Wenn Weiße den "edlen Wilden" spielen

2. Juni 2013. Theaterkritikerin Lyn Gardner vom Guardian beleuchtet in ihrem aktuellen Blogeintrag (31.5.2013) die Situation von Schauspielern mit ostasiatischem Migrationshintergrund: Sie seien auf britischen Bühnen immer noch zu wenig präsent, gleichzeitig könne man aber ein wachsendes Interesse an asiatischen Themen und Stoffen in Großbritannien registrieren.

Dieses "wachsende Theaterinteresse an China" werde "sicher auch eine Schubwirkung für ostasiatische Schauspieler haben" und ihnen Berufschancen eröffnen, aber "der Wandel wird Zeit brauchen". Auch erwartet Gardner, dass Veränderungen von Schriftstellern und Produzenten der asiatischen Community selbst ausgehen werden, ebenso wie von Förderinitiativen wie dem Yellow Earth's academy and bursary schemes.

Hintergrund des Artikels ist ein Blog des US-Amerikanischen Schauspielers Alexis Camins, der unter dem Titel "Why I'm tired of Being an (Asian) Actor" jüngst einen Fall aus der eigenen Casting-Wirklichkeit darlegte: Ein großes New Yorker Theater habe für eine Komödie die Rolle eines Stammesführers der NaKong in der untergegangenen Stadt Pahatlabong ausgeschrieben, Zuschreibungen, die für Camins nach pazifischem Raum geklungen haben und für er sich als Philippiner nach anfänglichen Vorbehalten prädestiniert empfand. Denn das Stück gehe mit dem Klischee des "Wilden" sehr witzig und intelligent um. Camins bestand mehrere Vorsprechen und wurde letztlich doch nicht gecastet. Die Rolle ging an einen "weißen" Schauspieler.

In sechzehn Fragen reflektiert Camins diesen Fall und regt eine Diskussion über ethnische Herkunft und die entsprechende Rollenbesetzung in Theater und Film an: "Hätte das Theater hier nicht seinen Anspruch, 'Inszenierungen so groß und divers wie New York selbst' zu produzieren, einlösen können, indem es ein farbige Figur durch einen Schauspieler of color besetzt"?

Im Stück foppe der Stammesführer als großartiger Spaßmacher die europäischen Kolonisatoren. Aber werde dieser satirische Effekt auch erzielt, wenn ein Weißer die Rolle übernimmt? "Sollte der Schauspieler, der den Stammesführer spielt, nicht gerade alles andere als weiß sein?"

Oder, so fragt Camins weiter, seien die Theatermacher so besonders gewitzt und ganz im Geiste des 21. Jahrhunderts "post-rassistisch", dass er es nur nicht verstehen könne: "mit der Besetzung eines Weißen für den 'edlen Wilden' in einem Stück über den Rassismus der Weißen zu zeigen, wie verrückt es ist, wenn Weiße rassistisch sind?" Camins will seine Fragen nicht als rhetorisch missverstanden wissen, sondern als Gesprächsangebot.

(guardian.co.uk / chr)

In Deutschland wird eine ähnliche Debatte gerade über das Blackfacing auf Theaterbühnen geführt. Mehr dazu finden Sie im entsprechenden Lexikon-Eintrag auf nachtkritik.de

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