Zwei Dampfnudeln gehen stiften

von Esther Boldt

Frankfurt am Main, 27. November 2013. "Oder wir ziehen uns aus", sagt eine Dampfnudel zur anderen. "Das funktioniert ja oft." – "Ein bisschen geht es ja darum bei dem Ding hier", stimmt die andere zu. "Das Ding hier" ist ein Cofunding-Projekt, das die Frankfurter Aventis Foundation gemeinsam mit der Crowdfunding-Plattform startnext.de unter den Namen "Kulturmut" ins Leben gerufen hat. Die Dampfnudeln treffen sich im Werbevideo eines Projektes – schließlich geht es darum, die Internetgemeinde davon zu überzeugen, das eigene Theaterstück mit zu finanzieren. Bei Kulturmut waren Kulturschaffende aus dem Rhein-Main-Gebiet geladen, ihre Projekte auf der Plattform zu bewerben, und wenn sie ihr Ziel erreichten, würde die Stiftung ihren Anteil hinzutun.

zaun startnext 280 screenshot uRegisseurin Susanne Zaun vor den
Dampfnudeln im Startnext-Werbefilm.
Seit der Ausschreibung des Projektes im Sommer rumorte es in Frankfurts Kulturszene. Wie soll man es finden, dass eine finanzstarke Stiftung wie die Aventis Foundation, der pro Jahr eine Millionen Euro zur Verfügung stehen, die sie primär in große Institutionen wie Oper und Schauspiel steckt, dass diese Stiftung also das Crowdfunding für sich entdeckt – und diese nicht-institutionalisierte Form der Finanzierung zurückbindet an ihre Institution? 25 Projekte vom Filmfestival bis zum Ausstellungsraum hatten vom 14.10. bis zum 21.11. Zeit, per startnext.de Mittel und Unterstützer anzuwerben. Ein Index entschied darüber, wer in der Rangliste  oben stand – und also am Schluss den Stiftungs-Zuschuss erhielt. Zudem hatte die Stiftung zu Beginn einen "Booster" in Höhe von 25% der benötigten Mittel an zwölf Projekte vergeben. 18 Projekte wurden letztlich finanziert, 100.000 Euro wurden über Crowdfunding eingeworben, 200.000 Euro kamen von der Stiftung.

Meeting the Artist?

Es hätten zuletzt stets dieselben Institutionen bei ihnen Förderanträge gestellt, erklärt Eugen Müller, geschäftsführender Vorstand der Stiftung. "Wir haben uns gefragt, wie wir unsere Kontakte in der Kulturszene erweitern können. Da kam die Idee des Crowdfunding auf, mit dem Motiv, so zu neuen Kontakten zu kommen. Wir hatten die Hoffnung, auf neue kreative Schichten in der Kulturszene zu treffen, die uns bislang nicht kennen."

Susanne Zaun, die Regisseurin mit den Dampfnudeln, argumentiert ähnlich: "Wir hätten uns nicht entschieden, ein gewöhnliches Crowdfunding zu machen, sondern es war ein Anreiz, das Geld von einer renommierten Stiftung zu bekommen." Außerdem sind, und das ist keine Randnotiz, die Fördertöpfe des Landes Hessen ebenso wie die der Stadt Frankfurt nicht groß: Dem Land stehen 50.000 Euro für freie Theaterprojekte zur Verfügung, die Stadt Frankfurt verteilt nach dem Gießkannenprinzip 550.000 Euro auf rund 80 Projekte – die durchschnittliche Förderhöhe beträgt also 6875 Euro. Für die Premiere von Zauns "Manche sagen 1,75, andere 1,76" am Künstlerhaus Mousonturm fehlte es schlicht noch an Geld.

Meeting the People!

Wenn da aber zwei nacheinander gesucht haben – wenn die Stiftung neue Fördermöglichkeiten sucht und die freie Regisseurin neue Finanziers – warum geht man dann den Umweg über das Crowdfunding? Eugen Müller antwortet mit den Zauberwörtern des Internets: Transparenz und Partizipation. "Damit entsteht in diesem Medium eine große Teilhabe daran, wie Kulturprojekte entstehen, was sie kosten, was eine Stiftungsarbeit ausmacht et cetera", sagt er. "Das alles wird sichtbar, und damit mag auch eine Diskussion einsetzen darüber, wie Kulturprojekte finanziert und organisiert werden, wie sie Teilhabe erfahren. Das wird zu einem Prozess, an dem schon in der Entstehung des Kulturprojekts viele Menschen teilhaben."

