Einseitig aufrüttelnd

von André Mumot

18. September 2013. Es ist nun nicht weiter erstaunlich, dass jemand, der viel mit dem Theater zu tun hat, ein Buch schreibt, in dem es darum geht, wie nutzlos das Gegenwartstheater ist, und dass man doch bitte wieder den Realismus auf die Bühne bringen sollte. Schon ungewöhnlicher ist aber, dies gleich mit einem gesellschaftskritischen Rundumschlag zu verbinden und das dramatische Darstellungsversagen mit einem Versagen des spätkapitalistischen Subjekts schlechthin gleichzustellen.

cover stegemann kritik des theaters 180Bernd Stegemann hat sich jetzt jedenfalls auf 300 Seiten den Frust von der Seele geschrieben und seine eigene "Kritik des Theaters" verfasst, einen provozierenden Wutanfall in gemessener Diktion, die es gleichwohl in sich hat. Jener Bernd Stegemann, der bis 2007 drei Jahre lang Dramaturg am Deutschen Theater Berlin war und seitdem als Dramaturg an der Schaubühne wirkt, von 2009 bis 2011 gar als Chefdramaturg, der dazu seit 2005 Professor für Dramaturgie und Theatergeschichte an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch", Publizist und fleißiger Buchherausgeber ist, will das Theater als Mitschuldigen überführen.

Mitschuldig an einer Gegenwart der utopiefreien Affirmation, in der Kapitalismuskritik längst vom Kapitalismus aufgesogen wurde und in der Regel selbst nicht viel mehr bedeutet als marktkonformer Egoismus: "Wer bei der Abholzung einiger Bäume Amok läuft, nur weil sie gerade zu seinem Stadtviertel gehören, sich aber keinerlei Gedanken über die Profitinteressen und Opfer seines übrigen Alltags macht, kann getrost als narzisstischer Wutbürger beschrieben werden."

Die kapitalistische Avantgarde

Ein besonderer Dorn ist Stegemann das Prinzip der allgegenwärtigen Performanz von Flexibilität und Kreativität, das er in der freien Wirtschaft ebenso am Werke sieht wie in der Kunstproduktion. Das Stadttheater bezeichnet er "als Musterschüler neoliberalen Wirtschaftens", die freie Szene wegen ihres Einverständnisses mit "der Form des projektbasierten Ausbeutungsregimes" als "die kapitalistische Avantgarde".

Stegemanns Buch ist in seiner Weltuntergangsdiagnostik dabei so einseitig wie aufrüttelnd und steigert sich zum mitleidlosen Abgesang auf sämtliche Darstellungs- und Inszenierungsgewohnheiten des postmodernen und postdramatischen Theaters, das dank seiner Ironie und seiner cleveren Selbstreferentialität zum Komplizen der gesellschaftlichen Verhältnisse wird: "Es ist dabei unerheblich, ob die Theatermacher sich als Stachel im Fleisch der Mächtigen, als Provokateure oder ausgefuchste Innovationsexperten darstellen möchten. Ihr Publikum nimmt die Überraschung als erwartet und die Zumutung als erhofft entgegen."

Verstehen, nicht erleben

Man watet bisweilen mit Mühe durch diese weit ausholende professorale Spielverderberei, doch man kann es nicht leugnen: Stegemanns Problembeschreibung ist nicht nur verlockend polemisch, sie trifft auch oft genug ins Schwarze. Angeklagt wird ein Theater, das sich hinter klischeehafter Realitätsskepsis versteckt, das überall nur Uneigentlichkeit oder Augenblicks-Authentizität performt und das "Verstehen durch das Erleben" ersetzt.

Gefordert hingegen wird eine "Wiedergewinnung dialektischen Denkens und dialektischer Weltbeschreibung", ein neues Theater, das die Realität wieder abbilden soll und in dem Schauspieler auftreten, die das Handwerk der Mimesis beherrschen. "Denn nur wenn die Realität als erkennbare gedacht wird, kann dasjenige an ihr realistisch dargestellt werden, was das Unrecht in ihr zu verstecken versucht."

