Auf Leinwandgröße

von Andreas Wilink

Recklinghausen, 3. Mai 2013. Vor Zeiten, länger oder kürzer sind sie her, musste man nicht weit fahren, um von Recklinghausen aus das unbekannte Wesen Hedda Gabler kennenzulernen – zweimal nach Bochum zum Beispiel oder auch einmal nach Dortmund, und einmal hätte man direkt im Festspielhaus bleiben können. Für eine überflüssige, für eine unfertige Frau, für einen untätigen Menschen hat diese dramatische Person ziemliche Präsenz.

Traditionen: Peter Zadeks britisch delikate Hedda

Unser frühestes Exemplar in Ibsens Bestiarium stammt von 1977, als Bochums damaliger Intendant Peter Zadek in einer klaren, knappen Inszenierung das Drama wie ein britisches Konversationsstück spielen ließ. Sie habe, erzählte Rosel Zech, während der Proben viel Patricia Highsmith gelesen. Ihre Hedda Gabler hielt die Schwebe zwischen Hochmut, Machtgier, Unsicherheit und Schwäche, hatte hysterische und verkrampfte Züge, benahm sich schlecht und war doch am Ende das Opfer. Höchst delikat, wie da eine wohlerzogene Person ihre bösen Spiele trieb. Der Ekel, den Polanski in seinem Film "Der Mieter" vermittle, den müsse Hedda auch noch haben, habe Zadek verlangt.

Alles und noch viel mehr. Das ist das Problem. Das ist die Chance. In dieser Figur ist alles drin, aber sehr viel weniger erklärbar.

Diven in der Enge des Wohnzimmers: von Dörte Lyssewski bis Constanze Becker

Ein Vierteljahrhundert später in Bochum, inszeniert von Ernst Stötzner: Dörte Lyssewski und die vielen Gesichter der Hedda Gabler: fröstelndes Sterntaler-Mädchen, Diva im Pelz, Kluge mit Brille, Unschuld vom Lande, Manipulatorin und Vandalin, die im Gartengrill das Manuskript Lövborgs anzündet und als Vestalin unerreichter Liebe dann den Ofen wie einen Kinderwagen schaukelt, um darin das imaginäre Kind der Verbindung zwischen Lövborg und Tea Elvsted in den Tod zu fahren.

Was die Pistolen-tüchtige Generalstochter, die sich "müde getanzt", daraufhin ihr Ja-Wort an den falschen, selbstgenügsamen Mann gegeben und bald gemerkt hat, dass sie in der Behaglichkeits-Falle sitzt, was diese Hedda, verheiratete Tesman, alles sein kann oder muss! Bei Birgit Unterweger am Theater Dortmund (2006, Regie: Philipp Preuss) war sie cool wie Modesty Blaise und fast eine Wiedergängerin der Bardot aus Godards "Die Verachtung". Sie blieb am Leben, einem Leben ohne Überbau. Und der Himmel war leer.

Constanze Becker (Regie: Alice Buddeberg fürs Schauspiel Frankfurt, aber bei den Ruhrfestspielen zur Premiere gebracht) lümmelte vor vier Jahren missgelaunt in einer vereisten Wohnzimmer-Landschaft, um sich schließlich in Dessous eine letzte Zigarette statt den finalen Schluss zu geben. Frau Heddas Gespür für Schnee und Frau Constanzes Gespür fürs Tragische schmolzen gespenstisch im Alltäglichen dahin.

Und nun: Nina Hoss als Hollywood-Idol

So weit. Und nun? Nina Hoss. Der Klang einer Spieluhr kündigt den Auftritt an. Nicht im Morgengewand, sondern in einer wie gepanzerten, kettenhemdartigen und Jett-verzierten Robe betritt sie den Salon. Ein seltsamer Nachtfalter mit geflochtenem Haarkranz – oben herum Ufa-Gretchen, vom Hals abwärts Hollywood-Sirene, als hätte bei der Stilbildung Josef von Sternberg mitgewirkt. Hedda goes to Hollywood.

hedda2 560 arno declair uMae West lässt grüßen: Nina Hoss und Felix Goeser © Arno Declair

