Aus dem Fernseher kommt heiße Luft!

von Jan Fischer

Hannover, 17. November 2013. Dass der Wind der Veränderung weht, hauptsächlich aus den Modems und den Routern und den kleinen Gadgets dieser Welt, das ist nicht schwer zu riechen. Dass sich einiges an nicht so einfach abzuleitender Unzufriedenheit zusammengebraut hat, das zeigen die Ergebnisse der letzten Wahl. Dass die herrschenden Zustände (und der Zustand der Herrschenden) für viele gerne auch anders sein sollen, zeigen die zehntausend sinnlosen Petitionen jeden Tag im Facebookstream. Der Punkt ist: Unter der Oberfläche brodelt es.

Sprachgymnastik am Schwebebalken
Das allerdings interessiert Christoph Frick nicht, der in "Sie können das alles senden" sich mit der Oberfläche befasst, mit dem, was die geschniegelten und gelackten Gestalten von den Wahlplakaten an geschniegelten und gelackten Reden in der Öffentlichkeit halten, auf Pressekonferenzen, im Bundestag. Klaus Wowereit ist dabei, der sich um den verschobenen Eröffnungstermin des Berliner Flughafens herumschlängelt, Christian Wulff, der sich von seinem Amt als Bundespräsident zurückzieht, und dergleichen mehr. Frick hat tief in den Archiven gewühlt und ist mit vielen, vielen Beispielen von Politikersprache und -rhetorik wieder herausgekommen. Zu Besten gegeben werden die Funkstücke vor der Kamera, sie werden in Mikrofone gesprochen, an langen Holzkonstrukten deklamiert, die – auf Stelen montiert – wie Sitzreihen eines Auditoriums aussehen oder Schwebebalken. Im Hintergrund wird der Bundesadler gehisst, und der Cellist Bo Wigets spielt, die Reden begleitend oder kontrapunktierend, das eine oder andere Lied.

Siekoennensenden1 560 Karl-BerndKarwasz uLiebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, gemeinsam sind wir stark! © Karl-Bernd Karwasz

Für Frick scheint das Leitmedium dabei nach wie vor diese Einwegkiste namens Fernseher zu sein; die politischen Reden, die weniger explizit dekonstruiert als vielmehr  übereinandergestapelt oder kontextuell leicht verschoben werden, finden in "Sie können das alles senden" zumindest in einem Raum statt, der keinen Kommentar, keine Interaktion erlaubt. Weder des Publikums noch der Akteure untereinander, die nie in Dialog treten, sondern sich höchstens mal gegenseitig vom Mikrofon wegschubsen. Im besten Fall – Wowereit spricht über den Berliner Flughafen, während die Mauer fällt, wird in Bonn über eine Erweiterung des Vereinsrechtes debattiert – dekonstruieren die Reden sich selbst.  Meistens aber hängen die kleinen Textstückchen, die Frick aneinandergeschnitten hat, im luftleeren Raum herum, während irgendwo anders Musik passiert oder sich jemand auch mal als Bundesadler verkleidet. Die Szenen fügen sich nie so ganz ineinander, stehen eher widerborstig zueinander.

Kleine, feine Idealdystopie
Frick reitet im ersten Teil – mit kurzen Ausflügen in Richtung Kabarett – auf der guten alten Pointe rum, dass "die da oben" ja doch nur heiße Luft produzieren, wenn sie sprechen. Mit der kleinen Erweiterung, dass heiße Luft, wenn sie an die falsche Stelle gelangt, auch nicht ganz ungefährlich sein kann. Im zweiten Teil wendet sich das Stück – kurz – der Gegenseite zu: Es werden kleinere Essays darüber vorgetragen, dass die Macht keinen Ort mehr hat, dass die Politik sich dem Bürger entfremdet, dass das Wort "alternativlos" ein schreckliches ist, weil es immer Alternativen gibt. Und im dritten Teil tragen alle Tüten auf dem Kopf, auf die das Gesicht von Angela Merkel gedruckt ist, und tapsen blind Richtung Ausgang.

So baut sich Frick mit seinem Dreisatz eine kleine, feine Idealdystopie zusammen, die damit endet, dass wir alle Merkeltüten auf den Kopf haben und ansonsten keine Ahnung von nichts.  Was – zugebenermaßen – ein Eindruck ist, den man gewinnen kann, wenn man den ganzen Tag nur fern sieht, sich nur die Pressekonferenzen anschaut, und vielleicht hin und wieder einen Blick in die gedruckte Zeitung wirft. Frick versäumt es allerdings, seiner Dystopie etwas entgegenzusetzen; er versäumt es, sie aufzubrechen. Bei ihm bleibt politische Rhetorik in der Antwortlosigkeit, im Nicht-Dialog hängen. Und damit bleibt "Sie können das alles senden" auch genau dort hängen, wo es angefangen hat, nämlich an der Oberfläche, wo der Wind der Veränderung nicht weht. Dabei wird es erst dadrunter richtig spannend.

Sie können das alles senden! Reden in der Demokratie. Ein Trainingslager
Regie: Christoph Frick, Bühne und Kostüme: Clarissa Herbst, Musik: Bo Wiget, Dramaturgie: Judith Gerstenberg, Johannes Kirsten.
Mit: Nicola Fritzen, Susana Fernandes Genebra, Elisabeth Hoppe, Wolf List, Sebastian Schindegger, Rainer Frank.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.schauspielhannover.de

ermöglicht durch:

 

logo stiftung-niedersachsen

 

 

 

Alle Texte des Niedersachsenschwerpunktes hier.

Kommentare  
Sie können das alles senden!, Hannover: Lob
Sehr guter Text + da hat sich das Schreiben eines Texts nach einer Aufführung mal gelohnt!
Kommentar schreiben