Klaus Amann (Hrsg.): Peter Turrini - Schriftsteller, Residenz Verlag 2007
Nicht mehr an die Kraft des Humanismus glauben
von Hans-Christoph Zimmermann
23. Dezember 2007. Klischees sind immer noch das gängigste Verkaufsargument. Das zeigt sich jetzt wieder an dem Sammelband "Peter Turrini. Schriftsteller". Der Klappenbroschureinband besitzt eine raue Griffigkeit. Auf dem Foto ist der Autor neben seiner Schreibmaschine zu sehen, deren Lettern auch für den Titel verwendet wurden.
Unverkennbar, hier will ein Buch ganz unprätentiös daherkommen und preist seinen Gegenstand als ehrlichen Malocher der Textverarbeitung bzw. Literaturproduktion an. Derart aufs Klischee von Turrini als sozial engagiertem Dramatiker und Dichter des Volkstheaters gestoßen, ist man dann froh, dass die Autoren sich daran gar nicht erst halten.
Angeschärftes Konfliktpotential auch im Hochgebirge
Das Buch "Peter Turrini - Schriftsteller. Kämpfer, Künstler, Narr und Bürger" geht auf ein Symposium zurück, das das Klagenfurter Musil-Institut 2004 zum 60. Geburtstag von Turrini veranstaltete. Die dort gehaltenen Vorträge räumen zunächst mit der These vom Dichter des Volkstheaters auf. Turrinis Durchbruch 1971/72 mit den Stücken "Rozznjagd" und "Sauschlachten" fällt zwar mit der Wiederentdeckung von Ödön von Horváth und Marieluise Fleißer sowie den ersten Erfolgen von Franz Xaver Kroetz und Martin Sperr zusammen. Doch von deren sozialem Einfühlungsillusionismus und humanistischem Pathos ist der Kärtener Autor weit entfernt.
Turrinis Zivilisationsanalyse ist illusionsloser, weil sie im Gegensatz zu Kroetz und Sperr nicht mehr an die Versprechungen des Humanismus glaubt. Der Einsatz der Groteske, des Absurden, des Schocks als Mittel der Entlarvung stellt für die Autoren Johann Sonnleitner und Günther A. Höfler eine Traditionslinie zur österreichischen Posse eines Nestroy und vor allem der Wiener Gruppe um Bayer, Artmann und Rühm her. Das ist zwar nicht ganz neu, aber trotzdem erhellend. António Sousa Ribeiro vertieft diesen Gedanken, wenn er Turrini unter dem Banner der Satire in die Nachfolge von Karl Kraus stellt.
Tiere, Sklaven, Außenseiter
In der Aggression und der Negativität des Satirischen scheint zwar ein utopisches Moment auf. Turrinis Schärfe liegt allerdings darin, dass seine Figuren gerade dann, wenn sie ihre gesellschaftlich versklavenden Rollen abstreifen, als Tier oder Außenseiter eliminiert werden. Natürlich bleibt er dabei immer der "engagierte Autor", der sich mit sozialen, religiösen, politischen Missständen auseinandersetzt. Das zeigen auch die von Monika Meister analysierten Goldoni- und Beaumarchais-Bearbeitungen, in denen Turrini das soziale Konfliktpotential erheblich verschärft und mit Tempo, Pointen, Anachronismen manches aus den frühbürgerlichen Theaterformen der Commedia dell’arte und des Théâtre de la Foire zurückholt.
"Rozznjagd", "Sauschlachten", Goldoni, Beaumarchais – es verwundert nicht, dass sich die Autoren vor allem mit den frühen Stücken auseinandersetzen. Die späteren Werke hätten kritischere Analysen erfordert. Was diesen Band trotzdem lesenswert macht, ist die Tatsache, dass die meisten Autoren sich ihrem Gegenstand von den Rändern her nähern. Da nimmt sich Arno Rußegger der sechsteiligen TV-Serie "Alpensaga" über die Bauernfamilie Huber an, analysiert aber nicht die Filme, sondern Turrinis und Wilhelm Pevnys Drehbücher und macht dabei von grotesk-komischen Szenen, über Cameo-Rollen für die Autoren bis zur lyrischen Rhythmisierung der Handlung erstaunliche Entdeckungen.
Willkommene Lobhudelei
Man findet Beiträge über Turrini als Redner, als Gegenstand von Übersetzungen und, leider etwas schwach belichtet, zu seinem öffentlichen Image. Zum Schluss liefert Herausgeber Klaus Amann ein kleines Glanzstück der biographischen Interpretation, wenn er Turrinis "Bei Einbruch der Dunkelheit" und Thomas Bernhards Roman "Holzfällen" gegenüberstellt.
In beiden Werken geht es mehr oder weniger verklausuliert um den Komponisten Gerhard Lampersberg und seine Frau, die in den fünfziger Jahren auf dem Tonhof Künstler um sich scharten. Mit dabei als dichtende "Dorfskurrilität" der erst 15-jährige Sohn eines italienischen Tischlers, der in dem Hausherrn einen Mentor und in dem Jungautor Thomas Bernhard einen Widersacher findet. Doch anders als Bernhard schreibt Turrini mit "Bei Einbruch der Dunkelheit" kein (selbst)entlarvendes Werk, sondern entwirft einen dramatischen Jahrmarkt der Eitelkeiten, der "unabhängig von Zeit und Ort funktioniert" (K. Amann).
Dass dem Band letztlich der kritische Blick abgeht, mag man bedauern, ist aber dem Anlass geschuldet. Dem Verlag und dem Herausgeber wäre allerdings anzukreiden, dies nicht in einem Vorwort kenntlich gemacht zu machen. Wenn schon gelobhudelt wird, möchte man wenigstens wissen, warum.
Klaus Amann (Hrsg.): Peter Turrini - Schriftsteller. Kämpfer, Künstler, Narr und Bürger. Residenz Verlag 2007. 232 Seiten. 19,90 Euro.
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