Das Himbeerreich – Sebastian Kreyer nimmt sich in Kassel Andres Veiels Recherchematerial vor
Bänker-Bekenntnisse
von Michael Laages
Kassel, 22. September 2013. Das war dem Stück durchaus nicht anzusehen bei der Uraufführung Anfang des Jahres in Stuttgart – dass es kein Solitär bleiben würde. Der Filmemacher Andres Veiel, im Kino erfolgreich mit "Die Spielwütigen" (über Schauspielstudenten) und "Black Box BRD" (über Leben und Sterben des Bankiers Alfred Herrhausen und des RAF-Terroristen Wolfgang Grams), war ja auch im Theater angekommen seit der Neonazi-Recherche "Der Kick", entstanden einst für Volker Hesses Intendanz am Berliner Maxim-Gorki-Theater in Zusammenarbeit mit Simone Schmidt. Nun hatte er sich unter Führungskräften des Finanzwesens umgehört und aus deren Selbstzeugnissen einen Bühnentext gedrechselt, der im Titel mit einem Zitat von Gudrun Ensslin spielte: "Wer Himbeerreiche anzündet, kann nicht erwarten, deren Früchte zu ernten".
Nach der Uraufführung, koproduziert vom Deutschen Theater in Berlin und dem Stuttgarter Schauspiel und von Veiel selbst inszeniert, war eher darüber zu debattieren, welche strukturelle Spuren der andauernd folgenreichen Finanzkrise Veiels Methode wohl würde aufdecken können. Eher zufällig hatte Volker Lösch zudem praktisch zeitgleich in Basel "Angst" dramatisiert, die Finanz-Crash-Fiction im Roman von Robert Harris. Dagegen schnitt Veiels Finanz-Recherche eher mäßig ab.
Wolf unter Eseln
Was sicher auch an Veiels etwas unbeholfener Inszenierung des eigenen Textes lag: in einem glänzenden Edelstahl-Bunker mit Aufzügen aus Glas und ganz viel aufgedonnertem Realismus im Spiel mit den Selbstreflexionen der Hochfinanz und ihrer Funktionäre. Nun darf sich das Material erstaunlicherweise gleich an zwei Theatern der Auseinandersetzung stellen – im kommenden Januar am Kieler Schauspiel und jetzt am Staatstheater in Kassel, wo sich der junge Regisseur Sebastian Kreyer auf den Weg ins Himbeerreich gemacht hat. Und immerhin ist zu vermelden, dass Kreyers Regie-Zugriff wenig Vertrauen aufweist in die Authentizität der Bänker-Bekenntnisse. Und das ist gut so.
Matthias Nebel hat für die Inszenierung im Keller-Theater vom Kasseler Museum Fridericianum, also ohne Ober-, Unter- oder Seitenbühne, einen Raum aus Assoziationen gebaut: mit Kulissen der Frankfurter Banken-Skyline, die auch den roten Teppich für Show-Auftritte rahmen, mit Ein-Mann-Zelten für jeden und jede im Ensemble und einem Klavier, das den Dienstwagen darstellen soll, mit dem der Chauffeur so liebevoll umgeht; die Figur wird in Kassel deutlich als Spielmacher der Bänker-Konfessionen platziert. Peter Elter berlinert ohne erkennbaren Grund (und mit beschränkter Haftung), während Aljoscha Langel, Franz Josef Strohmeier und Uwe Steinbruch verschiedene bank-typische Haltungen der Selbstüberschätzung einnehmen; mal mehr, mal weniger zivilisiert. Eva Maria Keller ist die Senkrechtstarterin in der Männer-Domäne, steigt schnell auf und ähnlich schnell wieder ab, bis zum angekündigten Symbol-Sprung aus dem Fenster, nachdem alles den Bach runter geht. Björn Bonn ist derweil der Wolf unter Eseln, der Auto-Analytiker perverser Machenschaften, der (wie die anderen) an deren Wegesrand abgewickelt wurde und der Branche die Leviten liest.
Absichtsvoll unverständlich
Kreyers Kasseler Inszenierung begibt sich also sehenden Auges in einen massiven Widerspruch; und hofft, dass er produktiv wird für Veiels (beträchtlich gekürzte) Vorlage. Denn die einstigen Strippenzieher im mindestens zweitältesten Gewerbe der Welt sprechen ja immer noch Klartext, quasi dokumentarisch, es wird im absichtvoll unverständlichen Fach-Chinesisch immer noch viel von den fatalen Spezial-Tricks im Handel mit Geld und Träumen gesprochen; gekontert allerdings durch einige eher absurde Handlungen in der Baustellen-Szenerie.
So bearbeiten Strohmeier und Steinbruch eine ganz Weile kleine Silber- und Gold- Folien, als wären es wertvolle Münzen aus blankem Edelmetall – Beschäftigungstherapie für gewesene Geldhändler. Keller als Business-Frau im Auf- wie im Abstieg kommt, unterstützt von Elter am Klavier, immer wieder lächelnd den roten Teppich aus der Tiefe der Bühne zum Publikum geschritten – und die Inszenierung versucht den nicht mehr richtig funktionierenden Finanzgrößen kleine Rest-Routinen zu verpassen.
Nichts zu enthüllen
All das sind taugliche Tricks, um Veiels Material den Stuttgarter Uraufführungsrealismus auszutreiben; und als solche sind sie sehr willkommen. Leider enthüllen sie aber auch, dass Veiels Material so richtig viel nun doch nicht zu enthüllen hat; über die Geschichte vom ganz großen Deal hinaus, in der sich Spuren der Geschichte von der staatlichen Übernahme des Wracks der Hypo-Real-Estate HRE ausmachen lassen. Was haben denn die Herren und die Dame und was hat der Renegat in Veiels Spiel wirklich zu enthüllen? Nicht sehr viel! Außer dass alle das ganz große Rad drehen wollten und dass das nicht geklappt hat wie geplant ...
Ganz ohne Fabel, ganz ohne dramatische Phantasie erwies sich Veiels Recherche schon in Stuttgart als eher dünn und dürftig; jetzt, mit Kreyers Kasseler Abstraktionen im Bühnenspiel, ist das immer noch so. Nur das immerhin die Inszenierung etwas amüsanter geraten ist. Noch immer aber fehlt, was dokumentarische Texte praktisch nie zu bieten haben – die Dimension, die sie über sich selber hinaus wachsen lässt.
Das Himbeerreich
von Andres Veiel
Regie: Sebastian Kreyer, Bühne und Kostüme: Matthias Nebel, Dramaturgie: Stephanie Winter.
Mit: Björn Bonn, Peter Elter, Eva Maria Keller, Aljoscha Langel, Uwe Steinbruch und Franz Josef Strohmeier.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.staatsheater-kassel.de
"Wie meist Merkel lässt einen auch die Inszenierung von Sebastian Kreyer etwas ratlos zurück - trotz überzeugender Darsteller und freundlichem Schlussapplaus", findet Matthias Lohr in der Hessischen Niedersächsischen Allgemeinen (24.9.2013). Als Film hätte das Thema vielleicht erhellend sein können. "Aber im Theater vermisst man Dialoge, weil meist nur monologisiert wird, sowie Handlung, weil 90 Minuten lang fast nichts passiert."
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