Hau ab, Method Acting!

von Wolfgang Behrens

Berlin, 6. September 2013. Ist es eigentlich viel oder wenig, wenn einem von einem Theaterabend vor allem ein Gedanke hängen bleiben wird? Immerhin, ein Gedanke! Sicherlich keiner, der zum ersten Mal gedacht worden wäre – was auch ein bisschen viel verlangt wäre vom Gedanken –, aber doch einer von der Art, der sich durch seine Perspektivumkehrung einprägt, eine geläufige Sichtweise auf den Kopf stellt.

Der Gedanke, den Diskursserientäter René Pollesch in seinem neuesten Diskursserienprodukt "Glanz und Elend der Kurtisanen" an der Berliner Volksbühne hin und her wendet, dreht sich um das Verhältnis von Geste und Selbst. Die derzeit wohl verbreitetste, die gewissermaßen volkstümliche Auffassung besagt, dass da irgendwo ein authentisches Ich ist, das sich in seinen Gesten gefälligst authentisch auszudrücken habe: Ich gestikuliere, also bin ich, und ich zeige, was ich fühle. Pollesch dreht das um: Die Geste ist zuerst einmal Kommunikation, ist Aufführung, ist Rolle – und als solche muss sie mit dem Selbst nicht viel zu tun haben. Vielleicht konstituieren die Gesten ja das Ich mit, vielleicht sind sie ja das Primäre, eines sind sie jedenfalls bei Pollesch nicht und sollen es nicht sein: authentischer Selbstausdruck.

Absage an den Seelenstrip
Diese gedankliche Figur wird in "Glanz und Elend der Kurtisanen" in hundertfältigen Variationen, Abschweifungen und geistreichen Dialogen umkreist, und manchmal wähnt man sich, während man dem abschnurrenden Diskurs lauscht, in der verrauchten Altbau-Küche auf der Party eines Philosophiestudenten, wo so ernsthaft wie verkniffen um Begriffe und Konzepte gerungen wird, als gäbe es hinter dem Zigarettennebel kein Morgen. (Ein Aschenbecher steht auf Bert Neumanns leerer, von einem wunderbar glitzernden Lamettavorhang umsäumter Bühne praktischerweise bereit.)

Ein Lieblingsthema Polleschs, das Verhältnis von Schauspieler und Rolle, kommt dabei natürlich auch nicht zu kurz und fügt sich nahtlos in den Diskurs ein. "Wenn sich eine Schauspielerin noch heulend verbeugt, weil sie annimmt, sie wäre noch in der Rolle", räsoniert etwa einmal Birgit Minichmayr, "da kann man nur sagen, nein, die war in der Rolle auch schon nur sie selbst." Und: "Diese trostlose Leidenschaft, beim Schlussapplaus noch immer erfüllt von der Rolle anzutreten. Warum nicht die Rolle ausziehen und sich überschwänglich und voller Freude in einer anderen verbeugen?" So formuliert, ist das schon eine ziemlich klare Absage an alle Seelenstrips und Innerlichkeitsexzesse auf der Bühne: Method Acting, hau ab!

glanzundelendkurtisanen1 560 leonoreblievernicht hMartin Wuttke und Birgit Minichmayr mit dem Ballonzac © Leonore Blievernicht

Das Gegenmodell setzt auf eine bewusste Äußerlichkeit. Martin Wuttke bringt es einmal auf den Punkt: "Worum geht's denn hier eigentlich? Es geht um die Schönheit der Geste im öffentlichen Raum", um die Arbeit an der "mondänen Geste". Und das Schöne an diesem Abend ist, dass man diese Schönheit sogar sehen kann: Wie Birgit Minichmayr ihre Zigarette abspreizt, wie sie ihren Redefluss mit fast ballettartigen Bewegungen begleitet, wie sie ihren Körper in unglaublicher Spannung hält und dann unvermittelte tänzerische Impulse setzt – das atmet wirklich etwas Mondänes und hat zugleich mit Selbstausdruck herzlich wenig zu tun.

