Psychogramm im Anekdoten-Netz

von Wolfgang Behrens

2. Oktober 2013. War Leander Haußmann eigentlich weg? Dass er nach einer allgemein als wenig geglückt empfundenen "Sturm"-Inszenierung am Berliner Ensemble 2003 den Theater-Bettel hinwarf (gelegentliche Rückfälle nicht ausgeschlossen), das wussten wir ja. Doch auch um den Filmregisseur Haußmann wurde es ziemlich still, so dass man schon ins Grübeln kam, ob man nicht in bester Boulevardmanier Sonnenallee und Herr Lehmann hinter seinen Namen setzen müsse, um den Leuten einen Begriff zu geben, wer dieser Herr Haußmann denn sei.

Berliner immerhin durften Haußmanns Nerd-Brille noch ab und an auf ihren regionalen Fernsehsendern bewundern, wenn es um eine Friedrichshagener Bürgerinitiative zur Verlegung von Flugrouten des neuen Berlin-Brandenburger Flughafens BER ging (was sich mittlerweile auch erledigt zu haben scheint, weil langsam Zweifel angebracht sind, ob es diesen Flughafen jemals geben wird).

haussmann buh 180 u

In jeder Himmelsrichtung: Haußmann

Die Frage, ob er weg war, stellt sich allerdings nur deshalb so dringlich, weil Leander Haußmann just in diesem Moment sowas von da ist, dass man – egal, in welche mediale Himmelsrichtung man läuft – ständig über ihn stolpert. Man schaltet arte ein und sieht Haußmanns (an den Kinokassen geflopten) Film Hotel Lux. Auf DVD erscheint dieser Tage Haußmanns und Sven Regeners humoristischer Offenbarungseid Hai-Alarm am Müggelsee. Am vergangenen Sonntag strahlte die ARD zur Prime Time Haußmanns Debüt als "Polizeiruf 110"-Regisseur aus (Kinderparadies – Prädikat: unbedingt sehenswert). Und am Theater arbeitet Haußmann ebenfalls wieder: Im November bringt er am Berliner Ensemble "Hamlet" heraus, auch nicht gerade ein Nebenwerk. Haußmann in allen Gassen. Und zu guter Letzt erscheint heute auch noch ein Buch von Haußmann: "Buh" heißt es und offeriert darüber hinaus den – zumindest, was den zweiten Punkt betrifft – höchst streitbaren Untertitel: "Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück".

Was das Wegsein betrifft, so kann man aus dem Buch lernen: Leander Haußmann ist nicht gerne weg, steht nicht gerne abseits der künstlerischen Öffentlichkeit, und die titelgebende Unmutsäußerung ist nicht das, was er anstrebt. Frank Castorf soll nach Haußmanns "Sommernachtstraum"-Inszenierung am Berliner Ensemble (seiner dritten) zu ihm gesagt haben: "Mensch Leander, du willst immer nur jeliebt werden, wa?" Ein Satz, der einem auch bei der Lektüre des Buches manches Mal in den Sinn kommt: Da buhlt einer mit seiner ganzen und natürlich nie ganz verstandenen Künstlerseele wirklich um die Zuneigung der Leser.

Vorsicht! Selbstmitleid-Infektionsgefahr!

Es gibt Stellen in diesem Buch, da möchte man sich ob der Larmoyanz des sich selbst beim Altern und Ausbrennen zusehenden Regisseurs schnell wegducken, um nicht mit Selbstmitleid infiziert zu werden. Und wenn er – erfunden oder nicht – in einer Sequenz des Buches die Schauspielerin Steffi Kühnert auffordert, ihn zum Bundesverdienstkreuz vorzuschlagen, und sich anschließend von ihr auch noch seinen selbst verfassten Nekrolog vorlesen lässt ("... er starb an, wie es hieß, gebrochenem Herzen in einer Anstalt für gescheiterte Existenzen ..."), dann scheint sich zur Weinerlichkeit zudem ironisch verbrämter Größenwahn zu gesellen. Buh!

Doch halt! – dieses "Buh!" ist gelogen. Ehrlich gesagt: Man wird Haußmanns Buch in der Regel lesen, ohne angewidert zu sein, es kann einen sogar völlig in seinen Bann ziehen. Denn dem Regisseur gelingt etwas Eigenartiges: Während er den Blick auf seine sentimentalen Abgründe freigibt – immerhin auch ein Ausweis von großer Ehrlichkeit, und wer kennt diese gefühligen Gemütsduseleien nicht? –, während er also das mitunter peinliche Psychogramm des Künstlers zeichnet, knüpft Haußmann um die Leser ein raffiniert assoziatives, streng nicht-chronologisches Netz von anekdotischem Witz, er bezirzt sie mit umwerfend selbstironischem Charme und entfaltet vor ihren Augen wunderbar pointierte, man möchte fast sagen: archetypische Szenen aus dem Theaterbetrieb zweier deutscher Staaten.

Vom Ost-Rocker zum Nachwende-Star

Man trifft auf Haußmann und seinen alten Kumpel Uwe Dag Berlin, wie sie als Schauspieler bei einem die Probenzeit mit Kantinenplausch vertändelnden Frank Castorf in der DDR-Provinz anfangen. Überhaupt erlebt man die DDR-Provinz als einen Sehnsuchtsort, an dem man mit jugendlich-rockiger Attitüde so richtig anecken konnte – was enorm Spaß gemacht haben muss, solange es nicht ernst wurde. Wenn Haußmann von diesen Zeiten erzählt, wird die vordergründige Situationskomik immer wieder von leiser Melancholie durchweht: Wie gerne wäre er noch immer jener jugendliche Rocker ...

Den Nachwende-Haußmann dürfen wir von Niederlage zu Niederlage (und zu gelegentlichen Erfolgen) begleiten: Hier ein missglückender Gedankenaustausch mit Botho Strauß, da ein vereinzeltes Buh im "Don Carlos" am Schillertheater Berlin, dort ein Buh-Inferno nach einer Münchner "Fledermaus"-Inszenierung. Und im Vorbeigehen erfährt man sogar noch, welchen zeitgenössischen Autor Peter Stein für "das größte Arschloch von allen" hält ...

Gänzlich unironisch und frei von jeder Sentimentalität wird Haußmann eigentlich nur ein einziges Mal – er erzählt dann in einfachen Worten vom Tod seines Vaters, des Schauspielers Ezard Haußmann. Am Tag der Beerdigung erscheint ihm sein Vater und ruft ihm zu: "Es geht mir gut, denn ihr seid alle schon da."

Womit wir auch ahnen, wo Leander Haußmann war, als er weg war. Schön, dass er wieder zurück ist!

 

Leander Haußmann
Buh. Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013, 272 S., 18,99 Euro

 

 

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