Stefan Pucher erschafft ein Idol, das seine statuarische Erscheinung zunächst ungelenk aufzulösen sich müht, wenn Hedda Frau Elvsted in ihren routinierten Schlagerstar-Attitüden nachzuahmen versucht. Und konstruiert für sie einen Laufsteg und Boulevard, der sich in Streckenabschnitte teilt. Der Anfang führt mit brauner Holzverschalung, Standuhr, Kamin und Messing-Spiegel in historisches Gelände, darin Tesman (bärtig, kahl, stocksteif und sträflich arglos: Felix Goeser) und Tante Jule (Margit Bendokat) es sich in ihrem Biedersinn gesprächsweise gemütlich machen. Zum Schluss – wie mit Ausrufezeichen als schales Melodram dargeboten – führt der Weg ins Altfränkische zurück; ergänzt um einen moritatenhaften Epilog, den die Bendokat mit an Heiner Müller geschulter Stimme vorträgt.

Liebe ist kälter als der Tod

Szenisch wartet man nach der Tümelei geradezu auf den befreienden Schock der Verwandlung. Der erfolgt auf der opulenten Rundbühne (Barbara Ehnes) dreifach: als schwarzweiß designte Moderne, im Panton-Look knallig blinkender, poppig blubbernder Kunststoff-Farben und als schick-cooles Sound-Studio. Heddas Transformation bzw. Dekonstruktion läuft parallel: zur blondmähnig nordischen Daliah Lavi, die sich in transparent roter Chiffon-Bluse katzenhaft im gelackten Plastiksessel vor Richter Brack (Bernd Moss als aasige Harald-Juhnke-Version) fläzt, oder zur ondulierten Belle of the Thirties. Um bloß durchmustert zu werden wie in dieser flauen, denkfaulen Inszenierung, die vor dem Stück kneift, aber ist Nina Hoss zu schade und bleibt als verzogene, sich selbst überdrüssige Vater-Tochter hinter den Bildsetzungen zu schmal.

Auftritt Lövborg vor einer Klangkulisse, als sei das Raumschiff Orion gelandet. Mit weißer Schlaghose, Lederjacke und Schnäuzer gleicht Alexander Khuon einer frühen Fassbinder-Figur. Liebe ist kälter als der Tod. Da brennt also nichts zwischen ihm und Hedda – oder nur indirekt. Das Medium Video wird zur (natürlich ironisch gebrochenen) Botschaft mit Showdarbietungen, Close-up-Leidenschaften, romantischer "Liebeslied jener Sommernacht"- Sentimentalität und Western-High-Noon-Duellen. Der Schuss, mit dem sich Hedda aus der Welt schafft, fällt – wie es sich gehört – im Off. Even Cowgirls get the Blues.


Hedda Gabler
von Henrik Ibsen
Deutsch von Peter Zadek und Gottfried Greiffenhagen
Regie: Stefan Pucher, Bühne: Barbara Ehnes, Kostüme: Annabelle Witt, Musik: Christopher Uhe, Video: Meika Dresenkamp, Dramaturgie: Claus Caesar.
Mit: Margit Bendokat, Felix Goeser, Nina Hoss, Alexander Khuon, Bernd Moss, Naemi Simon, Anita Vulesica.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.ruhrfestspiele.de
www.deutsches-theater.de


Mehr über Stefan Puchers Faible für Film-Theater erfahren Sie im nachtkritik.de-Lexikon.

Kritikenrundschau

Karin Fischer schreibt auf der Website des Deutschlandfunks (4.5.2013, 17:30 Uhr): Bei Pucher gehe es "ums Probehandeln". "Was wäre, wenn man der Spießigkeit Einhalt gebieten könnte? Wenn man Mut hätte, sein Leben nach seinen eigenen Wünschen zu leben?" Nina Hoss sei das gleißende Zentrum. "Narzisstisch und eitel, sprühend und grausam manipulativ, und der Quell überhaupt aller Emotionen in diesem Versuchsraum". Pucher und Barbara Ehnes siedelten das Stück optisch in zwei Zeitebenen an. In einer Blockhütte, in der alles unecht sei und in einem stilechten 70er-Jahre-Overkill in rot-orange oder grau-schwarz-weiß. Pucher erweise sich als Quentin Tarantino des Theaters. Bei den Mitteln immer etwas drüber - nur die Dialoge seien bei Tarantino "vielleicht aufregender".

