Schieß mich zum Mond, baby!

von Georg Kasch

Berlin, 19. Juni 2013. "Jetzt mit 10% mehr Inhalt!", wirbt der Programmzettel. Er könnte sich auf Momente wie diese beziehen: Prinz Sternschnuppe kommt. Er durchquert den langen leeren Raum mit angeödetem Gesichtsausdruck und defiliert am Sternenchor vorbei, knallt dabei einmal lang hin, rappelt sich auf, reißt seinen Glamrockoverall auf, um seine eher mickrige Brust zu präsentieren. Dann legt er seinen blassen Federmantel ab, während ihm Mondelfen einen Flügel hinschieben und einen viel zu kleinen Schemel. Erst versucht er vergeblich, für seinen Umhang eine passende Ablage zu finden. Dann beginnt er in peinvoller Haltung – viel zu tief sitzt er, viel zu weit weg – den Flohwalzer zu spielen. Immer wieder haut er daneben, rast plötzlich durch Isoldes Liebestod, um dann, im Bariton und in der Counter-Lage, mühelos gequält von den "losen muntren Liedern" zu singen, die bei Paul Lincke notiert sind.

Die Sterne fahren Fahrrad

Mit diesem hochnotkomischen Psychogramm ist alles über Prinz Sternschnuppe gesagt – und Linckes Operette "Frau Luna" in Herbert Fritschs Inszenierung auf einem ersten Höhepunkt. Davor war es für eine Weile unklar, ob Fritsch diesmal überhaupt die Kurve kriegen würde: Akustisch versteht man kein Wort, als der flugtechnikbegeisterte Fritz und seine zwei Kumpanen als Popper-Trio mit dick wattierten Schultern über die leere Bühne an die Rampe wanken. Auch bei der Musik fragt man sich lange: Ist die von Paul Lincke?

Sie ist's. Die Schlager der Operette, "Schenk mir doch ein kleines bisschen Liebe", "Schlösser die in Monden liegen", das Glühwürmchen-Idyll und natürlich der unverwüstliche Marsch von der "Berliner Luft, Luft, Luft" sind alle da, allerdings in Ingo Günthers völlig neuem Elektropop-Mantel – synthetische Klänge und spacige Beats, dass den Fans der späten 70er und 80er Jahre das Herz hüpfen muss. Auch in Sabrina Zwachs Textfassung steckt noch viel vom biederen Libretto Heinz Bolten-Baeckers, wo Berliner Schnauze auf Gartenlaube-Gefühligkeit und Schenkelklopfer trifft. Während Fritz technisch hoch hinaus will, fordert seine Verlobte Marie das kleine Glück. Als er dann doch loszieht mit den Gefährten und seiner biestigen Vermieterin Pusebach, landen sie auf dem Mond, wo's natürlich genauso zugeht wie auf der Erde.

frauluna2 560 thomasaurin hZwischen Madonna und Rita Hayworth – Ruth Rosenfeld als schwebende Frau Luna. © Thomas Aurin

Es sieht auch genauso aus, nur dass plötzlich der schwarze Rundhorizont aufgezogen wird und in dieses Dunkel der 40-köpfige Chor in weißen Harlekinkostümen auf beleuchteten Fahrrädern einrollt. Auch die anderen Mondbewohner sind bleiche, unförmige Gestalten, die Victoria Behr so aussehen lässt, als sei eine Zirkusausstattung explodiert und als wüchse ihnen das Gesäß auf der Stirn. Hier prasselt der erste heftige Szenenapplaus, mehr, viel mehr wird folgen in dieser oft intelligenten, oft witzigen Operetten-Dekonstruktion.

Was ist der Sex – noch Trieb oder schon Reflex?

Fritsch demontiert die harmlose Story, lässt ihre Pointen böse auflaufen und toppt sie mit seinem längst legendären, viel absurderen Körperwitz: Wieder stürzen und fallen seine wild gestikulierenden Knallchargen, prallen gegen Wände, verheddern sich ineinander. Dafür hat Fritsch völlig unmotivierte Choreografien eingebaut (nichts Neues im Showbiz): Beine fliegen, Steppschuhe klackern, vor allem bei Fritz. Die späte Auflösung "Fritz Steppke – der Name ist Programm" reiht sich mühelos in die unzähligen Doppeldeutigkeiten, Wort- und Satzverdrehungen, wo die Schauspieler harmlose Original-Formulierungen zu krachenden Zoten verstammeln ("und vögel mich in den Fickschall" heißt eigentlich "und füge dich in dein Schicksal").

Das ist auch nicht dämlicher als die Originalschenkelklopfer und legt die Freud'sche Fährte zum Generalbass der Operette: Sex. Hier treibt's jeder mit allen, und wo's bei Lincke noch ums Küssen geht, grabbelt und fummelt das Personal hier wahllos aneinander rum in einer saukomischen Schwermut, bei der unklar bleibt, ob das noch Trieb ist oder schon Reflex.

Zwischen Madonna und Rita Hayworth

Das eigentliche Wunder dieses Abends sind einmal mehr die Schauspieler. Nur wenige stammen von der Volksbühne, die anderen hat Fritsch (wie schon bei der Spanischen Fliege und Murmel Murmel) von seinen Streifzügen durch die Provinz mitgebracht, aus Oberhausen, Schwerin, Bremen. Zum Glück! Nora Buzalkas Frau Pusebach ist die antastbarere der anwesenden Sexbomben, eine Berliner Femme fatale mit Kunstschlesisch und Sinn für Realitäten. Florian Anderers Fritz lässt seine naive Fröhlichkeit mit einer Verzweiflung flackern, die alle Beschützerinstinkte aktiviert. Jakob Krazes Mond-Haushofmeister Theophil reißt die schonungslosesten Grimassen und Witze, ein Didi Hallervorden auf Speed. Zum Niederknien Hubert Wild, dessen Prinz als verzogenes Kind und Ego-Husche zu seinen Großauftritten tänzelt, eine Star-Mimose, jede Geste ein Versprechen, das nicht gehalten wird. Sprechsingend zitiert er sich durch die Operngeschichte, ein Feuerwerker der vokalen Absurditäten.