Pas de Deux mit dem Fesselbal(lon)zac

Martin Wuttke hingegen führt eher das Misslingen der schönen Gesten vor: Herrlich, wie er von Eleganz redet und dabei eine elegante Geste auf Kläglichste scheitern zu lassen versteht. Es wird deutlich: Nur die gelungene Geste vermag für Distinktion zu sorgen. Wuttke beherrscht es zudem famos, die Pollesch-Gedanken durch seinen fahrigen, immer wieder von virtuos platzierten Stammlern durchzogenen Vortrag so zu entwickeln, als fielen sie ihm tatsächlich im Moment ein und als leide er förmlich an ihnen. Polleschs theorielastigem Text wird so ein Leben eingehaucht, das ihm leider in der etwas hölzernen Deklamation der drei übrigen Darsteller – Christine Groß, Franz Beil und Trystan Pütter – fehlt. Paradoxerweise kann auch Pollesch-Text nicht auf die großen Schauspieler, die so etwas wie eine Aura von Authentizität zu erzeugen vermögen, verzichten.

Ach so, ja, das Stück heißt doch – wie nochmal? "Glanz und Elend der Kurtisanen", ist das nicht ein Roman von Balzac? Richtig, aber auch wenn ab und an Figurennamen und kurze Romanausschnitte durch die Aufführung geistern, ist das für den Abend im Grunde egal. Pollesch hat in Balzacs Roman eine Welt entdeckt, in der die "mondänen Gesten" noch intakt sind – dieser Anknüpfungspunkt ist von Interesse und sonst nichts weiter. Immerhin hat Balzac dann doch noch einen großen Auftritt, denn irgendwann schwebt plötzlich ein großer Fesselballon auf die Bühne (mit dem Martin Wuttke einen ziemlich grotesken Pas de deux tanzt), auf dem die Buchstaben ZAC stehen. Offensichtlich der BAL(lon)ZAC. Mehr als ein Gag bleibt von Balzac also nicht übrig. Aber eine Romanbearbeitung à la John von Düffel wird wohl auch niemand erwartet haben – "Glanz und Elend der Kurtisanen" jedenfalls ist reiner Pollesch.

Glanz und Elend der Kurtisanen
von René Pollesch nach Honoré de Balzac
Regie: René Pollesch, Bühne: Bert Neumann, Kostüme: Tabea Braun, Licht: Lothar Baumgarte, Dramaturgie: Anna Heesen.
Mit: Franz Beil, Christine Groß, Birgit Minichmayr, Trystan Pütter, Martin Wuttke.
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.volksbuehne-berlin.de

 

Kritikenrundschau

Der Abend werde zum Triumph für Birgit Minichmayr und Martin Wuttke, schreibt Christine Wahl im Tagesspiegel am Sonntag (8.9.2013), wobei René Pollesch zum Spielzeitauftakt auch viel Routine liefere, "seine anderthalbstündige Variation der immergleichen These kommt nicht ohne Längen aus." Doch trotzdem: Wenn man Sennetts knapp vierzig Jahre alten Gesellschaftsbefund so konsequent wie Pollesch aufs Theater anwende, gewinne das einen äußerst bereichernden Meta-Witz. "Lohnen würde sich der Volksbühnenbesuch schon allein wegen Wuttkes ballettösen Duetts mit einem Heißluftballon, den er zunächst mit wunderbar unterspielter Innerlichkeitsironie umtänzelt und anschließend geradezu liebevoll im Priesterkostüm des Balzac-Helden Herrera entert."

Pollesch reiße "in den ersten zehn Minuten seines neuen Stücks mehr prinzipielle Fragen an als alle anderen bisherigen Berliner Saisonstart-Premieren zusammen", meint Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (9.9.2013). "Und er macht das entschieden lässiger, intelligenter und anspielungsreicher als die Kollegen von der Konkurrenz." Theater sei "hier nicht die Suche und die Sucht nach dem tief empfundenen Ausdruck, sondern die Polemik genau dagegen." Dafür, dass "Polleschs Denkspiel sich nicht nach Seminarraum" anfühle, sorgten "nicht nur die so entspannt wie hochtourig agierenden Schauspieler", sondern "vor allem Bert Neumanns Bühne", die "Abstraktion und Glamour ins Extrem" treibe.

Pollesch habe "Balzacs hochdramatischen Roman nicht in ein hochdramatisches Stück umgeformt, sondern zitiert es dezent und nutzt es ansonsten als Inspirationsquelle für federnd geistreiche Dialoge über die Dialektik von Sein und Schein, Innerlichkeit und Äußerlichkeit, Fakten und Fiktionen – also für einen zupackend animierten Diskurs über das Leben, die Liebe und über das Theater", schreibt Irene Bazinger in der Frankfurter Allgemeinen (9.9.2013). "Vor allem die draufgängerische Birgit Minichmayr (…) und der diszipliniert entfesselte Martin Wuttke kicken sich die rhetorischen Kurzpässe fröhlich und treffgenau zu." Und nicht zuletzt dank dem "wie ein Wunder (…) aus dem Bühnehimmel" herabkommenden Heißluftballon gelängen der Aufführung "unvergessliche magische Momente".