Es mag irritieren, wie der Autor in den Ausdrucksformen des Gegenwartstheaters immer nur und ausschließlich den spätkapitalistischen Verblendungszusammenhang und niemals konkrete und tatsächlich aufstörende Weltauseinandersetzung findet, die es ja zweifellos auch auf deutschen Bühnen gibt. Man kann auch getrost skeptisch bleiben, ob seine Vorstellung eines realistischeren Spiels tatsächlich die große Erlösung bringen würde.

Seinem bärbeißigen, kompromisslosen Eintreten für ein intelligentes Theater, das gesellschaftsrelevante Inhalte transportieren und nicht nur mit seiner Spieloriginalität protzen möchte, sollte man sich allerdings keineswegs entziehen. "Die Herausforderung", das stellt Bernd Stegemann jedenfalls sehr richtig fest, "besteht darin, den Wald trotz der vielen Bäume noch sehen zu wollen".

 

Bernd Stegemann:
Kritik des Theaters
Verlag Theater der Zeit, Berlin 2013, 335 S., 24,50 Euro

 

Kommentare  
Kritik des Theaters: eine Prise Boltanski/Chiapello
Klingt, als habe Stegemann eine kräftige Prise "Der neue Geist des Kapitalismus" von Luc Boltanski und Ève Chiapello inhaliert!
Kritik des Theaters: Beispiele
Werter Herr Mumot, ohne ihr Statement deswegen gleich in Zweifel ziehen zu wollen, aber ein paar Beispiele, wo Sie "konkrete und tatsächlich aufstörende Weltauseinandersetzung" im Theater gesehen haben, wären doch sicherlich für uns alle interessant. Eventuell ja auch für Herrn Stegemann...
Kritik des Theaters: bitte auch auf der Bühne
"Wer bei der Abholzung einiger Bäume Amok läuft, nur weil sie gerade zu seinem Stadtviertel gehören, sich aber keinerlei Gedanken über die Profitinteressen und Opfer seines übrigen Alltags macht, kann getrost als narzisstischer Wutbürger beschrieben werden."

Jetzt wollen wir solche (absolut zutreffenden Kennzeichnungen) aber auch auf der Bühne und nicht nur Schwarz auf Weiß sehen. Das wär klasse. Und zwar dialektisch, ganz recht.
Kritik des Theaters: Zum Beispiel Rimini Protokoll
Liebe Anna Lügt,
sehr verständlich, dass Sie hier gerne noch Beispiele bekommen würden - auch ich hätte mir bei der Lektüre des Stegemann-Buches gern die eine oder andere konkrete Beschreibung nicht funktionierender Inszenierungen gewünscht, der Autor bleibt jedoch ebenfalls bewusst allgemein. Doch vielleicht eines: Gerne und wiederholt wettert er über die Methode, "Experten des Alltags" performend auf die Bühne zu stellen, was ja nun als Bezug eindeutig ist. Nachdem ich vor Kurzem selbst durch die "Situation Rooms" des Rimini-Protokolls gelaufen bin, kann ich zumindest sagen, dass mir dort sehr viel Gegenwart, sehr viel Aufstörendes und überhaupt sehr viel Konkretes begegnet ist, was ich nicht mal ebenso als systemkonformes Einerlei verwerfen würde. Dass einem Derartiges aber nicht unentwegt unterkommt und auch nicht jeden Zuschauer gleichermaßen und auf die gleiche Weise aufstört, ist wohl klar. Aber bitte: Sollte es denn im gegenwärtigen Regie- und Performance-Theater tatsächlich per se unmöglich sein, wie Herr Stegemann so kategorisch unterstellt? Beste Grüße
André Mumot
Kritik des Theaters: warum Utopie nicht selbst verwirklicht?
Da fragt man sich schon warum ein gestandener Dramaturg nur die Gleichung Avantgarde = Kapitalismus hervorbringen mag, anstatt an einem Theater (hat ja schon an ein paar gearbeitet) seine Utopie realistischen Theaters zu verwirklichen. Da glaubt man fast einem Nörgler zu lauschen und dass die Avantgarde ganz und gar nicht kapitalistisch ist (sonst wäre es keine Avantgarde), hat glaube ich Boris Groys schon zur Genüge bewiesen.
Fazit: Nicht kaufen, aber Ansichtsexemplar im Dussmann beschmieren.
Kritik des Theaters: ideologische Sicht der Avantgarde
Warum darf eine Avantgarde nicht kapitalistisch sein? Klingt ziemlich ideologisch.
Kritik des Theaters: von konkreten Lebensbedingungen ausgehen
Warum soll eine Avantgarde kapitalistisch sein? Oder besser: Unter welchen - besonders auch finanziellen - Bedingungen wird eine Avantgarde kapitalistisch? Kann es nicht auch sein, dass der Neoliberalismus die Künstler der freien Szene UND des Stadttheaters dazu verpflichtet, bestimmten scheinbar wohlgemeinten politischen oder sozialen Kriterien zu genügen, um öffentliche Fördergelder zu erhalten - siehe Mark Brown in der aktuellen TdZ? Und ist nicht genau das eine Gefahr für die Freiheit der Kunst?

