Kopfploppen

von Anne Peter

Berlin, 15. Dezember 2007. "Draußen passieren die Dinge nicht, über die es sich lohnen würde zu schreiben. Zumindest nicht hierzulande. Deswegen liebe ich es so, hier zu leben, weil der Alltag nicht in Konkurrenz mit der Fantasie steht." Das schreibt die 1971 in Litauen geborene Autorin Arna Aley im Programmheft zu ihrem jetzt von Philip Tiedemann am Berliner Ensemble uraufgeführten Stück "4 ½ Männer und ich".

Viel Fantasie braucht auch der Zuschauer. Denn man kann sich die skizzierten Figuren der 4 ½ Männergeschichten, die die Protagonistin Toteau in reflektierenden Rückblenden, Monolog- und Dialogpassagen mit eben diesen Männern aus ihrer Erinnerung zusammenklaubt, nur ziemlich schwer vorstellen: Toteau ist Klavierlehrerin, die nur um des Geldes willen unterrichtet, nie an sich selbst glaubte und ihren Lebenssinn und -halt ausschließlich in stets scheiternden Beziehungen zu suchen vermag. Natürlich taugt keiner der ausgesprochen antipathischen Egomanen dazu, ihrem kaum vorhandenen Selbstwertgefühl aufzuhelfen.

Vier Stereotypen und ein Sonderfall

Als da wären: Bo (Georgios Tsivanoglou), der Familienvater, der seine Bande nebst Powerfrau in den Biergarten ausführt, als Autodieb eine exklusive Wohnung finanziert und von Toteau der sexuellen Nötigung bezichtigt im Knast sitzt. Joe (Alexander Ebeert), der sie anmacht, in sein Bett lässt, aber niemals anrührt, sie vorwiegend beschimpft und ihr schließlich erklärt, dass er schwul sei.

Ray (Konrad Singer), der Toteau fotografieren will, sie dafür zwei Stunden lang auf einem Gipssockel frieren lässt und überdies mit ihrer Mutter geschlafen hat. Samuel (Thomas Niehaus), den Toteau im Musikschulorchester kennenlernt, sich mit 13 ein Kind von ihm wünscht, mit 18 das erste Mal nackt mit ihm im Bett liegt, ohne dass etwas läuft und sich auf der ersten Italienreise anhören muss, dass er sie nicht liebt, woraufhin sie aus dem Fenster springen will und er für zwei Jahre mit ihr zusammenzieht. Und schließlich der halbe Mann: Rafael, ein zwölf Jahre altes Früchtchen (rätselhafter Weise mit Ursula Höpfner-Tabori besetzt), das unbeirrbar glaubt, von Toteau begehrt zu werden.

Ploppende Kopfgeburten

Vier Typen (und ein halber), vier Parodien: Bo, der Autodieb; Joe, der Tätowierte; Ray, der Fotograf; Samuel, der Intellektuelle. So haben es sich Regisseur Philip Tiedemann für seine Inszenierung und Toteau für die Telefonate mit der Mutter zurechtgelegt, die ihr nie zuhören will. Die Figuren sind Kopfgeburten, Projektionsflächen, Stellvertreter von Lebensmodellen, Fantasiewesen eben. Stationen einer verzweifelt haltlosen Frau auf der Suche.

Das haben die Konzeptionisten der Inszenierung in ein überaus eindeutiges Bühnenbild (Etienne Plus) übersetzt: Ein fünf Meter hoher Riesenkopf, der der Toteau-Darstellerin Melanie Schmidli nachempfunden ist, mit großen Augenfenstern, herausklappbarer Nase, sich hebender Schädeldecke, sich öffnendem Mund. In diesem Kopf wohnen die Männer und ploppen in den entsprechenden Szenen aus den Gesichtsöffnungen hervor. Das Ganze schaut aus wie eine etwas schlecht zusammengezimmerte surreale Skulptur.

Glaubwürdigkeitslücke

Geräusche und Klaviermusik dringen aus dem Schädelinneren, und Licht. Schmidlis Gesicht mit den schweren Lidern unterm schwarzen Pony wird oft expressionistisch schattenhaft in Szene gesetzt. Derweil die Schauspielerin selbst alles daran setzt, diese von einer Katastrophen-Beziehung in die andere stolpernde Toteau irgendwie glaubwürdig zu machen. Was, wenn es gelänge, ein wahres Kunststück wäre.

Regisseur Tiedemann bleibt fortwährend unentschlossen, mit welchen ästhetischen Mitteln und Spielweisen er ein solches ansteuern möchte. Meist proben die Schauspieler Einfühlung, rutschen zwischendrin in die Karikatur oder ganz kurz ins Chorische, mal wird stummfilmhaft gepost und manchmal legen sie die Köpfe im Gleichklang schief oder fauchen sich plötzlich – Verfremdung, Verfremdung – raubtierhaft an. Ohne erkennbare Bedeutungserweiterung werden ein paar vereinzelte Regieeinfälle eingestreut: die Männer versammeln sich am Anfang zu einer langsam bewegten Aquariumssimulation inklusive Seifenblasen hinterm linken (Bull)Auge. Als Toteau Bo befriedigt, wird das Mikro zum Phallus...

Nun ja.

Es muss leider bezweifelt werden, dass die Dinge, über die es sich lohnen würde, Theater zu machen, in diesem Kopf stattfinden.

4 ½ Männer und ich (UA)
von Arna Aley
Regie: Philip Tiedemann, Bühne und Kostüme: Etienne Pluss, Musik: Henrik Kairies. Mit: Krista Birkner, Ursula Höpfner-Tabori, Melanie Schmidli, Alexander Ebeert, Thomas Niehaus, Konrad Singer, Georgios Tsivanoglou.

www.berliner-ensemble.de

 

Kritikenrundschau

Das Stück von Arna Aley, meint Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (17.12.2007) könnte "durchaus ein kleines, ernstes Verwirrspiel um die Macht des Irrtums sein", nämlich "eine Art irrlichterndes Gespräch der hinterhältigen, unglücklich liebenden Erzählerin Toteau mit sich selbst und den 4 1/2 Männern um sie herum" und so "eine Geschichte über viereinhalb Versuche, echte Gefühle und falsche Projektionen zu durchkreuzen und diese gerade antreten zu lassen um die Gunst der Wirklichkeit" werden. Doch mit solch einem Stück-Rettungsversuch "hätte man jemanden betrauen müssen, der gegen die naive Kunstauffassung der Autorin selbst andenken könnte und nicht nur vermeintliche Innenwelten ästhetisierte". Die "durchaus beachtliche Fertigkeit der gebürtigen Litauerin Aley, innere und äußere Dialoge ineinander zu weben, kühne Zeitsprünge zu wagen und Perspektiven im Bewusstseinsstrom der Erzählerin gegeneinander zu schneiden" versinke in "Inhaltsleere".

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