Im Bühnenbild Bert Neumanns "schillert, glitzert, funkelt und gähnt" uns die Volksbühne "in allen Regenbogenfarben an: eine vollkommene Blase. Schön." Und, so sagt es Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (9.9.2013), dieses "rückhaltlose Bekenntnis zur Hohlheit und Substanzlosigkeit" sei auch "das Thema der Pollesch-Dialog-Schleifen". Der "Clou bei Pollesch" sei aber, "dass sich etwa ein Spieler wie Martin Wuttke in dieses postdramatische Gedöns offenbar einzufühlen vermag. Der leidet und forscht scheinbar im Augenblick der Aufführung an seinen Gedanken." Birgit Minichmayr dagegen leide nicht: Sie sei "sich in ihren mondänen Gesten mehr als genug". Die anderen Darsteller agierten "ein wenig als Kontrastmittel, das zeigt, wie schnell Leere langweilig wird, wenn sie nicht mit der Aura des heißen Leids (Wuttke) oder des kühlen Genusses (Minichmayr) umhüllt ist."

Matthias Heine würdigt in der Welt (12.9.2013) ausgiebig die Zitate aus Godards Film "Bande à Part" (dt. "Die Außenseiterbande"); doch am Ende seien alle Vorlagen "sowieso wieder nur ein Anlass für Pollesch, über seine beiden Seelenthemen zu philosophieren: Das Verhältnis zwischen Rolle und echtem Leben und die Liebe, die auch nur ein mehr oder weniger gutes Theaterstück ist." Polleschs neues Werk erscheint dem Kritiker als "ein mit Pointen durchwobener Textteppich, der selbstverständlich nicht den Hauch einer Geschichte erzählt". Der Autorregisseur gehe "kein Risiko ein, aus der Postdramatiker-Krankenkasse geworfen zu werden". Trotz der Seitenhiebe lobt Heine dieses Vorgehen: Polleschs "ewiger Dreh, theorietrunkene Spitzfindigkeiten rasend schnell so zu sprechen lassen als wären es Boulevardpointen, funktioniert gut." Denn: "Der Rausch der Rezeption ist manchmal glorreicher als das, was hängen bleibt."

Für die Wiener Zeitung (28.9.2013) hat Petra Paterno ein Gespräch mit Birgit Minichmayr geführt, in der sie u.a. über die Arbeit mit René Pollesch spricht. Hier geht's zur Presseschau.