Die ganze Regie liege in der Arbeit der Kostümbildnerin Annabelle Witt, holt Gerhard Stadelmaier in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (6.5.2013) aus. "Hoss, der Star, trägt keine Figur, er trägt Marken beziehungsweise Stile beziehungsweise Abziehbilder aus Modemagazinen vor." Ihre Hedda komme nicht nur deshalb gar nicht zu sich. "Denn sie ist nur ein Dreh, ihr wichtigstes Hilfsmittel deshalb die Drehbühne." Mit ihr drehe sie sich durch Zeiten und Moden. "Die Regie möchte wohl andeuten, dass sie nicht das Stück von Ibsen in Szene zu setzen in der Lage sei, nur irgendwie dessen rezeptiven Gang durch die Geschichte. Wobei Hedda offenbar keine Frau, sondern ungefähr alle Frauen sein soll und kann." Wenn aber alle Frauen diese zickig-launische Modepuppe sein sollten, gerate der Gang durch die Frauenbildergeschichte erstens zum denunziatorischen Stillstand, zweitens zum ewigen Klischee. "Ibsen hätte darüber höhnisch gelacht. Er schrieb Dramen. Keine Groschenromane." Dieser Abend sei, so Stadelmaier, jetzt in Hochform: "die dümmste, denkfaulste, reaktionärste Version eines Stücks, in dem ein gewaltig rätselhafter Frauenmensch eine Welt zerstört, die nicht zu ihm gehört – weil er seine eigene Welt ist." Hier habe sie keine Welt, nur Kostüme. "Zu wenig für eine Hedda. Und auch für eine Hoss (Der Name des Regisseurs übrigens tut nichts zur verlorenen Sache)."

"Nina Hoss könnte die perfekte Besetzung für Henrik Ibsens lebensverachtendes Luxusweib sein. Doch Stefan Puchers Inszenierung bleibt in Oberflächlichkeiten stecken", bleibt Stefan Keim dagegen in der Welt (6.5.2013) cool. Stefan Pucher sehe in Ibsens Drama einen amoralischen Italo-Western. Was bei dieser Lesart herauskomme, sehe schick aus, sei über zwei pausenlose Stunden hinweg durchaus unterhaltend, und ohne Zweifel stünden hervorragende Schauspieler auf der Bühne. "Doch sie wirken, als ob sie die Handbremse angezogen hätten, keiner geht an seine Grenzen." Natürlich entstehe Spannung durch dauerndes Lauern und Locken, doch die Fassaden brächen nicht, nie werde es existenziell. "Popsongs sollen das emotionale Defizit wettmachen, wie so oft im Theater." Ja, sie könnten auch musizieren, die vielfach begabten Mimen. Aber sie berührten einen an diesem Abend nicht. "Ibsen für 'Vogue'-Leserinnen. Stefan Pucher inszeniert Hochglanztheater ohne Seele."

"Pucher steht mit seiner Lust auf theatralische Stilmittel der Antriebslähmung seiner Protagonistin denkbar konträr gegenüber", schreibt Arnold Hohmann in der WAZ (6.5.2013). "Kühler Smalltalk ist seine Sache nicht, bei ihm müssen Bilder sprechen und möglichst unterhaltsam sein, weshalb er die Figuren Ibsens auch gleich klar festlegt." Man merke sehr schnell, dass Pucher für seine Art des Ibsen-Entertainments jedes theatralische Mittel recht sei. "Und hätte er keine so dominierende Aktrice wie Nina Hoss, das Stück könnte gelegentlich Gefahr laufen, sich dabei selbst zu verlieren." Sie aber halte dieses Gefüge zusammen mit ihrer Präsenz, ihren Sticheleien, ihren Intrigen – und ihrer Lustlosigkeit.

