Flügelschlag des Düsenjägers

von Teresa Präauer

Wien, 25. September 2013. Mit der Uraufführung von "Cavalcade or Being a holy Motor" im Wiener Akademietheater ist nun auch in Österreich die Saison der Meisterschaften im Pollesch-Versatzstücke-Googeln eröffnet, und das liegt daran, dass der zungenbrecherische Titel schon vorab für Webaktivität sorgt, wie dem "Die Presse"-Interview mit Regisseur und Stückeschreiber René Pollesch zu entnehmen ist. Und auch wenn Foucault oder Robert Pfaller hier als Zitate-Generatoren für den "Holy Motor" des aktuellen Stücks benannt werden, wird gleichermaßen betont, dass die Bezüge aus Film, Psychoanalyse und Ratgeberliteratur weiterhin nicht als Schlüssel für die Rezeption herhalten können: Pollesch eben.

Was treibt also diese Maschine an, zu welcher sich, nur drei Wochen nach der Premiere von Glanz und Elend der Kurtisanen an der Volksbühne Berlin, zu einem Woody-Allen-artigen Martin Wuttke und der konsequent beeindruckenden Birgit Minichmayr diesmal Burgtheater-Urgestein Ignaz Kirchner hinzugesellt?

Kühne Sprünge

Das Ganze beginnt mit einem Witz, und das wirklich witzig, mit Wuttke im gold-schwarzen Torero-Kostüm, der von der Schauspielerin erzählt, die zu spät zur Vorstellung kommt, und schließlich heilfroh ist darüber, dass ebendiese nicht stattgefunden hat, weil der Hauptdarsteller gestorben ist. Die ehrliche Freude über den Ausfall der von ihr verpassten Aufführung äußert sich spontan als Freude über den Tod des Hauptdarstellers.

cavalcade2 560 reinhardwerner uTechnischer Fortschritt: In der letzten Inszenierung flog ein Heißluftballon durchs Bühnenbild, jetzt gibt's einen Düsenjäger. © Reinhard Werner

Und an dieser Stelle stolpert Birgit Minichmayr als "Silvia" vor den glitzernden Silberfadenvorhang, spielt jene erzählte Szene kurz an, um sogleich mit einem kühnen Sprung wieder aus dem Blickfeld zu hechten: hinein in ein mit bunten Plastikbällen gefülltes Becken zwischen Bühne und Zuschauerraum, wie man es kennt von den Kinderattraktionen in Möbelhäusern. Furios beginnt das, und das heitere Publikum im Akademietheater scheint diesem Beginn, diesem Autor, diesen Schauspielern wohlgesonnen.

Was folgt, ist wohl ein Zweipersonenstück, das von Minichmayr und Wuttke, trotz einiger Versprecher, bis zum Schluss getragen wird. Und in welchem Ignaz Kirchner, der ja die Fähigkeit besitzt, ein großes Wort gelassen auszusprechen, reichlich gelassen im roten Seidenpyjama herumsteht oder sich an den riesenhaften Düsenjäger lehnt, der das Bühnenbild von Bert Neumann dominiert.

Philosophie als Werkzeug

Im Verlauf des Sprechens fallen weitere Bezüge zu Freud, Lacan, Žižek, vielleicht auch, neben "Cavalcade" von Noël Coward, zu einem anderen Hollywood-Film aus den 30ern, "Leoparden küsst man nicht" könnte das sein – aber spielt das eine Rolle? Oder so: Ja, das spielt eine Rolle, und zwar genau diese: Was gesagt wird, wird gesagt, und mehr auch wieder nicht. Ein Witz sei ein Witz und eben kein Hinweis auf die Beziehung zum "Unbewussten", auf eine "tiefe Wahrheit über uns", wie es am Anfang des Stückes so skeptisch heißt.

Das ist es, was Pollesch hier wieder zeigt: dass er es beherrscht, diesen schmalen Grat entlang zu tänzeln – Discodancing!, zum Beispiel zu Britney Spears' "Toxic" –, der die flirrende Vieldeutigkeit von Gemeintem, gleichzeitig Ironisiertem und sofort wieder gestisch ausgestelltem Ernst bestehen lässt. Oder, wie Kirchner es sagt, wenn man die Ohren spitzt: "Und ich dachte auch einmal, ich sei ein Schmetterling. Aber ich wusste nicht, bin ich ein Flugzeugmechaniker, der träumt, er sei ein Schmetterling. Oder ein Schmetterling, der träumt, er wäre ein Flugzeugmechaniker."