Kommentare  
Glanz & Elend, Berlin: unterhaltsam wars trotzdem
Mei, der Pollesch halt.
Mei, die Minichmayr bleibt halt auch immer die Minichmayr. Auch beim Schlussapplaus.
Und der Wuttke ist halt der Wuttke.
Bei den immer gleichen SichübertheaterschauspielerzuschauerlustigmachPhrasen kann man auch auf Durchzug schalten .
UNTERHALTSAM WARS TROTZDEM. Wie immer beim Pollesch.
Glanz & Elend, Berlin: ermüdende Loops
Die Verwurstungsmaschinerie knattert weiter in Redundanz. Nimm einmal "eine schöne Geste im öffentlichen Raum" und dekliniere den Meta-Quatsch in ermüdenden Loops durch, bis noch jeder dröge Volksbühnenzuschauer denkt, er habe etwas vom Problem "Person" verstanden. Interpunktiere das Ganze mit paar billigen Lachabholern und Instantanphilosophemen. Verwurste die französischen Filme, die dir so einfallen; mach die banale Erkenntnis, dass die Realität inszeniert ist, zum Verrenkungs-Slapstick auf trüben Spiegeln. Wring deine letzten Gedanken aus, verhülle sie aber bloß in enervierender Umständlichkeit, damit nicht zu offensichtlich wird, was für eine dünne Textsuppe du da vermarktest. Voilà: Willkommen im allesmelkenden Neoliberalismus des René Pollesch. Big Verarsche. Großer Applaus. Die Welt bleibt draußen.
Glanz & Elend, Berlin: strategische Vergiftung
zugleich ist der abend eine übermalung von godards "die aussenseiterbande", "bande à part", mit dem legendären louvrelauf. aus dem jahr 1964. inzwischen ist der film von 16+ auf 12+ freigegeben.
auch ein gutes alter für einen pollesch um frühzeitig mit einer strategische vergiftung von diskursen zu beginnen. chapeau für den großartigen quasimodo von martin wuttke in der herrlich anfangsviertelstunde.
Glanz und Elend, Berlin: Hinweis
Heute abend steigt in der Schaubühne Patrick Wengenroths Premiere von Fassbinders "Die bittereren Tränen der Petra von Kant: Wollen Sie im Ernst keinen Kritiker dorthin schicken?
Glanz und Elend, Berlin: Bildungslücke
der lovrelauf in bande apart? sie scheinen jedenfalls noch nicht alt genug für den film oder haben ihn einfach so nicht gesehen.
Glanz und Elend, Berlin: Französischsahnehäubchen
leider oberflächlich und langatmig....es gibt keine Regie, nur zwei eitle, aus der eigenen Schauspielmottenkiste greifende, ältliche Schauspieler und drei junge, die von den bekannteren kollegenschweinmäßig rücksichtslos übergangen und an die Wand gespielt werden..der Text ist spannend, aber leider in der Art der Inszenierung nur ein plakatives Zurschaustellen von Gedanken, also eine Art Theaterkabarett, und keine Kunst oder Theater. Außerdem ist er extrem selbstbezogen, weil er von den Schwierigkeiten moderne Theatermachern erzählt und nicht übergreifend (ein paar wenige Stellen gibt es) auf gesellschaftliche Zusammenhänge verweist. Sportive, sehr einfach gestrickte Sporteinlagen. Zusammenhangslos. Ein paar schöne Szenen, vom Bühnenbild her gesehen. Seichte Filmmusik. Balzac vollkommen sinnlos für das Ganze. nur als Aufhänger und kitschiges Französischsahnehäubchen benutzt...alles im allen eine Gymnasialschulaufführung eines ambitionierten Französischleistungstheaterkurs mit zwei eingekauften Profischauspielern, die sich aber nur selbst feiern (Wuttke) oder in alte Eitelkeiten verfallen (Minichmayr). Bin relativ verärgert aus dem Theater geflüchtet. Passiert mir in der Form nicht so oft....wo ist der alte Pollesch geblieben...schon lange im Heißluftballon auf Nimmerwiedersehen davongeschwebt. Schade.
Glanz und Elend, Berlin: in drei Wochen wieder
Keine Angst, kann nur besser werden! In drei Wochen ist ja schon wieder Premiere am Akademietheater. --- Welche unverantwortlichen Intendanten lassen das eigentlich zu? Castorf und Hartmann.
Glanz und Elend, Berlin: könnte toll sein
@R.I.P.
So wie sie es beschreiben klingt's nach einem tollen Abend. Jetzt hab ich grad Lust bekommen, da hinzugehen.
Glanz und Elend, Berlin: wir brauchen sadistisches Theater
Eigentlich bin ich Pollesch-süchtig, und es war wohl die ca. 20. Aufführung, die ich mir reingezogen habe. Normal verlass ich sein Theater mit einer gewissen Zufriedenheit und einem High-Gefühl. Doch diesmal hat die Droge nicht gewirkt. Kopfschmerzen. Die Eitelkeit (gerade für so eine Spielzeiteröffnung, nicht für ein Praterspielchen) wohl fast gar nicht zu proben (so wirkts auf mich jedenfalls), nervt. Der Text ist ja gut, aber wenn es nur um zwei Positionen (reden in der Bühnenmitte und reden beim Aschenbecher) geht, wird es fad... immer schnell zum Aschenbecher, wenn der Text hinkt, denn da hinter ist die Souffleuse versteckt. Minichmeyers Spiel mit den Gesten wirkt vielleicht bis zur 8. Reihe (wo viele Kritiker sitzen), verliert sich aber dann vollkommen im großen Haus. Wuttke bekommt den Gedanken in den Körper, Minichmeyer wirkt manchmal, entschuldigung, unfreiwillig lächerlich. Die anderen 3 Akteure lassen Potential vermuten, bekommen aber keinen Eigenraum dafür, dürfen nur zwischen den Stars als Stichwortgeber agieren, (bei Polleschs letzter VB-Premiere wurde ja bemängelt, dass die Stars fehlten). Es gab doch Pollesch-Stücke, wo er sich an sich selbst abarbeitete, seine eigenen Theorien durch das Spiel ad absurdum trieb, Neues entstand. Diesmal korrespondierte für mich die Leere der Bühne mit Einfallslosigkeit.
Das diskursive Theater verliert hierzulande zunehmend die Bretter unter den Füßen, zugunsten konservativer Pseudo-Realitäts-Vorstellungen; es ist in Zeiten des (staatlich) gepredigten Wohlfühlklimas zu anstrengend für das Publikum. Wenn man die Diskurse nicht mit theatraler Lust füttert (sondern nur auf der Bühne raucht), wird das Klischée weiter bestätigt, und die Theater bleiben leer, und noch mehr die kleinen, die sich ans Experiment wagen. Ich denke einige der Zuschauer, die dieses Stück gesehen haben, werden das nächste mal doch lieber eine DT-Premiere bevorzugen. Wir brauchen ein zeitgemäßes Theater, dass sich mit immer neuen Ideen, gerne provokant bis sadistisch, auf ein Publikum zubewegt. Das sich selbst in Frage stellt, ohne im Leerlauf zu kreisen. Sonst schauen wir bald alle wieder in die Röhre, bzw. gegen eine 4. Wand.
PS: es gab auch einige sehr gute Moment, der Nachtkritiker hat sie oben aufgezählt. Ich freu mich auf die nächste Pollesch-Inszenierung.
Glanz und Elend, Berlin: wir haben es kapiert
Mein Gott, wann ist denn endlich mal Schluß mit der Polemik gegen den tief empfundenen Ausdruck, für die sich Herr Laudenbach so begeistern kann? Wir haben es kapiert. Wann zieht Pollesch endlich die Konsequenzen aus dieser Einsicht? Die würden mich nämlich mal brennend interessieren. Wahrscheinlich landet er dann im freien Spiel des totalen Formalismus. Non-relational Art, hatten wir allerdings schon mal!
Glanz und Elend, Berlin: Form und Chaos
Reiner Formalismus nach Pollesch ist unglaubwürdig, weil das Leben auch nicht nur Form, sondern immer auch Chaos (des Gefühls) ist. Die schöne Geste bzw. künstliche Pose ist das Eine, aber Gefühl, Leidenschaft und Seele sind das Andere. Das kann man nicht kontrolliert spielen, es sei denn, man ist so abgebrüht wie Pollesch und Konsortien.
Glanz und Elend, Berlin: nicht nur Form
Wieso soll Formalismus nicht chaotisch sein können, Inga? Und wenn das Leben nicht nur Form (Außen) ist, gibt es also doch ein Innen?
Glanz und Elend, Berlin: Wuttkes Hintern
Was ist das denn für eine Frage? Natürlich gibt es ein Innen. Das ist das, was Pollesch bisher ja immer abgestritten hat: Innen drin sei nur Tee oder so ähnlich. Hä?! Es geht mir (und vielleicht auch Pollesch) aber nicht um ein psychologisches Innen, sondern um ein über Bewegung und Sprache/Schreie/Singen usw. gefühltes Innen. Ein Innen, welches sich gegen das Korsett einer allzu regelhaften Form wehrt, sobald dieses Regeln nicht mehr nachvollziehbar sind. Und ein Innen, welches sich dagegen wehrt, dass sich alles um Wuttkes Hintern dreht. Mein Hintern fühlt nämlich möglicherweise anders als Wuttkes Hintern.
Glanz und Elend, Berlin: über Pollesch reden
Ich dachte, wir reden über Pollesch! Was ihr Hintern fühlt interessiert mich nicht. Sie sind hier ja schon öfters durch ihre nicht themenbezogenen egozentrischen Kommentare aufgefallen. Ziehen sie doch bitte auch ihre Konsequenzen daraus, (...).
Glanz und Elend, Berlin: je nach Kontext
Zusatz zum besseren Verständnis von 13.: Ich meinte natürlich, es gibt kein psychologisch feststehendes Innen. Das wechselt immer, je nach Situation und Kontext. Und tief empfundene Gefühle müssen raus! Das heisst, ich kann im einen Moment die Furie, im anderen die hoffnungslos Verzweifelte und im nächsten die Närrin sein usw. Und manchmal auch einfach nur leer. Tja.
Glanz und Elend, Berlin: selbst Hand anlegen
Also da muss ich Inga schon mal zur Seite springen. Es geht im Stück schon um Martin Wuttkes Hintern. Nur eben nicht darum, wie der sich fühlt, sondern eher, wie der sich anfühlt. Und um das herauszubekommen, liebe Inga, müssen sie sich eben einfühlen, oder selbst Hand anlegen. Am Sonntag ist wieder Gelegenheit dazu.
Glanz und Elend, Berlin: Einfühlungsfrage
Wer sind Sie eigentlich, Stefan? Bereits bei Mayenburgs "Viel Lärm um Nichts" meinen Sie, mich verstehen zu können. Und hier ebenso. Ich freue mich natürlich darüber, würde es aber vorziehen, dass ich dann auch weiss, mit wem ich es zu tun habe. Das wäre nur fair. Und da ich mich nicht in Wuttkes Hintern einfühlen kann und will, würde ich lieber reintreten. Damit Wuttke sich einfühlen kann. Tja. Ich bin sonst nicht gewalttätig, aber es gibt Situationen, da reisst (auch) mir der Faden - Zitat aus einem Stück von Mayenburg.
Glanz und Elend, Berlin: Gegenfrage
@ Inga
Gegenfrage: Wer sind Sie eigentlich?