Was aber soll man, nach dieser Eloge, über Ruth Rosenfeld stammeln, seit Langem schon Frank Castorfs Sopran-Geheimwaffe, die mühelos Frau Lunas Koloraturen trällert und dabei als Mischung aus Madonna und Rita Hayworth jedem und jeder den Kopf verdreht? Die schwebt, wenn sie schreitet und einmal tatsächlich abhebt im ellenlangen Kleid, ein Wunder an Nuancen, an Geschmeidigkeit, an beiläufiger, abgründiger Ironie? Wenn Fritsch "Frau Luna" nur wegen Ruth Rosenfeld inszeniert hätte, es wäre ein vollkommen ausreichender Grund gewesen.

Am Ende ist die Luft raus. Da fällt das Soufflé abrupt in sich zusammen. "Ist die Welt auch noch so schön, einmal muss sie untergehn", singen sie und "Wenn der Erdenball zerplatzt, sind wir sowieso verratzt" – apokalyptisches Amüsemang um 1900. Hier bleibt der Schampus stecken, wird die Bühne abgeräumt – bis zur Fritsch'schen Applausordnungsorgie, die noch einmal zum Utz-Utz-Utz-Beat den Wahnwitz des Entertainments feiert.

 

Frau Luna
von Heinz Bolten-Baeckers, Musik von Paul Lincke
Regie und Bühne: Herbert Fritsch, Kostüme: Victoria Behr, Musikalische Leitung: Ingo Günther, Licht: Torsten König, Dramaturgie: Sabrina Zwach.
Mit: Ruth Rosenfeld, Hubert Wild, Jakob Kraze, Axel Wandtke, Inka Löwendorf, Florian Anderer, Stefan Staudinger, Werner Eng, Annika Meier, Nora Buzalka, Annika Meier, Jonas Hien, Maria Walser, LUNA-Orchester: Ingo Günther, Doris Kleemeyer, Fabrizio Tentoni und Chor der Werktätigen.
Dauer: 2 Stunden 20 Minuten, keine Pause

www.volksbuehne-berlin.de

 

Als Regisseur zündete Herbert Fritsch seine erste Operette in Bremen: Die Banditen von Jacques Offenbach (Premiere im Oktober 2012).


Kritikenrundschau

Einen "Aufmarsch der Superkunstkasper" hat Dirk Pilz von der Berliner Zeitung (21.6.2013) in der Volksbühne erlebt. "Abendfüllend" aber sei der nicht. Denn Fritsch wolle hier "die Operette mit abgedreht operettenhaften Mitteln zerklopfen". Und das "schafft am Ende dann doch ziemlich viel Operettenstaub. Es ist, als ersticke man vor lauter Spaß." Fritsch stemme sich "über-überdeutlich gegen eine gerade in den Berliner Stadttheatern beheimatete Vorliebschaft für das Tiefe, Ernste, Große." Jedoch: Eine "Inszenierung, die immerfort ihre Andersartigkeit herausbrüllt, leidet augenscheinlich an Selbstbebauchpinselung, sie stellt Pappfiguren auf, um sie mit Wucht umrennen zu können."

Linckes Operette sei "wirklich harter Schenkelklopferstoff", schreibt Christine Wahl im Tagesspiegel (21.6.2013). Und "völlig zu Recht hat Dramaturgin Sabrina Zwach die biederen Schlüpfrigkeiten aus Heinz Bolten-Baeckers Libretto auf die Spitze getrieben und genüsslich in eine Art Freud'schen Dauerversprecher übersetzt". Auf den ersten Blick dekonstruiere Fritsch die Operette, aber seine Inszenierung funktioniere doch vor allem, weil sie "sich in der schieren Dekonstruktion nicht erschöpft: Die Elektroklänge des dreiköpfigen Luna-Orchesters – Doris Kleemeyer, Fabrizio Tentoni und der musikalische Leiter des Abends, Ingo Günther – bestechen mit tadellosem musikalischen Anspruch und grandiosen Ideen." Zwar könnte das von der Kritikerin hochgelobte Team um Fritsch die "dicke Staubschicht" auf der Geschichte nur "bedingt entfernen". Aber: "Sie haben aus 'Frau Luna' das Beste herausgeholt, zumal fürs klassische Volksbühnen-Publikum."

Im "Niemandsland der Heiterkeit" fand sich Irene Bazinger von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (21.6.2013) wieder, dort wo Fritschs verrückte Choreographie regiert, "in der er die Darsteller sich zu tollkühnen Gruppenbildern versammeln lässt, die sie mit völlig sinnfreien akrobatischen Solonummern bald wieder sprengen." Allerdings komme der Abend "nie auf Touren", weil die Pointen "oft im Eifer des Gefechts übersprungen werden" und die Inszenierung "im Wesentlichen auf Paul Linckes Musik verzichtet, die lediglich in einer synthetisch-gesichtslosen Bearbeitung von Ingo Günther zitiert wird. Dessen Elektro-Pop mit Drehorgelsound, „Kraftwerk"-Analogien und Kaufhaus-Getön entfernt feige den orchestralen doppelten Boden des Originals, ohne ihm einen neuen einzuziehen."

In "Fritschs lustigem Karikaturentheater" nahm Eberhard Spreng für die Sendung "Kultur heute" vom Deutschlandfunk Platz. Fritsch sei "zur soliden Spaßmarke geworden, seine Einfälle werden mit Szenenapplaus bedacht und man sieht gnädig darüber hinweg, dass sich die Bewegungsticks seiner Akteure allmählich verschleißen". Einzelleistungen wie die von Hubert Wild als Prinz Sternschnuppe würdigt der Kritiker, wendet aber gegen das Ganze ein: "Seit sich Herbert Fritsch in der Welt der Oper bewegt, ist er nicht mehr ganz der Herr über die Zeit und die Rhythmen, also genau jenem Element, das die Mathematik der Komik, die Taktung des Slapsticks insgeheim ausmacht. Das tut seinem Theater nicht unbedingt gut."

