Überraschung an der Ruhr

30. Mai 2013. Den Dramatikerprkatjabrunner 280 katrinribbe uGewinnt mit Stück über Inzest-Kindes-
missbrauch: Katja Brunner    © Katrin Ribbe
eis bei den 38. Mülheimer Theatertage NRW hat Katja Brunner gewonnen. Mit ihrem Stück Von den Beinen zu kurz, das in Mülheim in der Inszenierung des Schauspiels Hannover zu sehen war, konnte die 1991 in Zürich geborene Autorin drei von fünf Mülheimer Jurorinnen überzeugen. Sie obsiegte damit über KonkurrentInnen wir Elfriede Jelinek, Franz Xaver Kroetz und Moritz Rinke. Brunner ist die jüngste Preisträgerin in der Geschichte des Dramatikerwettbewerbs, sie erhält 15.000 Euro Preisgeld. Den Publikumspreis gewann Marianna Salzmann für ihr Stück Muttersprache Mameloschn, das in der Inszenierung des Deutschen Theaters Berlin gezeigt worden war. 

Der Preisjury in Mülheim gehörten in diesem Jahr die Schauspielerin Wiebke Puls, die Direktorin der Theaterakademie an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg Sabina Dhein, Tobias Becker, Kulturredakteur des Spiegel, der Schauspieler Milan Peschel sowie Jürgen Berger als Sprecher des Auswahlgremiums an. Die öffentliche Schlussdiskussion der Preisjury moderierte Gerhard Jörder. Zur Auswahl für den Mülheimer Dramatikerpreis hatten in diesem Jahr folgende Stücke gestanden:

Muttersprache Mameloschn von Marianna Salzmann
Deutsches Theater Berlin

Tod und Wiederauferstehung der Welt meiner Eltern in mir von Nis-Momme Stockmann
Schauspiel Hannover

X-Freunde von Felicia Zeller
Schauspiel Frankfurt

Du hast gewackelt. Requiem für ein liebes Kind von Franz Xaver Kroetz
Residenztheater München

Wir lieben und wissen nichts von Moritz Rinke
Konzert Theater Bern

Von den Beinen zu kurz von Katja Brunner
Schauspiel Hannover

FaustIn and out von Elfriede Jelinek
Schauspielhaus Zürich

Ich wünsch mir eins von Azar Mortazavi
Theater Osnabrück

(www.stuecke.de / jnm)

 

Mehr zu Katja Brunner: ein Videoportrait, produziert von Matthias Weigel anlässlich des diesjährigen Heidelberger Stückemarkts.

Mehr zur Jurydebatte – gesammelte Tweets gibt's hier.

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Kommentare  
Mülheimer Dramatikerpreis: fossile Veranstaltung
Gestern verbrachte ich eine seltsame Nacht. Eine kleine Anfrage zu Nachtkritik von Wiebke Puls und ein weiterer Hinweis auf einen Link von Michael Merschmeier auf facebook führten mich zu dem Livestream der öffentlichen Jurysitzung der Mühlheimer Dramatikertage. Früher einmal verbrachte ich viel Zeit vor Ort in Mühlheim und studierte diese Veranstaltung eingehend. Nun saß ich vor einem kleinem Sichtfenster im Internet und lauschte der Debatte. Früh spürte ich, dass es eine Autorin gab über die wenig geredet wurde. Woran lag es? War sie zu "schlecht"? Oder gar ein Favorit? Noch konnte man es nicht benennen als Zuhörer. Doch am Ende ergab sich diese schnelle Sogwirkung und alles mündete in der Entscheidung Katja Brunner zur Gewinnerin des Abends zu machen. Eine in sich glaubwürdige Wahl dieser Jury. Aber mit etwas Distanz und von außen betrachtet ein ebenso erschreckendes Urteil. Eine blutjunge Autorin setzt sich gegen Kroetz, Jelinek, Rinke und andere durch. Vorher wurden jene noch fleißig gelobt, um dann doch fallen gelassen zu werden. Ob sie daran Schaden nehmen? Man weiß es nicht. Ob es nicht an sich eine schädliche Veranstaltung ist? Keine Ahnung. Es erscheint einem wie ein Fossil, diese Veranstaltung. Gibt es das überhaupt, das beste Stück? Nach soviel Lob für die Verlierer zweifelhaft. Nun ist es aber so: Eine blutjunge Autorin wurde von der Jury auf die Schienen des Theatersystems gesetzt und muss oder soll sich nun in den nächsten Jahren beweisen. Man will mehr von ihr sehen, sagt Wiebke Puls, die noch am sympathischsten und sehr konkret rüberkam.