Brummen wie ein Motor

Und es sind dabei doch die Themen von Kunst und Leben, die sich durch den gesamten Text rhythmisch wiederholen in Begriffen von Wahrheit und Heuchelei, Innerlichkeit und Äußerlichkeit, Liebe, Schönheit, Wirklichkeit. Freilich, nicht ohne dabei die Gorilla-Maske zu tragen oder, schräg aufgesetzt, die blonde Langhaarperücke.

Das Schlussbild dieser Inszenierung kommt ohne die Schauspieler aus, sie leihen ihre Stimmen den Autos auf der 5th Avenue, die als Fototapete das statische Bühnenbild ausmachen, und sie lassen einen Abgesang auf die eigene Existenz vernehmen: Ja, das ganze Gerede vom "tiefen emotionalen inneren Leben" ist nichts als das Brummen der Motoren der New Yorker Taxis, die im Stau feststecken. Bloß wer vor einigen Wochen Polleschs Streets of Berladephia entlang gecruised ist, sehnt sich nach diesem zurückliegenden Theaterabend in Berlin. Aber: Scheiß auf die Sehnsucht!


Cavalcade or Being a holy Motor
von René Pollesch Regie: René Pollesch, Bühne: Bert Neumann, Kostüme: Nina von Mechow, Licht: Felix Dreyer, Dramaturgie: Amely Joana Haag.
Mit: Birgit Minichmayr, Ignaz Kirchner, Martin Wuttke.
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause.

www.burgtheater.at

Mehr zu René Pollesch gibt es im nachtkritik-lexikon.

 

Kritikenrundschau

Die "Uraufführung eines Schwurbeltextes" mit einem "wie gewohnt sinnfreien Titel" hat Martin Lhotzky von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (27.9.2013) erlebt. "Wahlweise kann man sich, wie so oft bei Pollesch-Inszenierungen, (...) dafür entscheiden, die Darstellung (...) eines Vorurteils fein dialektisch als dessen Entlarvung zu verstehen. Der an sich notwendige dritte Schritt, die Synthese aus den beiden Positionen, unterbleibt jedoch stets." Der Abend sei "kurz, aber durchaus nicht knackig". Man komme nicht so ganz mit, aber das sei "ja auch egal. Turbulente Szenen wechseln mit zum Gähnen langweiligen Wiederholungen und vorgetäuschter Tiefsinnigkeit (...). Leider wieder ein typischer Pollesch."

"Pollesch bleibt Pollesch", konstatiert auch Paul Jandl in der Welt (27.9.2013). "Und es wäre überhaupt ein Déjà-vu aus dem Üblichem, aus Ausstattung und philosophischem Erntedank, wenn Pollesch die Tür zu seiner Werkstatt hier nicht ein Stück weiter aufmachen würde als sonst". Die Identität der Figuren sei aufgehoben, "und was da im Stakkato der Sätze zwischen ihnen so hin- und hergeht, ist tatsächlich ein Ping-Pong mit dem Ich". Als "gestische Draufgabe" gebe es "Theoriegezwinker".

"René Pollesch hat eine Wild Card" und dürfe "in fast jeder Burgtheatersaison eine Uraufführung realisieren", schreibt Thomas Trenkler im Standard (27.9.2013). "Ob sein neuer Abend Niveau hat", sei egal. In "Cavalcade" gehe es "um nichts. Oder um alles: um Sein und Schein, um Wirklichkeit und Wahrheit, um große Gefühle und niedrige Instinkte, um die Funktion des Theaters und die Bedeutung von nordkoreanischen Presseerklärungen." Pollesch baue "ein paar nette, platte Wortspiele ein und schaffe einen schön melancholischen Schluss. Der Abend sei "dennoch geschwätzig".

Was Pollesch "in diesen witzigen, gewitzten 75 Minuten, in denen Worte, Worte, Worte Beziehungen aufbauen, wieder zerstören, erneut beginnen, in denen die Darsteller unverdrossen einen Anfang suchen, wieder scheitern, immer aber schön anzusehen sind und voller Verständnis für mehr Verständnis werben", abhandele?, fragt Norbert Mayer von der Presse (27.9.2013) rhetorisch. Und antwortet: "Man sollte sich von den Anspielungen auf populäre Denker wie Robert Pfaller oder Starbucks, auf Filmtitel von Frank Lloyd und Leos Carax nicht ablenken lassen – hier werben drei Personen um sich und um totale Aufmerksamkeit." Für ihn ist der Abend insgesamt "prächtig" geraten.

Für die Wiener Zeitung (28.9.2013) hat Petra Paterno ein Gespräch mit Birgit Minichmayr geführt, in der sie u.a. über die Arbeit mit René Pollesch spricht. Hier geht's zur Presseschau.

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