Ich kann den Ansatz Stegemanns zunächst einmal durchaus nachvollziehen, denn wenn man davon ausgeht, dass es keine klar bestimmbare Subjektposition mehr gibt (Stichwort: Radikaler Konstruktivismus bzw. Dekonstruktion), dann kann man auch kaum Aussagen in Bezug auf die aussertheatralische Realität machen. Doch ist der (psychologische) Realismus und die Mimesis hier wirklich der einzige Ausweg? Können wir in einer Zeit, in welcher es immer mehr um Fragen der Selbstverwaltung der Gemeingüter geht, können wir in einer Zeit, welche europa- und weltweit von der ökologischen Frage, von umfassendem Sozialabbau und vom Abbau bürgerlicher Rechte bestimmt ist, wirklich so einfach zurück zum Repräsentationstheater? Muss Theater nicht immer auch von den konkreten Lebenserfahrungen der Darsteller UND der Zuschauer ausgehen? Wie sehen die aus? Aus welch unterschiedlichen Perspektiven kann Realität dargestellt werden? Aus der Frosch- oder der Vogelperspektive? Aus der Zentralperspektive oder von den sogenannten Rändern her? Horizontal, plural und prozessorientiert? Oder vertikal, hierarchisch und autokratisch-autoritär? Welche Rolle spielen die Medien bzw. Informationsmonopole hinsichtlich der Darstellung von Realität?