"Wie sie da im Zimmer auf zu enger Stelle tritt, eine Tigerin im Holzkäfig, da ist gleich klar: Hier hat eine Rolle ihre Schauspielerin gefunden", ist Dorothee Krings in der Rheinischen Post (6.5.2013) begeistert von Nina Hoss. Pucher mache aus Ibsens kaltblütigem Gesellschaftsstück eine kurzweilige Zeitenrevue. In seiner Inszenierung sei Hedda kein Opfer, keine unerfüllte Frau, die sich nach Selbstverwirklichung sehnt und Mitleid verdiente. "Sie ist der verkörperte Zynismus, eine Ästhetin des Bösen, die 'einmal im Leben Macht über das Schicksal eines anderen' haben will und glaubt, als Übermensch Erhabenheit zu spüren." Indem Pucher durch die Zeiten spule, zeige er das Zeitlose in Heddas Haltung. "Jede Generation produziert ihre Überdrüssigen, die vom Weltenekel Befallenen, die nicht an die Gegenwart glauben. Und an die Zukunft schon gar nicht." Pucher inszeniere das nicht moralisch, sondern abgebrüht unterhaltsam. Und "Nina Hoss kann solche Frauen spielen, ohne Monster aus ihnen zu machen." Man spüre ihre Härte, fürchte ihren tödlichen Sarkasmus, ihre ansteckende Abgebrühtheit. "Nie war Hedda Gabler so zeitlos – und so sehr eine von uns."

"Die Hedda Gabler der Nina Hoss (…) bleibt in ihrer schillernden Erscheinung von Anfang an äußerlich", schreibt Andreas Rossmann in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (5.5.2013). Aufwändig weiche die Inszenierung dem Drama aus. "Die Figuren und Beziehungen werden unterbelichtet, ihre Energien und Spannungen flach gehalten." Deklamierend und dekorierend führe Pucher das Stück durch die Zeiten und verfehle dessen Gegenwart. Und auch Nina Hoss bleibe das Maßlose der von Langeweile und Lüge getriebenen Egozentrikerin schuldig. "Unter ihren Möglichkeiten bleibend, kommt sie bei Ibsen nicht an."

"Fatal komisch" sei dieser Abend, schreibt Martin Krumbholz in der Süddeutschen Zeitung (13.5.2013. "Ungefähr so abgründig komisch und humorvoll wie eine Horrorgeschichte von Franz Kafka." Stefan Pucher setze in seiner Inszenierung ganz auf die Groteske. Was aus Sicht des Kritikers aufgeht. Ibsens schwarzer Humor werde häufig übersehen, "weil die elementaren Menschheitsfragen, die er aufwirft, den Zuschauer sehr in Anspruch nehmen und, wie Brecht gesagt hätte, romantisch glotzen lassen." Entsprechend lasse Pucher den Abend auch enden, und zwar triumphal "mit einer kafkaesken Coda, vorgetragen von der unvergleichlichen Margit Bendokat".

Peter Kümmel schreibt in der Zeit (16.5.2013): Nina Hoss wirke wie "jemand, der weiß, dass er seinen Platz nicht verlassen kann, weil sonst das Gebäude einfällt". Und das Publikum hoffe "insgeheim" darauf, weil ansonsten "kein Leben im Bau" sei. Stefan Pucher illustriere die These, dass der Kriminalfilm von heute verdünnter Ibsen sei. Die Drehbühne wirke wie eine Maschine, welche Ibsens Figuren ausspeie, nachdem sie mit den zehntausend Filmfiguren, die Pucher in seinem Leben gesehen hat, "im selben großen Waschgang gewaschen" worden sind. "Wenn man eine Pucher-Inszenierung sieht, möchte man anschließend immer den Kopf in den Nacken legen und rückwärts ausparken – weil man das Gefühl hat, man sei im Autokino gewesen...". Pucher befreie seine Figuren von den Zwängen des Theaters, vielleicht aber auch sich selbst von den Figuren indem er sie zu erledigten Fällen erkläre. Dagegen müsse Hoss anspielen sie kämpfe um jeden Moment, das bringe sie in "eine Defensive, welche sich mit der herrischen Kälte der Hedda Gabler nicht gut verträgt". Aber sie baue sich die Rolle, "gegen den Strom der Regie", immerzu spanne sie "geheime Muskeln vor Zorn". "Sie ist die Vorläuferin einer freien Frau; Befreiung erlangt sie in kleinen, tückischen Terrorakten".