Richtig verstehen würde man diese befremdende Leistungsshow erst, wenn man eine Gegenveranstaltung konzipieren würde, denn keine andere Berufsgruppe im Theater wird vergleichbar abgehandelt. Dagegen ist das Berliner Theatertreffen geradezu ein sanftes Fest.
Ein Paarlaufen der besten Theaterabende der Saison, denn hier gibt es, wie selbstverständlich nur Sieger.

Ich male mir eine solche Kulturmesse einmal für Schauspieler aus. Fünf Dramatiker sitzen auf dem Podium als Jury und loben einen Schauspieler oder eine Schauspielerin aus, die ihre Stücke und die Figuren darin am besten darstellten. Da wird auch viel gelobt und doch ist das Spiel des einen am Ende zu redundant, zu durchlässig, zu well made oder zu sehr im Unterschichtenmilieu verankert. Oder gar die Rezeptoren sind schon zu abgenutzt für jenen oder diese Darstellerin, weil man die Machart ihres Spieles schon zu oft sah. Kaum vorstellbar eine solche Leistungsshow, ein solches Vorsprechen für Profis vor dem versammelten Publikum. Da würden eventuell Theaterlieblinge auf eine Rolle verkürzt und kehrten danach beschädigt in ihr Ensemble zurück. Da ist die Vergabe von Preisen an Schauspieler doch viel charmanter und würdiger.

Aber was soll's, Dramatiker sind die einzige Berufsgruppe, die man solchen Verfahren öffentlich aussetzt. Vor zwanzig Jahren noch, vielleicht sogar noch vor zehn hätte ich eine solch öffentliche Sitzung als einen Akt der Gerechtigkeit im Sinne der Transparenz empfunden. Heute schaudert mir ein wenig und ich grusele mich. Ein Unbehagen beschleicht mich. Muss das sein? Wird die junge Katja Brunner in dreißig Jahren, wenn sie zurück schaut, auch eine vergleichbare Laufbahn wie Kroetz und Jelinek betrachten oder gibt sie längst schon Antistress-Seminare für höhere Verwaltungsbeamte, weil der Theaterbetrieb sie nach einem guten, halben Jahrzehnt wieder ausspuckte, wie so viele vor ihr?

Ich möchte die junge Autorin beglückwünschen und doch fällt es mir schwer. Denn da war diese Sogwirkung. Mit zwei Frauen- und einer Männerstimme gewählt und am Ende hing es an Wiebke Puls, die ja auch ihre Stimme Jelinek oder Stockmann hätte geben können und es wäre in eine weitere Runde gegangen. So ist die Kompetenzdecke der Jury doch recht dünn für eine junge Autorin. Nicht das die Wahl eine Laune der Jury war, wie gesagt, eine in sich schlüssiger, glaubwürdiger Vorgang. Aber wo war da das Innehalten, der kurze oder auch lange Moment, wo man deutlich spürt, hier übernimmt eine Jury wirklich eine tiefer empfundene Verantwortung.
Das Jelinek überhaupt noch im Wettbewerb läuft ist ja schon hoch problematisch, denn mit Brunner und Jelinek stehen sich doch zwei gegenüber, die ganz und gar nicht zu einem Jahrgang gehören, obwohl dieser „gute Jahrgang“ viel vom Moderator beschworen wurde.

