Rede des Billeteurs

Diese Rede hielt der Platzanweiser (Billeteur) Christian Diaz am 12. Oktober 2013 spontan nach einer Pause auf dem Wiener Burgtheaterkongress (vor der Pause hatte Björn Bicker für ein offenes Theater der Teilhabe plädiert). Er wurde von der Kuratorin des Kongresses Karin Bergmann beim Vortrag unterbrochen (zum Videomitschnitt). Auf einem Blog auf tumblr.com ist die Rede in der hier publizierten Form veröffentlicht worden. Das Burgtheater Wien hat in einer Pressemitteilung reagiert. Sie ist im Anschluss an die Rede unten stehend im Wortlaut wiedergegeben.

 

 

Burgtheater Wien, den 12. Oktober 2013


Sehr geehrte Damen und Herren,

sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

sehr geehrtes Ensemble,

sehr geehrte Direktion,

Herzlich willkommen in der Utopie Theater! Mein Name ist Christian Diaz und ich arbeite nebenberuflich seit zwei Jahren als Billeteur am Burgtheater. Ich stehe hier, weil ich eine gewisse Dringlichkeit dafür empfinde, dass auf diesem Theaterkongress auch über die Welt der Arbeit vor der Bühne erzählt wird.

Der Kongress wird in wenigen Minuten seinem geplanten Verlauf folgen. Bis dahin bitte ich Sie herzlich um Ihre Aufmerksamkeit.

Ich bin einer von ca. 400 ArbeitnehmerInnen, die in den Wiener Bundestheatern als Publikumsdienst arbeiten. Als erste sichtbare Repräsentanten der Häuser tragen wir essenziell zur Inszenierung des Gesamtkunstwerks Theater bei. Gegenüber den Besucherinnen und Besuchern inszenieren wir das, was architektonisch österreichisches Nationaltheater, österreichische Hochkultur zu sein behauptet.
Auch wir sind Performer des Burgtheaters.

"Von welchem Theater träumen wir?" ist das Thema des Kongresses zu dem Sie heute hierher gekommen sind. "Von welchem Theater träumen wir?", das fragte ich mich auch, als ich mir vor einigen Monaten bewusst wurde, dass ich in Wirklichkeit nicht für das Burgtheater arbeite.

1996 nämlich gliederte die Bundestheater Holding den gesamten Publikumsdienst der Wiener Bundestheater aus, an den größten Sicherheitsdienstleister der Welt. Wir performen also das Burgtheater, sind aber eigentlich Security Angestellte.

Unser Arbeitgeber heißt G4S. Das steht für Group 4 Securior. G4S ist ein dänisch britisches Securityunternehmen mit Hauptsitz in Großbritannien. Es ist mit mehr als 600.000 Mitarbeitern, der größte Arbeitgeber an der Englischen Börse. Es agiert in mehr als 120 Ländern auf der Welt. G4S Österreich hat ca 3.000 MitarbeiterInnen und ist in
Österreich einer der Marktführer in Outsourcing und Security-Solutions. Das Dienstleistungsportfolio des Unternehmens ist sehr umfangreich. Hier eine kleine Zusammenfassung:

G4S ist spezialisiert auf Outsourcing Solutions. Das heißt, es profitiert von der Übernahme ehemals öffentlicher oder korporativer Dienste.

Es leitet und unterhält private Gefängnisse in England und den USA. Es organisiert Flüchtlingsheime, Abschiebegefängnisse und Sozialhilfe-Zentren in Nordengland. Außerdem kümmert es sich um den Schutz von Minen seltener Erden in Südamerika und Afrika, es fährt Sicherheitstransporte, es sichert westliche Unternehmen in Afghanistan, sichert Banken und Botschaften, Ölpipelines, Atomkraftwerke und Flughäfen weltweit. Mitte September diesen Jahres hat G4S Österreich einen 68 Millionen Euro Vertrag mit dem österreichischen Staat unterschrieben. Das Unternehmen wird in den nächsten 15 Jahren ein Abschiebegefängnis in Vordernberg in der Steiermark unterhalten und leiten.

G4S ist international in unzählige Kontroversen, Skandalen und Anklagen wegen Menschenrechtsverletzungen und Verletzungen des Internationalen Rechts verwickelt.

Die Outsourcing Modelle des Unternehmens beruhen auf Kostensparung und das heißt de facto: Personalkosten-Einsparung.

G4S wird von einer Vielzahl von NGOs weltweit dafür angeprangert schlecht ausgebildetes Personal stark unterbezahlt arbeiten zu lassen. In den letzten 7 Jahren zählt die Research-Kooperative "Corporate Watch" aus London, Proteste und Streiks gegen die Unterbezahlungsstrategie des Unternehmens in Nepal, Süd Korea, Namibia, Mozambique, Süd Afrika, dem Kongo, Israel, den USA, Kamerun, Indonesien, Marokko, Panama, Griechenland. Und das sind nur die dokumentierten Proteste.

2006 zahlte G4S in den USA erst unter politischem Druck, eine Million Dollar Überstunden an seine Angestellte aus, die es seit 1995 einbehalten hatte, so Corporate Watch.