In der taz (17.5.2013) schreibt Katrin Bettina Müller: "Unglaublich klein" könne sich der große Felix Goeser machen, womit über die Aussichtslosigkeit seiner Beziehung zu Hedda "schon ziemlich viel gezeigt" sei. "Großes Kino hätte diese Hedda gern". Mit Filmeinblendungen und "wilden Songs, die Heddas Sehnsüchte weiterdichten und bis in die Gegenwart dehnen", buchstabiere Puchers Inszenierung Heddas Egozentrik "äußerst genüsslich aus", mit der Musik verschmölzen die unterschiedlichen Zeithorizonte zwischen Gründerzeit und den siebziger Jahren und heute – und immer passt es. Das ist ein erstaunliches Kunststück. "Innere Hohlheit bei äußerster Eleganz" spiele Nina Hoss mit "großer Bravour". Sie, "die in vielen Filmrollen gerade für das fein ausgearbeitete psychische Drama unter der Oberfläche gelobt und geliebt wurde, karikiert hier gewissermaßen auch die eigene Kunst". Pucher gelinge es, "Heddas Feigheit und Faulheit in keiner Hinsicht zu beschönigen und sie dennoch nicht einfach an die Verachtung zu verraten".

Im Berliner Tagesspiegel (17.5.2013) schreibt Christine Wahl: Stefan Pucher inszeniere "die Pistolenfreundin" Hedda als "zeitenübergreifende Hollywood-Diva", die "quasi mit jedem Kleid" auch das "Ambiente" und den "(film-)historischen Kontext" wechsele. Nina Hoss könne so "in ihrer letzten Rolle am Deutschen Theater noch mal reüssieren", und sei "auf der Höhe ihrer – auch ironischen – Darstellungskunst". Nur habe man eben die kunstvolle Vorführung von Oberflächen nach 15 Minuten verstanden und frage sich die restlichen 90, ob einen dieser Ansatz noch irgendwo anders hinführe. Was er nicht tue. Nur Schauspieler-Momente blieben: Margit Bendokat mache aus der Tante Juliane Tesman eine mit "sämtlichen Verfremdungswassern gewaschene und von allen Altdamen-Klischees lässig emanzipierte Lachnummer".

Ulrich Seidler schreibt in der Berliner Zeitung (17.5.2013): "Tolle Bilder, Qualitätsmusik, Filme, Mode und Einrichtungsideen" − Stefan Puchers Ibsen-Inszenierung thematisiere alles, was ein "edles Stilmagazin" brauche. Schnell habe man diesen "geschmackvoll und sauber layouteten Hundertminuten-Abend durchgeblättert", und das zurückbleibende "deprimierende Gefühl von Unbefriedigtheit" sei wohl ungefähr das, woran auch Hedda Gabler zu leiden habe. Die Schauspieler wechselten nicht nur ausdauernd die "Outfits", "sie musizieren auch, ach". Goeser am Schlagzeug, Anita Vulesica hat Musical-Stimme, "aber auch Nina Hoss schmachtet ordentlich einen weg": "I hate myself for lovin' you" von Joan Jett. Pucher lasse "die Welt in Medienprodukte und Kulturzitate zerfallen". Wie Hedda habe Pucher die Sehnsucht nach etwas Echtem so gut wie überwunden.

 

Kommentare  
Hedda, Recklinghausen: müder als bei Tarantino
Ich bin am heutigen Abend bei der Vorstellung zweimal fast eingeschlafen, was mir bei Tarantino noch nie passiert ist.

Nein. Andreas Wilink hat vollumfänglich recht. Alles ist eindimensional und auf öde Weise gedoppelt, z. B. bei den Videoeinspielungen, ohne dass Neues daraus gewonnen wird.
Hedda, Recklinghausen: mittel
Mittelmass
Hedda, Recklinghausen: reine Oberfläche
Die Inszenierung ist reine Oberfläche,wieso? Und Nina Hoss leider auch. Hatte mich sehr gefreut.
Hedda, Recklinghausen: toll
Äußerlich, oberflächlich, dekorativ - das hört sich doch toll an! Das kann der Pucher eben.
Hedda Gabler, Ruhrfest / Berlin: moderne Medea?
Interessante These von Kümmel. Die Hedda Gabler von Pucher ist also eine moderne Medea. Allerdings bringt sie nicht ihr Kind um, sondern das anderer Leute. Und eben nicht als Akt der selbsbefreienden Rache, sondern aus purer Langeweile. Wen darf denn jetzt der gelangweilte Zuschauer umbringen? So rein symbolische gemeint.
Hedda Gabler, Berlin: Konzept schlüssig
Also, ich weiss nicht, ob das die interessanteste Hedda Gabler Vorstellung aller Zeiten war, aber vom Konzept her fand ich das ganze eigentlich schon schlüssig, im Detail rigoros in Szene gesetzt, und auch nicht am Stück vorbei inszeniert. Die Spannung zwischen den sehr naturalistischen Bühnenbildern und der distanziert-abstrakten Spielweise erschien mir als ein sehr intelligenter Regieeinfall, und theatergeschichtlich klug. Und in der Nachbetrachtung eröffnete mir Puchers Ansatz zudem Blickwinkel auf die Struktur des Stücks die ich bisher so nicht bedacht hatte.

