimpfen, können wahrscheinlich nicht Mitglieder der Akademie werden.' (Mitglieder der Akademie erhalten vom Staat eine feste Zusatzrente, die allein über dem Durchschnittsgehalt in Ungarn liegt.)
Die Tatsache, dass die Regierenden eines EU-Staates im 21. Jahrhundert der Kunst ideologische Fesseln anzulegen versuchen, bedeutet eine fundamentale Verletzung der Grundprinzipien der freiheitlichen Demokratie. Dass in Ungarn Künstler, die nicht regimekonform dichten, malen oder schreiben, mit finanziellem Druck in ihrer Existenz bedroht werden können, ist nicht hinnehmbar! Und dass das alles noch mit der jetzigen 2/3 Mehrheit der national-konservativen Regierungspartei FIDESZ im Parlament für alle Zukunft in der Verfassung fixiert werden soll, ist ein Skandal, der international uns Künstlern den allgemeinen Protest zur Pflicht macht. Wir bitten alle Künstler Europas und der Welt, denen die Freiheit der Kunst wichtig ist, sich unserem Protest anzuschließen.
Wir fordern die ungarische Regierung und das ungarische Parlament auf, die von ihnen unter Protest sämtlicher anderer demokratischer Kräfte einseitig in das Grundgesetz eingebrachte Formulierung über die ungarische Kunstakademie wieder zu entfernen und damit der Sonderstellung ideologischer Tugendwächter der Kunst ein Ende zu bereiten."
Unter den Unterzeichnern des Briefes sind u.a. der Dirigent Ádám Fischer, der Pianist András Schiff, der Regisseur Árpád Schilling, der Direktor des Wiener Burgtheaters Matthias Hartmann, der bereits selbst an den ungarischen Kulturminister schrieb, Dietmar Schwarz, Intendant der Deutschen Oper Berlin, Peter de Caluwe, Intendant des Brüsseler Theatre de la Monnaie, sowie die Sekretäre der P.E.N.-Sektionen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz.
(sle)
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Beeindruckend bleibt für mich die Offenheit des Konflikts. Offen tritt eine Gruppe rechtskonservativer Künstler gegen alle Andersdenkenden an. Darin steckt ein Potential für die Opposition, denn wer so polarisiert fordert geradezu eine Gegenposition heraus. Und ich denke, die wird nicht ausbleiben und sich langfristig durchsetzen. In Ungarn findet ein Kulturkampf statt, den wir schon seit Jahren hinter uns glauben. Nur, bei uns werden Künstler ebenso ausgegrenzt, jedoch die Mittel hierzu sind viel verfeinerter und eine Gegenwehr kaum möglich. Da liegt im der Situation in Ungarn ein gewisser Vorteil, den man aber nicht unbedingt persönlich erleiden möchte.
Legt man Breiviks "Argumente" dazu und nimmt die rechtskonservativen "Gedanken" Le Pens, AfD usw. mit auf, entsteht ein Potporie, das auf ein erhebliches Problem in den demokratisch konstituierten Gemeinwesen der Gewinner des Kalten Krieges wie den Verlierern verweist. Tomasz Konicz zitierte gestern auf telepolis.de unter dem Titel "Die Antiquiertheit der Demokratie" von einer China-Konferenz der Soros-Stiftung Michael Spence: Ein "wohlwollend autoritäres System" biete die optimalen Voraussetzungen für langfristiges Wirtschaftswachstum, da Demokratien innerhalb eines "zu kurzen Zeithorizonts" agieren würden.
Bleibt die Frage, was wir von unseren Eliten zu erwarten haben. Es wäre gut gewesen, hätte auch diese Antwort eine breitere Unterstützung erhalten. Sicherlich mag das, @2, nur gehen, und da stimme ich Ihnen zu, wenn eine breite zivilgesellschaftliche Diskussion über die Grenzen und Möglichkeiten - danke @1 - zukunftsorientierter, d.h. demokratieorientierter, Europapolitik in Gang käme.
Hallo! Geht’s noch?
gelungener "zusammenschnitt"! danke!
und danke auch für Ihr "Wachbleiben"!
es geht noch. (...) Denken sie, dass der, der mit verfeinerten Mitteln ausgegrenzt wird, weniger leidet? Auch er kann nicht arbeiten!
(...) Wer übersieht denn den Machtapparat?
Sie übertragen einfach ihre Protestkultur der sechsziger und siebziger auf die heutigen Verhältnisse in Ungarn, weil sie sich einzig in dieser Oppositionskultur wiederfinden können. Es ist eine Frage ihrer persönlichen Identität. Und nicht ein Frage nach den Verhältnissen im heutigen Ungarn.
