Hochhuth kündigt Berliner Ensemble
Versuchte Enteignung?
Berlin, 9./10. Juni 2013. Der seit Jahren schwelende Konflikt zwischen dem Dramatiker Rolf Hochhuth, dem Berliner Senat und Claus Peymann, dem Intendanten des Berliner Ensembles, eskaliert. Wie die Berliner Morgenpost berichtet, habe Hochhuth als Eigentümer des Theaters am Schiffbauerdamm (über seine Ilse-Holzapfel-Stiftung) die außerordentliche und fristlose Kündigung des Mietvertrages an den Regierenden Bürgermeister und Kultursenator Klaus Wowereit geschickt. Der Stiftung gehört die Immobilie, das Land Berlin ist dort Mieter und hat das frühere Theater Bertolt Brechts an die Berliner Ensemble GmbH (BE) untervermietet.
Laut Kündigungsschreiben machten die "kumulierten Verletzungen" der Vertragspflichten eine Fortsetzung des Mietverhältnisses "unzumutbar". Sollte sich Hochhuth in einem nun wohl unausweichlichen Rechtsstreit durchsetzen, wäre das Berliner Ensemble heimatlos.
Hochhuth streitet schon seit vielen Jahren darum, dass die Kulturverwaltung und ihr Untermieter Claus Peymann ihm seine im Mietvertrag von 1998 gewährten Rechte einräumen: Jedes Jahr soll vom 16. bis zum 18. Oktober an drei Abenden Hochhuths Drama "Der Stellvertreter" am Schiffbauerdamm gespielt werden. Außerdem besteht die Möglichkeit, das Haus während der Theaterferien im Sommer fünf Wochen lang zu bespielen. Beide Bedingungen seien nur sehr unvollständig erfüllt worden.
Wowereits Kulturverwaltung verweist darauf, dass die Stiftung ihre gewünschten Aufführungen oft nicht fristgerecht angemeldet habe. Sie sei verpflichtet, bereits im Frühjahr für den Sommer des folgenden Jahres zu sagen, wann sie was im BE zeigen wolle. Einen derart langen Vorlauf erachtet Hochhuths Anwalt Markus Kerber im Theatergeschäft für nicht handhabbar, weil sich Schauspieler und Regisseure ungern so lange im Voraus binden wollten. Kerber spricht von einer "versuchten Enteignung" seines Mandanten durch das Land Berlin und seinen Kultursenator.
Allerdings ist dies nicht der erste Versuch Hochhuths, den Mietvertrag mit der Kulturverwaltung zu kündigen – bislang erfolglos.
Am 10. Juni ließ Peter Raue als anwaltlicher Vertreter des Berliner Ensembles in einer Erklärung u.a. mitteilen, dass es "keinen Rechtsanspruch auf eine Aufführung des 'Stellvertreters' im Berliner Ensemble" gebe. "Die Ilse-Holzapfel-Stiftung hat lediglich das Recht eine von ihr finanzierte und realisierte Inszenierung an drei Tagen im Oktober am Berliner Ensemble zu zeigen. Ein solches Angebot hat Rolf Hochhuth niemals unterbreitet." Zudem sei das Berliner Ensemble zur "Sommerbespielung durch die Ilse-Holzapfel-Stiftung nur verpflichtet, wenn Zeitraum und Stück wie vertraglich verabredet rechtzeitig angeboten werden. Das ist bisher nie geschehen. Dennoch hat Claus Peymann im Rahmen des Möglichen die Bespielungswünsche von Rolf Hochhuth erfüllt." Zudem verlange Rolf Hochhuth von Claus Peymann "eine Inszenierung seines Stückes 'Sommer 14'. Diese Forderung hat Claus Peymann aus künstlerischen Gründen stets zurückgewiesen. Einen Anspruch auf eine Inszenierung eines Stückes am Berliner Ensemble von Rolf Hochhuth gibt es nicht."