Die Entwicklung der künstlerischen Avantgarden kann und muss man/frau kritisieren dürfen. Für mich funktioniert das aber nur, wenn man den gesellschaftlichen Kontext dabei nicht ausser Acht lässt. Denn die Avantgarden zeichnen sich ja gerade dadurch aus, dass sie die Entwicklung des technologischen Fortschritts und die darüber veränderten Wahrnehmungsgewohnheiten in den Blick nehmen - und so erst einen Möglichkeitsraum für eine umfassende Kritik an der uns umgebenden und von uns gemeinsam gestalteten Realität eröffnen.
Kritik des Theaters: lieber ins Theater
Büchern, die Theorie vorgeben und ohne Fußnoten auskommen, sollte man grundsätzlich misstrauen. Man hat beim Lesen den den Eindruck, einer beleidigten Leberwurst durch dreihundert Seiten polemischer Theaterschelte folgen zu müssen. Kann man aber auch sein lassen. Und ins Theater gehen.
Kritik des Theaters: Schwamm drüber
freut euch daran ( wenn nötig ) , dass stegemanns zeilen eh keiner wahrnimmt.(...) schwamm drüber.
Kritik des Theaters: etwas zu flüchtig gelesen
@Denken hilft: das Buch hat 260 Fußnoten. da wurde wohl etwas zu flüchtig in das leseexemplar bei dussmann geschaut. also wohl ein kommentar, der nicht auf lesen sondern auf vorurteil beruht.
Kritik des Theaters: Fußnoten-Irrtum
8 und 10 unterliegen dem gleichen Irrtum: dass Fußnoten und Theorie etwas mit einander zu tun hätten. Fußnoten belegen in der Regel lediglich, dass Quellen benutzt wurden. Bei 260 Fußnoten auf 300 Seiten fragt man sich, wo da noch Platz für eigene Ideen blieb. Aber die sind in einer Umgebung, in der schon Studenten eingeredet wird, Wissenschaft erkenne man an den Fußnoten (also am Sammeln fremder Erkenntnisse), wohl nicht populär.
Kritik des Theaters: banale Vision
"Gefordert hingegen wird eine "Wiedergewinnung dialektischen Denkens und dialektischer Weltbeschreibung", ein neues Theater, das die Realität wieder abbilden soll und in dem Schauspieler auftreten, die das Handwerk der Mimesis beherrschen."" - was für eine banale Vision..(...).
Kritik des Theaters: Geschichte der Fußnote
@ 11

Poster 10 weist Poster 8 lediglich nach, daß dieser sein Fußnotenproblem nicht haben
muß, wenn er das Buch daselbst zur Hand nimmt, behauptet hingegen nicht, daß nicht auch ein Fußnotenkatalog denkbar wäre (und auch schon gesehen worden ist im Verkehr mit wissenschaftlich gearbeiteten Veröffentlichungen), der etwas Überbordendes (in Ihrem Sinne) oder höchst Einseitiges (siehe Stichwort "Zitierzirkel") zeitigt. Dabei muß es sich fernerhin keineswegs um "fremde Ideen" handeln, die jetzt irgendwie sich einverleibt werden (wie Sie wissen dürften); ich habe das betreffende Stegemann-Buch nicht gelesen oder auch nur zur Hand, aber ich möchte wetten, daß sich da ein ganzer Haufen "Selbstzitate" finden wird (aus anderen Veröffentlichungen Bernd Stegemanns oder aus solchen, zu denen er als Herausgeber fungierte). Aber auch ansonsten verweisen viele Fußnoten nicht notwendig darauf, daß der Betreffende keine eigenen Ideen auffährt; die Mode der vielen Fußnoten hat ihren Ursprung darin, daß es einstens wohl als Tugend galt, sich mit anderen Positionen zum selben Thema auseinanderzusetzen und auch die Quellen offenzulegen, aus denen man selbst so schöpfte. Nehmen Sie zB. Walter Kaufmanns "Nietzsche"-Buch, in dem er die "Nietzsche-Legende" und ihre Wirkungen untersucht; da finden Sie einen ganzen Haufen von Nachweisen, die auf das Wunderbarste der eigenen Idee des Autors zuarbeiten, ohne einfach eine (kritiklose)
Übernahme fremden Denkens zu sein ! Sprich, Fußnoten hatten wohl mal etwas mit Gründlichkeit zu schaffen, und um "Gründlichkeit" vorzuschützen, sind sie in vielen Arbeiten wohl auch zur Mode verkommen. Das gänzliche Fehlen von Fußnoten in einer Arbeit wäre da in der Tat schon ungewöhnlich, weil viele Fußnoten schlichtweg nur Pfade aufzeigen, wie man zu Einzelaspekten sich weiter "schlau" machen kann,
aber ich würde ein solches einer Fußnotenangabe nur aus Mode heraus (oder aus Werbegründen: "Möglichst viele eigene Werke und die von FreundInnen angeben...")
eher vorziehen, wenngleich jede Quellenangabe auch angreifbar macht (was in diesem Zusammenhang die Aussage von Poster 8 ein wenig verständlicher erscheinen lassen könnte, selbst wenn er sich zum aktuellen Stegemann-Buch "täuschen" sollte)..
Kritik des Theaters: Buch komplexer als Kritik
Ein wichtiges Buch! Wesentlich komplexer als die hier zu lesende Besprechung.
Kritik des Theaters: Fußnoten-Redundanz
@ AZ: Warum bleibt die Debatte über das Buch Stegemanns jetzt beim Fußnotenthema hängen? Das erinnert mich sofort an mittlerweile diverse Politiker, welche über ein "Fußnotenproblem" gestolpert sind. Na und? Für mich wird darüber letztlich das Wesentliche verdeckt, nämlich, dass Politiker, genauso wie andere Menschen auch, nicht vor allem dazu da sind, Experten-Theorie (Experten des Alltags oder Wissenschaftler?) über Fußnoten aufzufahren, sondern sprechend zu handeln und dann auch die Verantwortung dafür zu übernehmen. War zum Beispiel die Kundus-Affäre nicht eigentlich viel wichtiger als diese uninteressante Guttenberg-Fußnoten-Debatte? Was wird da warum medial aufgebauscht, um anderes zu verschleiern?

