Breaking-News-Parade

von Tim Schomacker

Bremen, 1. Juni 2013. Breaking News hieß ganz früher mal "Zeitung". Die Nachricht, Neuigkeit schleicht sich mal heran, bricht mal herein ins Leben der Menschen. Hier in das Leben der Figuren, ist ja Theater. Das Ereignis, das die Nachricht hervorbringt, von dem sie berichtet, ist stets vergangen und woanders. Sonst wäre man ja gerade selbst dabei. Briefe, Boten, Berichte – all das spielt im Geflecht von Schillers Debüt "Die Räuber" eine herausragende Rolle.

Denn ohne die räumlich-zeitliche Trennung von Ereignis und Berichterstattung würde weder Franz von Moors schurkisches Desinformationsgebilde funktionieren, mit dem sich der Zweitgeborene leise an die Haus-Macht putscht und zum "Herrn" aufschwingt, noch würde seines Bruders Karls Reflexion über räuberisches Gemeinschaftsleben auf den Punkt kommen. Für die letzte Premiere der ersten Bremer Spielzeit unter neuer Intendanz rücken Hausregisseur Felix Rothenhäusler und Dramaturg Tarun Kade Niklas Luhmans berühmtes Diktum von der Unwahrscheinlichkeit funktionierender "Kommunikation" angesichts der Beschaffenheit sozialer Systeme und humaner Affektlagen ins Zentrum. Und verbeugen sich ebenso artig wie selbstbewusst vor jenen "Bremer Räubern", mit denen 1966 Zadek, Minks, Ganz und Co. das Regietheater (mit)begründeten.

Musikalisch, rhythmisch, choreografisch

Die Figuren – das Personal ist auf ein Quintett zusammengestrichen – tauchen auf aus der diffusen, dunklen Tiefe des Raums. Treten an den Bühnenrand, sprechen. Zunächst Franz. Dass Schauspieler Claudius Franz nichts anhat, meint eher unkostümiert als nackt. Er spricht, zunächst ohne Mimik, Gestik, dramatisches Spiel. Der Eingangsdialog, in dem Franz den Vater von der Unschicklichkeit und Schändlichkeit des Bruder zu überzeugen sucht, ihm einen bösen Enterbungsbrief aus den Rippen leiert, bleibt Monolog. Bleibt gewissermaßen im Reich der Vorstellung, der Einübung: Mehrmals "probt" Franz Schillers Regieanweisung "Der alte Moor geht traurig ab".

raeuber 560 joerglandsberg uDisney-Parade im Räuberland © Jörg Landsberg

Mit diesem Solo ist ein roter Faden des Abends etabliert: Sprache und Story werden äußerst musikalisch aufgefasst. Aus den Figurennamen, aus großen und kleinen Gesten, aus sprachlichen Äußerungen (vor allem solchen, die zu Erstaunen und Gefühl gehören) werden rhythmische, melodische, choreographische Patterns gebaut. Der Loop, die Wiederholung, das Sample – aus Schillers Text wird ein sehr langer, ziemlich vertrackter und gleichwohl eingängiger Popsong destilliert. Was insofern passt, als auch dort Geste und Gefühl ja immer gebaut sind, künstlich, überhöht. Und – wie Jean Baudrillard im Programmheft über Disneyland sagen darf – gerade in der imaginären Überhöhung den Eindruck erwecken, alles andere (die eigene Geste, das eigene Gefühl) sei umso echter.

Montage demontieren

Rothenhäusler entpackt Schillers Parallelmontage. Sind dort die Geschehnisse im Hause Moor (Karl wird unter falschen Voraussetzungen verstoßen, der alte Moor stirbt den Gramestod) und die Räuberwerdung Karls (nachdem Papa ihm nicht vergeben will) dramaturgisch-effektvoll ineinander verschachtelt, werden die Elemente hier einzeln und nacheinander betrachtet. Lange, bisweilen etwas zu lange lässt Rothenhäusler uns mit einzelnen Sprechern allein. Wie vorher Franz taucht später Robin Sondermanns Karl aus der Tiefe des Raums auf, mit wildlanger Perücke und Skelettschminke zunächst, und spielt, referiert, durchläuft sämtliche Räuber-Szenen als Solist.

Wie Sondermann Intensität und Gefühl aus Schillers knappen Spielanweisungen herbeizitiert, die große Geste probeweise mit knatschender, knirschender Diktion überhöht und ausstellt, wie er Elemente der Erzählung gestisch aussondert (immer wieder läutet der ausgestreckte Arm die imaginäre Postglocke beim Warten auf den erlösenden Vaterbrief, immer wieder knallt das bestürzte "WAS???" durch den Raum, als Spiegelberg vom Überfall auf das Nonnenkloster berichtet) – all das erinnert an die elegant gearbeiteten Bühnen- und Emotionsraumanalysen der britischen Performance-Truppe Forced Entertainment. Und weist in gelegentlicher Engführung des Karl Moor auf (wie Schiller längst legendär) Bruno Ganz in den "Bremer Räubern" von 1966.

