Totalgesamtkunstwerkausfall

von Regine Müller

Köln, 7. Dezember 2013. Im Festspiel-Sommer des nun zu Ende gehenden Wagner-Jahres war Helene Hegemann im Auftrag einer großen deutschen Wochenzeitung in Bayreuth. Nicht als Opernkritikerin, versteht sich, sondern als Abgesandte aus einem völlig anderen, aber vielleicht doch nicht so feindlichen Kulturbiotop. Hegemanns Betrachtungen oszillierten in unverhüllter Koketterie mit der eigenen Ich-hab-doch-keine-Ahnung-Haltung wortreich zwischen Befremden über den Rummel und Faszination für das Gesamtkunstwerk. Also höchste Zeit für die erste eigene Oper, pardon, das erste eigene Gesamtkunstwerk!

Multimedial übermalend

Denn nichts Geringeres hat sich das Leitungsteam von "Musik", in dem Hegemann als Librettistin und Regisseurin fungiert, tatsächlich vorgenommen. Schließlich klingt "multimedial" ja auch schon ein bisschen abgenutzt, "Gesamtkunstwerk" dagegen herrlich anachronistisch, und ja, auch ein bisschen größenwahnsinnig. Bei Lichte betrachtet freilich ist das, was man im Programmheft übers Konzept nachlesen kann, nichts Anderes, als die seit Jahrzehnten immer gleiche Packungsbeilage zu zeitgenössischem Musiktheater, die Risiken und Nebenwirkungen der angeblich immer wieder ach so neuen Formen beschreibt. Sparten- und genreübergreifend soll es sein, aufbrechen, integrieren, übermalen, überschreiben, einschreiben und so weiter. Das sind die Zauberformeln, die Fördertöpfe aufspringen lassen. So auch hier, denn mit nicht weniger als 80.000 Euro stiegen das Kultursekretariat NRW und die Kunststiftung NRW bereitwillig in das Experiment der Kölner Oper in der Ersatzspielstätte im Mülheimer Palladium mit ein. Ach, wenn's denn mal ein echtes Experiment geworden wäre!

Musik3 560 PaulLeclaire hIm Herzen der Oper: Dalia Schaechter als Klaras Mutter © Paul Leclaire

Tatsächlich ist "Musik" mit dem hübsch coolen Untertitel "I make hits motherfucker" langatmiges, fahriges, dabei kreuzbraves und aseptisches Theater. Dabei basiert "Musik" auf Frank Wedekinds gleichnamigem Drama, einem Sittengemälde von 1908, das vor dem Hintergrund des spätwilhelminischen Bürgertums die schwüle Geschichte einer angehenden Wagner-Sängerin (was sonst?) erzählt, die von ihrem Gesangslehrer zweimal geschwängert wird, mit ihm und dessen Ehefrau Else in einer menage à trois lebt, einmal abtreibt, dafür ins Gefängnis kommt und am Ende sitzengelassen wird.

Eklektizistische Komposition

Also Stoff genug für Eros und Drama, oder wenigstens deren konsequente Brechung. Doch Komponist Michael Langemann – ein Schüler Manfred Trojahns und des derzeit schwer angesagten George Benjamin – lässt ein klassisch besetztes Sinfonieorchester antreten, mit dem er Walter Kobéra am Pult des Gürzenich-Orchesters einen süffigen, spätromantischen Soundtrack ausbreiten lässt. Ungeniert bedient Langemann sich über weite Passagen bei Wagners "Tristan und Isolde", zitiert wörtlich die Venus-Szene aus dem "Tannhäuser", lässt hier ein bisschen Britten-Kolorit durchschimmern, bisweilen auch Janacek und zwecks Spannungsaufbau bei dramatischen Szenen auch den Beat der amerikanischen Minimalisten.

Zumeist allerdings fühlt man sich an die Filmmusiken Bernard Herrmanns zu Hitchcocks "Vertigo" oder "Marnie" erinnert: Üppiger Sound, suggestive Klangwirkungen, sogartige Steigerungen, wenn auch recht kurzatmig, wie Langemann generell alles nur anreißt, ohne einen wirklich spezifischen Ton zu finden. Auch bei den Gesangspartien bleibt der Tonsetzer überwiegend konservativ, sieht man einmal von den spitzen Koloraturen im ewigen Sopran-Schnee der Klara (fulminant: Gloria Rehm) ab. Am besten funktioniert Langemanns insgesamt völlig ungebrochen eklektizistische Tonspur im Zusammenspiel mit Kathrin Krottenthalers gewohnt virtuosen, grobkörnig schwarz-weißen Videos, deren Melancholie zwar bezwingend wirkt, doch auch ziemlich allgemein bleibt.