Ich empfinde Fußnoten deswegen manchmal auch irgendwie als redundant. Denn wer kann wirklich nachweisen, ob ein von mir erfundener Gedanke nicht längst von jemand anderem vor mir erdacht wurde? Viele werden es kennen, dass man etwas liest und denkt: Mhmhmh, genau so denke ich doch auch! Ohne allerdings vorher gewusst zu haben, dass ein anderer Autor ebenso gedacht hat bzw. denkt. Für mich heisst das: Jeder Mensch kann denken und das bzw. sich darüber anderen mitteilen. Unser Denken ist frei, und das ist ja auch das Schöne, gerade übrigens in Bezug auf eine Theaterinszenierung. Die "Programmheft-Fußnoten" sind da im Grunde ebenso egal, was zählt ist das Verständnis der Inszenierung im Hier und Jetzt der Aufführung. Und wenn da was von so manch einem Zuschauer nicht verstanden wird, dann muss man sich als Theatermacher vielleicht eben doch mal fragen, ob die eigenen Fragen bzw. Realitäten nicht vollkommen an den Fragen bzw. Realitäten der Zuschauer vorbeigehen. Es geht um tatsächliche Zusammenarbeit, schon während des Probenprozesses, es geht um die sprachliche Wahrnehmungsvermittlung zwischen den verschiedensten, am Probenprozess beteiligten Menschen, was sich zugleich auf die immer wieder zu verhandelnden Fragen einer politischen Gemeinschaft bezieht. Alle gestalten am Gemeinwesen mit. Und auch das ist - für mich - schon eine Form von Theater. Alle, das heisst konkret: Wissenschaftler (und das ist möglicherweise nochmal etwas anderes als der gute alte, sich politisch einmischende Intellektuelle), Künstler, Bäcker, Handwerker, soziale Bewegungen usw.
Kritik des Theaters: andere Tonart
Bis zum jetzigen Stand der hier nachzulesenden statements hat Stegemann grundsätzlich Recht, das ist ersteinmal samt und sonders unter einem diskutablen Niveau (auch die auslösende Kurzrezension) und die moralisierenden Invektiven gegen Stegemann sind unerträglich, aber wer von den sich hier Ereifernden hat das Buch wirklich gelesen, nicht nur darin geblättert, und sich auch mit der von Stegemann zwar reichlich aber höchst einseitig und zuweilen auch verschwiegenen oder gar fälschlich benutzten Sekundärlitertur wirklich auseinandergesetzt? Darauf komme ich vielleicht noch zurück, aber dazu brauchts wirklich eine andere Tonart auf dieser Seite.
Kritik des Theaters: Aufklärung ohne Dialektik
Warum erwartet ihr von einer Polemik, dass sie "Realität" abbilden soll?
Es geht doch nur darum, einer Mode (dem Performance-Theater) kräftig gegen's Schienbein zu treten, damit sie sich mal wieder ein bißchen in neue Richtungen bewegt, statt in Kopien von Kopien von Kopien leer zu laufen und zu verfetten.
Das Postulat, dass Theater mal wieder Thesen/Haltungen/Antworten in den Raum werfen und sich anfechtbar machen soll, ist doch prima! Stegemann reaktiviert nichts anderes als die Aufklärung ohne Dialektik.
Natürlich ist das in den bestehenden Strukturen mit festen Premieren-Terminen und Besetzungszwängen (der oder die muss halt auch mal dran) idealistisch. Aber man muss sich doch nicht darauf versteifen, dass die Renaissance des Theaters partout aus dem Stadttheater kommen soll.
Ja, das Buch ist anstrengend zu lesen und unglaublich verkrampft. Aber neben all dem Krampf enthält es doch auch Ideen, die wirklich einleuchten. Nicht im totalitären Sinne "Ab jetzt muss das so laufen", sondern in dem einer Alternative neben anderen.
Kritik des Theaters: angebliche Todsünde
@ Guttenberg: Ach so, hier geht's jetzt ums Verfetten? Aggressive Veggie-VetreterInnen konnte ich allerdings noch nie so richtig verstehen. Schon gar nicht, wenn sie andere für ihre angebliche Todsünde bestrafen. Was ja durchaus vorkommen soll. Und schon sind wir mitten drin im Streit der Ideologien. Ob die Kunst es schafft, Positionen zu versöhnen? Oder erfolgt der Bruch?
Kritik des Theaters: Tonart
@ 16

