Übung in künstlerischem Ungehorsam

von Sascha Westphal

Oberhausen, 11. Oktober 2013. Brecht is back. Einer von Suse Wächters berühmten und schon an vielen Theatern gefeierten "Helden des 20. Jahrhunderts" kehrt zurück und das gleich mit einem eigenen, ganz auf ihn zugeschnittenen Abend. Doch so richtig ist dieser Heroe vergangener Tage noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen. Das versucht die etwa einen Meter große und wie immer bei Suse Wächter erstaunlich lebensechte Puppe zwar so gut wie möglich zu kaschieren. Aber Brechts wacher, mal fragender und dann wieder energischer Blick verrät mehr noch als sein grauer Flanellanzug und die Schiebermütze den Fremden.

Es ist nicht mehr Brechts Zeit. Nicht nur sein eigenes Theater, das Berliner Ensemble, liegt schon seit langem in fremden Intendantenhänden. Auch sein Werk, über das nun als letzte verbliebene Erbin seine Tochter Barbara Brecht-Schall mit Argusaugen wacht, scheint der Gegenwart entglitten zu sein, in eine Vergangenheit, die museal geworden ist. Dabei braucht das Theater gerade heute einen wie ihn. Also setzt Suse Wächter zusammen mit der Puppenspielerin Tine Hagemann und drei Ensemblemitgliedern des Oberhausener Theaters alles daran, Brecht und das 21. Jahrhundert miteinander bekannt zu machen. Das könnte der Beginn einer wundervollen Freundschaft sein, auch wenn Brecht mit der modernen Technik noch so seine Schwierigkeiten hat.

Alte Lieben, neue Technik

Constanze Kümmel hat ein riesiges Bett und einen kleinen flauschigen Hocker auf die ansonsten leere Vorderbühne gestellt. Mehr braucht es nicht. Schließlich bietet das Bett nahezu jeden erdenklichen Komfort. Ein neuer Flachbildschirm-Fernseher gehört genauso zu seiner Ausstattung wie ein alter Plattenspieler, eine Bar, ein Radio und ein kleines Regal mit Büchern. Hier kann Brecht in Erinnerungen an die Vergangenheit schwelgen, die Gegenwart in Form von Skype-Telefonaten und Videospielen kennen lernen und über das psychedelische "Holo-Deck", das wie auch alle anderen Fernseh- und Monitorbilder auf eine kreisrunde Fläche oberhalb des Bettes projiziert wird, mit der Zukunft Kontakt aufnehmen. Unterstützt wird er, der sich immer schon gerne mit Frauen umgeben hat und ganz genau wusste, wie er aus deren Kreativität seinen Nutzen zieht, dabei von vier Musen.

brecht 560b brigittekraemer uBrecht lebt, und zwar in Oberhausen © Brigitte Kraemer

Susanne Burkhard, Angela Falkenhan, Tine Hagemann und Torsten Bauer, der an diesem Abend versucht, sich als Frau neu zu erfinden, tragen alle wie auch die Brecht-Puppenspielerin Suse Wächter das gleiche Kostüm (Marysol Del Castillo), einen schwarzen, von silbrig glänzenden Fäden durchwirkten Overall. Sie sind die Frauen neben und hinter Brecht, sein Oberhausener Ensemble, das erst einmal vom Meister selbst examiniert wird.

Lehrers Liebling

Eine wahre Lehrstunde über den Verfremdungseffekt, das zentrale Element von Brechts Theorien zum Theater, beginnt. Susanne Burkhard, Angela Falkenhan, Tine Hagemann und Torsten Bauer überschlagen sich regelrecht. Immer wieder prescht eine von ihnen vor, dann antworten alle im Chor. Es ist wie in einer Schulstunde, in der jede des Lehrers Liebling sein möchte. Nur so recht glaubt keine der vier an ihre auswendig gelernten Antworten.

Die Theorie klingt einleuchtend, doch die Praxis bleibt ein Rätsel, dem Suse Wächter und ihre Mitspieler konsequent nachgehen. Ein Stück wird schließlich nicht gespielt, das verkündet Brecht gleich zu Beginn mit Wächters kratziger Stimme. Als Toter, der zurückgekommen ist, fehlen ihm halt die Rechte. Damit ist alles möglich in dieser Reflexion über V-Effekte und Victory-Symbole, über unsterbliche Gesten in der Renaissance-Malerei und die Gestik des Fußball-Stars Luca Toni. Zudem treten noch Laotse und Nietzsche als Puppen auf. Der chinesische Philosoph, ein Greis der Gelassenheit, der deutsche, ein Berserker in der Zwangsjacke. Alles steht ständig im Widerspruch zueinander. Daraus ziehen Suse Wächter und Brechts Oberhausener Ensemble eine groteske Komik, die auf ihre wunderlich-wilde Weise immer wieder zum Denken anregt.

Aberwitzige Gastauftritte

Über Video lernt Brecht dann auch Helge Schneider kennen, dessen irrwitziger digitaler Gastauftritt zu den absurden Höhepunkten der Inszenierung zählt, und erkennt in ihm einen Nachfolger seines Lieblings Karl Valentin. Susanne Burkhard, Angela Falkenhan, Tine Hagemann und Torsten Bauer haben zumindest als Spiel-Figuren weitaus mehr mit Brechts Ideen von einer distanzierten Schauspielkunst zu kämpfen. Die Gefühle drängen sich immer wieder dazwischen, bis schließlich Torsten Bauer ganz die Kontrolle verliert. In einer ebenso anrührenden wie absonderlichen Suada rechnet er mit allem und jedem im heutigen Theater ab. Dabei will er eigentlich das Gleiche wie Brecht. Doch das kann er nur in Auflehnung gegen den Helden des 20. Jahrhunderts erreichen. So funktionieren Suse Wächters Übungen in künstlerischem Ungehorsam.

Brecht (UA)
von Suse Wächter
Regie und Puppenspiel: Suse Wächter, Bühne: Constanze Kümmel, Kostüme: Marysol Del Castillo, Video: Timothee Ingen-Houß, Musikalische Leitung: Otto Beatus, Dramaturgie: Simone Kranz.
Mit: Susanne Burkhard, Angela Falkenhan, Tine Hagemann, Torsten Bauer.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause.

www.theater-oberhausen.de

 

Kritikenrundschau

Auf derwesten.de (14.10.2013) schreibt Andrea Micke einen Liebesbrief an die Darsteller des Abends. Die Kritikerin hat "eine einzige Abfolge genialer Ideen" gesehen. Die "kongenialste" Idee sei, Brecht als Puppe auferstehen zu lassen. "Das macht ihn herrlich fremd in dieser Welt der modernen Medien." Dabei sei er gleichzeitig so präsent – geführt und gesprochen von Regisseurin und Puppenspielerin Suse Wächter. "Eine unbeschreibliche Leistung allein diesen schwäbisch-bayrischen Dialekt Brechts so hinzukriegen." Und den anderen Schauspielern ruft Micke zu: "Wie Ihr es schafft, Brechts komplizierte Theorie so perlend wie ein auf ex getrunkenes Glas Sekt rüberzubringen, dass die Zuschauer sogar Spaß haben.Dabei spielt Ihr die Jünger des großen Mannes mit solch kindlicher Naivität, so eifrig, um im nächsten Moment wieder geschäftig in diese Sphäre der digitalen Kommunikation und virtuellen Welten abzutauchen. Toll."

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