Da lobe ich mir Claude Lanzmann in Cannes, der sich nicht in den Wettbewerb zwingen ließ. Insgesamt gesehen aber, sollte sich der Mühlheimer Dramatikerpreis weiter entwickeln. Man sollte nicht leichtfertig von einem Jahrgang sprechen. Man sollte mehrere Sektionen ausrufen, in denen Preise verteilten werden, so dass der Sieg nicht auf die eine „schmale“ Schulter einer jungen Autorin gepackt werden muss, die ihn nun den Altgedienten davon tragen soll. Bitter waren diese zwei und eine halbe Stunde sicher für Stockmann. Allzu deutlich spürte man, dass auch er Großes geleistet hatte. Aber auf ihn fiel nur eine Männerstimme von Milan Peschel, den ich hierfür ausdrücklich loben möchte. Etwas abgefedert wurde der ganze Vorgang durch den Publikumspreis, der ebenfalls an eine Frau ging. Gratulation. Mir aber sind die Mühlheimer Dramatikertage in der Form mittlerweile fremd geworden. Es kam mir vor, wie eine Reise in die Vergangenheit.

Der jungen Autorin wünsche ich von Herzen alles Gute und hoffe für sie, dass sie diesen Preis in der Form tatsächlich verdient.
Mülheimer Dramatikerpreis: Alter spielt keine Rolle
glückwunsch an katja brunner! das ist ein inhaltlich extrem irritierendes, sprachlich und formal komplett unkonventionelles stück. eine schräge, souveräne und nicht auf sensationelle effekte zielende auseinandersetzung mit einem thema, zu dem (in stücken und auf der bühne jedenfalls) schon alles gesagt schien. - übrigens finde ich es richtig, dass in mülheim das alter bei der nominierung keine rolle spielt, es ist kein literarisches oder überhaupt künstlerisches kriterium. jelinek ist eh die jüngste im geiste...
Mülheimer Dramatikerpreis: Hinweis
@ödön

Man kann natürlich alles wegwischen. Oder man sieht es so, wie der junge Kurator der Biennale in Venedig.

http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/2126280/
Mülheimer Dramatikerpreis: der Text?
Gibts den Text irgendwo? Vielleicht als Download? Habe nur den 7-seitigen Appetithappen des Verlags gefunden und würde gern mehr von dem gepriesenen Text lesen.
NK - könnt ihr vielleicht den Verlag anfragen, ob sie für euch einen Download rausrücken? Wir versprechen auch alle, dass wirs nicht missbräuchlich oder unvergütet inszenieren.
Mülheimer Dramatikerpreis: großartig
@martin baucks:

vielen Dank für den großartigen Kommentar.
Mülheimer Dramatikerpreis: Salzmann gewünscht
@ Ulf Schmidt: Den Text gabs in der Theater heute, Mai 2013. Und mich hat er überhaupt nicht umgehauen, was mich gerade ratlos hinterlässt. Formal interessant, aber bleibt inhaltlich vollkommen hinter der Anlage zurück. Ich hätte es Salzmann gewünscht... nicht so viel "Kleines Mädchen stellt sich großen Themen"-Floskeln.
Mülheimer Dramatikerpreis: komplett abgedruckt
Ein Tipp: Das Schauspiel Hannover hat das Stück im Programmheft komplett abgedruckt.
Mülheimer Dramatikerpreis: Zustimmung
Danke Herr Baucks. Spricht mir aus der Seele.
Mülheimer Dramatikerpreis: in Theater heute
Der Text ist auch in der aktuellen Theater heute abgedruckt.
Mülheimer Dramatikerpreis: weitere Bezugsquelle
Hier gibt's den Text auch: http://www.theatertexte.de
Mülheimer Dramatikerpreis: Verlag
wen auch immer es interessiert, die Autorin wird von henschel Schauspiel vertreten.
am besten also mit dem Verlag Kontakt aufnehmen. So wie es sich gehört.
Mülheimer Dramatikerpreis: Ohrfeige ins Gesicht der Opfer
Ich habe mir also die Mühe gemacht das Stück von Katja Brunner zu lesen. Es wäre eines Nachwuchspreises würdig, wenn man keine Alternativen hätte. Soviel schwülstige Morbidität von einer jungen Frau zusammengetragen, das ist schon eine einzigartige Leistung, wenn auch keine gute. Da spekuliert jemand nicht ohne Erfolg auf das Spektakuläre. Ein Skandal ist es nicht. Dafür brüht es zu sehr in der Konsenssuppe eines „vermeintlichen“ Feminismus, den man sich so im Feuilleton aneignen kann. Eine junge Frau, Autorin gibt einem Kleinkind ihre eigene Erwachsenenstimme, leiht sie der Figur, um ein Missbrauchsthema neu auszuleuchten, so scheint es. Irgendwie verblassen die Schrecken der Vergewaltigung an sich vor diesem konstruierten Horizont eines kleinen Mädchens, dieser „Figur“, die als Fünfjährige meint eine geradezu romantisch sehnsüchtige Liebesbeziehung zu ihrem Vater zu haben, in der sie ihm auch Sex gewährt, sie ihm, wohl gesagt. Natürlich holt man sich als junge Autorin die Erlaubnis zu einem solchen Tabubruch aus dem Betrachtungswinkel, der dramatischen Perspektive, welche die Sicht eines Kindes simulieren soll. - Vielleicht ist es aber auch umgekehrt, vielleicht leiht sich die junge Autorin auch nur die Kinderfigur und implantiert ihr die eigene Stimme, um dem eigenen unbewältigten Verhältnis zu Vater und Mutter eine Sprache und einen Rahmen zu geben. Dies scheint wahrscheinlicher und würde diesen merkwürdig entpersonalisierten Ton, dieses namenlose Klima erklären, das dies Stück durch weht. Eine kräftige Ohrfeige ins Gesicht echter Opfer, wie jener „Pascal“, den Kroetz beschreibt. Bei ihm ist das Opfer wenigstens, endlich mal ein Knabe, möchte man nach der Lektüre des Stücks von Brunner rufen, wenn solche Erwägungen angesichts des Themas nicht ungehörig wären. Bei Brunner ist die post-feministische Welt auf jeden Fall noch weit gehend in Ordnung. Der Täter ist ein Mann, der Vater an sich, in welchen die Tochter geradezu in Konkurrenz zur Mutter vernarrt ist, eine Mutter, die eher einer Gefallenen gleicht und ebenso heftig von ihr, der Tochter verachtet wird, wie sie vorgibt den Vater sinnlich zu lieben. Der Rest sind unrealistische Gewaltvorstellungen zum Thema Geburt, ausführliche Selbstmordschilderungen der Selbsttötung des Vaters, natürlich alles mit erwachsenen Kinderaugen, inklusive einer eher spät pubertierenden Beerdigungsphantasie und viel poetisch pseudo dramatischer Horror, der wenig mit der Realität der Opfer zu tun haben will. Mag sein, dass Kroetz sein Stück im Unterschichtenmilieu ansiedelt, wie ein Juror kritisch mäkelte, wo auch sonst, beim Fall „Pascal“, der Text von Brunner verzichtet fast ganz auf eine echte Erdung und schüttet nur ein paar soziale Daten mit hinein in die Melange aus scheinbar „Persönlichem“ der Autorin und einer eher bitteren Zutat, dem Missbrauch und der Päderastie, die hier wohl auf eine eher bizarre Art ein unfreiwilliges Plädoyer erhält. Ich kann mir vorstellen, wie man eine andere Lesart entwickelt, die von einem jungen „Genie“, dass sich wortgewaltig an einem „heiklen“ Thema virtuos abgearbeitet hat. Ich persönlich hatte, auch als einer von Missbrauch selbst Betroffener, ein ganz anderes Leseerlebnis. Ich las, wie sich eine junge Autorin mit Gewalt Zugang zu einem Thema verschaffte und somit den Missbrauch mit anderen Mitteln an „sich“ und einer Figur fortsetzte, um am Ende ein noch unreifes Stück abzuliefern. Mag dem einem oder anderen angesichts des Mühlheimer Preises meine Sicht zu kritisch sein, so finde ich es doch wichtig hier einmal eine andere Position zu entwickeln, die den Text eher kritisch gelesen sehen möchte.
Mülheimer Dramatikerpreis: Parameter manipulieren
Hier ein kleines Beispiel, wie leicht sich solche Textfragmente herstellen lassen und wie fatal sie sich verändern, wenn man nur ein wenig in ihre Parameter eingreift.