Ständig legen sie nahe der ungarische Nationalismus heute sei in irgendeiner Form gleichzusetzen mit dem deutschen Nationalismus der dreißiger Jahre und man müsse sich ebenso stark empören. Sie sind nicht in der Lage sich auf eine Metaebene zu begeben und zu betrachten, was denn heute der Begriff "Nation" in Ungarn für eine Bedeutung haben könnte. Sie tun so, als ob dort auf den Straßen lauter Verletzte liegen würde und jeder der nicht sofort hilft indiskutabel wäre. Aber dem ist nicht so.
Zunächst einmal muss man die Situation genauer analysieren, um nicht gleich in wütigen Aktionismus zu verfallen. Dann folgt die Handlung.
(...)
Den tieferen Sinn von demokratischen Debatten, in denen man den anderen gelten lässt haben sie noch lange nicht begriffen. Sie wollen die Leute zum Protest nötigen, so wie sie es aus ihrer Biographie her kennen, aber so funktioniert das heute nicht mehr. Einfach ein bißchen Aufruhr und Funken schlagen reicht in Europa schon lange nicht mehr.
Vielleicht lesen Sie da einmal nach!
Koob/Marcks/Marsovszky, Mit Pfeil, Kreuz und Krone/Nationalismus und autoritäre Krisenbewältigung in Ungarn, Berlin (Unrast) 2013
Müller, Wo Europa endet/Ungarn, Brüssel und das Schicksal der liberalen Demokratie, Berlin (Suhrkamp)
2013
Hat Herr Baucks gleich damals schon tiefsinnig demokratisch mitdebattiert? Schwer zu glauben, denn er wäre längst als "dreckiger Verräter" bzw. "Kommunist" mundtot gemacht worden. Würde sich Herr B. kundig machen, würde er zwischen dem damaligen und heutigen Nationalismus keinen Unterschied ausmachen können; Ungarn verfügt nur über alte Muster.
Es gibt eine Verabredung auf dem Papier. Ungarn tritt sie mit Füßen.
Die Kehrseite des Humbugs gegen die EU in Ungarn ist die systematische Hysterisierung der Bevölkerung hin zu einem ultranationalistischen Gemeinwesen mit revanchistischer Bestrebung. Wäre Ungarn kein EU-Mitglied, sondern ein Beitrittskandidat, würde es um die Aufnahme betteln und seine Innenpolitik zumindest überdenken, falls es dort Politiker und Mitgestalter von Verstand gäbe. Europaweite Proteste gegen diese „Politik“, die eigentlich das Ende der Politik ist, wären á la 68 und 89 das Mindeste.
vielen Dank für die Buchhinweise, das wäre nicht nötig gewesen, denn, Sie ahnen es schon, ich wäre mehr daran interessiert, wie sie den Begriff "Nation" heute im Zusammenhang mit Ungarn einordnen. Eine Einschätzung von Herrn Mohr, der ich in der Form nicht folgen möchte, haben wir ja bereits.
"Wir leisten das Versprechen, dass wir die geistige und seelische Einheit unserer in den Stürmen des vergangenen Jahrhunderts in Stücke gerissenen Nation bewahren. Die mit uns zusammenlebenden Nationalitäten sind staatsbildender Teil der ungarischen politischen Gemeinschaft."
Das ist ziemlich nebulös. Was soll denn bitte die geistige und seelische Einheit unserer Nation sein? Und ist die Nation ein Körper, der Geist und Seele hat? Ein Nationskörper (oder gar Volkskörper)? Was definiert die Nation (nemzet)? Die Geburt (nascere, nem)? Und warum gehören "die Nationalitäten" (wer ist das überhaupt?) nicht zur Nation, sondern "nur" zur politischen Gemeinschaft? Also warum ist die Nation keine Staatsnation? Freilich, das muß noch nicht zu Diskriminierung führen, nur leider spricht FIDESZ ständig von der Nation, die Verfassung z.B. beginnt: "WIR, DIE MITGLIEDER DER UNGARISCHEN NATION, erklären …" Also sind schon im ersten Satz der Verfassung die "Nationalitäten" ausgeschlossen, ist nicht die ganze "poltische Gemeinschaft" inbegriffen, deren Verfaßtheit hier doch gerade definiert werden soll usw.
Die Präambel der Verfassung heißt übrigens nicht etwa Präambel sondern "Nationales Glaubensbekenntnis" (sic)
Und für ein weiteres Beispiel für Orbans Anknüpfen an die dreißiger Jahre siehe:
http://pusztaranger.wordpress.com/2012/10/06/viktor-orbans-blut-und-boden-rede-dokumentation-und-kommentar/