Pistolen in der Dämmerung

von Claude Bühler

Basel, 12. September 2013. Sie stockt immer an derselben Stelle. Die Schauspielerin Isolde büffelt verzweifelt den Text zu "Tristan und Isolde", Ehemann Patrick hört sie ab. Sie kommt nur bis zu: "Und als ich sah ...". Aber es reicht nie bis zum Rest: "... die tödliche Wunde meiner wahren Liebe". Entnervt überspringt sie die böse Stelle, verlangt das nächste Stichwort, das übernächste. Um am Ende von Patrick (Jim Fletcher) die Frage zu hören: "Hast Du nie versucht, mal zu sagen, was Du fühlst?" Zack, mittendrin sind wir, beim Psychologisieren, was denn hier wohl den Gedankenfluss hemmt. Resigniert wischt Isolde die Frage weg: "Es ist weg. Gestern war's noch da."

Zerklüftete Seele in idealer Landschaft

Aber was ist denn überhaupt "da"? Eine zerklüftete Bühnenlandschaft. Da und dort ein paar Stühle. Kartonstücke markieren einen Raum. Hinter der Bühnenfläche gähnt ein Graben. Die Hinterwand füllt das Bild einer hingemalten Landschaft mit Hügeln und Bäumen: ein tristgetönter Kitschfetzen, mehr Wiedergabe einer harmonischen Vorstellung als Realitätsabbildung. Isoldes Welt. Im grellen Scheinwerferlicht erleben wir ihre Tränenkrämpfe, hysterische Anfälle, den selbstmitleidigen Singsang einer Frau mittleren Alters, die sich nicht mehr begehrt fühlt, daneben Patrick, der Bauunternehmer, der nichts versteht und seinen Wert darin sieht, immerhin da zu sein.

isolde3 560 simon hallstroem uVon den Gefühlen erschlagen: Victoria Vazquez als Isolde Nr. 1. Liegend: Jim Fletcher (Patrick)
und Gary Wilmes (Massimo) © Simon Hallström

Mehr Verständnis erhofft sich Isolde von Massimo (Gary Wilmes), einem preisgekrönten Architekten, Künstlertyp. Massimo redet gut, immer zu laut, doziert über seine "fundamentale Arbeit" als Architekt – im gleichen Tonfall, wie er später über seine Sexerlebnisse mit Isolde reden wird. Von Massimo will Isolde ein Haus bauen lassen, in eben jene Hügellandschaft im Hintergrund, ein Haus für sich und Patrick. Die beiden Männer stehen bald in antimagnetischer Spannung. Der heftige Aufprall zwischen dem narzisstischen Überflieger und dem pragmatischen Bürgertypen ist nur eine Frage der Zeit. Zumal sich das Hausprojekt hinzieht. Vordergründig will Patrick das Projekt zwar ganz Isolde und Massimo überlassen, andererseits drängt er Massimo auf die Vorlage von Plänen, von Budgets. Patrick scheint die Affäre zwischen Isolde und Massimo zu ahnen, er fragt den Widersacher: "Wird es soweit kommen: Pistolen in der Dämmerung?" Zum Drama raunt das Musik-Trio an der Bühnenseite Schwebezustände oder nervöses Unbehagen aus Trauma-Akkorden.

Keine Experimente

All dies klingt nach schwerblütigem "problem play". Aber der namhafte New Yorker Autor und Regisseur Richard Maxwell, den das Theater Basel zur Uraufführung seines neusten Stücks in die Stadt geholt hat, versteht es, auch dank eines konzentriert agierenden Ensembles hellwache Aufmerksamkeit im Auditorium und sogar Lacher zu provozieren. Nur behutsam zieht er den Plot zusammen, hält den Ton leicht und ironisch, legt so aber nach und nach die Lebenskrise, nicht nur Isoldes, sondern auch der beiden Männer offen.

isolde1 560 simon hallstroem uExit der Ehemann: Jim Fletcher (Patrick), Zoe Hutmacher (Isolde Nr. 2) und Gary Wilmes (Massimo)
© Simon Hallström

Als ginge es darum, das Kritiker-Etikett "experimentell" abzuschütteln, inszeniert Maxwell seine Story weitgehend geradlinig, beinahe wie naturalistisches Theater, in breitem Timing, aber ohne Überdehnungen. Den einfach gebauten, indes hintergründig aufgeladenen Dialogen, die die Charaktertypen mehr festsetzen, denn mit neuen Facetten anreichern, kann man jederzeit entspannt folgen.