Manuel Brug von der Welt (21.6.2013) hat "hochvergnügliche zweieinhalb Spielstunden" erlebt. Fritsch "modernisiert und parodiert, mit weit lockerer Regiehand. Natürlich ziehen auch diesmal seine singenden, tanzenden, Aufziehsprechpuppen in schrägen Kostümen ihre Kreise auf der Bühne. Aber zu den famos psychedelischen Klängen schweben eigentlich alle beständig auf der Trance-Flow-Wolke Sieben." Im Ganzen ergebe der Abend "ein erquickliches, singendes, tanzenden Typenkabinett. Mehr nicht."

Niklaus Halblützel schreibt in der taz-Berlin (22.6.2013): "Halsbrecherisch" balanciere der Abend "zwischen Klamauk und Provokation" und überwinde den drohenden "Abgrund der Katastrophe", "weil er darauf verzichtet, sich über Paul Lincke lustig zu machen". Hubert Wild und Ruth Rosenfeld sängen "so extrem an der Grenze des Möglichen und Erträglichen entlang wie die anderen spielen". Kein Kalauer sei hier "zu blöd", die Welt "eine einzige Zote" und verboten "allein, was nach gutem Geschmack und ernstem Bemühen auch nur riechen könnte. Es wären furchtbare zwei Stunden, wären sie nicht gefüllt bis zum Rand mit theatralischen Einfällen, die jeder für sich einer ausführlichen Analyse wert wären." Insgesamt: sehr viel "virtuos herausgespielter Irrsinn". Linckes Operette beginne "zu leben. Nicht als modisch nostalgische Erinnerung, sondern ganz von innen heraus. Nicht ihre Form, ihr Geist ist es, der hier herumspukt, (...) obszön und vulgär, aber auch menschlich und wahr auf ihre Berliner Art." Das sei "die ganz große Kunst des Theaterspiels", "ein Wunder".

Fritsch gelängen "immer wieder schön verdrehte Choreografien und Musiknummern", findet Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (26.6.2013). "Auch das gewohnt hochtourige Spiel der Fritsch-Kasper-Truppe, der Wille, sich keinen noch so blöden Witz entgehen und erst gar keine Subtilität aufkommen zu lassen, das ganze aufgekratzte Hanswurst-Theater ist bestens aufgelegt." Dennoch ziehe sich die Show etwas zäh und reiche nicht entfernt an Fritschs letzte Volksbühnen-Hits heran, weil der Regisseur "nicht wirklich eine Form gefunden hat, mit der dem dumpfen Brachial-Entertainment der Vorlage beizukommen wäre". So hangele sich der Abend "stellenweise virtuos" von Nümmerchen zu Nümmerchen, "ohne die Sogkraft und den fröhlichen Aberwitz von Fritschs besseren Arbeiten zu entwickeln".

Kommentare  
Frau Luna, Berlin: Luft raus
Also die Luft ist auch zwischendurch schon ziemlich oft raus. Und auch, wenn er's nicht hören mag: Fritsch ist ein Musiker der Sprache und der Körperbewegung. Sobald jemand anfängt zu singen, egal wie schief oder schön, verlässt ihn jegliche Spiel-Intuition und das Gehampel läuft sich leer oder die Leute stehen dumm herum. Weder Flop noch Top, aber vielleicht mal Zeit für eine kleine Reflektion?
Frau Luna, Berlin: Mängelliste
Akustisch kaum zu verstehen. Handwerklich weit unter dem Niveau von Murmel Murmel und der spanischen Fliege. Musikalisch dürftig. Inhaltlich sowieso belanglos. Selten lustig.
Frau Luna, Berlin: Porno-Komödienstadl
Hallo Herr Castorf, vielleicht kommen sie mal aus Bayreuth zurück in das von ihnen geleitete Haus und begutachten den Porno-Komödienstadl, zu dem die Volksbühne geworden ist. Schwänze, Mösen und Schenkelklopfen - was anderes habe ich in dieser Spielzeit dort nicht gesehen! Unterirdisch! Sind sie noch verantwortlich für den künstlerischen Gehalt des Hauses?
Frau Luna, Berlin: Der Kaiser ist nackt
Diese Arbeit ist genauso belanglos, dumm und langweilig, wie alle Arbeiten von Fritsch an der Volksbühne. Warum erst jetzt bemerkt wird, dass der Kaiser keine Kleider hat, ist so unverständlich, wie die Tatascahe, dass das "knallrote Gummiboot" ein Jahrhunderthit ist während andere Songs aus der Zeit längst vergessen sind. Es gibt dafür keine nachvollziehbaren Gründe - das ist reiner Zufall gespeist aus Hysterie, dem Wunsch nach dem Messias, der das Theater erlösen möge, der Behauptung, dass jetzt jemand anderes kommen muß.
Frau Luna, Berlin: nicht gelungen
Leider kein gelungener Abend. Bitte mal beim " Ball im Savoy" vorbeischauen. Die Applausorgie ist eine Vergewaltigung des Publikum .
Frau Luna, Berlin: Kult-Stempel
...und sehr interessant, wie man bei den Kritikern beobachten kann, wer noch wirklich hinschaut, Veränderungen registriert und wer nur zu bereitwillig blind den jüngst angefertigten "Fritsch = Kult"-Stempel benutzt.
Frau Luna, Berlin: Offenbarungseid
@sich Fragender - was soll Frau Wahl angesichts dieses Offenbarungseides von Fritsch auch schreiben? (…)
Frau Luna, Berlin: Kritiker kritisieren
Wieso kürzen sie meine Aussage, dass Frau Wahl Herrn Fritsch zum Theatertreffen gebracht hat? Sie wird daran wohl Anteil gehabt haben, oder wollen Sie das bestreiten? Lesen sie mal ihre Kritiken zu Fritsch. Und in der verantwortlichen Jury hat sie wohl auch gesessen. Es ist auch mal an der Zeit, jene Kritiker zu kristisieren, die maßgeblich an einer Marke gebastelt haben. Oder wollen sie mir jetzt von der Unabhängigkeit des Feuilletons erzählen?