Ausführliche Gedanken (allerdings auf Englisch) hier: http://www.dispositio.net/archives/1584
Hedda Gabler, Berlin: Zumutung
herr stadelmaier hat eher noch untertrieben.. kein wunder, dass nina hoss das dt verlässt, wenn man ihr hier solche regisseure zumutet. der abend war pure, ärgerliche zeitverschwendung.
Hedda Gabler, Berlin: Modeerscheinung
ich frage mich sowieso, warum nina hoss hedda gabler spielt. die ist doch eigentlich anfang 20 und so ist diese vater geschichte und langeweile auch zu verstehen. sie hat keine lust auf das leben, das auf sie wartet und ist frustriert darüber sich selbst dort hineinmanövriert zu haben, und entsetzt, dass alle anderen darauf lust haben, aber ein 40something? ist das dann frust über ein leben, das man nicht gelebt hat? hier kann doch die langeweile keine bedrohung sein sondern nur Langeweile.

das ist das reinste stargehabe, wie auf den ku'damm bühnen. da gehört es hin. da wollen die leute das sehen und da kann es großartig und divenhaft daherkommen, aber am DT und mit frau Hoss? Hat man angst, dass bei eine Natalia Belitzki keiner kommt (dabei wäre die eine großartige Hedda) und warum überhaupt macht man das stück, wenn doch an der schaubühne die wirklich gute Hedda von Ostermeier läuft? Das Stück ist zur Mode geworden in den letzten Jahren und das ist schade, denn es ist ein wirklich, wirklich gutes, unerhörtes Stück.

