Wieviel Inszenierung verträgt die Wirklichkeit?

von Irene Grüter

Berlin, 22. März 2007. Mit dokumentarischem Theater ist es wie mit Kriegsfotografien: Meist geht es um Inhalte, die nur ein Minimum an Inszenierung vertragen. In "Landschaften - Synchronisation der Fluchtwege" erzählen eine Frau und zwei Männer aus Bosnien und Herzegowina über ihre Flucht nach Deutschland, als vor 15 Jahren überraschend der Krieg begann.

Vor den Klippen des Betroffenheitstheaters

Was mit dem Untertitel "Live video-performance" angekündigt wird, entpuppt sich als klassisches Dokumentartheater. Drei Mikrophone plus Notenständer stehen vor einer breiten Leinwand. In Videoaufzeichnungen treten die Akteure in den Zeugenstand und erzählen in ihrer Muttersprache, die Gesichter frontal vor weißem Hintergrund gefilmt, über die Zeit Anfang der 90er Jahre. Unter diesen filmischen Porträts stehen die leibhaftigen Protagonisten und übersetzen simultan ins Deutsche. Der Kunstgriff dieser Anordnung: Die Live-Übersetzung stammt nie von demjenigen, der gerade im Video erzählt. Das schafft eine angenehme Distanz zum sehr Persönlichen dieser Geschichten und umschifft wenigstens die ärgsten Klippen des Betroffenheitstheaters, die immer dort lauern, wo Dramatik durch Authentizität hergestellt werden soll. Wann haben sie erkannt, dass der Krieg tatsächlich begonnen hat? Als bei einer Demonstration erstmals auf Menschen geschossen wurde, sagt Branko Simic, damals Schauspiel-Student in Sarajevo. Als die Einberufung zum Wehrdienst kam, sagt Jons Vukorep, der gerade an seiner Mappe für die Kunsthochschule arbeitete. Als der Lippenstrift "Samantha Nr.17" nicht mehr erhältlich war, sagt Vernesa Berbo. Im Zentrum aller Berichte steht das ungläubige Staunen darüber, dass es tatsächlich zu einem militärischen Zusammenprall kommen konnte. Die Zerstörung des pulsierenden Sarajevos war für die damals Jugendlichen unvorstellbar. Überstürzt verließen sie ihre Heimatstadt, kamen über Umwege nach Deutschland und brauchten eine Weile, um zu begreifen, dass sie hier als Flüchtlinge galten.

Lachen statt Melo

Inhaltlich gleichen sich diese Geschichten, nicht aber die Art, darüber zu erzählen. Branko Simic, der den Abend konzipiert hat, berichtet zurückhaltend, Jons Vukorep fast abwehrend. Vernesa Berbo hingegen schildert die Ereignisse, als wäre sie die Protagonistin eines Schelmenromans. Die professionelle Schauspielerin präsentiert die schicksalhaften Momente ihrer Flucht so komisch wie die abenteuerlichen Höhepunkte eines Jugendbuchs. Eine zwiespältige Angelegenheit für den Zuschauer. Denn einerseits schafft der schwarze Humor eine wohltuend unsentimentale Atmosphäre, andererseits schürt ihre Art, Spannung in die Erzählung zu bringen, ein Gefühl von unlauterer Sensationslust. Gebannt wie ein Kind, das vor dem Einschlafen eine Gruselgeschichte erzählt bekommt, hört man ihren Berichten über Blutflecke auf den Straßen und Hungerattacken zu. Und wie ging es weiter, möchte man fragen, nachdem die Granate ins Nebenhaus einschlug? Berbro schreckt nicht davor zurück, voyeuristische Neugier zu provozieren. Allemal zieht sie es vor, die Zuschauer zum Lachen zu bringen, denn ihre Leiden als Melodram zu erzählen.

Zugegeben: ein neues Publikum kommt ins Theater

Die Inszenierung ist am stärksten, solange sie auf das Erzählen vertraut. Sobald sie diese Reduktion mit Bildern und Musik-Einspielungen wieder aufhebt, überschreitet sie eine unsichtbare Grenze. Auch wenn Berbo eine Stimme und Ausstrahlung hat, mit der sie problemlos einen Solo-Abend bestreiten könnte: Wenn sie aus tiefster Brust Volkslieder mit orientalischem Einschlag singt, bekommt der Abend etwas ungut Folkloristisches. Und die Video-Einspielungen von verschwommenen Landschaften, Busstationen und Bahngleisen sind viel zu konventionell, um etwas zu erzählen, was über die Kraft der persönlichen Geschichten hinausgeht. Sie haben weder Fiktionalisierung noch dokumentarische Beglaubigung nötig, auch keine Illustration in der Niemandsland-Transitstrecken-Osttrash-Ästhetik, die das HAU gerne benutzt um "engagiertes Theater" zu behaupten. Zugegeben: Damit gelingt offenbar das Kunststück, für das Festival "Beyond Belonging" mit seinem Schwerpunkt Migration ein gemischtes Publikum zu gewinnen. Viel Bosnisch ist zu hören an diesem Abend, doch auch das Stammpublikum ist da und feiert die drei Darsteller mit Trampeln, nachdem sie zwei Stunden von einer Zeit erzählt haben, die im kollektiven Gedächtnis längst von aktuelleren Themen verschüttet wurde.

Auch diesen Vorgang spiegelt die Inszenierung. Zuerst treten die Personen ab und lassen ihre medialen Doppelgänger noch eine Weile weitersprechen, dann erlöschen die Videobilder. "Ich hab' irgendwie, ich weiß auch nicht, etwas gegen diese Art, so über diese Gefühle zu sprechen", sagt Jons Vukorep in der letzten Einstellung und bringt damit das Unbehagen auf dem Punkt, das jegliche Inszenierung biographischen Materials auslöst. Auch wenn, oder gerade weil die Inhalte berühren.

 

Landschaften - Synchronisation der Fluchtwege
von Branko Simic
Mit: Branko Simic, Jons Vukorep, Vernesa Berbo.

www.hebbel-am-ufer.de



 

Kommentar schreiben