(Lieber Stefan, liebe Inga, kurzer Einfwurf vom Mitlesenden: Aufgrund der Struktur dieses anonymen Kommentarbereichs lässt sich diese Frage vermutlich nicht gut weiterverfolgen. Aber es stehen ja Thesen im Raum, die ohne Spekulation über die Offline-Identität diskutabel erscheinen. Mit freundlichen Grüßen, Christian Rakow / Redaktion)
Glanz und Elend, Berlin: Nähe und Physis
@ Stefan und Redaktion: Die Argumente zählen, schon klar. Trotzdem stört mich diese Art der Online-Kommunikation, weil politische Leidenschaften sich nur in (bewusster) körperlicher Nähe und physischer Kommunikation teilen oder eben nicht teilen lassen. Deswegen meine Frage.
Glanz und Elend, Berlin: am konkreten Beispiel
Liebe Inga, ich würde jetzt das Online-Kommentieren oder eingehendere Diskutieren nicht von der jeweiligen Person am Rechner gegenüber abhängig machen wollen. Bisher schien Ihnen das ja auch kein Problem zu bereiten. Also woher plötzlich das Verlangen nach physischer Nähe, die übrigens auch in bestimmten Bereichen ohne das Nennen von Namen funktionieren kann. Politische Leidenschaften sollte man aber aus der Onlinekommunikation rauslassen. Nachtkritik ist auch nicht das geeignete Forum dafür. Ich nehme die Diskussion u.U. wieder auf, wenn ich die Inszenierung am Sonntag gesehen habe. Vorher macht es wenig Sinn, da ich auch gar nicht weiß, ob Sie sie überhaupt gesehen haben. Und ich würde mich schon lieber am konkreten Beispiel abarbeiten und nicht nur an einem theoretischen Hintern. Bis dahin.