2011 veröffentliche G4S die Kampagne "Arbeitende Gefängnisse, arbeitende Menschen", um englische Unternehmer für Gefängnisse als Produktionsstätte zu begeistern. In den G4S Gefängnissen in England arbeiten mehrere hundert Häftlinge 40 Stunden die Woche. Die Arbeitsstunden in den Gefängnissen sind so günstig und profitabel, dass Arbeit an Büromöbeln für das Unternehmen Norpro – zwischenzeitlich in Indien hergestellt – nun wieder in England hergestellt werden, so Corporate Watch.

2010 gingen Security Angestellte – meine Kollegen – bei der Abschiebung des Angolaners Jimmy Mubenga in London, gegen dessen Widerstand so aggressiv vor, dass dieser an Luftmangel erstickte. Dieser Fall wird in England momentan vor Gericht verhandelt.
Aufzählungen von Kritiken und Kontroversen um den multinationalen Konzern G4S ließen sich fast endlos fortsetzen.

Was, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben diese Fakten mit der Theaterpraxis dieses Hauses zu tun?

Was bedeutet es für die Utopie oder Heterotopie Theater, dass eine der renommiertesten kulturellen Institutionen dieses Landes schon seit vielen Jahren unhinterfragt mit multinationalen Unternehmen wie G4S, Novomatic, Agrana oder Casino Austria in einem Boot sitzen? Was sagen uns diese Fakten über eine Politik, die diese Outsourcing-Praktiken fördert und forciert? Was bedeutet das alles für die Glaubwürdigkeit dieses Theaters?

Von welchem Theater träumen wir?

Es ist dringend an der Zeit, dass sich das Burgtheater der ungerechten, hierarchischen und unsolidarischen Arbeitsbedingungen am eigenen Hause stellt. Es reicht nicht aus, sich mit pompösen Charityveranstaltungen wie dem "Lifeball" in der Öffentlichkeit ein gutes Image zu verschaffen. Es ist dringend an der Zeit, dass sich das Burgtheater wieder um alle Menschen kümmert, die zur Realisierung des Gesamtkunstwerks Theaters beitragen!

Ich träume von einem Burgtheater, dass sich gegen das Unternehmen G4S positioniert. Ich träume von einem Theater, das sich gegen die Politik stellt, welche Outsourcing, Privatisierung und damit wachsende Ungerechtigkeit in unserer Gesellschaft fördert.

Ich träume von einem Theater, das sich gegen die Abschiebung von Menschen wendet, die in anderen Teilen der Welt unterbezahlt und in Elend die Produkte unseres Wohlstands herstellen.

Ich wünsche Ihnen in diesem Sinne, einen informativen und produktiven restlichen Jubiläumskongress!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!


Erklärung des Burgtheaters zur Rede des Billeteurs


Wien, 14. Oktober 2013. Auf dem Jubiläumskongress des Burgtheaters nutzte ein Billeteur die offene Bühne, um eine Anklage gegen seinen Arbeitgeber, die Firma G4S, vorzubringen, die den Publikumsdienst stellt, seitdem 1996 diese Dienste aus Einsparungsgründen vom Bundestheaterverband ausgelagert werden mussten.

Er verteilte ein Flugblatt, in dem er fälschlicherweise das Burgtheaterlogo verwendete, um auf die verzweigten Geschäfte der weltweit agierenden Konzerne hinzuweisen, welche mit dem Burgtheater in Zusammenhang zu bringen sind.

Die Direktion des Burgtheaters hat Sympathien mit allen, die in den globalisierten Märkten Gerechtigkeit suchen. Es ist uns bewusst, dass mit dem Besuch einer Tankstelle oder eines Oberbekleidungsgeschäftes der aufgeklärte Bürger in ständigen Gewissenskonflikt gerät. Nach unseren Recherchen wurden die Geschäftsgebaren der Sicherheitsfirma in Österreich immer wieder als gesetzeskonform überprüft.

Die diensthabenden Kollegen des Billeteurs haben sich nicht mit seiner Aussage solidarisiert.



Mehr Beiträge zum Jubiläumskongress des Wiener Burgtheaters "Von welchem Theater träumen wir?":

Eva Maria Klinger gibt einen Überblick über die dreitägige Veranstaltung.

Reinhard Urbach wirft einen Blick auf die Geschichte des Hauses.

Andrea Breth über das Nationaltheater als (H)ort kultureller Identitätsbewahrung.

Johann Simons entwirft sein Theater der Nationen.

Björn Bicker plädiert für ein offenes Theater der Teilhabe.


 

Presseschau – Hinweise


Leserkommentar von Markus Karner
auf standard.de (15.10.2013, 21:36 Uhr)

Kommentar von Birgit Walter in der Berliner Zeitung (16.10.2013)

Meldung auf kurier.at (16.10.2013, 14:01 Uhr)

Community-Blogbeitrag von asansörpress35 auf freitag.de (16.10.2013, 18:33 Uhr)

Meldung auf nachrichten.at (18.10.2013, 9:18 Uhr)

Zusammenfassung des Interviews von Matthias Hartmann im Spiegel (21.10.2013)

Kommentar von Bernhard Odehnal im Zürcher Tages-Anzeiger (22.10.2013, 18:33 Uhr)

Bericht von Martin Lhotzky in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (29.10.2013)

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