Einen großen Bogen machen

von Matthias Weigel

Leipzig, 5. Dezember 2013. Verlierer sind längst schon alle. Ob es stimmt, wie die Stadt nun nach einer Prüfung durch ihre Tochtergesellschaft mitteilt, dass Ex-Intendant Sebastian Hartmann für das 400.000-Euro-Defizit am Theater Leipzig verantwortlich ist, macht da auch keinen Unterschied mehr. Denn der eigentliche Schaden ist bereits entstanden: Zwei Intendanten schieben sich öffentlich den Schwarzen Peter zu, die Stadtverwaltung schaut regungslos zu und braucht drei Wochen zum Nachrechnen, während eine Boulevard-Zeitung populistische Lügen darüber verbreitet, wofür das fehlende Geld angeblich verprasst worden sei. Reaktionäre Stimmen freuten sich über das Öl in ihrem Feuer, während Stadt und Theater erst einmal ihr Gesicht wieder finden müssen.

Dass sich alles in Leipzig zugetragen hat, ist bestimmt kein Zufall. In einer Stadt, in der sich der Kulturdezernent nur noch um Zoo und Naturkundemuseum kümmern darf, in der ein Opernintendant bei vollen Bezügen drei Jahre beurlaubt ist, und sich der Oberbürgermeister über die Empfehlungen einer eigens eingesetzten Intendanten-Findungskommission hinwegsetzt. Man sollte den größeren Zusammenhang betrachten, um zu verstehen, wie so eine absurde Situation überhaupt entstehen konnte.

Stöhnender Kulturdezernent

Kurz nachdem Sebastian Hartmann 2008 Intendant in Leipzig wird, wechseln auch die Kulturdezernenten in Leipzig. Der neue, Michael Faber von der Linken, macht keinen Hehl daraus, dass er mit dem von seinem Vorgänger eingesetzten Intendanten nichts anfangen kann und stöhnt sich lauthals durchs Parkett des Theaters. Da er auch jung joerglangebildermanufaktur uOB Burkhard Jung
© Jörg Lange
ansonsten vor allem damit glänzt, dass er zum Beispiel Kulturkürzungen des Freistaates als problemlos bezeichnet, stellt Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) ihn nach anderthalb Jahren zur Abwahl. Und scheitert. Also entzieht Jung seinem Kulturbürgermeister kurzerhand die Befugnis über Oper, Gewandhaus und Theater – bis heute.

An der Oper ist derweil ein anderes Kabinettstückchen bereits voll im Gange. 2007 wird Opern-Intendant Henri Maier wegen Streitigkeiten nach seiner Vertragsverlängerung beurlaubt und weiterbezahlt. Ähnlich wurde mit dem ehemaligen geschäftsführenden Direktor Alexander von Maravic verfahren, über dessen Kopf hinweg zuvor schon einige Personalentscheidungen gefällt worden waren. Zu seinem Abschied verweigerte er der Leipziger Volkszeitung ein Interview mit den Worten: "Ich habe keine Lust, schmutzige Wäsche zu waschen."

Eine Million Abfindungskosten

Es scheint also etwas faul zu sein in Leipzigs Kulturlandschaft und Personalpolitik. Diese Fäulnis hat die Stadt in den letzten zehn Jahren knapp eine Million Euro gekostet, wohlgemerkt verschenkt durch Abfindungen und Beurlaubungen, wie aus einer Anfrage im Stadtrat hervorgeht. Es ist das übliche Spiel: Während sich die Arbeitsbedingungen für das "Fußvolk" immer weiter verschlechtern und bei Assistentengagen um 100 Euro mehr oder weniger gefeilscht wird, schmeißt man drei Etagen drüber das Geld mit beiden Händen aus dem Fenster.

hartmann mw uDer alte Intendant:
Sebastian Hartmann
Man hätte also mit einer vernünftigeren Personalstrategie das jetzige Defizit mehr als zweimal ausgleichen können. Doch die Stadtverwaltung plündert nicht nur die eigenen Kassen. Sebastian Hartmann wurde schon vor seinem Start zum Gegenstand eines politischen Gerangels. Der Findungskommission wurde damals vorgeworfen, zu wenig lokal besetzt zu sein; als er dann kam, hatte man schon genaue Vorstellungen, was der Neue zu tun habe und was bitte nicht. Auf das Gezerre reagierte dann Hartmann seinerseits trotzig und stieß rundum alle vor den Kopf.

