Die Weber - In Plauen nimmt Marie Bues die heutige Textilindustrie-Ausbeutung in den Blick
Der Hummer in der Textilrevolte
von Tobias Prüwer
Plauen, 16. Mai 2013. "Das dürfen die nicht, oder?" Der Satz einer High-Society-Lady angesichts der aufständischen Textilarbeiter, die die Party stören, könnte auch an Marie Bues gerichtet sein. Denn die Regisseurin reißt im Plauener Theater "Die Weber" in eineinhalb Stunden herunter. Mit ordentlich Tempo und Furor geht es durch alle fünf Akte. Bevor Puristen aufstöhnen: Ihre Version bleibt erstaunlich nah am Werk und fällt doch ganz anders aus als das klassische Bühnenwerk. Denn Bues übt sich nicht nur in radikaler Reduktion, sondern mixt Gerhart Hauptmanns Sozialdrama mit einer Gegenwartskritik ausbeuterischer Textilherstellung.
Beginn mit Ermüdungserscheinungen und Arbeitsunfällen
Schon beim Eintreten des Publikums bebt die Bühne unter dem Rhythmus der Arbeit. Neun Werktätige stöhnen in einem Fabrik-Ambiente, wie man es aus Dokumentation über die Bekleidungsindustrie aus Indien und Bangladesh kennt, unter der Fließbandproduktion. Sie stehen an langen Tischen, schneiden Stoffe zu, nähen T-Shirts und verpacken diese für den Export. Menschenschinder Pfeifer überwacht ihr Tun. Mittels Projektion werden Straßenumfragen mit Plauener Bürgern gezeigt, die ihre Einkaufsgewohnheiten schildern. Minutenlang lang hält diese roboterartige Szene an. Man sieht Ermüdungserscheinungen, kleine Arbeitsunfälle. Die Last der Tätigkeit wird offenkundig, noch bevor diese Weber beginnen, sich über die Arbeitsbedingungen und ihren Niedriglohn zu beschweren.
Bues holt "Die Weber" plastisch ins Heute, rutscht aber nicht ins Plakative ab. Das gelingt, weil sie im Großen und Ganzen sowohl an Hauptmanns Figuren wie seiner Sprache festhält. Auch hier bricht ein Junge erschöpft zusammen und die beschwichtigenden Worte des Fabrikanten Dreißiger mussten gar nicht aktualisiert werden. Seine Beschwörung des verantwortungsvollen Unternehmertums klingt noch immer glaubhaft hohl, wohl auch, weil sie ähnlich zynisch ausfällt wie das gegenwärtige Mantra von der Gerechtigkeit in der Leistungsgesellschaft. Auch alle anderen Anker in der Handlung bis hin zum Sturm der Dreißiger-Villa sind vorhanden. Allmählich aber überdreht sich die naturalistisch gestartete Inszenierung und gewinnt einen Touch von Revuetheater.
Rhythmisch zuckender Leib der Produktionsmaschine
"Altdeutschland, wir weben dein Leichentuch – wir weben hinein den dreifachen Fluch": Mit Megaphonen wird das aufrührerische Weberlied, es ist Heinrich Heines "Die Leineweber", intoniert. Einige weitere Sang- und Tanzeinlagen folgen. Das Fest der Fabrikantenfamilie mutiert zum Supermodelwettbewerb, bevor ihn Molotow-Cocktails und Baseballschläger sprengen. Wie ein Politaktivist seilt sich der rote Bäcker auf die Konsumtempel gewordene Bühne hinab und kappt ein riesiges Werbeplakat.
Insbesondere Else Hennig besticht als Kapitalist Dreißiger. Sie stellt ihn als ein schrill-auftrumpfendes It- oder Material-Girl in floral gemustertem Kostümchen dar, das seine Angestellten auch als kühl kalkulierende Circe einfach niederschreit. Auch die Frauen sind keine besseren Führungskräfte, so die Botschaft. Manchmal überschlägt sich der Verve des Ensembles zu sehr, fallen Momente unter undifferenziertem Lärm leicht in sich zusammen. Aber das ist mit etwas Feinabstimmung reparabel. Stark hingegen zeigen sich die Elemente von Sprech- und Körperchor, wenn sich die Weber bildhaft zum rhythmisch zuckenden Leib der Produktionsmaschine vereinen und in kleinen Choreografien zum kraftvollen Kollektiv mit deutlicher Wut verschmelzen.
Kritische Unterhaltung mit groteskem Ende
Die Regisseurin schafft mit dem forschen Rundumschlag zwischen Aktualisierung und – nicht zuletzt von den Rechteverwaltern immer wieder eingeforderter – Nähe zum Werk den Spagat. Ihre Inszenierung gönnt sich keine Atempause und erdrückt doch weder Darsteller noch Publikum mit überbordenden Regieeinfällen. Gesellschaftskritik und Unterhaltung fügen sich so seltsam gut zusammen. Grandios groteske Züge nimmt das Stück an, wenn es im hoffnungslosen Ende mündet.
Der Zertrümmerer aller revolutionären Utopie, der alte Hilse, kommt im roten Hummerkostüm daher. Eben noch als Delikatesse in der Mitte des Dreißiger-Banquetts thronend, atomisiert Johanna Steinhausers unter einer Wortkanonade die Zuversicht der entschlossenen Webergemeinschaft. Mit einem Text David Foster Wallaces probt das agile Maskottchen mit den Scherenhänden den Aufstand des Hummers. Wie durchgeknallt rasselt sie die das Leiden des Schalentieres im Kochtopf als Parabel auf das Menschenleiden in den Zuschauerraum. Um hernach dem anschwellenden Revoluzzergesang Zeilen des Ex-Linken und neuerdings Besitzstandswahrers Wolfgang Pohrt – "Kapitalismus Forever" – entgegenzuschleudern. Dann sprechen die Gewehrläufe. Auch hierin ist Bues texttreu.
Die Weber
von Gerhart Hauptmann
Regie: Marie Bues, Bühne/Kostüme: Indra Nauck & Heike Mondschein, Musik: Anton Berman, Videodesign: Elmar Szücs, Dramaturgie: Janine Henkel.
Mit: Julia Bardosch, Else Hennig, Julia Rani, Johanna Steinhauser, Marsha Zimmermann, Gabriele Triems, Daniel Koch, Johannes Lang, Michael Schramm, Dieter Maas, David Moorbach, Benjamin Petschke.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.theater-plauen-zwickau.de
Lutz Kirchner schreibt in der Freien Presse (18.5.2013): "Für die Westsachsen-Bühnen hat Marie Bues damit eine weitere ungewöhnliche Arbeit abgeliefert." Die Weber seien "packendes Theater der Gegenwart - frisch, mit Biss und voller neuer Musik". "Das zum Himmel schreiende Elend der schlesischen Weber um 1840 ist nicht aus der Welt. Das macht Marie Bues' auf eine anderthalbe Stunde geraffte Inszenierung des ungleich umfangreicheren Stoffes von 1893 klar."
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