Musik1 hoch PaulLeclaire hAus Wagners Reich: Gloria Rehm als Klara
© Paul Leclaire

Fashion Victim und Kettenraucher

Auf mehreren Projektionsebenen flimmern Krottenthalers Filme, oft werden dazu eigens Vorhänge vorgezogen, derweil die sonstige Handlung stoppt. So bebildern die Videos die Orchesterzwischenspiele, die ansonsten keinerlei dramaturgische Funktion haben. Wie auch die ungelenk banalen Tanzeinlagen einer sechsköpfigen Truppe (Choreographie: Athol Farmer), die so überflüssig wie unverständlich sind. Mit Gesangspartien sind, neben der Hauptfigur Klara, ihr Lehrer (kernig: Henryk Böhm), Klaras Mutter (gewohnt präsent: Dalia Schaechter), ein gewisser Franz (souverän die Schwäche der Minirolle überspielend: John Heuzenroeder) und der Arzt in Mönchskutte (kurz, aber imposant: Lucas Singer) bedacht, während die Schauspielerin Judith Rosmair (Else) ein paar furios hysterische Auftritte als fashion victim und Kettenraucherin mit Gesangstalent hinlegt.

Helene Hegemanns Regie ist ansonsten ein Totalausfall und die ganze Dramaturgie tritt bereits nach spätestens 30 Minuten auf der Stelle. Die Melodram-Passagen gehen oft unter und die gesprochenen Strecken sind – obwohl von Mikroports gestützt – schwer verständlich. So ist man dann froh, wenn nach nicht ganz zwei Stunden das Drama, das trotz des hohen Einsatzes insbesondere von Gloria Rehm als Klara seltsam kühl lässt, sein erschöpftes Ende findet. Begeisterung seitens der Hegemann-Groupies, ansonsten höflicher Applaus.


Musik – I make hits motherfucker (UA)
von Helene Hegemann (Text), Michael Langemann (Musik), Janine Ortiz (Konzept)
nach Frank Wedekinds "Musik"
Regie: Helene Hegemann, Musikalische Leitung: Walter Kobéra, Bühne & Kostüme: Janina Audick, Video: Kathrin Krottenthaler, Licht: Nicol Hungsberg, Choreografie: Athol Farmer, Dramaturgie: Janine Ortiz/ Roland Quitt.
Mit: Gloria Rehm, Henryk Böhm, Judith Rosmair, Dalia Schaechter, John Heuzenroeder, Lucas Singer. Tanzensemble: Lisa Rölleke, Finja Johanna Wichard, Esther Manon Siddiquie, Nathalie Nord, Daniel Kalischewski. Gürzenich Orchester Köln.
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause

www.operkoeln.de

 

Die Schriftstellerin Helene Hegemann debütierte 2010 mit dem Roman Axolotl Roadkill, der nach euphorischer Aufnahme im Feuilleton bald eine heftige Plagiats-Debatte wegen einzelner bei dem Blogger Airen abgeschriebener Passagen auslöste. Gemeinsam mit der Puppentheater-Combo "Das Helmi" verarbeitete Hegemann den Fall im Mai 2010 in dem Theaterstück Axel hol den Rotkohl.

 

Kritikenrundschau

Selbst "in seinen anfängerhaft unausgegorenen und langatmigen Passagen" sei Helene Hegemanns Opern-Debüt "ein wunderbar unbescheidenes, jugendfrisches und poetisches Spektakel, das die Oper zwar nicht reformiert, aber das Gesamtkunstwerk ins Leben holt", schreibt Michael Struck-Schloen in der Süddeutschen Zeitung (9.12.2013). Wedekinds "Musik" interessiere sie "nicht mehr als Gesellschaftsanalyse, sondern nur noch als Reservoir von Motiven, die sie nach Belieben in ihre eigene Geschichte einfügt. Hegemanns Sprache besitzt die harten Konturen aus ihren Romanen, die verzweifelte Lyrik am Rande des Lächerlichen, das derbe Alltagsdeutsch". Der "konventionelle Operngesang" aber bleibe an diesem Abend "durchweg ein Fremdkörper. Es ist eine Musik, die sich unterordnet und anschmiegt an die übrigen Theaterelemente".