Schade, daß sich dazu hier die Tonart ändern muß, ich hätte dergleichen interessiert gelesen.
Kritik des Theaters: reine Schrift
@ 16 und AZ: Genau. Tonart? Ich hör hier nämlich nichts. Keine Stimme. Keine Sinnlichkeit. Keine Bewegung im Innenohr. Nur Schrift.
Kritik des Theaters: wahr-nehmen
Mich würde jetzt mal wirklich interessieren, wie sich Realität im Theater abbilden kann und soll, wenn sie nicht von einem Standort rein subjektiver Wahrnehmung bestimmt sein soll. Denn darum geht es hier ja wohl, dass man einen Blickwinkel einnimmt, der mehr ist, als das, was ich für wahr-nehme.
Kritik des Theaters: Brechts Straßenszene
@ Realist: Klar nehmen alle am prozesshaften Ereignis einer Theateraufführung Teilnehmenden/Spieler etwas anderes wahr. Und auch von einem RegisseurIn/Regiekollektiv erwarte ich, dass er/sie/es mir seine/ihre ganz persönliche Haltung/Wahrnehmungsperspektive übermittelt. Zu der ich mich dann wiederum auch verhalten kann. Das beste Beispiel ist hierfür für mich immer wieder die sogenannte "Straßenszene" Brechts: Ein Unfall geschieht und nun geht das Theater ja erst los. Wer hat was gesehen? Wird kollektiv verweigert, etwas gesehen zu haben und wenn ja, woran könnte das liegen? Können Zeugen manipuliert/gekauft werden, wenn die Polizei mit Ihnen persönlich bekannt ist? Usw. Das Ereignis wird von den Zeugen also nachgespielt. Und je nach Auflösung der Szene wird die Realität in ihren Machtstrukturen als unabänderbar oder als veränderbar erkannt. Vielleicht meinte Stegemann ja genau das. Realismus nicht als psychologisch realistische Einfühlung, sondern Realismus als situatives Handlungsmodell, um die sogenannte Repräsentation von Realität als immer schon über Zeichensysteme (Sprache, Schrift, Bilder usw.) vermittelte Realität erkennen zu können.
Kritik des Theaters: am Beispiel des Auto-Unfalls
Das Schöne an ihrem Beispiel, Inga, ist ja, dass das Auto durch den Unfall wirklich beschädigt wurde, und jeder der nun nach Hause laufen musste, die Tatsache, dass das Auto kaputt ist, als Realität akzeptieren muss. Da gibt es nicht viel zu konstruieren. Bei der Schuldfrage wird es nun schwieriger. Hier muss man Wahrnehmungsstandpunkte, Eigeninteressen oder Bewusstseinstrübungen durch den Aufprall in Relation zum Geschehen sehen. Das Unfallauto kann man sich aber nicht wegzaubern, mag man gestanden haben, wo man will. Das Postmoderne Theater allerdings, so verstehe ich die Kritik Stegemanns, hat nun in den Nachrichten von diesem Unfall gehört und schwadroniert jetzt unaufhörlich darüber, dass es diesen Unfall gar nicht gegeben hat.
Kritik des Theaters: nicht ohne Hoffnung
@ Realist: Und da zeigt sich der Unterschied zwischen Kunst und Realität. Auf dem Theater stehen die Toten bzw. Verletzten immer wieder auf. Im Leben ist das nicht so. Die Kunst kann als Kunst ihr Reich oder ihren Bereich nicht verlassen - Zitat Carl Hegemann. Und so manch ein freier Theatermacher macht zu diesem Thema auch noch eine Performance, vergisst dabei aber möglicherweise, dass es hier um (vergangenes) Leben geht. Wir werden wieder wer gewesen sein?! Sehr euphemistisch formuliert. Ich sage dazu nur "Angelus Novus" von Walter Benjamin:

"Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muß so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, daß der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.“
(Walter Benjamin: "Über den Begriff der Geschichte", 1940)

Real stattgefundene, historische Ereignisse können wir nicht mehr rückgängig machen, wir können sie aber dialogisch/zwischenmenschlich aufklären und damit die Wahrnehmung auf sie verändern. Solange die Hoffnung noch lebt. Heiner Müller konnte, angesichts der Enttäuschungen bezüglich der historischen Entwicklung des Kapitalismus UND des Kommunismus/Sozialismus dafür plädieren, ohne Hoffnung und ohne Verzweiflung zu leben. So sehr ich seine Texte verstehe, mein Gefühl sagt mir, dass ich das nicht kann.
Kritik des Theater: herangezüchtet
Leider muss ich vielen Stimmen hier zustimmen: absolute Geldverschwendung. Die arme an der Busch neu herangezüchtete Dramaturgengeneration. Und dabei hatte ich nach dem kurzweiligen Dramaturgie-Leitfaden große Hoffnungen...
(...)
Kritik des Theaters: nichts zur Sache
Schade, Micha, dass sie hier nichts zur Sache zu sagen haben. Stegmanns Buch ist schwierig zu lesen - keine Frage. Dass es aber inhaltsleere Kommentare hervorbringt wie ihren, das hat das Buch nicht verdient.
Buch Kritik des Theaters: Nachvollziehbarkeit?
Ich lese das Buch gerade und hätte mir gewünscht, statt der vielen Fußnoten, zumindest einige konkrete und nachvollziehbare Beispiele zu finden. These-Argument-Beispiel. Diese schlichte Textstruktur fehlt. Herr Stegemann behauptet soviel über das was Performer_innen wollen oder angeblich alles nicht (nichts mehr über den reinen Vollzug hinaus bedeuten, etc.) wollen, traut sich aber nicht ein Beispiel zu nennen? Was bedeutet das?
Künstlertheater-Plädoyer: richtig und falsch liegen
@8, 10, 11, 13, 15 und 22: In der mir vorliegenden ausgabe 260 Endnoten, die wiederum unter der Ueberschrift "Anmerkungen" auf die Seiten 295 bis 324 niedergeschrieben sind. Fussnoten habe ich auf den Seiten 9 bis 292 nicht entdecken koennen. Wuerd mal sagen, Leute, eure Spaltung ist gar nicht notwendig, da ihr rein formal sowohl richtig wie auch falsch liegt.
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