(Berliner Morgenpost / geka /wb)
In der Berliner Zeitung (10.6.2013) rekapituliert Ulrich Seidler den fortwährenden Streit um den Mietvertrag des Berliner Ensembles zwischen Rolf Hochhuth und Claus Peymann. "Neu ist eigentlich nur der Anwalt. Und dass die Kündigung wohl wirklich abgeschickt wurde." Hochhuths neuer Anwalt Markus Kerber, der anders als sein Vorgänger Uwe Lehmann-Brauns nicht auch kulturpolitisch im Abgeordnetenhaus aktiv sei, habe für diese Kündigung "einen Punkt herausgearbeitet, der rechtswirksamer sein könnte als die verletzte Eitelkeit der Dichterseele", nämlich den Eintritt der landeseigenen Immobiliengesellschaft BIM "in den bestehenden Mietvertrag". Kerber argumentiere, "dass das Land das Theater unzulässig an die BIM untervermietet habe − ein Kündigungsgrund". Seidler erwartet, dass es diesmal zum Prozess kommen wird, und sieht darin eine Chance, diese "vermaledeite Verquickung von Kultur und Geschäft" zu beenden, die dieser Vertrag verursache. Zwar werde wohl niemand aus der Immobilie weichen müssen, aber es dürfte zu einem "Vergleich" kommen. "Man wird sich auf eine erhöhte Miete einigen, dafür sind die Sonderrechte des Eigentümers − Sommerbespielung und 'Stellvertreter'-Spielpflicht − aus dem Vertrag zu streichen."
"Es ist Sommer! Die Rolf-Hochhuth-Festspiele! Wie konnte man die nur vergessen?", so widmet sich auch Andreas Schäfer im Tagesspiegel (10.6.2013) zunächst der Routine des Streits um das Theater am Schiffbauerdamm. Die Kündigung sei "allerdings der Hammer und treibt die jahrelange Farce auf eine neue Ebene." Hochhuths neuer Anwalt Markus Kerber sei "beim Senat gefürchtet. Kerber hat für seinen Mandanten Harald Wolf das Bundeskartellamt dazu gebracht, die Berliner Wasserpreise als zu hoch anzuprangern." Kerber spreche von "einer 'versuchten Enteignung' seines Mandanten, da der Mietpreis nur wegen der vertraglich festgehaltenen Aufführungsrechte so niedrig sei. Die 'kumulierten Verletzungen' der Vertragspflichten mache eine Fortsetzung des Mietverhältnisses 'unzumutbar'".
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Der Schutz vor den privaten Interessen eines schlechten Dramatikers dient ohne Zweifel dem Wohle der Allgemeinheit. Warum macht man nicht endlich von den Möglichkeiten Gebrauch, die die Verfassung anbietet. Hochhuths permanente Spinnereien werden immer unerträglicher.
#1 Natürlich ist Hochhuths exzentrische Art unerträglich und selbstverliebt bis zum geht nicht mehr, aber so unerträglich wie Peymann ist er zum Glück nicht und er verschleudert nicht das Steuergeld für so eine Perversion wie das BE
Nächste Woche dann wieder Showdown an der Pforte . Lehmann Brauns und rh fordern eingelassen zu werden. Herr raue und frau lüttgemann werfen sich dem Feind entgegen und Mauern die Tür zu. Dann gemeinsamer capuccino in der be Kantine am ensembletisch. Bz dabei. Lieber Claus peymann, bitte wieder was richtig bemerkenswertes inszenieren, am theatertreffen teilnehmen , dann preisgekrönt in den verdienten urlaub fahren - und dem Theater 89 für den Sommer einen Hochhuth inszenieren lassen . Im Studio. Haben alle was davon.
mögen sie ihren Vermieter? Wenn "nein", würden sie ihn dann "enteignen" wollen?
