Das Patenkind aus Dingsda

von Simone Kaempf

Hamburg, 16. Dezember 2007. Werkzeugkästen, Gartenharken, Tiefkühltruhe stehen im Hobbykeller des Vaters. Und zwei große Fernsehbildschirme. Nicht zum Pornoschauen, wie die Tochter Louisa vermutet, sondern zum Kontrollieren der Überwachungskameras, die Vater frisch im Haus installiert hat.

Vater Karl Tremmel filmt jetzt sein eigenes Wohnzimmer, als sei es eine Gated Community. Denn in Gefahr ist nicht nur der Familienfriede, nein, sondern die gefühlte innere Sicherheit. Ein Gast ist aufgetaucht, schon vor einem halben Jahr. Südamerikaner, gutaussehend. Hat mit Tochter Louisa angebändelt. Doch den smarten Lockenkopf kriegt Vater Karl nicht nur deshalb nicht aus dem Haus, weil die Tochter verliebt ist, sondern weil man vor vielen Jahren für Louis eine Patenschaft übernommen hat. Jetzt hat sich Louis eingenistet – und nervt. Aber den neuen Sohn, der nun "Papa" und "Mama" zu den Tremmels sagt, so hartherzig wegzuschicken, geht natürlich auch nicht.

Das Prinzip Verantwortung

Was passiert, wenn so ein Dritte-Welt-Patenkind plötzlich vor der Tür steht? Dann prallen nicht nur zwei Kulturen aufeinander, dann wird der Begriff Verantwortung plötzlich prekär. Vor allem aber wird es komisch, wenn man da ganz einfach Menschen zusammentreffen lässt, die sich gegenseitig missverstehen, so wie Regisseur und Jugendtheaterleiter Klaus Schumacher es in der Uraufführung von "Louis und Louisa" im Malersaal des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg macht.

Wobei genau dieses Missverstehen auch ohne den exotischen Eindringling Louis geschieht. Denn Vater Karl, Kieferchirurg mit dem Hobby Handwerkern, Mutter Mia mit ihrer panischen Angst vor der Strahlung eingeschalteter Mikrowellen und Tochter Louisa, die beruflich "etwas mit Menschen" machen will, sind schon für sich genommen eine Studie komisch-neurotischer Mittelstands-Familienmitglieder.

David Gieselmann meldet sich mit "Louis und Louisa" als Dramatiker aus der eigenen Vaterschaft zurück, demnächst kommt sein zweites Kind zur Welt. Das Stück hat er zusammen mit Klaus Schumacher und dem Ensemble während der Proben geschrieben und weiterentwickelt, durchaus zum Vorteil. Wo Schumacher das Spiel direkt hält, liefert Gieselmann schnelle Dialoge, die auch Tiefgang gewinnen. Vor allem, wenn Louis ins Spiel kommt. Seine Flucht aus Südamerika schmückt er in bunten Farben aus: erst getrampt von Rio de Janeiro bis nach Florida, dann als blinder Passagier im Radkasten einer Boeing nach Deutschland geflogen, während des Flugs viel Rum gegen die Kälte getrunken, und schließlich zu Fuß von Frankfurt nach Hamburg gelaufen. "Toll", kommentiert Mutter Mia. Was einen sicheren Lacher erntet, offenbart unterschwellig und unaufdringlich das Unverständnis über anderes Leben und Schicksal.

Hobbykeller der Neurosen

Aber nicht nur das. Wie in früheren Gieselmann-Stücken gerät auch hier ins Wanken, woran man glaubt. Denn am Ende stellt sich heraus, dass Louis sich nur als Patenkind ausgegeben hat und per Kokainschmuggel aus Brasilien weggekommen ist. Geld für seine kranke Schwester braucht er trotzdem, sagt er. Aber auch das könnte nur ein Trick sein, um auszutesten, wie viel die andere Seite zu geben bereit ist, denn "die will zwar ständig Gutes tun", wie es einmal von Louis heißt, "aber wehe, jemand will das Gute auch nehmen."

Dennoch diskutieren hier keine Vertreter der Ersten und Dritten Welt ihre Probleme. Dazu sind die Inszenierung viel zu spielerisch direkt, die Figuren zu familiär unpädagogisch angelegt, und der Hobbykeller, den Katrin Plötzky gebaut hat, mehr Ort der düster-komischen Neurosen als der hellen Vernunft. In der Kühltruhe, in der die Fertigpommes aufbewahrt werden, landet in einer Virtuosennummer Louisas Ex-Freund Theo. Der Truhendeckel schlägt auf und zu wie eine kleine Persiflage aufs Komödienfach.

Im Bühnenhintergrund ist in einem zweiten Raum eine Green Box aufgebaut, in der vor allem die Familienszenen mit Louis gefilmt und mit montierten Videobildern auf den beiden Fernsehern übertragen werden. So erhält man noch Einblick in die Entstehung und den Fake von Filmen und Fernsehbildern, ohne dass es gleich medienkritisch wird. Der rundum gelungene Abend gibt eh nicht vor schlauer zu sein als die Zuschauer und zeichnet bei allem Witz, den er aufbringt, ein realistisches Bild von den Grenzen und Problemen des Gutes-Tun-Wollen. Inmitten der Vorweihnachtszeit ist das mehr als man erwarten kann.

 

Louis und Louisa
von David Gieselmann und Klaus Schmacher (UA)
Regie: Klaus Schumacher, Ausstattung: Katrin Plötzky, Musik: Tobias Vethake, Video: Jürgen Salzmann.
Mit: Hermann Book, Konradin Kunze, Christine Ochsenhofer, Renato Schuch, Laura de Weck.

www.schauspielhaus.de

 

 

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