Im Intrigantenstadl

von Dennis Baranski

Mannheim, 21. Juni 2013. Er ist ein Parvenü par excellence: Mit dem verantwortungsbewussten Amtmann, der er vorgibt zu sein, eint Selicour nur wenig. Auf Kosten anderer erschlich er sich Posten und Einfluss – und nun eröffnet er gar die 17. Internationalen Schillertage. "Der Parasit oder Die Kunst sein Glück zu machen" bescherte dem Theaterfest zu Mannheim einen ebenso leichten wie willkommenen Auftakt. Regisseur Stefan Bachmann versetzte Friedrich Schillers Lustspiel nach Louis-Benoît Picard um einen machthungrigen Opportunisten als Koproduktion des Staatsschauspiels Dresden mit dem Nationaltheater Mannheim in einen klischeebesetzten Beamtenapparat der siebziger Jahre.

Beispielloser Karrierist

Dass Selicour, der "Parasit", eine steile Karriere hinlegt und sich bis in den engsten Beraterstab des Ministers Narbonne hinaufscharwenzelt, fordert freilich auch Opfer – und eines davon meldet sich alsbald lautstark zu Wort. La Roche, ehemaliger Schulkamerad Selicours, weiß um die Umstände seiner Entlassung, schließlich setzte der beispiellose Karrierist persönlich seinen Nachfolger ein. Nun sinnt der Geschasste auf Rache, will den janusköpfigen Intriganten entlarven, indem er ihn mit seinen eigenen Intrigen-Waffen schlägt.

Doch das reichlich unbeholfene Engagement verhilft dem erklärten Feind zunächst zu einem weiteren Karrieresprung: Die begehrte Gesandtenstellung, gar die Hand der schönen Minister-Tochter Charlotte (Ines-Marie Westernströer als verschüchterte Naive) werden ihm offeriert. Als Steigbügelhalter wirkt dabei durch seine tüchtige Arbeit nicht nur der tugendhafte und bescheidene Angestellte Firmin (Lars Jung), sondern auch dessen in aussichtsloser Liebe zu Charlotte entbrannter Sohn Karl (Matthias Luckey) mit seiner Dichtkunst – beides weiß Selicour zu seinem Vorteil zu nutzen, um sich bei Minister und Töchterlein einzuschmeicheln. Am Ende aber obsiegt die Gerechtigkeit.

Besinnliche Bürokraten und tausend Fratzen

Lediglich eine schmale Szenenfläche aus zwei raumhohen, geschlossenen Drehkreuzen lässt Olaf Altmanns gelungene Bühnenkonstruktion den Schauspielern übrig, flankiert von einem massiven schwarzen Portal, das den Rechtschaffenen reichlich Schatten bietet. Dort ist Firmin gern, in der Dunkelheit, wo er frei von Ambitionen seinem untadeligen Pflichtbewusstsein nachkommen kann. Die bürokratische Besinnlichkeit findet jedoch mit den energiegeladenen Wutausbrüchen Torsten Ranfts als La Roche ein jähes Ende: Herrlich grimassierend und mit hochrotem Kopf tobt sich dieser früh zum Publikumsliebling – und wird es auch bleiben.

Denn Bachmann lässt vor allem den beiden Kontrahenten spielerische Gestaltungsräume, dem Rest des durchweg engagiert agierenden Ensembles legt er enge Fesseln an. Ihre Figuren scheinen als kleinkarierte, mehrfach überzeichnete Karikaturen in geradezu mechanischen Bewegungsabläufen gefangen, während Ahmad Mesgarha in der Titelrolle die ihm zugestandene Freiheit aufs Trefflichste nutzt. Sein Selicour windet und biegt und krümmt sich, er kennt tatsächlich tausend Gesichter – und mindestens genau so viele Fratzen.

parasit4 560 david baltzer hSplitterfasernackt am Pranger: Ahmad Mesgarha als "Parasit" Selicour. © David Baltzer

Den Kopf im Schoß des Ministers

Betont künstlich zeichnet der konsequente Regieansatz die Idee des Einerleis eines Beamtenalltags und schafft Distanz auf gleich mehreren Ebenen: Bachmann lässt die Schauspieler den Text regelrecht herausstelzen und alle erdenklichen Bürohocker- und Speichellecker-Stereotype durchexerzieren, dazu zitiert er pathetische Theater- und Filmposen. Im ersten Teil allerdings erschöpft sich dieser Zugriff der überbetonten Witzigkeit, des Karikierens von Karikaturen, rasch und droht leerzulaufen.

Lässt er Schiller zunächst noch nahezu ungestrichen spielen, kürzt Bachmann in der zweiten Hälfte behutsam und findet für mehrere Situationen bestechend triftige Bilder, wenn etwa der schlaksige Philipp Lux als Minister Narbonne und Thorsten Ranfts La Roche sich auf dem Boden eng umschlingen, während sie vereint gegen Selicour intrigieren. Oder wenn Mesgarhas Selicour, den Kopf in den Schoß des Ministers gepresst, dessen Beine umklammert und sich der Entlarvung zu entwinden sucht. Bachmann bedient sich am gesamten Repertoire des Komödienfachs, streut Slapstick-Elemente und Running Gags ein und macht sich über die zugrundeliegende Komödie selbst lustig. Der Abend hat zwar manche Länge, erreicht die Zuschauer jedoch über sein enormes Spaßpotential.