"Rechtfertigung.

Als die Geschichte zwischen ihnen und mir anfing, waren sie sich dessen gar nicht bewusst, richtig nicht, nicht voll, nehme ich an, das war zunächst zärtlich, da auf der Bahn und glotzten. Drei richtige Kerle. Kurz und geschoren, und auf einmal mehr. Der, ich will was. Klar will ich was – den Übergang haben wir gar nicht gespürt, registriert, weil das schon da war als ich auf den Bahnsteig ging, dieser Sex, der aus mir rausschoss. Im Nachhinein weiß ich nur, dass es jetzt das erste Mal richtig losging. Ich hatte sie an der Angel. Sie waren aufgewühlt von meinen Blicken. Die Schläge standen mir im Gesicht. Es war so als ob ich sie aus ihrem Bett holte, direkt von Mutti abholte. Das war da noch nicht, weil sie genau wussten, beabsichtigten, jetzt fangen wir an damit, leben das aus. Von meinem Körper hatten sie sich, glaub ich von Anfang an ansprechen lassen, wenn sie mich ansahen, mich in ihren aggressiven Blicken badeten, mich mit ihrem Spott einspeichelten. Ich war bereit. Mein Körper ist ihnen von der ersten Sekunde, so schwach, immer so ganz süßes Angebot, zart und irgendwie schon blutig vorgekommen, erregend, griffig, zum drauf einschlagen, ein einziges Einstiegsritual. Auch wenn ich gerne über alle Dächer der Welt davon gelaufen wäre, es kribbelte so in meinen Beinen, dem Gesäß, meinem Arsch. Ich wollte verbrannt werden. Da war was zwischen ihnen und mir zum runterschreien, unbarmherzig. Ich wollte nicht meine Aufforderung verachtet sehen. Und so folgten sie mir. Ging keinen was an, kein Sprechen davon. Soweit so gut. Ein Anfang war gemacht. Ich war ihr kleiner Mann, den sie bei sich haben wollten, mit ihm spielen, ihn betrachten, in der Bahn stellte ich mich schlafend, wie in einem Bettchen und öffnete meine Schenkel, meinen Arsch und mein Antlitz für sie. Da wurden sie eifersüchtig, geradezu körperlich eifersüchtig, ich musste kaum mehr etwas machen. Sie wollten mich schlagen, meinen Atem spüren, mich zum atmen hinprügeln, ganz nah bei sich, ich gehörte ihnen, zu ihnen, nur dies eine Mal, zu den ganz Starken und Strengen, den Echten. Ich war ihr kleines zu schwach geratenes Opfer, ein Testlauf sozusagen und beim ersten Tritt gab ich ihnen alles, so wurde eine sinnliche Sache daraus, korrigieren sie mich, einen Halbwüchsigen. Ich kann nicht behaupten, dass ich nicht gewusst hätte, was ich da anrichtete und ihnen, meinen Mördern, kam meine Aufforderung gelegen, ihnen schon klar, nicht jeder lässt sich direkt zwischen die Augen küssen, ich tat es. Meine Beine brachen, mein Kinn, das Jochbein, sie übten an mir ihre komplette Rassenscheiße und ich war glücklich dabei meinen Mördern endlich ins Antlitz zu schauen, ihnen meinen romantischen Respekt zu erweisen, endlich waren sie wer, durch mich. Ich war schon immer zu kurz geraten, aber jetzt zahlte ich es ihnen heim, in dem ich sie groß machte, ihre Eier schwollen an, das war uns allen klar. Denn tot nützte ich ihnen gar nichts."
Mülheimer Dramatikerpreis: dritte Lesart
@ Ödön