Selbst vor dem Podex und den Brüsten
der Frau/des Manns ergriff ihn/sie ein Gelüsten,
was er/sie jedoch als Mann/Frau von Stand
aus Höflichkeit meist überwand.

nach Joachim Ringelnatz
Glanz und Elend, Berlin: tatsächliche Vernetzung
@ Stefan: Nun ja, ich sehe das inzwischen von zwei Seiten. In solch offenen Online-Foren wie nachtkritik.de sollen sich ja auch so einige Politiker oder andere Persönlichkeiten "großen Namens" tummeln. Inkognito, versteht sich. Ob das aus einem Machtkalkül heraus geschieht oder im Gegenteil aus einer Sympathie für die freien Vernetzten heraus, das wäre für mich hier jetzt die Frage. Physische Nähe deshalb - und damit ist NICHT Sex gemeint! - weil nur die eine tatsächliche, weil an demselben Ort stattfindende, Vernetzung politischer Leidenschaften nach sich zieht. Bei Pollesch geht's aber offenbar um Kurtisanen bzw. Nutten. Ist nicht so mein Thema, sorry.
(...)
Glanz und Elend, Berlin: interessant, aber frei von Macht
Echt? Hier sollen sich Politiker und andere große Namen tummeln? Steinbrück und Castorf auf nachtkritik.de? Also das glaube ich nicht. Und wenn doch, was hätten sie davon? Ich glaube allenfalls an die Präsenz von ein paar Pressesprechern ... Das Forum hier ist schon mal ganz interessant, aber dass hier eine Macht ausgeübt wird, das halte ich dann doch für echten Unsinn.
Glanz und Elend, Berlin: entweder Pollesch spinnt oder die Welt
Genau. Pressesprecher. Und vielleicht ja auch Theatermacher, Radiomoderatoren oder Showmaster. Genau das meinte ich mit der Macht der "großen Namen". Und vergessen Sie nicht, manche Menschen werden bereits für kritisches Denken bzw. kritische Texte eigesperrt - siehe Mollath usw. Vergessen Sie nicht die unsichtbaren Machtstrukturen, die strukturelle Gewalt. Die Schattenwirtschaft. Ich zitiere ein altes Pollesch-Stück:

