Spitz sein, und gefährlich

von Dirk Pilz

Berlin, 19. Mai 2013. Und zum Schluss: wieder die Frauen vor allem. Mit einem Frauengroßauftritt hat das diesjährige Theatertreffen angefangen, mit Medea als Inbild der Konsequenz, hingestemmt von Constanze Becker. Dann Sandra Hüller in Die Straße. Die Stadt. Der Überfall, spielt, als wären die Worte erfunden, um sie immer anders, immer neu umzukleiden, mehrfach in einem Satz. Julia Häusermann haut in Disabled Theater eine Wutnummer hin. Julia Wieninger hüllt ihre Figur in Eine Reise durch die Nacht in stumme Wein- und Stierblicke. Lina Beckmann bringt in Die Ratten ihre Frau John zum Dampfen. Das fünfzigste Theatertreffen: ein Schauspielerinnenfest. Sehr schön. So viele verschiedene Spielwandelweisen.

Und jetzt also die letzte Gastspielpremiere, Sebastian Nüblings Tennessee-Williams-Inszenierung "Orpheus steigt herab": wieder dominieren die Frauen, und wieder anders. Das Stück, selten gegeben, ist seltsam verwinkelt, immer rutscht es einem weg. Aber das spielt keine Rolle, nicht für Nübling. Er nimmt es beim Schopf, schüttelt es, bis es wirkt, als sei es einzig aus Atmosphäre gemacht. Es handelt von einem Fremden, der in die Fremde kommt und nicht bleiben soll. Man will keine Fremden, man will ihn forthaben. Darauf hat es Nübling angelegt: auf diese karstige Untergrundstimmung, die immer in Gewalt, in Hass, in nackte Verachtung umzuknicken droht. Der gesamte Abend fühlt sich bedrohlich an, dumpf und stickig. Ein Hund bellt, ein Motorrad knattert, das Karussell quietscht.

Auf der Flucht

Atmosphären sind nicht einfach da, sie zeigen sich. Man erkennt sie am Gang der Figuren, an den Farben der Blicke, den Schattierungen ihres Sprechens. Sylvana Krappatsch spricht, als würde jede Silbe der folgenden Beine machen, als wären die Worte auf der Flucht, ohne zu wissen, wohin und wie weiter. Sie geht auch so: zitternd, klappernd. Annette Paulmann fasst jeden Satz mit spitzen Fingern an, knetet ihn danach, würgt, drückt, bis er zu ersticken droht; dann schickt sie ein böse gurrendes Lachen hinterher. Wiebke Puls rammt alle Worte rücksichtslos in sich hinein, wie Pfähle, angespitzt, scharf gemacht, verletzend, vor allem für sie selbst.

orpheustt 560 julian roeder uV.l.n.r: Annette Paulmann, Risto Kübar, Wiebke Puls, Angelika Krautzberger © Julian Röder

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Durch jede Figurenpore dringt diese Stimmung der Angst und Angstmache. Man kann es hören an diesem Abend, riechen, fühlen, nicht nur sehen. Immer entsteht Angst zuerst hinter der Haut, ehe der Kopf begreift. Auch davon handelt dieser Abend der Vielfachspielweisen.

Und was für eine Feier der Schau-Spiel-Kunst dabei. Risto Kübar, er spielt den Fremden, gehört auch zu diesen Künstlern: Er macht seine Figur singen, lässt sie kippeln und hinfallen, schubst die Silben über die Lippen, verheddert sich in Stotterblicken.

Ist das ein Widerspruch, Schauspieler Feste ihres Vermögens feiern sehen, wenn sie von Angst und Hass und Gewalt spielen? Macht das Theater der schlechten Welt damit allzu schöne Augen? Sind das die falschen Fragen? Staunender Applaus zum Schluss vom Berliner Premierenpublikum. Keine Buhs, keine Proteste, viel Nicken.

 

Zur Nachtkritik der Premiere von Orpheus steigt herab an den Münchner Kammerspielen im September 2012.

Kommentare  
Orpheus steigt herab, tt13: der alles bestimmnde Klang
Sebastian Nübling hat aus Orpheus steigt herab einen überaus poetischen Abend gezaubert, der vor allem durch seine dichte, fast mit Händen greifbare Atmosphäre beklemmender, beinahe erstickender Bedrohlichkeit überzeugt und der seine Geschichte von Ausgrenzung, von Macht und Ohnmacht vor allem zwischen den Zeilen erzählt: im alles bestimmenden Klang des Bellens, im Sehnsuchtspunkt des Karussels, in den Bewegungen und Verdrehungen der Körper. Es ist ein Theater, das seine Kraft aus dem Körperlichen zieht, das das dräuende Gefühl der Bedrohung vor allem in der Stille erzeugt, die nur durch das Stöhnen des Karussells durchbrochen wird. Die alles überlagernde und abtötende Angst, das Gefühl des Eingequetschtwerdens, die Ausweglosigkeit einer Gesellschaft, die auf Hass und Ausgrenzung gebaut ist, sind hier viel mehr als Behauptung: Sebastian Nübling macht sie spür-, hör-, sichtbar. Und so gilt am Ende der stärkste Applaus dem Regisseur. Das ist auch beim Theatertreffen nicht gerade alltäglich.

Komplette Kritik: http://stagescreen.wordpress.com/2013/05/20/karussell-der-hoffnung/
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