Ausgebeutet, befreit – verkatert

von Petra Hallmayer

München, 28. September 2013. Die Wände sind dicht mit Geweihen und Jagdtrophäen behängt, in einer Glasvitrine thront ein ausgestopfter Wolf neben dem herrschaftlichen Ledersessel. Die Bürger und Untertanen stehen auf der wie ein Museum ausstaffierten Bühne geduldig still, bis endlich die Dame Cäsar hereinstolziert und sich von einer Schuhputzmaschine genüsslich lange ihre Pumps polieren lässt.

Nach seinem gefeierten Gastspiel beim Festival Radikal jung, bei dem ihm mit der Tragödie Coriolanus ein aufregender Kommentar zur desaströsen politischen Lage in Ungarn glückte, nahm sich Csaba Polgár mit "Julius Cäsar" im Münchner Volkstheater erneut eines Shakespeare-Textes an.

Oberschichten-Teppiche ausklopfen

Für seine erste Inszenierung außerhalb seiner Heimat hat der 31-Jährige drei ungarische Gastschauspieler mitgebracht, die (unterstützt von Caroline Adler) als singstimmstarkes Volk und beständig herumgescheuchte Arbeitskräfte "vom Randgebiet" fungieren. In grauen Kitteln bürsten sie den Teppichboden aus, putzen die Fenster, polieren, entstauben und wienern, derweil die Oberschicht die Zukunft der römischen Republik aushandelt.

Die zentrale Frage bei Polgár ist nicht, ob der Tyrannenmord gerechtfertigt ist, sondern vielmehr: Was bringt er? Was kommt dann? Triumphierend reißen die Verkünder einer neuen besseren Zeit ihre blutbesudelten Hände in die Luft, nachdem sie den Kopf des zappelnden und kreischenden Cäsar in die Schuhputzmaschine gesteckt haben, und singen gemeinsam mit dem Volk "We Are the World". Doch die Einigkeit hält nur einen trügerischen Moment lang an. "Demokratie ist Freiheit! Los, an die Arbeit!" herrscht Brutus die Unterschichtler an, die ihn bloß als Claqueure interessieren.

Caesar1 560 ArnoDeclair uUrsula Maria Burkhart als Cäsarin © Arno Declair

Postsozialistischer Kater, zerfahren und unentschlossen

Polgárs "Julius Cäsar" ist geprägt vom großen postsozialistischen Kater, von einer tiefen Skepsis gegenüber dem Siegeszug der Demokratie. Auf das Volk ist kein Verlass, das sich als eine Horde wendehälsiger Schafe entpuppt, die dem Beifall blöken, der sie am raffiniertesten manipuliert, seine Eigeninteressen am schönsten verkleidet. Die Rhetorik des Umsturzes, die Phraseologie von Frieden und Freiheit dient lediglich den Ambitionen politischer Karrieristen. Die Eliminierung des (angehenden) Diktators führt zu blutigen Machtkämpfen und zur Perpetuierung der Unterdrückung unter anderen Vorzeichen.

Das alles kann man schlüssig anhand von Shakespeares Tragödie erzählen und passagenweise gelingt dies Polgár auch. Nur leider schafft er es nicht, daraus einen durchgängig fesselnden politischen Theaterabend zu machen. Zwar trumpft seine mit A-cappella-Chorgesang, kleinen Gags und ironischen Brechungen angereicherte Inszenierung mit starken Szenen auf, doch wirkt sie zunehmend zerfahren und unentschlossen.

Statt die spannenden Gegenwartsbezüge konsequent zu verfolgen und die im Programmheft gezogenen Parallelen zwischen der späten römischen Republik und der Krise Europas prägnant herauszuarbeiten, lässt Polgár die Akteure immer wieder brav und texttreu unbeholfen arrangierte Shakespeare-Szenen ausspielen. Er führt die Figuren als politische und menschliche Nullnummern vor, verleiht ihnen dabei aber keine karikierende Scharfzeichnung. Womöglich trugen ja die Sprachprobleme dazu bei, dass es der Ungar nicht vermocht hat, das Volkstheater-Ensemble klug anzuleiten und einzusetzen, dessen Schwächen an diesem Abend unübersehbar sind.