Im Kölner Stadt-Anzeiger (9.12.2013) schließt sich Markus Schwering angesichts dieser Produktion der "Fraktion der Ratlosen" an. Die Ratlosigkeit resultiere "zu einem Gutteil daraus, dass diesmal alle Urteilskriterien, die man üblicherweise an einen Opernabend heranträgt, ins Leere laufen." Die Auffassungsfähigkeit des Zuschauers müsse vor dem "kalkulierten akustischen Reizüberfluss und –überschuss" schnell kapitulieren. "So läuft das eben in der heutigen Lebenswelt, scheint die Regie suggerieren zu wollen. Nun ja, aber das wissen wir ja eigentlich schon, Kunst sollte mehr tun, als in ihrem Innenraum das, was ohnehin der Fall ist, lediglich zu wiederholen." Die Intention des Produktionsteams, "dass im Zentrum von Klaras verhängnisvoller Selbstaufgabe die Leidenschaft zur Musik" stehe, werde "in der szenischen Realisierung nicht recht glaubhaft."

Helene Hegemann bekenne sich "zu ihrem Fremdeln gegenüber der traditionellen Oper", schreibt Bernhard Hartmann im General-Anzeiger (9.12.2013). Gerade daraus wolle sie "ihre 'Idealvorstellung vom Musiktheater' entwickeln." Aber es bleibe "wohl ihre persönliche Idealvorstellung. Denn nichts wirkt in dieser Inszenierung wirklich zwingend. Schon gar nicht die Entscheidung für Wedekinds Text." Immerhin erweise sich der Komponist Michael Langemann "in der Musik-Adaption als souveräner Routinier".

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (10.12.2013) weiß Gerhard R. Koch: "Zielt Helene Hegemann also einerseits auf eine Phantasmagorie von Musik letztlich doch wieder eher als Himmels- denn als Höllenmacht, probiert sie andererseits eine kaleidoskophafte Trash-Ästhetik nach Art von Frank Castorf aus." Der Text werde mit dem Begriff "Collage" nicht gut getroffen – "eher kommen einem barocke Manierismus-Topoi wie Pasticcio oder mehr noch Concetto in den Sinn. Oder man kann es auch einfach ein Text-Sammelsurium nennen." In seiner Zeitgeist-Schnipsel-Ästhetik jongliere dieser Abend über nicht eben wenige Abgründe hinweg, aber immerhin werde es nicht langweilig.

Viel Wedekind-Originaltext ist nicht übrig geblieben, dafür gibt es viel leerlaufendes Gequassel heutiger Metropolenintellektueller über Musik, Mode und Lifestyle, schreibt Stefan Keim in der Welt (11.12.2013). "Eines gibt es nicht: Gefühle." Für tiefer gehende Psychologie interessiere sich weder die Dramatikerin noch die Regisseurin Hegemann. "Das wäre kein Problem, wenn dafür wilde, orgiastische oder zumindest interessante Bilder den Zuschauer überwältigen würden." Die Uraufführung von "Musik" scheitere an überraschender Biederkeit. Alle sinnlichen, erotischen, irgendwie erregenden Momente zeigten die Videoprojektionen. Hier gelängen allerdings Kathrin Krottenthaler (…) wahrhaftig mitreißende, schnell geschnittene Schwarzweißaufnahmen. "In dieser misslungenen Theateraufführung steckt immerhin ein guter Kurzfilm."