Und nun also Enrico Lübbe, der genauso bereits vor seinem Start demontiert wurde: durch den Oberbürgermeister höchstpersönlich. Denn der meinte, diesmal einen neuen Intendanten besser im Alleingang auszuwählen und nicht auf die mit Theaterkritikern, Theaterwissenschaftsprofessoren und auswärtigen Intendanten besetzte Findungskommission hören zu müssen. Auf die darauf folgende Protestwelle gegen einen mutmaßlich uninspirierten Intendanten reagierte derselbe zunächst mit Zurückhaltung. Stoisch trat er seinen Dienst an und versuchte die ruhige Alternative zu Hartmann. Aber wie soll sich in diesem Klima eine Erfolgsgeschichte entspinnen?

Stadträtin fordert zum Duell auf

Und plötzlich müssen sich Hartmann und Lübbe doch unfreiwillig ins Duell begeben. Vorgänger gegen Nachfolger, die zwei einsamen Cowboys stehen sich auf einmal im Leipziger Staub gegenüber und sind gezwungen, ihre Colts zu ziehen. Der eine, weil er nach seinem unschönen Abgang nicht auch noch den Dreck hinterher geworfen luebbe lpzg uDer neue Intendant:
Enrico Lübbe
© Schauspiel Leipzig
bekommen will, und der andere, weil er schon zum Start die Kojoten in seinem Nacken spürt. Da stehen sie, schwitzen, und weil die Stadt drei Wochen braucht, um 400.000 Euro nachzuspüren, stehen sie ziemlich lange in der Sonne.

Nur wer hatte eigentlich zum Duell gerufen? "Herr Lübbe hat den Kulturausschuss über ein zu erwartendes Defizit informiert, was auch seine Pflicht ist. Dies hat er aber nicht öffentlich getan, sondern in einem nichtöffentlichen Gremium, aus dem diese Information herausgetragen wurde", sagt der Sprecher der Stadt Leipzig.* Nachdem das Defizit publik wurde, reagierte die Linken-Stadträtin Skadi Jennicke mit den Worten, Hartmann sei seiner Verantwortung als Intendant "damit einmal weniger gerecht geworden", die Verwaltung solle "auch mögliche Haftungsfragen klären". Und um das Bild zu vervollständigen: Frau Jennicke war unter Hartmanns Vorgänger Wolfgang Engel selbst als Dramaturgin am Leipziger Theater tätig. Zum Duell auffordern, aber den Colt dem anderen in die Hand drücken.

Das berüchtigtes "Leipziger Modell"

Nicht außer Acht lassen sollte man bei diesem Eklat auch die Verteilung der politischen Kräfte in Leipzig. Während die SPD traditionell die Oberbürgermeister-Mehrheit erlangt, sind CDU und Linke die stärkeren Parteien. In diesem "Leipziger Modell" gibt es keine feste Koalition, vielmehr wird mal mit dem einen, mal mit dem anderen entschieden. Man sagt in Leipzig längst, dass in der Stadtverwaltung die Posten nicht nach Eignung, sondern nach Parteibuch besetzt würden. Wenn dem so ist, könnte man jedenfalls nachvollziehen, warum die politischen Amokläufe nicht gestoppt werden, selbst nicht vom Stadtrat. Denn ein so undurchschaubar gestricktes Geflecht aus Abhängigkeiten, Gefälligkeiten und Schuldigkeiten führt zu einem politischen Sumpf ohne wirkliche Opposition. Was das Ergebnis und die Dauer der Prüfung jedenfalls deutlich aussagt: So eindeutig scheint die Rechnung nicht zu sein. Nachdem während der letzten drei Wochen noch nicht genug Gras über die Sache gewachsen ist, macht es jetzt den Anschein, als pirsche man sich langsam vor, nicht ohne sich dabei aber alle Wege offen zu halten.

Was lernen also Kulturschaffende daraus? Wer sowieso kurz vor der Rente steht, kann getrost versuchen, sich in Leipzig noch ein paar Jahre bezahlten Urlaub herauszuholen. Wer sich aber für die Sache aufopfern will und vielleicht sogar noch weiteres vorhat in seiner Laufbahn, sollte um Leipzig einen großen Bogen machen.

Und was die 400.000 Euro angeht, zu deren Verbleib die Sicht von Hartmann und seinem Verwaltungsdirektor noch anzuhören sein wird, so gibt es nur eine einzige Lösung. Die kommt selbst Ulrich Khuon, dem stets freundlich gestimmten Intendanten des Deutschen Theaters in Berlin, nur leicht genervt über die Lippen. "Wenn es ein Defizit gab, ist das unschön und es muss ausgeglichen werden. Aber jetzt sollte einfach die Stadt das Geld einmalig übernehmen, damit es neu losgehen kann."

 

*In einer frühren Version hieß es, Stadträtin Jennicke habe die Information nach außen getragen. Dem widerspricht Frau Jennicke: Sie habe den Inhalt der nichtöffentlichen Sitzung nicht öffentlich gemacht.

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