(Anm. d. Red.: Sehr geehrter felix, Sie schrieben nicht, dass Frau Wahl Anteil daran hatte, Fritsch zum Theatertreffen zu bringen, sondern bedienten sich einer Wortwahl, die eine deutliche Unterstellung beinhaltete. Daher die Kürzung. MfG wb)
Frau Luna, Berlin: Kritik an einer Machtposition
Liebe Redaktion, ich denke nicht, dass meine Wortwahl eine deutliche Unterstellung beinhaltete. Ich will Frau Wahl auch gar nicht diskreditieren. Es geht mir darum, Kritik an einer Machtposition zu üben, die sich augenscheinlich dadurch einstellt, dass Frau Wahl in der Jury des Theatertreffens saß, wohin mehrere Inszenierungen von Fritsch eingeladen wurden und dauerhaft von ihr im Tagesspiegel Hymnen über seine Arbeit veröffentlichen durfte. Wieso schickt der Tagesspiegel nun wieder die selbe Person zur Premiere, die wieder eine fast uneingeschränkte Hymne auf Fritsch schreibt, obwohl Frau Luna ganz offensichtlich eklatante Schwächen aufweist?
Frau Luna, Berlin: Schlechtes Gewissen? Keine Spur!
Frau Luna ist ein typischer Herbert-Fritsch-Abend geworden, will heißen ungemein unterhaltsam und unter der lustigen Oberfläche nicht ohne verborgene Komplexität: albernd kalauernde Slapstickorgie mit wunderschönen Bildern (die zum Bühnenhimmel auffahrende Frau Luna!), Operetten-Dekonstruktion, die alle gängigen Unterhaltungsmechanismen ebenso offenlegt wie sie selbige genüsslich ausschlachtet, post-Freudsche Vorführung des Sexualtriebs als Ventil und Antriebsfeder bürgerlicher Etikette. Wie so oft funktioniert der Abend, wenn man all dies mitdenkt, entdeckt, reflektiert – oder auch, wenn man einfach nur Spaß hat. Das mag für machen Verfechter theatralen Tiefgangs gegen das Fritschsche Theater sprechen oder man sieht es einfach als Rückkehr des Theaters als in erster Linie Unterhaltungsmedium. Theater darf Spaß machen, es darf unterhalten und amüsieren, es darf die Lacherdichte zu einem Kernkriterium seines Erfolgs machen. Bei Herbert Fritsch tut es das und es funktioniert noch immer ganz prächtig. Schlechtes Gewissen? Keine Spur!

Komplette Kritik: http://stagescreen.wordpress.com/2013/06/22/wo-die-sterne-hagelvoll-sind/
Frau Luna, Berlin: Ritterschlag von Linckes Erbwalterin
Lieber Felix,
mit vielleicht nicht ganz der gleichen, aber doch sehr vergleichbarer Berechtigung könnte man fragen, warum z.B. jemand überhaupt in so eine Premiere geht und sich dann hier darüber auslässt, der nach eigenem Bekunden bisher schon "alle Arbeiten von Fritsch an der Volksbühne [...] belanglos, dumm und langweilig" fand. Das Problem solcher wie auch der professionellen Kritik ist doch ihre zumindest unterschwellig behauptete "Objektivität", die nichts als Arroganz ist. Wenn es mich kalt lässt, obwohl das Publikum ringsum sich offenbar mehrheitlich bestens amüsiert, bin ich im Zweifelsfall halt der Einzige, der den Bluff durchschaut hat, und alle anderen sind doof. Dazu kommt die Frage des Bewertungsmaßstabs: natürlich kann sich auch ein Fritsch nicht mit jedem neuen Projekt immer wieder selbst übertreffen, da sind früher oder später Enttäuschungen vorprogrammiert, aber ich behaupte mal, hätte es die "Fliege" und "Murmel Murmel" nicht gegeben, würde man die "Luna" als Theatersensation feiern. Obendrein scheint auch die Musik ein Problem zu sein: Sprechtheaterpuristen fühlen sich davon eher belästigt, weil die Dramaturgie und der "flow" dadurch gestört werden, während Musiktheateranhänger gerade den zu "freien" (wahlweise auch "feigen" oder respektlosen) Umgang mit der Originalpartitur bemängeln. "Paul Lincke würde sich wohl im Grabe umdrehen", war irgendwo zu lesen. Nun, die immerhin schon 88-jährige, aber immer noch sehr fitte und auf Werktreue bedachte Erbwalterin seines Nachlasses, Großnichte und letzte lebende Lincke-Nachfahrin, saß auf Einladung des Verlags in der ersten Reihe direkt hinter den Musikern und fand's "völlig in Ordnung", sprach von "gekonntem Klamauk" und ließ es sich nicht nehmen, dem Regisseur anschließend zu dem gelungenen Abend zu gratulieren - obwohl es ziemlich lange dauerte, bis der sich nach viel gutem Zureden endlich bei ihr blicken ließ. Das sollte als Ritterschlag genügen.
Frau Luna, Berlin: Ansammlung von Macht
@barney - sie scheinen der Auffassung zu sein, dass unabhängiger Journalismus immer mit Arroganz verbunden ist. Da bin ich nicht ihrer Meinung. Mir ging es übrigens darum, um dies noch einmal zu wiederholen, die Unabhängigkeit von Frau Wahl in Zweifel zu ziehen. Sie saß gleichzeitig in der Jury des Theatertreffens, des Hauptstadtkulturfonds, schreibt für den Tagesspiegel und Theater heute. Das ist einfach eine Ansammlung von Macht, die ich für ungut halte. Ihre fast ausnahmslos positive Kritik, die im Tagesspiegel zu Frau Luna veröffentlicht wurde, hat mir das noch einmal in deutlicher Weise vor Augen geführt. Fritsch und Wahl, das ist keine Verbindung von Theater und unabhängiger Kritik, dass ist die Unternehmung, eine Marke in die Theaterlandschaft schlagen zu wollen und diese zu zementieren. Im übrigen möchte ich noch einmal erwähnen, dass ich die Fliege und Murmel für zwei sehr gute Abende halte - dies nur falls sie mich in die Ecke des Hochkulturidioten stellen möchten.
Frau Luna, Berlin: Flops bejubeln?
@ 6 & 9:
Lieber Felix,
was wäre gewonnen, wenn der Tagesspiegel einen Fritsch-Hasser zur Rezension geschickt hätte?