Kommentare  
Musik. I make hits …, Köln: Erklärung gewünscht
Ich wusste nicht, dass Helene Hegemann eine ausgebildete, erfahrene Regisseurin und Libretto/Stückeschreiberin ist. (…) Eine Erklärung vom Operköln wäre wünschenswert.
Musik. I make hits …, Köln: Up-to-date-Pflege
Der Abend wär ärgerlich gewesen, wäre man nicht drei Viertel der Zeit mit fremdschämen beschäftigt gewesen. So pflegt also die Hochkultur ihr Up-to-date-Dasein! Wie (…) Hegemann protegiert und finanziert wird, ist für jeden Regieschüler ein Schlag (…)! Und ansonsten: wen interessierts?
Musik. I make hits …, Köln: unbegreiflich
gute kritik! ich verstehe nicht was das soll, sich an eine Sache ranzuwagen (Gesamtkunstwerk, wagner, oper etc) ohne jegliches handwerk zu besitzen und kenntnis davon zu haben!?
Mir ist das aus künstlerischer Sicht unbegreiflich!
Musik. I make hits …, Köln: keine Neiddebatte
Filmregisseure inszenieren am DT und anderswo, warum sollte nicht eine Romanautorin mit viel Theatererfahrung ua auch Inszenierungserfahrung etwas inszenieren? Was hat das mit protegieren zu tun? Außerdem profitiert doch die Oper Köln auch von der Aufmerksamkeit oder etwas nicht? Oder wann ist die sonst in den Schlagzeilen...Also bitte keine Neiddebatte!
Musik. I make hits …, Köln: Neid und Nachnamen
jaklar. die meisten platzanweiserInnen haben auch wahnsinnig "viel Theatererfahrung". inspizienten ebenso. beleuchter. tontechniker.
aber neeklar, sowas hat ja nur mit neid zu tun. null mit nachnamen.
träumen sie weiter...
Musik. I make hits …, Köln: fragwürdige Reihe
Na wenn Aufmerksamkeit alles ist, lieber Florian, dann kann man das so sehen. Aber hier sollte es doch eigentlich um etwas anderes gehen?! Manchmal ist es doch besser, die Finger von Dingen zu lassen, von denen man keine Ahnung hat. Und dass das so ist, sieht man nicht nur, das hat Frau Hegemann selbst in Interviews immer wieder gesagt... Übrigens: Sie in die Reihe all der gescheiterten Filmregisseure zu stellen, die meinten, Musiktheater inszenieren zu können, ist auch nicht sonderlich klug ;-)
Musik. I make hits..., Köln: nicht angebrachte Häme
Die Oper Köln und Helene Hegemann haben (möglicherweise, ich habe die Aufführung nicht gesehen) einen künstlerischen Misserfolg zu verantworten. Das ist das Eine.
Das Andere ist, dass reflexhaft argumentlose Häme ausgeschüttet wird, die auf den Namen, das Alter, die Ausbildung, die Erfahrung der Künstlerin abhebt. Würde man grundsätzlich in solchen Kategorien denken, hätte z.B. jemand wie Schlingensief nie an der Volksbühne engagiert werden dürfen.
Ich habe unendlich schlechte Abende von Absolventen der Opernregie-Klassen gesehen, aber wie jeder Künstler hatten auch diese Absolventen das Recht zu scheitern. Auch Helene Hegemann hat das Recht zu scheitern. Das sollte man ihr zugestehen. Wenn die Oper Köln jemanden wie Helene Hegemann auf Grund einer bestimmten Aufmerksamkeitsökonomie oder auch auf Grund bestimmeter künstlerischer Erwartungen engagiert, dann geht auch das Haus das Risiko des Scheiterns ein (wie übrigens bei jedem Engagement). Damit muss es dann fertig werden, das ist seine Verantwortung. Häme aber der hier geäußerten Art halte ich für nicht angebracht. Man sage, warum die Inszenierung misslungen ist: Das muss reichen!
Musik. I make hits …, Köln: Argument stichhaltig?
Lieber Herr Behrens, wenn sie als Argument eine Aufmerksamkeitsökonomie ins Feld führen, dann frage ich mich allerdings, ob das Argument stichhaltig genug ist, um Frau Hegemann deshalb eine Opernregie anzuvertrauen. Auch ihre Fähigkeiten aus einem Blogg abzuschreiben, sprechen noch nicht wirklich für eine Regieposition. Häme kommt eben dann auf, wenn man zudem weiß, dass die Familie Schlingensief-Hegemann keinen unerheblichen Einfluss in der Theaterszene hat. Deshalb finde ich es absolut legitim, wenn einige Kommentatoren nicht vordergründig über die Inszenierung reden, sondern die meiner Meinung nach korrupten Verhältnisse hinter der Bühne brandmarken.
Musik. I make hits..., Köln: korrupt, ein großes Wort
Lieber Carl,
Aufmerksamkeitsökonomie ist m.E. immer ein Faktor. Wenn ein Haus bestimmte Namen an sich bindet, dann folgt das ja nicht immer nur rein künstlerischen Erwägungen, weil x oder y ein geniales Konzept vorgelegt haben, sondern man will mit den Namen erst einmal Aufmerksamkeit. Was dann herauskommt, muss man immer hinterher sehen.