Und danach? Hoffnungslosigkeit!

Ursula Maria Burkhart als despotische Dame Cäsar changiert zwischen strahlendem PR-Lächeln und Geschrei. Pascal Riedel umwieselt sie als ihr devoter Darling Marcus Antonius, gewinnt als Redner und Politiker jedoch kaum Konturen. Mara Widmann knöpft als Cassius ihr lila Kleidchen auf und bedient sich ihrer körperlichen Reize als Argumente. Barbara Romaners mimt als Portia eine keifende und greinende Zicke. Jean-Luc Bubert bleibt in der so komplexen Rolle des Brutus blass und verfällt wiederholt in biederes unnuanciertes Textaufsagen.

Am Ende allerdings findet Polgár noch einmal zu einem entschiedenen Zugriff auf den Stoff, erteilt mit einer eindringlichen, traurig desillusionierenden Schlusswendung den Träumen von einer besseren Zukunft eine Absage. Die Ausgebeuteten "vom Randgebiet" erschlagen die Nachfolger Cäsars und werden ihre eigenen Herren. Allein sie wissen mit ihrer endlich gewonnenen Freiheit nichts anzufangen. Ratlos stehen sie herum und überlegen heimzukehren, bis schließlich einer fragt: "Was würden wir zu Hause machen? Kannst du mir das sagen?" Hoffnung war gestern.



Julius Cäsar
nach William Shakespeare
In der Übersetzung von August Wilhelm Schlegel bearbeitet von Gergely Bánki und Ildikó Gáspár.
Regie: Csaba Polgár, Bühne und Kostüme: Lili Izsák, Musik: Tamás Matkó, Licht: Günther E. Weiss, Dramaturgie: Ildikó Gáspár und Kilian Engels.
Mit: Ursula Maria Burkhart, Leon Pfannenmüller, Pascal Riedel, Jean-Luc Bubert, Mara Widmann, Justin Mühlenhardt, Johannes Meier, Barbara Romaner, Carolin Adler, Katalin Szilágyi, Richárd Barbarás, Tomás Herczeg.
Spieldauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause.

www.muenchner-volkstheater.de

 


Kritikenrundschau

Eine "eigenwillig verkürzte Shakespeare-Variante des Ungarn, in deren Herz das Misstrauen gegen alle Regierungen und Heilsversprechen wohnt", habe Polgár geschaffen, schreibt Sabine Leucht in der Süddeutschen Zeitung (30.9.2013). Dem Regisseur gelinge durch seine große "szenische Fantasie" ein "launiger Abend"; auch habe man die Volkstheater-Akteure "schon weit schlechter geführt gesehen". Allerdings wirke vieles an diesem Abend "beliebig bis albern und die Aufführung zerfasert gegen Ende immer mehr".

Polgár stelle die Frage, "wie viel Römisches Reich in unserer Gegenwart steckt", schreibt Michael Schleicher im Münchner Merkur (30.9.2013). "Machtstrukturen will er offenlegen, die Versprechen der Demokratie hinterfragen." Dabei sei die Inszenierung vor allem von den Schauspielerinnen getragen, die bei der Premiere "deutlich besser mit dem Text zurechtkamen als die Männer. Mara Widmann verpasst Cassius nicht nur das Talent zur machtpolitischen Intrige, sondern auch viel Verführungskunst. Portia wird bei Barbara Romaner zur überspannten Frau mit untrüglichem Instinkt: Sie weiß ihren Brutus so zu nehmen, dass dieser blass bleibt."

 

 

Kommentare  
Julius Cäsar, München: wenig Lichtblick
Ein sehr unbefriedigender Theaterabend. Der Tiefpunkt: Jean-Luc Buberts fast schon unverschämt anmutende Textaufsagerei, die nicht einmal den Versuch von Glaubhaftigkeit erkennen lässt und auf dem Niveau einer mittelmäßigen Schultheateraufführung stecken bleibt. Schließlich scheint seine Spielweise im Soufflieren durch die Kollegen eine Rechtfertigung zu finden und legt die Vermutung eines Regieeinfalls nahe, dessen Sinn sich allerdings im Laufe des Abends nicht klärt. Mara Widmann brilliert - leider der einzige Lichtblick dieser Produktion...
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