Zu konsequent?

Beeindruckend ist diese "Räuber"-Variante in machen Elementen: Wie Franz immer wieder auf dem Gravitationsfeld der begehrten Amalie ausgleitet, wie Karls ultralanger Zusammenfassungsmonolog von einem musikalischen Verlauf strukturiert wird (Streichersamples in tiefen Lagen, die wellenartig crescendieren), wie dem alten Moor Verzweiflung und Umnachtung ans Revers geheftet werden, indem Nadine Geyersbachs Amalie seine Hände zittern lässt und seine Kleidung in Unordnung bringt – um ihm dann zynisch zu Ruhe und Ordnung zu "verhelfen", wie zu lautem Elektrobeat eine Disneyfigurenparade (einem Breaking-News-Band gleich) quer über die ansonsten komplett leere Bühne defiliert.

Doch die Großform ist in ihrer Reduktion paradoxerweise so konsequent gebaut, dass sie ihr analytisches Pulver gerade wegen der Strenge viel zu früh verschießt für gut zwei pausenlose Stunden. Denn dass Rothenhäusler und Kade genau gelesen haben, was Baudrillard über Simulation schreibt und Luhmann über Kommunikation, Benjamin übers bürgerliche Trauerspiel und Foucault über Familien und Gefängnisse, merkt man sehr früh. Noch konsequenter, und gewiss noch anstrengender, wäre es vielleicht gewesen, die Zeichen gänzlich auf Trennung zu setzen und die Schauspielerkörper einander gar nicht begegnen zu lassen. Dann hätte die Dauer – als Kunstmittel – möglicherweise noch eine ganz eigene, überzeugendere Eigen-Zeit entwickelt. Als Zeitung im Wortsinne: nämlich Nachricht in Form von – Form.

 

Die Räuber
von Friedrich Schiller
Regie: Felix Rothenhäusler, Raum&Parade: Evi Bauer, Kostüme: Anja Sohre, Musik: Matthias Krieg, Licht: Frédéric Dautier, Choreographie Parade: Jacqueline Davenport, Dramaturgie: Tarun Kade.
Mit: Martin Baum, Claudius Franz, Nadine Geyersbach, Robin Sondermann, Matthieu Svetchine.
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, keine Pause

www.theaterbremen.de

 

Auch Antù Romero Nunes zerhedderte Schillers verwickelte Story und gliederte Schillers Die Räuber am Berliner Maxim Gorki Theater in drei Monolog-Massive.

Von der Bremer Zadek-Zeit handelt der Recherche-Abend War da was? Die Hübner-Jahre.

Kritikenrundschau

"Rothenhäuslers Inszenierung gibt sich ausgesprochen spröde und konzentriert sich über weite Strecken auf den einerseits gekürzten, andererseits ergänzten Text", schreibt Alexandra Albrecht im Weser Kurier (3.6.2013). Desillusionierter könne man "Die Räuber" nicht aufführen. "Der Regisseur hatte ein bemerkenswertes Team zur Verfügung, das den Text sinnvoll und verständlich sprechen konnte." Rothenhäuslers Vorliebe für Soloauftritte führe aber bei einem Zweieinviertelstunden langen Abend zu Längen.

"Rothenhäusler hat seinen Schiller genau gelesen", lobt Andreas Schnell in der Nordwest Zeitung (3.6.2013). Aber: Zwar sei die formale Strenge der Inszenierung reizvoll und erzeuge immer wieder intensive Theatermomente. "Auch die Verweise auf die 66er Räuber in ihrem Pop-Art-Duktus sind sorgfältig gesetzt." Allerdings trage das alles nicht über zwei Stunden ohne Pause. Womöglich sei die recht ausdrückliche Ausstellung der Schillerschen Redundanzen, die hier noch in einer Art Loop-Technik verdoppelt werden, Teil einer guten Absicht. "Doch ist das Prinzip schnell durchschaut und wirkt schließlich ermüdend, auch wenn irgendwann eine überdrehte Comic-Parade, die geradewegs aus Disneyland zu kommen scheint, und Manga-Comics Karl Moors Gewalterzählungen grell unterbrechen." Es bleibe nach diesem Abend vor allem die Erkenntnis, auf welch hohem Niveau das Bremer Schauspiel inzwischen agiere: Die Schausspieler könnten zwar letztlich die Inszenierung nicht retten. "Sie setzen ihr aber immer wieder funkelnde Glanzlichter auf."

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