Letztlich ist das alles viel nüchterner: Es gibt einen rechtsgültigen Vertrag, über dessen Erfüllung sich beide Parteien nicht einig sind. Dafür gibt es Gerichte. Und die sollen nun entscheiden.
darüber hätten im Zweifel Gerichte zu entscheiden. Aber soll nicht wenigstens angedacht werden, was in unserer Gesellschaft stärker tabuiert ist als Euthanasie, Kindesmisshandlung oder Kriegsführung? Mit den Worten des ehemaligen Hausherrn: "Dass da gehören soll, was da ist, denen, die für es gut sind, also die Kinder den Mütterlichen, damit sie gedeihen, die Wagen den guten Fahrern, damit gut gefahren wird, und das Tal den Bewässerern, damit es Frucht bringt." Und weil ich weiß, dass nachtkritik-Kommentatoren bezweifeln werden, dass Peymann der Fahrer oder Bewässerer sei, der gut für das BE ist: bei allem, was man gegen ihn einwenden mag - mit Hochhuth kann er sich in dieser Beziehung messen. Im Übrigen soll das Theater nicht ihm, sondern Berlin gehören. Also: durchaus ernsthaft Artikel 14.
Hier ein kleiner Auszug aus dem Leitbild der BIM:
Das Ganze im Blick
"Unser Leitbild ist ein weiterer Meilenstein zum Erreichen unserer vielfältigen Ziele. Diese sind und bleiben ambitioniert: Kundenzufriedenheit erhöhen – die eigene Servicequalität ständig optimieren – weiterhin signifikant zur Konsolidierung des Landeshaushalts beitragen. Wir wünschen uns, dass dieses Leitbild und das damit verbundene Selbstverständnis unseren engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dabei hilft, das Ganze immer im Blick zu behalten."
Also wie bei Brecht, die Wagen immer den guten Fahrern.
ich mag meinen vermieter. die frage nach enteignung stellt sich nicht ;-) verstehe aber ihren punkt.
denke aber aus zuschauersicht. wenn ich einen hochhuth sehen will, dann bitte nicht von ihm selber inszeniert. denn er verbrät dafür ja stiftungsgelder - die (auch) als miete zufliessen, also auch steuergelder.
wollte sagen:
erfüllt doch die bedingungen aus dem vertrag, in dem ihr ein theater engagiert (theater 89 liegt nahe, weil profis und hochhutherfahren und be-affin)kann aber auch anderes theater sein.
also: vertragstreue, die aber künstlerische qualität nicht von vorneherein ausschliesst (es sei denn sie schätzen hochhuth als regisseur)
oder als wettbewerb: garantiertes budget für das beste konzept für die sommerbespielung.
ergebnis: freie szene hat was davon, be menschen können in urlaub fahren, hochhuth wird gespielt, ganz ohne fremdscham. (oder iwe der engländer sagt: not cringeworthy.
deshalb, lieber baucks: keine enteignung - nur ein bisschen mehr phantasie bei der problemlösung.
herzlich,
strietze.
http://www.tagesspiegel.de/kultur/neues-drama-um-das-berliner-ensemble-hochhuth-kuendigt-mietvertrag-mit-dem-senat/8322966.html
Lieber Stefan,
das liest sich bizarr, aber vielen Dank für die Information.
ich gebe offen zu, dass sie wahrscheinlich große Schwierigkeiten bekämen, falls sie mich in eine Hochuth Inszenierung bekommen wollten. Da müssten sie mich schon reintragen. Aber was hat das mit dem Konflikt zu tun. Da begegnen sich doch mittlerweile zwei Vertragspartner auf gleich schlechtem Niveau und es ist wie in einer ganz schlechten Ehe, in der beide sich mit Missachtung strafen. Da liegt eine Trennung nahe. Bleibt die Frage, wer das Silber bekommt? Und das sollen in der Tat endlich einmal Richter entscheiden. Sie können ja nicht jemanden, der einen Palast besitzt, zwingen in die Hütte daneben einzuziehen, nur weil ein Mieter seinen Mietvertrag nutzt, um den Eigentümer stetig öffentlich zu demütigen. Solche Verhältnisse wie sie sich die Beteiligten dort schufen, sind nicht darauf ausgerichtet von Dauer zu sein.
Na, das kann dauern, grauenhaft; es fühlt sich tatsächlich an, wie ein Scheidungsverfahren, dass über Jahre geht und alle Beteiligten irgendwie mürbe macht.
Dies scheint ihm nun offenbar seine einzige, allerletzte Chance zu sein, in der deutschen Theatergeschichte noch für kurze Zeit eine Rolle zu spielen. Eine ziemlich schäbige Rolle. Sie wird länger in Erinnerung bleiben als sein Stück.