Lieber Sich Fragender,
wollen Sie sagen, nur wer Flops bejubelt, "schaut noch wirklich hin" und "registriert Veränderungen"?
Frau Luna, Berlin: Wer geschickt werden sollte
@ guttenberg - ich hätte jemanden geschickt, der nicht in der Jury des Theatertreffens sitzt, wo Fritsch mehrmals eingeladen war. Würde ich als selbstverständlich erachten. Aber der Kulturteil im Tagesspiegel ist sowieso nicht mehr das, was er mal war.
Frau Luna, Berlin: im Vorhinein
@ 13

Nein, wie kommen Sie darauf? Mir ging es darum, dass nur einige der Kritiker differenzieren, was bei "Frau Luna" (auch meiner Meinung nach) dieses Mal nicht funktioniert. Viele andere schreiben ihre Kritiken offenbar schon "im Vorhinein", nach dem Motto "Sieht oberflächlich nach Fritsch aus, Fritsch ist ja irgendwie Kult, Publikum jubelt, Super Sache. Fertig".

Diese Theatertreffen-Jury-Diskussion finde ich, nebenbei bemerkt, völlig uninteressant...
Frau Luna, Berlin: Gedankenexperiment
Spannende Argumentation! Angenommen ein Kritiker sitzt 5 Jahre in der Theatertreffen-Jury, dann gäbe es, wenn man Ihren Gedanken folgt, zwischen 40 und 50 ThatermacherInnen, über die er oder sie nie mehr mehr schreiben darf. Das wird wohl schwierig sein, der Redaktion klar zu machen ...
Frau Luna, Berlin: rechthaberisches Rumtrampeln
@felix: Sorry, da habe ich mich missverständlich ausgedrückt. Bei der Arroganz ging es mir um ein Problem der Kritik ganz allgemein, von "immer" war gar nicht die Rede, und das Thema "unabhängiger Journalismus" halte ich in dem Zusammenhang ohnehin für ein vorgeschobenes Argument, das quasi "über Bande" auf die Person des Regisseurs zielt und nicht auf sachliche Auseinandersetzung mit seiner Arbeit. Tatsache ist, dass äußerst wohlwollende bis (im Falle der taz fast schon übertrieben) begeisterte Reaktionen auf die Premiere den Pressespiegel - incl. einiger hier nicht verlinkter Radiorezensionen von inforadio bis Bayern 2 - klar dominieren. Selbst der chronisch schlecht gelaunte Manuel Brug erlebte (wie der weit überwiegende Teil des Publikums, mich eingeschlossen) bei allen Einwänden im Detail "hochvergnügliche zweieinhalb Spielstunden". Natürlich kann man das auch ganz anders sehen, aber eine kleine pointierte Begründung dafür wäre in jedem Fall hilfreicher als ein paar pauschale Gehässigkeiten, die sich auf die bloße Behauptung totalen Scheiterns beschränken. Woher kommt dieser Vernichtungswillen, warum ist ein möglicherweise etwas matter als gewohnt glänzender Erfolg gleich ein "Offenbarungseid"? Welches Vokabular wollt ihr denn aus der Waffenkammer holen, sollte H.F. wirklich mal einen richtigen "Flop" produzieren? Mir scheint, hier wird "unabhängige Kritik" mit einem Freibrief für undifferenzierte Pöbelei verwechselt. Fr. XY lobhudelt aus unlauteren Motiven? Na sowas, wo genau liegt sie denn falsch und warum, welche "eklatanten Schwächen" hat sie (vorsätzlich?) übersehen? DAS könnte interessant sein, interessanter (und ernstzunehmender) jedenfalls als dieses rechthaberische Rumtrampeln auf Luftblasen.
Frau Luna, Berlin: Realitätsverzerrung
@barney - Berliner Zeitung, Faz und Deutschlandradio sind gute Kritiken? Sie leiden wohl unter Realitätsverzerrung. Leider verstehen sie auch nicht, worauf ich hinaus will. Es geht mir gar nicht um Fritsch. Deswegen ist dies auch keine Pöbelei über Bande. Ich hab es jetzt mehrmals geschrieben. Diese teilweise korrupte Berliner Theaterkritik geht mir auf die Nerven. So etwas würde es nicht mal in der Politik geben. Da hätte man sofort ein paar kritische Stimmen, wenn sich Macht in der Weise konzentriert wie bei Frau Wahl. Aber schmusen sie nur weiter miteinander. Mich amüsiert es.

@16 - kein Kritiker sollte fünf Jahre in einer Jury sitzen. Am besten gar kein Kritiker in irgendeiner Jury.
Frau Luna, Berlin: offensichtlich unsinnig
@felix: Worauf sie hinaus wollen, ist (um die von Ihnen, nicht von mir erwähnte Berliner Zeitung zu zitieren) völlig schnuppe, so lange es nichts mit der hier besprochenen Inszenierung zu tun hat. Und dass es Ihnen darum nicht geht, habe ich inzwischen sehr gut verstanden. Ansonsten habe ich lediglich von einem dominierenden Meinungsbild gesprochen. Dass die von Ihnen genannten drei Beispiele diesem Meinungsbild nicht entsprechen, räume ich gerne ein, habe auch nie etwas anderes behauptet und messe dem auch keine große Bedeutung bei. Wenn z.B. der Rezensent des Deutschlandfunks noch nicht einmal den Unterschied zwischen einem Tenor und einem Bariton zu kennen scheint, kratzt das (trotz Lob für den Sänger) schon erheblich an der Autorität seines Urteils - besonders wenn er sich zu offensichtlich unsinnigen Behauptungen wie der versteigt, dass "vom Original kaum eine Note" übrig bliebe, wo doch jeder, der Ohren hat, hören kann, dass in den Melodien wirklich jeder Ton (sofern vom Sänger sauber getroffen) Original-Lincke ist. Die Neigung zur Realitätsverzerrung würde ich eher dort diagnostizieren. Um mich müssen Sie sich diesbezügliche keine Sorgen machen. Trotzdem danke dafür!
Frau Luna, Berlin: Liste
Hier noch einmal zur Veranschaulichung die Liste der Kritiken von Wahl über Fritsch im Tagesspiegel der letzten zwei Jahre:

30.6.11 - Christine Wahl über die Spanische Fliege im Tagesspiegel
26.9.11 - Christine Wahl über Emilia Galotti im Tagesspiegel
03.2.12 - Christine Wahl über Puntilla im Tagesspiegel
30.3.12 - Christine Wahl über Murmel Murmel im Tagesspiegel
20.6.13 - Christine Wahl über Frau Luna im Tagesspiegel

in Theater Heute gibt es auch noch einige Artikel von Frau Wahl über Fritsch! (...)
Frau Luna, Berlin: Berufsethos
Na ja, Herr Laudenbach ist dem Fritsch Kult auch nicht auf den Leim gegangen. Die Kritik ist absolut richtig. Das versöhnt doch etwas. Die SZ hat halt doch noch ein anderes Berufsethos als der Tagespiegel. Sie ist halt kritisch und unabhängig.
Frau Luna, Berlin: wie ungehörig!
@20

Frau Wahl hat Theaterrezensionen geschrieben? Als Theaterkritikerin? Wie ungehörig! Merken Sie eigentlich noch etwas?

@21
Einer Kritikerin, mit der Sie nicht übereinstimmen, mangelndes Berufsethos, fehlende Unabhängigkeit und gar Bestechlichkeit vorzuwerfen, bedarf keines weiteren Kommentars.
Frau Luna, Berlin: schlechtes Stück?
Vielleicht ist "Frau Luna" mit ihrem ranzigen Berlin-Patriotismus einfach ein schlechtes Stück.

Hätte Fritsch Josef Jarnos "Försterchristl" inszeniert mit einer Titelheldin, die statt mit Männern lieber ein Verhältnis mit ihrem Reh Hansi hat, wäre das bestimmt ein irrsinnig komischer Abend geworden.

@5: Also mir war Koskys "Ball im Savoy" einfach zu privat. Da kann ich auch gleich auf den CSD gehen. Fritsch hat einen Stil, eine eigene Sprache. Kosky kupfert einfach nur die Szene ab, bzw. lässt seine Boys and Girls auf verrucht machen, wie es ihnen gefällt. Ich find "Frau Luna" auch nicht gerade gelungen (bis auf den hinreißenden Steppke und die Pusebach). Der scheiternde Fritsch gibt mir aber wesentlich mehr als der routinierte Kosky. Dabei möchte ich betonen, dass ich Koskys Zauberflöte, Orfeo, Kiss me, Kate hinreißend finde. Nur Ball im Savoy eben nicht (bis auf die Zwierko und Mehrling).
Frau Luna, Berlin: Sommerloch
sind in berlin schon theaterferien ?
hier wird ja emsig und hysterisch das sommerloch gestopft....
Frau Luna, Berlin: echte Unabhängigkeit
Gunnar Decker meint übrigens im ND: "Noch nie stand Fritsch so wie hier bei 'Frau Luna' in Gefahr, dass die kühlen Distanzen, die raffinierte Montagetechnik, mit der er Perspektiven verändert und die verschiedenen Grade von Künstlichkeit herstellt, vom amüsierwütigen und Berlin-Kolorit konsumierenden Publikum schlicht nicht bemerkt werden." Das nenne ich doch mal ein Zeichen echter Unabhängigkeit: die Inszenierung zu rühmen und dem ebenfalls jubelnden Teil des Publikums dann trotzdem noch eins auf die Zwölf zu geben, weil man Grund zu der Annahme hat, diese Deppen applaudierten aus den falschen Gründen. Da muss man auch erst mal drauf kommen.
Frau Luna, Berlin: legitim
lieber barney,
respekt, du musst ja saugute ohren haben oder ein echter linke-experte sein, um eine komplette harmonische analyse des abends ablegen zu können. ich bin nicht so bewandert, habe aber den eindruck der radiokritik verstehen können, nämlich sinngemäss so, dass ingo günther es doch schaffte, aus den sehr angestaubten operettenhits etwas zeitgemässes zu arrangieren, was überrascht hat. wenn es dir nicht so ging, ist das legitim.
Frau Luna, Berlin: subtiler einfädeln
Ich verstehe ja, dass ihr eure Fritsch-Kritikerin nicht in die Pfanne hauen wollt. Wer beißt schon in die Hand, die einen füttert? Aber man muss schon die Fakten und damit die Systematik anerkennen, wenn es in einer wichtigen Berliner Tageszeitung eine Konzentration von Meinung zu einem bestimmten Künstler gibt, und gleichzeitig dieser Künstler durch u.a. die selbe Person auf einem der wichtigsten deutschsprachigen Theaterfestivals zum Kult erhoben wird. Vier Einladungen zum TT in kürzester Zeit. So eine Entscheidung muss man natürlich legitimieren. Am einfachsten geht das, wenn ich das selbst mache. Der Springer Verlag und die CDU funktionieren übrigens nach dem selben Muster. Nur ist das Ganze dort etwas subtiler eingefädelt.
Frau Luna, Berlin: Komplimente
Lieber bartleby,
im Kontext der insgesamt doch ziemlich negativen Bewertung durch Herrn Spreng, der an anderer Stelle auch davon spricht, der Aufführung ginge "in den Untiefen der belanglosen Partitur" (welche meint er denn da?) die Puste aus, wäre mir nicht in den Sinn gekommen, er könnte das als Kompliment gemeint haben. Hatte übrigens lediglich geschrieben, dass in den MELODIEN jeder Ton Original-Lincke ist. Zu behaupten, dass dies in harmonischer Hinsicht auch stimmt, so weit würde ich nicht gehen, rhythmisch sowieso nicht, aber dafür, dass angeblich "kaum ein Ton übrig" ist, finde ich bei aller Freiheit der Bearbeitung doch noch ziemlich viel vom Wesen des Originals bemerkenswert intakt. Darin liegt ja gerade die Leistung von Ingo Günther und seiner Tuppe, etwas überraschend zeitgemäßes arrangiert zu haben, OHNE die Vorlage dafür komplett zu opfern. Dass der Kritiker das auch so sieht, kann ich in seinem Text nicht wirklich erkennen.
Frau Luna, Berlin: welch Überfülle
Lieber felix, was hat Ihnen Herr Fritsch eigentlich getan, dass sie derart abstruse Verschwörungstheorien zusammenbasteln müssen, um zu erklären, dass es möglicherweise Leute gibt, die ahnung von theater haben und trotzdem Herbert Fritsch für einen guten Regisseur halten. Aber Ihre Meinung ist ja bekanntlich maßgebend und wer von ihr abweicht, muss zwangläufig niedere Beweggründe haben. Und dann auch noch das Wort Fakten einzusetzen, um das eigene Paralleluniversum zu adeln, ist sogar irgendwie putzig.

