Das Theater! Und die Liebe!

von Katrin Ullmann

17. September 2013. "Auch wenn man mit seinen Einfällen nicht einverstanden war, darüber schreiben musste man" – Augustus Baum, ein bedeutender, "mit Prominenz gepanzerter" Theaterregisseur, befindet sich nach einem Schlaganfall im Krankenhaus. Herausgerissen aus den Proben zu Tschechows "Möwe" versucht er zunächst vom Krankenbett aus weiterzuarbeiten. Als seine Assistentin Lydia scheitert, die Schauspieler sich Beleidigungen und Feuerzeuge an Kopf und Hals werfen, inszeniert er das ihn umgebende Personal zu einer Geschichte. Es ist eine Geschichte über die Liebe und ihre unterschiedlichen Erscheinungsformen: ewig, unverbrüchlich, augenblicklich, innig.

cover inszenierung walser 180Martin Walsers jüngster Roman ist eine große Hymne auf die Liebe und eine kleine Häme auf das Theatermetier. Baum, der affärenreiche Regisseur, badet in Selbstherrlichkeit, nach wenigen Seiten schon ist vergessen, welcher Morbus ihn eigentlich im Krankenzimmer hält. Vermutlich ist es eine ungünstige Mischung aus "Sehnervenkreuzung", Lebenskrise, Ute-Marie und Aufmerksamkeitsdefizit. Im Krankenbett kann er sich seiner jahrzehntelangen Ehefrau Dr. Gerda erklären, sich seiner Leidenschaft zur jungblütigen Nachtschwester Ute-Marie hingeben und seine nostalgische Sehnsucht nach Lydia formulieren. Hier erreichen ihn Briefe seines nach Amerika ausgewanderten Herzensfreundes Hans Georg.

Die Herrschaft der Frauen

Am Ende jedoch stellt Baum fest: Die Liebe ist die Herrschsucht der Frauen. Dieser bemitleidenswerten Erkenntnis folgt eine Anklagerede "vor dem Gerichtshof der Liebe" an die Frauen im Allgemeinen und im Besonderen. "Verlangt wird: die Bereitschaft, eines der unzähligen Opfer zu sein, geschlachtet auf dem Ehealtar." Baum wird zum chauvinistisch-kindlichen Alleshabenwoller, der sein hilfloses Ausgeliefertsein bejault und das, "was ihr (Frauen) zwischen den Beinen habt". Allein die Mutterliebe bleibt unantastbar.

Walser bettet seinen dialogisch gestalteten Roman in die Form eines geschlossenen Dramas: Die Einheit von Raum (Krankenzimmer), Zeit (vom Zusammenbruch bis zur Genesung/zum inszenierten Selbstmord) und Handlung (Regisseur in der Krise) werden eingehalten. Darin finden sich grandiose Formulierungen. Da ist die Liebe eine "Immunschwäche der Seele", da drohen die Protagonisten im "privaten Stacheldraht (zu) verbluten". Doch das mit Referenzen zu Tschechows "Möwe" klug verwobene 200-Seiten-Buch hat Längen, schweift ab in monologische Diskurse über Platon und in klischeereiche Allgemeinplätze. Was wie ein leichtgängiger Drehbuchentwurf beginnt, entwickelt sich zu einem eitel-weinerlichen Monolog, aufgesagt von einem Charmeur, Hallodri und Draufgänger in der Lebenskrise.

Krise, welche Krise? Augustus Baum ist ein Mann Ende 50, Martin Walser 86.

 

Martin Walser:
Die Inszenierung. Roman
Rowohlt Verlag 2013, 176 S., 18, 95 Euro

 

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