"Das macht man aber nicht."
Hedda Gabler, DT Berlin: Edelkitsch
Hedda Gabler im DT
Ach, was hab ich mich gefreut auf den Abend!
Auf die Schauspieler, auf Alexander Khuon, auf Bernd Moss (meine Mirza aus der wunderbaren Judith-Inszenierung) und dann Vorhang auf: ein Massivholzhaus, so eng, so bieder.
Davor Margit Bendokat schaukelnd und die Sätze schon in dem verdächtigen Ton, da lauert es.
Der Mann daneben, ein eingeklemmter Wicht, JÖRGEN, Margit Bendokat reimt es so genüsslich auf SORGEN. Ja und dann öffnet sich diese Massivholzhauswand und ihr entgleitet Hedda Gabler, die Pailletten rascheln, alles zu klein für sie, alles zu eng.
Jede Geste verhindert, lauernd.
Die Geschichte ist schnell erzählt, zwei Männer, zwei Frauen, ein Hausfreund.
Niemand will da sein, wo er oder gerade ist, niemand will das sein, was er oder sie gerade darzustellen gezwungen ist. Der große und der kleine Lebensbetrug, Ibsen eben.
Und was passiert auf der Bühne?
Genau vor Ibsen wird gespielt, aus einer bestimmten Perspektive vielleicht danach.
Wir spielen mit allem, mit den Bildern, mit den Kostümen, mit den Zitaten, wir nehmen alles mit und basteln es in die Figuren, es wird alles zum Kitsch, Edelkitsch, gewiss, und der Regisseur liebt keine seiner Figuren, stellt sie alle aus.
Gefühle leisten wir uns nur noch im sentimentalen Schlagerkitsch und dahinter lauert schon wieder Kitsch-Durschschauergeste, pah, Nina Hoss wedelt im Hintergrund, ermattet in den Gesten, in denen sie den Kitsch vorfühlen will. Selbst dazu keine Lust mehr, kein Furor,
Langeweile.
Ich erinnere mich an die großartige Katharina Schüttler in der Schaubühne und weiß, was ich vermisse. Sie spielte diese Hedda Gabler auch in diesem Gefühl des Ennui, aber immer nah an der großen Folie, ihr Elend ist der horror vacuui des modernen Menschen, dessen Gerichtetsein im doppelten Sinne verloren ist.
Stefan Pucher hat dieses Gefühl für Elend offensichtlich nicht mehr. Oder er misstraut ihm und sich und damit uns.
Die Begegnungen von Menschen gelingen nur noch in der nicht-realen Welt, sie werden verschoben – ins Video, aber dafür brauche ich kein Theater.
Theater - und ich bleibe da bei meiner Erwartung – muss ein Spiel in Gang setzen, das sich in den Figuren verkörperlicht, und sie sind verdammt dazu, zu sprechen, immer wieder, miteinander, gegeneinander. Wie unendlich schwer das sein kann, wie anstrengend, aber wie notwendig, das hat mir noch einmal Jürgen Holtz in seiner so klugen Rede zum Theaterpreis vor Augen geführt.
Wenn der Schuss am Ende verhallt, das Saloon-Fenster sich wieder geschlossen hat, dann weiß man, dass mit einem selbst gespielt worden ist, ich war darob nicht einmal erbost, nur traurig, der Witz hat nicht gereicht, die Erkenntnis erst recht nicht.
Aber – jetzt kommt Margit Bendokat und ich krieg jetzt doch noch etwas für mein besöffeltes Hirn: Ah, sie schleudert mir die Unaufhaltsamkeit des Lebenszuges vor die Füße, Vergänglichkeitsmetaphern und dann ist wirklich Schluss.
Ich weiß, das ist steht mir nicht an, aber mit diesen so klugen Schauspielern hätte man doch weit, weit mehr machen können. Zu ihrem und zu unserem Gewinn.
Hedda Gabler, Berlin: schön bunt
Irgendwie passte das alles nicht zusammen. Die Westernstadt, das Bühnenbild, die Musik. Flickwerk - aber schön bunt. Naemi Simon war ganz erfrischend. Ansonsten Ibsen Bonanza mit Hoss. Der Wechsel zur Schaubühne ist bestimmt eine gute Idee. Einfach mal wieder locker machen!
Hedda Gabler, Berlin: Song
Ich möchte nicht klugscheißen, tue es aber vermutlich trotzdem, wenn ich darauf hinweise, dass sich Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung im Song geirrt hat: Es handelt sich keineswegs um "I hate myself for lovin' you" von Joan Jett, spndern um "Dirge" von Bob Dylan.
Hedda Gabler, Berlin: Nur ein paar nette Bilder
Es ist alles ein Spiel mit der Oberfläche, das bloßes Spiel bleibt, hinter dem nichts aufblitzt, das nichts zu sagen hat. Mechanisch am Ende die beiden Tode, routiniert und distanziert, betont ohne jede Bedeutung. Dazu ist auch der Kontrast zwischen den Zeitebenen zu gering. Eigentlich spult jeder das gleiche Repertoire herunter, so dass eine gewisse Beliebigkeit entsteht. Die Rolle der Frau? Ach nee, keine Lust. Reflektionen über Macht und Machtlosigkeit? Heute nicht. Das Portrait einer erstarrten Gesellschaft? Ein andermal. Zum Egoismus mutierter Individualismus als Triebfeder unserer Zeit? Ach nicht doch. Und so ist der Abend schön anzusehen aber ohne jede Haltung. Ein interpretatorischer Ansatz ist nicht erkennbar, das Stück wird heruntergespielt, gibt Anlass zu ein paar netten bunten Bildern und interessiert nicht weiter.

Komplette Kritik: http://stagescreen.wordpress.com/2013/06/23/alles-so-schon-bunt-hier/
Hedda Gabler, Berlin: raubtierhafte Präzision
Hier eine alternative Meinung "to whom it may concern".

Ich war gestern drin und zu meiner eigenen Überraschung von der ersten bis zu letzten Minute gepackt - wobei meine Hedda-Gabler-Erfahrungen wie die von Andreas Willink bis zu Zadek, 1977 (gesehen in Hamburg) zurückreichen.

