Arabischer Frühling als Greenscreen

von Jan Fischer

Hannover, 28. Juni 2013. Ein alter Film, schwarzweiß, sagen wir, Humphrey Bogart und irgendeine femme fatale sitzen im Auto – ist aber egal, wer genau. Sie fahren durch die Stadt, und, klar, man sieht ganz genau, dass sie nicht wirklich Auto fahren, dass sie in in einem stehenden Auto sitzen, hinter dem ein Film eingespielt wird. Behalten wir dieses Bild kurz im Kopf. Es wird noch wichtig.

Womit haben wir es also in "Intimacy" von Omar Abusaada zu tun? Mit einem Psychogramm, hauptsächlich. Der Theaterautor Ayham Aghar und der Schauspieler Yaser Abdellatif spielen auf der Bühne – annäherungsweise – sich selbst, Agha befragt Abdellatif zu seinem Leben. Das Herzstück der Befragungen bildet dabei eine Aufführung von Ibsens "Ein Volksfeind" in Damaskus im Jahr 2008, bei der Abdellatif  mittendrin einfach aufhörte zu spielen. Das Ereignis ist mit einer schnellen Google-Recherche leider nicht nachzuprüfen, vielleicht muss man es als Metapher nehmen.

Psychogramm eines Schauspielers
Wie auch immer, "Intimacy" soll hauptsächlich biographisch sein, kleine Episoden aus Abdellatifs Leben – seine Flucht vor dem Bürgerkrieg aus dem Sudan, sein Schauspielsstudium in Damaskus, seine Hochzeit und die Flucht seiner Frau und seiner Tocher in die U.S.A – werden im direkten Interview mit Alattar erzählt, manchmal zitiert Agha aus Briefen, manchmal stellt er einfach auch nur unbeantwortete Fragen in den luftleeren Bühnenraum.

intimacy2 560 mohammed khayata uIntimes aus einem Künstlerleben in Zeiten der politischen Unruhe © Mohammed Khayata

Bei all dem wird immer auch das Theater mitreflektiert: Welche Rolle es in Abdellatifs Leben gespielt hat, welche Rolle es im Leben seiner Schauspielkollegen spielt, was für eine Generation von Menschen das eigentlich ist, die in Syrien, vor dem Hintergrund politischer Unruhen, in einer ganz allgemein schweren Situation Theater spielen. In der bei weitem ausladensten Aktion reißt Agha die schwarzen Vorhänge von drei Seiten des Bühneraums, so dass die beiden  mitten im grauweißen, nackten Raum sitzen. Das hier, so das deutliche Signal, soll Dokumentartheater sein.

"Intimacy" hat dabei das ein oder andere Problem.  Es ist zuallererst das Psychogramm eines Schauspielers, und Abdellatif verköpert Abdellatif zwar grandios schmierig und größenwahnsinnig, trotzdem entpuppt er sich als eher langweiliger Charakter: Ein mittelmäßig erfolgreicher Schauspieler und Regisseur, größenwahnsinnig, Trinker, ständig auf der Flucht vor irgendwas, ein einsamer Wolf, ein schwieriger, unzuverlässiger Mensch mit minimaler sozialer Kompetenz. Die Künstlerbiographie wird in dem textlastigen Stück zum redundanten Refrain. Im Gegensatz zum extrovertierten Abdellatif gibt Agha den Interviewer eher blass – und bekommt damit sein Gegenüber nie so richtig zu fassen.

Der Weg ist nicht das Ziel
Dazu kommt noch, dass das Stück, positiv formuliert, minimalistisch ist. Nur der Text, zwei Menschen, die ihn nicht spielen sondern eher lesen, sparsamste Bewegungen und Aktionen. Es geht nicht ums Spiel, es geht um die Geschichte. Negativ formuliert könnte man sagen: Es ist die Inszenierung des geringsten Widerstands. Jede Regieentscheidung von Omar Abusaada ist der einfachste, gangbarste mögliche Weg – und damit auch der inszenatorisch uninteressanteste. Am Ende steht dann wenig mehr als eine ambitionierte szenische Lesung.

Und im Hintergrund der ganzen Geschichte rumort eben immer der Bürgerkrieg, der Arabische Frühling, die Unruhen vor sich hin – aber immer zweidimensional, nie ausformuliert, wie dieser bewegte Autohintergrund in alten Filmen: Sie fahren, aber es geht nicht ums Fahren. Der Arabische Frühling als Greenscreen, vor dem sich der Egomane Abdellatif produziert. 

Zugegeben, man könnte sagen: Das ist Programm. Da soll Abdellatif als Anklage hergenommen werden, als Symptom für untätige, uninteressiert Kulturschaffende vor dem Hintergrund umfassender Veränderungen im Land. Da soll einer wie Abdellatif als Finger auf die Wunde der Untätigkeit gelegt werden. Man kann "Intimacy" sicher so lesen, wenn man will – schade nur, dass das Stück immer inhaltlich abdreht, dass genau diese These sich nur hineinlesen lässt, aber auch mit viel gutem Willen kaum heraus.

Intimacy
Regie: Omar Abusaada, Dramaturgie: Mohammad Alattar, Szenografie: Bissane Alcharif.
Mit: Yaser Abdellatif, Ayham Agha.
Koproduktion Festival Theaterformen Hannover/Braunschweig, Ashkal Alwan - The Lebanese Association for Plastic Arts, Sada - Stockholms Dramatiska Högskola

www.theaterformen.de

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