"Aber keine Utopie der Welt ist damit zu erreichen, dass wir beschließen, gute Menschen zu sein. Das hier ist nunmal ein Nachtclub mit Kontakten zur Mafia und so. Das geht auch alles zu regeln, ohne zu beschließen, gute Menschen zu sein, es gibt auch einen Sozialismus jenseits seiner sentimentalen Sorte. Es muss auch eine gesellschaftliche Utopie geben, die auf gegenseitiger Interesselosigkeit basiert."

Also, entweder Pollesch spinnt. Oder die Welt. Oder beide. Denn irgendwoher muss Pollesch seine Texte ja haben. Er sagt ja selbst, dass die nicht aus dem Nichts heraus entstehen.
Glanz und Elend, Berlin: Wiedererkennung
Hey, das ist doch der Hartmannsche Vorhang aus Büchner/Leipzig/Revolte. Oder zumindest ähnlich reflektierend-nervig.
Glanz und Elend, Berlin: bestes Schauspielertheater
Glanz und Elend der Kurtisanen ist sicherlich keiner der schlechteren Pollesch-Abende und das liegt neben der zunächst zwingenden Stringenz der diskursiven Dramaturgie Polleschs an Birgit Minichmayr und allen voran an Martin Wuttke. So seltsam das klingt: René Pollesch macht hier bestes Schauspielertheater – wenn auch in einem sehr eigenen, Pollesch-typischen Sinn. Sehenswert ist das allemal.

komplette Kritik: http://stagescreen.wordpress.com/2013/09/29/der-mit-dem-ballon-tanzt/
Glanz und Elend, Berlin: Hinweis
http://www.cargo-film.de/blog/2013/sep/08/alors-dans-ce-miroir/
Glanz und Elend der Kurtisanen, Berlin: Zweifel
Habe gestern das sog. Theaterstück von Herrn Pollesch über mich ergehen lassen, ich hätte mich dem nervigen Klamauk entzogen und wäre nach kurzer Zeit aus dem Theater geflohen, was erstaunlicher- weise nur einige wenige Zuschauer getan haben, ich aber aus Rücksicht auf meine Bekannten-Mitbesucher unterlassen habe.
Als dann am Ende der Vorstellung das Publikum die Vorstellung mit anhaltendem Applaus und Beifallsrufen und -pfiffen quittierten,
hatte ich bedenkliche Zweifel an meinem Theater-Verständnis.
Ich tröstete mich mit der Erklärung, dass die Zuschauer wohl überwiegend die schauspielerische Leistung der beiden Hauptdarsteller/innen belohnt hätten.
Nun zu den Kommentaren in nachtkritik.de:
Als ich die ersten Abschnitte(Pressestimmen)las, verstärkten sich die Zweifel an meinem Verstand; erst die nachfolgenden Kommentare trösteten mich: Es gibt offenbar auch andere Theaterfreunde, denen diese Aufführung missfiel.
Dabei war festzustellen, dass - ähnlich wie bei Besprechungen von Ausstellungen "zeitgenössischer Kunst" - die "berufenen Kritiker" überwiegend schwulstige und phrasenhafte Lobhutdeleien von sich geben, während demgegenüber die "freien Kritiker" mit Kritik im eigentlichen Sinn - nämlich mit Tadel und Beanstandung - nicht so zurückhaltend sind.