War vor allem deswegen erstaunt, weil ich meine Augen von Nina Hoss nicht abwenden konnte - eine Schauspielerin, der ich sonst antipathisch gegenüberstehe - auch ihrer meinem Geschmack nach ausschließlich blöd-privat-eindimensionalen Orsina-Blondinenkarikatur bei Thalheimer gegenüber. Nur ihre Professorengattin in Thalheimers "Einsame Menschen" hatte mich berührt.

Diese absolute Kälte, die raubtierhafte Präzision ihrer Hedda hat mich gefesselt.
Was habe ich im Gegensatz zu den anderen Meinungen gesehen?
Eine streng-konzeptionelle Inszenierung, die nichts von den Beliebigkeitsvorwürfen der KritikerInnen hatte. Pucher zeigt keinen Menschen, sondern eine Männer-(Angst-)Projektion im Wandel der Jahrzehnte seit Ibsen: Angefangen beim Naturalismus 1890 (dem oben in den Texten meines Erachtens übel beschriebenen Blockhaus mit der vampirhaften Hedda als eiskalter Todesengel à la Beardsly) über die 20er Jahre mit dem expressionistisch-neusachlichen Wohnraum à la Jessners "Marquis von Keith" (Berlin, 1923, mit Korkner), die Western-Phantasien von der knallharten Lady und die 60er/70er-Jahre mit den Panton-Blasen und der Männermörderin im Lolita-Kostüm bis in die Gegenwart und über Leni Riefenstahl (blonde Dauerwelle à la Ufa/Marika Rökk) wieder zurück zu 1890.

Letztendlich war es eine komisch-nachdenklich machende Revue über Männerphantasien, über das mordende Weib durch fünf Vierteljahrhunderte einschließlich einer kleinen Etüde über den Wandel der Theaterstile: also Theater über das Theater (das ja auch was mit Projektionen zu tun hat). Der optisch attraktive und daher unterhaltende Nachweis der Historizität von Frauen- und Theaterbildern trägt zur Dekonstruktion von essenzialistischen Pedanterien bei und somit zur Aufklärung. Ich finde das eine lobenswerte Leistung. Es ist leichtes Theater nach dem Motto prodesse et delectare, aber deswegen nicht oberflächlich.
Außerdem war die Spannung der Aufführung bis zur letzten Minute stark. Wundere mich, wie man dabei einschlafen kann. Vielleicht war "Immerwiedergeher" in einer schwachen Aufführung.
Auch Goesers Tesman finde ich bei Willink anders beschrieben, als ich ihn erlebt habe. Gerade in den 1890er Episoden: diese Verklemmtheit, die sich eulenspiegelhaft verdoppelte durch sein sich Einklemmen zwischen Standuhr und Kamin, fand ich ganz hinreißend komödiantisch. Natürlich war es maßlos übertrieben, wie eine Parodie eben. Aber paradoxerweise auch höchst elegant und ökonomisch.

Ich hab den Abend sehr genossen. Er pustet das Hirn durch und regt an.
Hedda Gabler, DT Berlin: Hoss und Moss glänzen
Diese Inszenierung schwelgt in Kostümen (der Auftritt von Nina Hoss in der Titelrolle mit ihrem Schmetterlings-Kostüm in ihrer letzten Inszenierung als DT-Ensemble-Mitglied vor ihrem Wechsel an die Schaubühne bleibt in Erinnerung), bietet bonbonbunte Bühnenbilder, die zwischen Biedermeier und stylischer Lounge wechseln, sie setzt - wie seit Castorf üblich - Videoaufnahmen ein und die Schauspieler greifen schon mal zur E-Gitarre oder singen mit erstaunlich guten Stimmen.

Vor allem glänzen Nina Hoss als unnahbare Diva, die ihre Intrigen spinnt, ihre spöttischen Einwürfe von der Seite als bösartige Hiebe setzt und am Ende alle in den Untergang reißt, und Bernd Moss als schmieriger Amtsgerichtsrat Dr. Brack, der hinter der Fassade des Biedermanns nur nach der nächsten Affäre Ausschau hält.

http://www.e-politik.de/kulturblog/archives/256-Stefan-Puchers-Hedda-Gabler-am-Deutschen-Theater.html
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