Ein Thema, zu dem schon alles gesagt schien -in Stücken und auf der Bühne- ?
Ist es anhand des Stücktextes überhaupt sinnvoll, "Von den Beinen zu kurz" als ein
Stück zum Thema "Mißbrauch" zu behandeln ?? Wie aus "Mißbrauch" eine Melange von Totschlagargumenten immer wieder das öffentliche Bild bestimmt und Diskussionen im "Tabu" versickern- wohl ein etwas zu langer Titel für ein "Thema" ?!
Nun, jedenfalls wundert es mich, daß Herrn Baucks an dieser Stelle nicht auch ein wenig widersprochen wird bezüglich des Stückes von Katja Brunner; dabei finde ich das von ihm ins Feld Geworfene bedenkenswert allemal, und offen, ehrlich, wenn ein etwas älterer Dramatiker hier -fragend und sagend- einmal kein Blatt vor den Mund nimmt.

@ Martin Baucks

Ich denke schon, daß es noch eine Art dritter Lesart gibt, die dem Stück von Katja Brunner meineserachtens mehr Gerechtigkeit widerfahren lassen könnte, ohne auf das Klischee eines Genies oder -wie ich es auch schon las- "Jahrhunderttalentes"
abzuheben. Fast bin ich geneigt, den Text seiner Anlage nach eher zwischen einem geradezu Max-Frisch-Thema und einem Rechercheprojekt anzusiedeln, woraus dieser dann doch einige Spannung aufzubauen versteht, wenngleich ich denke, ein wenig daran "scheitert", seinen Erzählfluß geradezu aus dem Arsenal des konzeptionellen Gegners zu beziehen (der Sensations- und Tabuvermarktungspresse
in ungefähr) und dann etwas zwanghaft auf diesen hin zu begrenzen. Wenn gegen die Hypostasierung von Einzelfällen zum Allgemeinurteil ALLER, wenn auch nur entfernt der Begriff "Mißbrauch" auftaucht, angeschrieben werden sollte, so wird dieser Text, der nur allzudeutlich Bilder aufträgt, um gegen das "Sich-ein-Bild-machen" (siehe Frisch) anzuschreiben, selbst viel zu empfindlich zu so einem Einzelfall, um zu überzeugen. Der Mangel eines "persönlichen Tones" irritiert auch mich daran; gerade wenn Ödön richtig läge, daß schon so Vieles auf der Bühne und in Stücken gesagt worden sei (zu "diesem" Thema), müßte es eigentlich mehr in dem Text geben als das bloße Gegenüber aus der Regenbogenpresse. Kommt es zu den Brüchen im Textgefüge, die Till Briegleb in der Maiausgabe von TheaterHeute beschreibt, "freiwillig" oder "unfreiwillig" und belangt das die Qualitätsdiskussion zu diesem Drama ?? So oder ähnlich meine Grundfragestellung nach der ersten Stücklektüre. Stücke kommen auf nk gelegentlich seitens der Kommentare zu kurz, jedenfalls meinem Empfinden nach; insofern verdient der Einwand des Herrn Baucks an dieser Stelle, denke ich, mehr als bisher sicht- und/oder "ruchbar" geworden ist dazu..
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