PS: Wie viele Theaterkritiker hat der Tagesspiegel? 2 (Wahl und Schäfer) plus hin und wieder bei besonderen Projekten noch Patrick Wildermann? Bei dieser Überfülle kann es ja nicht mit rechten Dingen zugehen, dass Frau Wahl wiederholt Fritsch-Inszenierungen bespricht.
Frau Luna, Berlin: zu wenig Meinungsvielfalt
Lieber Herr Krieger, auch noch einmal für sie, damit sie mich verstehen und nicht weiter Argumente auf etwas einfache Weise verkürzen. Ich halte Fritsch für einen guten Regisseur. Die Fliege und Murmel Murmel für gute Inszenierungen. Ob er allerdings deswegen vier Mal zum Theatertreffen kommen musste, um damit mindestens drei andere gute Inszenierungen zu verdrängen - ich glaube nicht. Frau Luna halte ich für keine besonders gute Inszenierung. An der Kritik von Frau Wahl ist mir der Wille zum Kult aufgefallen. Beim Lesen ihrer Kritik habe ich das Gefühl, man will mich für dumm verkaufen. Es entstand bei mir der Eindruck, dass damit ein Status zementiert werden soll - unabhängig davon, was der Fall ist. Und darauf reagiere ich allergisch. Schauen sie sich doch mal um. Überall, wo Fritsch auftaucht, ist Frau Wahl mit hysterischem Lob nicht weit entfernt. Die Liste der Kritiken von oben sind Fakten, darüber müssen sich sich nicht mokieren. Schauen sie auch in "Theater Heute" nach, oder auf der Goethe Seite. Wer hat dort das Porträt zu Fritsch geschrieben? Natürlich Frau Wahl. Ich mache mich hier stark für eine differenzierte, unabhängige Rezensionskultur. Leider sehe ich diese immer mehr in Gefahr. Warum haben sie denn nicht im Tagesspiegel über Fritsch schreiben dürfen? Warum gibt es so wenig Meinungsvielfalt in der Theaterrezensionslandschaft?
Frau Luna, Berlin: Meinungsmonopol
ich bin doch sehr überrascht von ihnen, da ich ihre einwürfe sehr schätze. sie wollen doch nicht ernsthaft versuchen felix in eine verschwörer ecke zu stellen. ich kann felix sehr gut verstehen. bin zwar kein tagesspiegel leser, doch wenn sie sich überlegen, wie oft bzw. immer herr stadelmeier über frau breth oder herrn bondy schreibt und ausnahmslos hymnen, da verstehe ich schon, daß es einfach ein geschmäkle hat, wenn wer auch immer frau wahl hin oder her, quasi ein monopol bzw eine meinungshoheit über einen regisseur existiert. meistens ist es doch so, daß auch der kritiker, wie der zuschauer bei geliebten künstlern seine rosa brille aufsetzt. tue ich auch, ist normal.
Frau Luna, Berlin: kontroverses Echo
Angesichts des (da muss ich eine frühere Einschätzung korrigieren) insgesamt ziemlich kontroversen Presse-Echos auf die "Luna" von Befürwortern wie Frau Wahl über Differenzierende wie Herrn Laudenbach bis zu Verreißern wie Herrn Pilz muss man sich über die Meinungsvielfalt in der Theaterrezensionslandschaft wohl nicht übermäßig sorgen. Und dass jemand eine "differenzierte Rezensionskultur" einfordert, dem zum Stück selbst nichts weiter als das Wort "Offenbarungseid" (inzwischen abgeschwächt in "keine besonders gute Inszenierung") einfällt und dies allein durch die Tatsache für hinreichend begründet hält, dass Fr. W. anderer Ansicht ist, hat fast schon den Aberwitz einer Fritsch-Inszenierung.
Frau Luna, Berlin: Berliner Rezensionskultur gar nicht so arg
Lieber felix, danke für Ihren letzten doch sehr differenzierten Beitrag - wenn Sie depolemisieren, tue ich das auch gern. Ich stimme allerdings Barney bei, dass es um die Rezensionskultur in Berlin so schlecht nicht bestellt ist. Sowohl die Kritik von Herr Pilz als auch die von Frau Wahl sind m.E. gute Beispiele fundierter Theaterkritik, von einem Hochjubeln oder gar einer kultischen Bewunderung Fritschs kann ich bei Christine Wahl nichts erkennen. Dass man bei 2 festen Theaterkritikern einer Zeitung die Regisseure möglicherweise aufteilt, ist ebenfalls nachvollziehbar, ob es klug ist, lasse ich dahingestellt, tiefergehende Motive sehe ich hier nicht am Werk. Was die Theatertreffeninladungen angeht, sehe ich alle eingeladenen Fritsch-Inszenierungen als zu den jeweils 10 bemerkenswertesten des Jahres gehöroig an - warum sollte man sie dann nicht einladen. Zadek war über Jahre hinweg fast jedes Jahr dabei, auch Peymann, in den letzten Jahren hatten Leute wie Stemann, Kriegenburg, Kimmig oder thalheimer solche Phasen, ich sehe darin nichts Verwerfliches. Ich bin sicher, dass Frau Luna keine einladung erhält, das schafft auch (...) Wahl nicht, die a) nur eine von 10 Stimmen in der Jury hat und b) nächstes Jahr gar nicht mehr dabei ist. Man kann mit Frau Wahl übereinstimmen oder nicht, einen Grund , ihr Undifferenziertheit, Unprofessionalität oder mangelnde Distanz vorzuwerfen, sehe ich nicht.
Frau Luna, Berlin: streitwürdige Arbeiten
hier geht es nun beiträgeweise um die subjektive meinung einer sehr wohl verdienten berliner kritikerin, meine güte, die herren, beruhigen sie sich. herbert fritsch und sein team legen eine arbeit nach der anderen vor, die streitwürdig und aussergewöhnlich sind, das kann man akzeptieren, ob man die arbeiten mag oder nicht. kontrovers werden sie ohnehin diskutiert und das entscheidende findet doch an der theaterkasse statt, oder?
Frau Luna, Berlin: Zuschauerzahlen
@ Bartleby: Ach so? Es geht also nur um die Zuschauerzahlen bzw. um's Geld? Schön, dass es Fritsch bzw. der Volksbühne in der Hinsicht gut geht. Und manche Dinge sind aber eben auch einfach nicht über's Geld zu regeln! Die globale Marktwirtschaft ist ja auch etwas anderes als Demokratie von unten.
Frau Luna, Berlin: freuen & ärgern
Nein, es geht nicht ums Geld, sondern um die Zuschauer, heißt, Menschen, die sich damit auseinandersetzen, sich freuen oder ärgern, etwas mitnehmen oder nicht. Das Konzept "Mensch" ist Ihnen bekannt, oder?