Am Schluss allerdings wird doch noch knallhart ernst gemacht: "Die Gerechtigkeit ist nur auf der Bühne", heißt es bei Schiller. Und wohltuend darf man von dieser kosten, wenn der überführte Betrüger splitterfasernackt an den Pranger gestellt und durch den gesamten Saal getrieben wird. Das Publikum ist's zufrieden.

 

Der Parasit oder Die Kunst sein Glück zu machen
von Friedrich Schiller
Regie: Stefan Bachmann, Bühne: Olaf Altmann, Kostüm: Barbara Drosihn, Dramaturgie: Felicitas Zürcher, Musik: Sven Kaiser.
Mit: Hannelore Koch, Ines Marie Westernströer, Christian Clauß, Benjamin Höppner, Lars Jung, Matthias Luckey, Philipp Lux, Ahmad Mesgarha, Thorsten Ranft.
Dauer: 2 Stunden 45 Minuten, eine Pause
Staatsschauspiel Dresden in Koproduktion mit den 17. Internationalen Schillertagen / Nationaltheater Mannheim

www.schillertage.de
www.staatsschauspiel-dresden.de

 

Kritikenrundschau

Von einem"brillanten Abend" spricht Bettina Schulte in der Badischen Zeitung (24.6.2013). Stefan Bachmanns "vorzügliche" Inszenierung beschränke sich mit der großer gestischer Genauigkeit auf die genuinen Mittel des Theaters: zwar spitze er die Komödientypologie der Figuren sehr zu. Trotzdem würden die Figuren niemals der Lächerlichkeit preisgegeben: "Denn nur so, als Menschendarsteller, könne die Schauspieler ihr Können entfalten." Und das tut das "fabelhafte Ensemble" der Kritikerin zufolge auch mit großer Lust und Wucht.

Einmal mehr erweise Stefan Bachmann sich als exzellemter Handwerker, schreibt Ralf-Carl Langhals auf dem Internetportal Morgenweb der Zeitung Mannheimer Morgen (24.6.2013). Der Regisseur lasse die "schroffen Karikaturen des Kommödienpersonals wie in einer Spieldose umeinander kreisen" ohne sie in die Klamotte zu jagen. Das quicklebendige Ensemble gehe diesen Weg "mühelos mit und spiele mit hohem körperlichen Einsatz "nichts anderes als eine funktionierende klassische Komödie. Das hat Seltenheitscharakter."

"Welch ein Labsal, welch ein Spaß, welch eine ausgetüftelte Typen- und Slapstickmaschinerie. Stefan Bachmann, der künftige Kölner Schauspiel-Intendant, zeigt sich in Mannheim als Meister höchst gehobener Unterhaltungskunst", lobt Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau (24.6.2013). Es wimmele von Gags und sich wiederholenden und steigernden Späßen, "Bachmann macht sich über Komödienstrategien lustig und präsentiert sie zugleich in Bestform".

Bachmann mache aus dem Stück eine hübsche Satire über Mobbing, Korruption, Speichelleckerei und fröhliche Brutalität im Intrigantenstadl Büro, so Martin Halter in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (24.6.2013). "Die traditionelle Schillertorte der Konditorei Zorn hat Bachmann sich redlich verdient: Eine gelungene Slapstick-Tortenschlacht zum Auftakt des Betriebsfests."

"Eine fantastische Szenenfolge über die Usancen in einem Ministerbüro. Durch den Regie-Feinschliff Stefan Bachmanns vermag sie besonders schillernd zu funkeln", schreibt Volker Oesterreich in der Rhein-Neckar-Zeitung (24.6.2013). Bachmanns Personenführung gleicht aus Sicht des Kritikers "einer Choreografie, die zur Komödienmechanik der beiden hohen Drehtüren des Einheitsbühnenbildes passt, geschaffen wurde es von Olaf Altmann, der ansonsten meist die Räume für Michael-Thalheimer-Inszenierungen entwirft." Auch die Leistung des Schauspielensembles wird als "überragend" gelobt.

"Das Ende ist ein Schock" für Marion Ammicht von der Süddeutschen Zeitung (28.6.2013). Bis zum Nackt-Spießrutenlauf sei in Bachmanns kluger und witziger Inszenierung "alles leicht und klar". Der Schock bestehe darin, "dass man plötzlich Mitleid bekommt mit diesem niederträchtigen Menschen", der hier als "ein Zauberer, ein Künstler" erscheine, "Musik erklingt jedesmal, wenn er es wieder geschafft hat, in den innersten Sehnsuchtswinkel eines seiner Opfer vorzudringen".

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