Zeitungsschau in Kürze:
"...Diskursserientäter René Pollesch...eine ziemlich klare Absage an alle Seelenstrips und Innerlichkeitsexzesse auf der Bühne...Und das Schöne an diesem Abend ist, dass man diese Schönheit sogar sehen kann...Es wird deutlich: Nur die gelungene Geste vermag für Distinktion zu sorgen...Polleschs theorielastigem Text wird so ein Leben eingehaucht...Pollesch hat in Balzacs Roman eine Welt entdeckt, in der die "mondänen Gesten" noch intakt sind..."Glanz und Elend der Kurtisanen" jedenfalls ist reiner Pollesch...gewinne das einen äußerst bereichernden Meta-Witz...Lohnen würde sich der Volksbühnenbesuch schon allein wegen Wuttkes ballettösen Duetts mit einem Heißluftballon, den er zunächst mit wunderbar unterspielter Innerlichkeitsironie umtänzelt und ...Bert Neumanns Bühne", die "Abstraktion und Glamour ins Extrem" treibe...Pollesch habe "Balzacs hochdramatischen Roman nicht in ein hochdramatisches Stück umgeformt, sondern zitiert es dezent und nutzt es ansonsten als Inspirationsquelle für federnd geistreiche Dialoge über die Dialektik von Sein und Schein, Innerlichkeit und Äußerlichkeit, Fakten und Fiktionen – also für einen zupackend animierten Diskurs über das Leben, die Liebe und über das Theater"...dank dem "wie ein Wunder (…) aus dem Bühnehimmel" herabkommenden Heißluftballon gelängen der Aufführung "unvergessliche magische Momente"...Im Bühnenbild Bert Neumanns "schillert, glitzert, funkelt und gähnt" uns die Volksbühne "in allen Regenbogenfarben an: eine vollkommene Blase. Schön..."

Die freien Kommentatoren formulieren (Zitate von s. oben) u.a.:
"Bei den immer gleichen Sichübertheaterschauspielerzuschauer- lustigmachPhrasen kann man auch auf Durchzug schalten...Die Verwurstungsmaschinerie knattert weiter in Redundanz...Meta-Quatsch in ermüdenden Loops...paar billigen Lachabholern und Instantanphilosophemen... Verrenkungs-Slapstick auf trüben Spiegeln. Wring deine letzten Gedanken aus...verhülle sie aber bloß in enervierender Umständlichkeit.. was für eine dünne Textsuppe... Willkommen im allesmelkenden Neoliberalismus des René Pollesch. Big Verarsche...leider oberflächlich und langatmig....es gibt keine Regie...eine Art Theaterkabarett, und keine Kunst oder Theater... Seichte Filmmusik. Balzac vollkommen sinnlos für das Ganze. nur als Aufhänger und kitschiges Französischsahnehäubchen benutzt...zwei eingekauften Profischauspielern, die sich aber nur selbst feiern (Wuttke) oder in alte Eitelkeiten verfallen (Minichmayr)...Diesmal korrespondierte für mich die Leere der Bühne mit Einfallslosigkeit...Zuschauer, die dieses Stück gesehen haben, werden das nächste mal doch lieber eine DT-Premiere bevorzugen...Die schöne Geste bzw. künstliche Pose ist das Eine, aber Gefühl, Leidenschaft und Seele sind das Andere. Das kann man nicht kontrolliert spielen, es sei denn, man ist so abgebrüht wie Pollesch und Konsortien...Also, entweder Pollesch spinnt. Oder die Welt. Oder beide. Denn irgendwoher muss Pollesch seine Texte ja haben...
Welche unverantwortlichen Intendanten lassen das eigentlich zu?..

Entschuldigt die lange Zitatenreihe, aber die Kritiker haben mir aus dem Herzen gesprochen.
Diethard 7.Januar 2014 10:50 Uhr
Glanz und Elend der Kurtisanen, Berlin: private Vorurteile
also solange Sie nicht auch ein bisschen erwähnen, welche Eindrücke Sie denn persönlich hatten, ist Ihre Copy-und-Paste-Orgie hier ohne Mehrwert. Die Bewertung anderer Meinungen vor dem Hintergrund privater Vorurteile kann mich ja nur dann überhaupt interessieren, wenn Sie zumindest diese ein wenig darlegen.
Glanz und Elend der Kurtisanen, Berlin: serielle Massenproduktion
@ 29: Da bin ich anderer Meinung. Auswahl, Bearbeitung und Arrangement des Materials ist ja auch ein Statement.
Es ist ja immer interessant, wie der berühmte Mensch der Neuzeit in dem berühmten Holzschnitt auch mal den Horizont des eigenen psycho-sozial-kognitiven Systems zu durchstoßen und in andere Peer-Groups mit ihren Codes hineinzuhorchen (Hi, NSA!).
Das hat Pollesch in seinen Stücken als permanente Revolution der kognitiven Systeme ja selbst gemacht, bevor er seine Masche in serieller Massenproduktion selbst verschleisst. Aber es ist ja eine schöne Erfahrung, miterleben zu dürfen, wie selbst genialische Geister wie Bourdieu in der perpetuellen Reproduktion zu Gequassel werden können. Wir leben eben im Zeitalter der Beschleunigung.
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