Im Weißen Rössl - In Düsseldorf motzt Christian Weise den Operetten-Hit zu einem Stück intelligenter Unterhaltung auf
Brimborium mortale
von Martin Krumbholz
Düsseldorf, 16. November 2013. Das Singspiel "Im Weißen Rössl", uraufgeführt 1930 im guten alten Berlin, hat, wenn man richtig zählt, acht Urheber; der Komponist Ralph Benatzky ist nur der Prominenteste unter ihnen. Die Acht haben ganze Arbeit geleistet: Die Wolfgangsee-Operette ist eine Perle ihres Genres. Zündende, jazzig angehauchte Musik, prächtige Charaktere und ein wundervoller Wortwitz zeichnen das Werk aus, und eigentlich muss man sich hier nur bedienen – nicht umsonst gilt das "Rössl" als das meistgespielte Stück Musiktheater der Welt.
Trotzdem lauern Gefahren. Die biedere Verfilmung mit Peter Alexander aus den Fünfzigern lässt das Stück im Seichten stranden. Diesen Fehler wollte der Regisseur Christian Weise ebenso vermeiden wie jede ängstliche Verkleinerung seines Auftrags: Das Stück mit den Möglichkeiten des Düsseldorfer Schauspielhauses ganz ohne falsche Scham auf die Bühne zu bringen und dabei auch noch intelligentes Theater zu machen, muss ihn gereizt haben.
G'fühls-Klatsche
Weise und sein Team – der musikalische Leiter Jens Dohle, der famose Choreograf Alan Barnes – lassen es krachen. Warum auch nicht? Sie verlassen sich einfach auf das Potenzial der Vorlage und auf das ihrer Schauspieler. "Nicht der Kitsch übertrifft das Leben; das Leben übertrifft den Kitsch", hat Günther Nenning einmal zur Rechtfertigung des Operettenglücks notiert.
Aber ist das tatsächlich Kitsch? Der Kitsch manipuliert – zum Beispiel den Sonnenuntergang in den Alpen zur Kulisse für falsches Pathos. Das "Rössl" aber nimmt nichts ernst, weder die Kulisse noch die albernen Gefühlsverwirrungen, die sich darin abspielen. Allenfalls ganz im Kern, bei der überraschend starken Zuneigung des Oberkellners Leopold zu seiner feschen und schlauen Wirtin Josepha, findet man so etwas wie authentisches "G'fühl", verbunden mit einer extradicken Portion Stolz. Und dann ist es eine der schönsten Stellen des Abends, wenn Leopold, trefflich gespielt von Klaus Schreiber, das "G'fühl" sucht, wie eine lästige Mücke in der Luft herumschwirren sieht und killen möchte. Denn die Josepha, Imogen Kogge, liebt den Falschen: den patenten Patentanwalt Dr. Otto Siedler, der seinerseits… und so weiter.
Dummheit und peinliche Wünsche
Die Multiplex-Drehbühne von Jo Schramm – vorne Hotelrezeption mit Balkonzimmer und Speisesaal, hinten Gebirgspanorama mit Gipfelkreuz und totgeschossener Gemse – macht schon das halbe Abonnentenglück aus, und wenn die Briefträgerin Kathi zu jodeln beginnt, können sie sich vor "Bravi" kaum noch halten im Parkett. Und doch spürt man hin und wieder förmlich eine Schubumkehr der geballten Zuneigung im Saal: nämlich da, wo die Subversion das ganze romantische Brimborium von innen her annagt und zerfrisst. Wenn man sich nicht mehr so leicht distanzieren kann – wie vom misanthropischen Korsagenhersteller Wilhelm Giesecke, der sich noch unterm Gipfelkreuz nach einer Weißen mit Schuss sehnt (Hendrik Arnst macht ein pralles Porträt daraus) –, sondern wenn Menschen sich mit ihren Begierden vergaloppieren. Die notorische Dummheit des (namentlich Berliner) Touristen ist das eine, die Abhängigkeit des Menschen im allgemeinen von seinen peinlichen Wünschen (und der nahezu dadaistisch instrumentierte Angriff auf die Etikette) das andere.
Perfekt organisiertes Tableau
Natürlich löst sich am Ende alles in Wohlgefallen auf, das ist das Recht der Operette. Aber bis es soweit ist, werden genug kleine Sprengminen gesetzt, die die vermeintliche Idylle konterkarieren oder besser gesagt: gar nicht erst entstehen lassen. Um so perfekter freilich ist hier das Tableau organisiert, von den Ensembleauftritten und Tänzen über zirzensische Einlagen (wenn Florian Jahr mit Anlauf vom Balkon auf den Kronleuchter springt) bis hin zu den durchweg stimmigen Charakterprofilen. Das achtköpfige Orchester spielt famos, die Schauspieler (Anna Kubin, Imogen Kogge) singen prächtig. Und wenn Leopold sein herzzerreißendes "Zuschaun kann i net" preisgibt – wer könnte da widerstehen?
Ovationen also für einen intelligenten Blockbuster, einen bravourösen Gute-Laune-Abend am Düsseldorfer Schauspielhaus.
Im Weißen Rössl
Singspiel in drei Akten von Hans Müller, Erik Charell, Ralph Benatzky u.a.
Regie: Christian Weise, Bühne und Licht: Jo Schramm, Kostüme: Andy Besuch, Musikalische Leitung: Jens Dohle, Choreografie: Alan Barnes, Dramaturgie: Maria Linke, Stefan Schmidtke.
Mit Imogen Kogge, Klaus Schreiber, Hendrik Arnst, Anna Kubin, Florian Jahr, Moritz Führmann, Pierre Siegenthaler, Patrizia Wapinska, Wolfgang Reinbacher, Martin Schnippa, Catherine Stoyan.
Dauer: 2 Stunden 50 Minuten, eine Pause
www.duesseldorfer-schauspielhaus.de
"Von knallbuntem Klamauk" berichtet Petra Kuiper auf dem Portal der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung derwesten.de (18.11.20139. "Der Berliner Christian Weise inszeniert eine Persiflage mit viel Slapstick und neuen musikalischen Arrangements." Aber Berliner hin oder her: "Alles das ist schrill, geradezu anarchistisch, selten war ein Rössl rheinischer. Fast hätte man den Nebenmann untergehakt und geschunkelt."
In der Rheinischen Post (18.11.2013) jubelt Dorothee Krings: "Nur wer die schöne Heuchelei ernst, den Kitsch wichtig nimmt, kann es aufnehmen mit der leichten Muse. Am Düsseldorfer Schauspielhaus gelingt das famos." Regisseur Christian Weise habe „mit schlauem Humor, Tempo und pointierten Figuren ein pralles Stück Unterhaltung auf die Bühne" gebracht.
Eine "liebevoll ausgestattete und überzeugend gespielte Inszenierung" hat Marion Troja von der Westdeutschen Zeitung (18.11.2013) erlebt. "Auch wenn sich am Ende der knapp drei Stunden das Gefühl aufdrängt, hier doch allzu harmlos unterhalten worden zu sein."
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Dem Düsseldorfer Publikum wird es gefallen und das in letzter Zeit schlecht besuchte Haus füllen.