Die Relevanzfrage wird im Krisenjahr 2013 permanent gestellt – offenbar auch in arrivierten Kulturinstitutionen. Jüngst vergaben die Bochumer Stadtwerke ihre Mittel zur Kulturförderung per Internet-Abstimmung (und lösten damit in der Bochumer freien Szene Proteste aus, wie gemeldet). Auf der Suche nach einer breiteren Öffentlichkeit landet man im Netz – wo kann man das Volk treffen, wenn nicht dort?! Dafür, dass auch die Frankfurter Aventis Foundation ihre kuratorische Verantwortung an die Internetöffentlichkeit delegiert, erhält sie Popularität. 3000 Leute haben sich an "Kulturmut" beteiligt, erzählt Müller stolz.

Als Kontaktmänner zwischen der Institution, der Kultur und der "Crowd" dienen die Künstlerinnen und Künstler. Ihnen bürdet diese Art, Fördermittel einzuwerben, eine deutliche Mehrarbeit auf: Wo die selbstverwalteten Selbstvermarkter sonst Anträge für Ämter und Stiftungen schreiben, um mindestens vierstellige Summen zu erhalten, werben sie beim Crowdfunding um jeden einzelnen Unterstützer – und um jeden einzelnen Euro. Ganz zu schweigen von den "Dankeschöns", die sie als Tauschwert anbieten müssen. Bei der BüchnerBühne aus Riedstadt gab es beispielsweise für 900 Euro eine Privatvorstellung mit Loriot-Sketchen, das Historische Museum verloste eine Reise nach München.

highscore startnext 280 screenshot uAlles Geben für die Highscore auf startnext.de

The Voice of Germany

Doch wer ist die Öffentlichkeit, die sich beim Crowdfunding zur Kultur bekennt? Gibt es den interessierten Internetsurfer, von dem Startnext ebenso spricht wie die Stiftung: der in den Untiefen des Netzes auf ein Kunstprojekt stößt, von diesem fasziniert wird und sich finanziell daran beteiligt? Oder gewinnt nicht derjenige, der entweder ein massenwirksames Projekt hat, das sich gut vermarkten lässt, oder aber einen großen Freundes- und Bekanntenkreis? Auf Platz zwei der Förderrangliste steht die Produktion des Debütalbums der 19-jährigen Sängerin Selima Taibi, die im letzten Jahr einen Kurzauftritt bei "The Voice of Germany" absolvierte. Förderhöhe: 25.000 Euro. Susanne Zaun sagt, sie kenne 95% der 223 Personen, die ihr Projekt unterstützt haben – teilweise mit der symbolischen Summe von einem Euro. "Wir haben sehr viel über symbolische Unterstützung gemacht", erzählt sie, "so sind wir auch an unsere Freunde herangetreten. Das hat nach dem Solidaritätsprinzip funktioniert, wir wollen nicht an eure Geldbeutel, sondern an diesen Fördertopf." Auf diesem Wege hat sie 4300 Euro eingeworben, 7185 Euro legte die Stiftung drauf. Und zusätzlich zu dem persönlichen Aufwand, den freie Theaterproduktion ohnehin darstellt, wird so auch noch das persönliche Umfeld geschröpft. Mehr als einmal sei das nicht denkbar, findet Zaun. Das funktioniere nur als Ausnahmesituation. Zumal man bei einem Projekt wie "Kulturmut" auch noch mit geschätzten Kollegen um den gemeinsamen Bekanntenkreis konkurriere.

Macht sich die Stiftung so obsolet?

Menschen, die ihre Arbeit nicht kennen, seien online schwer zu erreichen. Wie soll man eine Münchnerin, die weder Zauns Arbeit noch den Mousonturm kennt, von einer Unterstützung überzeugen? Ist doch Theater flüchtig und ortsgebunden. Projekte wie das großartige japanische Filmfestival "Nippon Connection" haben es sicherlich leichter, ihre Interessen im Netz zu kommunizieren und dafür auch nicht nur ihren Freundeskreis zu mobilisieren – wenn man auch nächstes Jahr wieder zum Festival gehen möchte, gibt man ein paar Euro und erhält dafür ein T-Shirt. Aber die gefährliche Folgefrage lautet natürlich: Macht sich die Stiftung da nicht obsolet? Oder legt sie es sogar darauf an?

Die Aventis Foundation jedenfalls ist sehr zufrieden mit ihrem Pilotprojekt. Ja, es sei vorstellbar, es im nächsten Jahr in ähnlicher Form fortzusetzen. Es bleibt ein schaler Nachgeschmack bei dieser Einverleibung des Internet-Pop durch die Institution, die letztlich nur durch die Eigenleistung der Künstler erreicht wird. Wie die Dampfnudeln im Werbefilm ganz richtig sagten: Man muss sich erst einmal richtig nackig machen, um etwas Warmes zum Anziehen zu finden.


Mehr zum Crowdfunding im Theater lesen Sie in einem Beitrag, den Esther Slevogt 2012 für nachtkritik.de verfasste. Alles zum Thema Internet und Theater auf nachtkritik.de enthält der gleichlautende Lexikoneintrag.

 

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