Ansonsten stimme ich bartleby vollumfänglich zu und bin raus :-)
Frau Luna, Berlin: Köpfe zusammenstecken
@33
hier geht es nicht um 'subjektive Meinung' (gibt es objektive Meinung?) sondern um Meinungskonzentration=Macht. Aber lassen wir das. Sie wollen oder können nicht verstehen. Es ist auch alles dazu gesagt. Lassen wir den Tagesspiegel in dem Sumpf, in dem er sich wohl fühlt, und die Kritiker mögen auf den Premierenfeiern weiterhin ihre Köpfe zusammenstecken: Top oder Flopp - was meinst du?
Frau Luna, Berlin: immer besser
Ein großer Spaß. Habe mich köstlich amüsiert. Es wird nach hinten immer besser.
Frau Luna , Berlin: bloß polemisch
@Sascha Krieger (Beitrag 33):
Also ehrlich gesagt sehe ich auch in der Rezension von Herrn Pilz nicht unbedingt "ein gutes Beispiel fundierter Theaterkritik".
Denn erstens kann ich die Logik seiner Schlussfolgerung nicht nachvollziehen, nur weil sich Fritsch gegen eine bestimmte "Vorliebschaft für das Tiefe, Ernste, Große" im Berliner Theaterbetrieb stemme (was ja richtig ist), sei die Inszenierung "für nichtbetriebliche Zuschauer völlig schnuppe." Wenn man dem folgt, könnte man jedwede künstlerische Entwicklung, die sich deutlich genug von bis dato vorherrschenden Trends abgrenzt, als für das Publikum unerheblichen "innerbetrieblichen" Grabenkampf abtun.
Und zweitens wäre der zugrundeliegende Vorwurf der "herausgebrüllten Andersartigkeit" mit dem gleichen Recht gegen sämtliche Fritsch-Produktionen an der Volksbühne zu erheben, wenn man - wie Herr Pilz (augenscheinlich...) - auf einer grundsätzlich anderen Humorschiene unterwegs ist. Über die konkret besprochene Aufführung ist damit so gut wie nichts gesagt, außer dass der Kritker eben nicht sonderlich amüsiert war. Weil er aber weiß, dass von ihm erwartet wird, seine Ablehung irgendwie zu begründen, tut er genau das, was er der Inszenierung vorwirft: Er "stellt Pappfiguren auf, um sie mit Wucht umrennen zu können." Eine bloß polemisch in den Raum gestellte Behauptung kann allerdings keine wirklich "fundierte Kritik" ersetzen, zumal wenn sie (siehe erstens) so wenig überzeugend hergeleitet wird.
Frau Luna, Berlin: im Text
Sie lesen nicht richtig: Pilz sagt, anders als sonst bei Fritsch, als bei Murmel zum Beispiel, ist dieser Abend nur innerbetrieblich relevant, und er kontert die Operette mit Mitteln der Operette, so steht es im Text. Das halte ich für richtig und ein gutes Argument. Um das neue generell geht es gar nicht. Pilz unterscheidet eben, mumel gut, Luna nicht. Find ich richtig.
Frau Luna, Berlin: verräterisch
@40: Murmel gut, Luna nicht, aber WARUM? Womit könnte man Murmel überhaupt vergleichen? Warum nur "innerbetrieblich relevant"? Und versucht denn überhaupt jemand, die Operette zu "kontern", zu "zerklopfen", oder wird da nicht auch wieder nur eine falsche Erwartung als Absicht unterstellt, um dann deren Nichteinlösung reklamieren zu können? Warum darf die Operette nicht einfach Operette bleiben? Das Wort "Operettenstaub" ist da ja durchaus verräterisch. Es geht hier aber gar nicht darum, ein Genre bloßzustellen und der Lächerlichkeit preiszugeben, sondern im Gegenteil, sich ihm lustvoll und spielerisch anzunähern. Vielleicht liegt dort das Missverständnis? Wie auch immer, mir ist dabei zu viel unbelegte Behauptung und zu wenig argumentative Substanz.
Frau Luna, Berlin: was das Theater lebendig hält
ich war in der letzten LUNA vorstellung, schon ganz verschreckt wegen dieser forumseinträge und diese war voll, restlos ausverkauft, beste stimmung war zu verzeichnen, auch in dieser hinsicht, dass beim klassiker "das ist die berliner Luft" eine rentnergang laut buhte und den saal verliess....am ende befand ich mich in einem applausrausch - um mich ging die post ab - wie ich es selten im theater erleben durfte. das ist doch das, was theater lebendig hält und die relevanzfrage ganz einfach beantwortet.
Frau Luna, Berlin: zirkusverdächtig
am mittwoch war es dann so weit, ich war in LUNA, hab sogar erstaunlicher weise für ein FRITSCH-spektakel eine karte bekommen und hatte einen wahnsinnsspass....die musik ist toll in neuem kleid, das ensemble ist zirkusverdächtig artistisch, ein kalauer jagt den nächsten sprachwitz und am ende haben sich alle überschlagen vor freude....darsteller und publikum....ich hab nur leider diese ohrwürmer mit genommen und krieg die nicht mehr raus.....HILLLFFFEEEEEE!
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