Blog - Die Performance an den Sophiensälen ist vorbei, aber das Tattoo bleibt
Fleisch geworden
von Georg Kasch
Berlin, 28. November 2013. Gestern in den Sophiensälen: Ausgerechnet "inkarnat" steht schließlich auf dem Unterarm einer jungen Frau, Fleisch geworden. Sie war ebenso wie ich Gast beim "Social Muscle Club". Ob sie den spontanen Entschluss heute bereut? Ich würde es. Schließlich ist das Ergebnis, eingestochen unter die Haut, dauerhaft, nur mit größtem Aufwand wieder entfernbar. Inkarniertes Ergebnis eines performativen Akts.
Gut, der "Social Muscle Club" mit seinem erhöhten Alkoholkonsum an Gartentischen, seinem spielerischen Charakter und seinem kommunikativen Anspruch bewegt sich ohnehin sehr auf der Grenze zwischen Performance und sozialer Skulptur, Bar und Party. Dennoch bleibt der Kunstanspruch, gibt es komplexe Bernstein-Lieder am Klavier und schräge Showeinlagen auf klapprigen Bühnengerüsten. Die Idee dazwischen: Jeder schreibt etwas auf einen Zettel, das er geben möchte – zwischen Designer-Sesseln, einer Kopfmassage oder zehn Minuten konzentrierter Aufmerksamkeit. Auf einen anderen Zettel kommt das, was man gerne hätte – einen Babysitter für Samstag, ein Gedicht über sich selbst, einen Handwerker für den Regalaufbau.
Ein Tauschgeschäft, so amüsant wie harmlos. Was aber, wenn ein Tätowierer im Saal ist, der anbietet, ein kleines Tattoo zu stechen, kostenlos natürlich, jetzt gleich, vor Ort? Einzige Bedingung: Man muss bislang unbeschrieben sein. Drei Frauen melden sich. Die erste geht noch vor der Tat im Streit mit ihrer Begleitung von Bord, die zweite lässt sich ein abstraktes Symbol stechen, die dritte "inkarnat" in geschwungener Schreibschrift.
Nun hat man in den dicken (manchmal auch eher dünnen) Wälzern der Performance-Theorie ja viel von solchen Leibeserprobungen gelesen. Die Narben von Marina Abramovic (zum Beispiel aus ihrer Performance "Lips of Thomas") – die waren dann doch echt, eine Überschreitung des "Als ob", ein "Eindringen" des Theaters in den Körper. Etwas Bleibendes.
Als Kritiker tendiert man dazu, so etwas als Archivwissen mit sich rumzuschleppen: Wissen wir, gab's schon, ist längst - Achtung, großes Wort - paradigmatisiert. Aber wenn man es dann mal live konkret erlebt, und zwar derart spontan, ungeplant, am Körper einer Zuschauerin, die hier zur Co-Akteurin wird, ist die Verstörung eben doch groß. Was sind das für Handlungen, die aus dem Theaterrahmen ins Leben springen? Ist das jetzt Kunst, was die Frau da auf dem Arm mit sich herumträgt? Oder ein Abfallprodukt einer Performance, die Kunst war? Das Flüchtige, sagt man, ist das Schöne am Theater. Was aber ist dann mit dem Bleibenden?
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