Spirituelle Wesen auf einer physischen Reise

Aber Maxwell konzentriert sich nicht auf die Psychologie. Ebenso wenig stellt er eine moderne Tristan-Geschichte vor. Vielmehr erzählt er, ausgehend vom mythischen schicksalhaften Dreiecksdrama, wie jene Leute in der Blüte ihrer Jahre von der Dämmerung erwischt werden, und wie sie ängstlich Bruchstücke ihres Selbstverständnisses zusammenhalten. Die Männer kippen dabei automatenhaft in Egoismus, indem sie Isolde Stück für Stück die Regie über ihr Hausprojekt oder die Deutungshoheit über ihre Sexualität abnehmen, sie selber aber löst sich auf in Fragmente. Wohl deshalb hat Maxwell ihren Part auf drei Schauspielerinnen aufgeteilt: auf die sphinxhaft agierende Zoe Hutmacher, auf die feinnervig-sarkastische Victoria Vazquez, auf die melodramatische Opernsängerin Agata Wilewska. Sie singt: "Wir sind spirituelle Wesen auf einer physischen Reise".

Indem Maxwell Zeit lässt für Gesangseinlagen, Ereignisse überspringt, Zeiträume rafft, schafft er eine Atmosphäre des Traums, wo Dinge unvermittelt auftauchen und verschwinden können. Und so kann nach Isoldes Theaterpremiere von "Tristan und Isolde", bei der sie just an jener bösen Stelle stockt und konstatiert: "Ich existiere nicht", auch ohne Herleitung das abrupte Ende kommen. Der Freund Patricks, Onkel Jerry (Brian Mendes), teilt Massimo mit, dass Isolde und Patrick ihn entlassen, er das Hausprojekt los sei. Da spricht Massimo, verloren dastehend vor dem riesigen Landschaftsbild, auf einmal sehr leise. Kräftiger Applaus.


Isolde (UA)
von Richard Maxwell
in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Regie: Richard Maxwell, Bühne: Sascha van Rjel, Kostüme: Romy Springsguth, Musik: Daniel Ott, Richard Maxwell, Dramaturgie: Nicholas Elliott, Stephanie Gräve.
Mit: Jim Fletscher, Zoe Hutmacher, Brian Mendes, Victoria Vazquez, Ulla von Frankenberg, Agata Wilewska, Gary Wilmes. Musik-Trio: Lanet Flores Otero (Blasinstrumente), Malte Preuss (E-Gitarre), Sylwia Zytynska (Vibraphon, Perkussion).
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause

Kooperation des Theater Basel mit den New York City Players
www.theater-basel.ch

 

Kritikenrundschau

In der Badischen Zeitung (14.9.2013) schreibt Michael Baas: "Die Protagonisten auf der Bühne wirken wie zeitgenössische Mutanten aus dem Strindberg'schen Figurenarsenal – gefangen in sich und ohne nachhaltige Strategie, ihre verklappten Gefühle auch nur zu recyceln." Die Botschaft des anti-illusionistischen Stücks: Irgendwas fehlt immer. "Das sind keine wirklich optimistischen Aussichten, aber ein durchaus bedenkenswerter Beitrag zur emotionalen Verfasstheit zeitgenössischer (westlicher) Gesellschaften."

"Maxwell weicht immer wieder von der klaren Linie ab, lässt Brüche bzw. Ausbrüche aus dem vermeitlich stringenten Konzept zu", so Dominique Spirgi in der Tageswoche (13.9.2013). Trotz der Entpsychologisierung blitzten doch noch kleine emotionale Momente durch. "Diese durchgehende Uneindeutigkeit ist auf Dauer etwas anstrengend." Der Abend vermöge letztendlich nicht zu packen. "Zu sehr bleibt das Bühnengeschehen auf der intellektuellen Ebene stecken, wirklich mitreissend oder verblüffend ist das nicht."

"Es wird viel geredet in diesem Stück, und das Kennzeichen all dieser Dialoge ist, dass sie zu keinem Ziel führen", schreibt Alfred Schlienger in der NZZ (13.9.2013). "Verständigung ist ein schwieriges Geschäft, das ist die erste brandneue Erkenntnis dieses Abends." "Isolde" sei "ein Stück ohne Geheimnisse". Was Maxwell mache, sei im Grunde nichts anderes, als was viele vor ihm auch schon gemacht hätten: "Er will das Theater entstauben, ehrlicher machen, der Einfühlung misstrauen, die Produziertheit sichtbar machen." Er sei ein Purist, wolle die nackte, unfertige Bühne, das einfache Holzpodest, "und darauf wird nicht die Welt imitiert, sondern ein Text aufgesagt, möglichst nüchtern, sec, mehr Struktur als Spiel." In Basel wirke das eher wie steriles Konzepttheater und ergebe einen in seiner Sprödigkeit nicht unsympathischen Abend der gepflegten Langeweile. "Aber avantgardistisch?"

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