Drehen wir die Sache mal um: Wenn es wie hier darum geht, experimentelles Musiktheater zu machen, was wäre denn ein stichhaltiges Argument, jemandem eine Regie anzuvertrauen? Routine und gute Ausbildung sind ja auch nicht gerade ein Garant für Experimentierfreude ...
Was Sie über die korrupten Verhältnisse sagen, geht für mich in den Bereich der Unterstellung über. Die Namen Hegemann und Schlingensief mögen für eine bestimmte Ästhetik stehen, und es gibt viele Institutionen die sich mit dieser Ästhetik und diesen Namen schmücken wollen, klar, geschenkt. Aber was ist daran korrupt? Ist ein Theater korrupt, weil es Peter Stein wegen seines großen Namens engagiert?
Es gibt sicherlich das Phänomen, dass Träger eines bestimmten Namens in bestimmte Bereiche leichter oder schneller hineinrutschen - das ist fast überall so, auch in der Wirtschaft, in der Musik oder wo auch immer. Aber wie soll man damit umgehen? Soll man es den entsprechenden Personen verbieten, sich in diesem Bereich zu betätigen? Ist das Experiment, Helene Hegemann Oper inszenieren zu lassen, per se sittenwidrig? Nein, ist es nicht. Hinterher darf man dann gerne sagen: Das war aber echt oberdoof. Aber man soll das bitte an der Arbeit festmachen, nicht an der Person. Und nicht mit Unterstellungen operieren.
Musik. I make hits …, Köln: mehr Sachkenntnis!
@ Lieber Herr Behrens,
mir ist es zuerst mal ganz gleich, ob und wo Frau Hegemann was macht und wie sie dazu kommt. Bei allem Verständnis aber für Ihre ausgleichende Funktion, ist es jedoch schon hanebüchen, Frau Hegemann in derart beizuspringen, dass Sie sie mit Schlingensief vergleichen. Das zeugt schon von großer Unkenntnis und davon, dass auch Sie eher dem Lager derer zugehören, das dem Feuilletonphänomen Hegemann aus welchen Gründen auch immer den roten Teppich ausrollt. Ich finde die staccatohaften Bezugnahmen Hegemanns auf Schlingensief selbst schon irgendwas zwischen lächerlich und ärgerlich, ganz so wie auch ihr Vater gerne als selbsternannter geistiger Urheber von Schlingensief durch die Hochkultur stolziert. Eines ist der Rückgriff auf Schlingensief aber in jedem Fall: anmaßend. Frau Hegemann und ihren - wie ich auf nachtkritik las - "Fans" geht es sicher runter wie Öl. Aber etwas mehr Argumentation und Sachkenntnis Ihrerseits dürfte es dann schon sein, meinen Sie nicht auch?
Musik. I make hits …, Köln: verschlungene Wege
Lieber Topos,
der Vergleich mit Schlingensief erfolgte nicht, um Helene Hegemann ästhetisch zu adeln, und ich habe auch keine große Lust, ihr den roten Teppich auszurollen. Es geht mir nur darum, dass es in der Kunst verschlungene Wege gibt, auf denen es zu tollen Ergebnissen kommen kann. Ausbildung und Erfahrung sind nicht immer die wichtigsten Voraussetzungen, daher kam der Schlingensief-Vergleich. Ihn an der Volksbühne Theater machen zu lassen, widersprach in den 1990er Jahren doch jedem gesunden Theaterverstand. Auch Patrice Chereau nach Bayreuth zu holen – ein anderes Beispiel –, war einfach nur verrückt - und es ist Großes daraus geworden. In den allermeisten Fällen resultiert aus dieser Art Kamikaze-Engagements indes gar nichts. Aber, ich wiederhole mich: So ist das halt in Dingen der Kunst. Scheitern als Chance. Dass nicht jeder die Chance zu scheitern bekommt, steht auf einem anderen Blatt.
Musik. I make hits..., Köln: in Ruhe scheitern lassen
Es zeugt aber auch von ziemlich viel Unwissen bis hin zu Böswilligkeit - und ja, das ist unangebrachte Häme sicher auch unterfüttert von Neid - Helene Hegemanns künstlerische Biografie auf ihre "Fähigkeiten aus einem Blogg abzuschreiben" zu reduzieren. Mag man von ihrem ersten Roman halten, was man will (nur wer ihn NICHT gelesen hat, wird ihn als reine Abschreiberei abtun), aber es gibt dazu noch mind. ein zu Recht viel beachtetes Spielfilmdebüt, einen 2. Roman und einiges an künstlerisch umtriebigen Tun als Darstellerin, Regisseurin usw., worüber sich nur nicht jedes Mal gleich das Feuilleton das Maul zerreißt. Ich gebe Herrn Behrens völlig Recht: lasst doch eine junge Künstlerin, die es sicher gerade wegen ihres Namens und des darauf aufgebauten Erwartungsdrucks nicht einfach hat, einfach auch mal in Ruhe scheitern.
Musik. I make hits …, Köln: zwei hinkende Beine
@ Lieber Herr Behrens,
Schlingensief an die Volksbühne zu holen widersprach mitnichten dem Theater-, allem voran nicht dem Volksbühneverstand der frühen Neunziger. Auch dieser vergleich hinkt, und das gleich auf zwei Beinen. Umso sind Sie es, der hier mit einer Unterstellung operiert. Und mit Verlaub, auch an die Volksbühne kam Schlingensief nicht durch oder wegen Herrn Hegemann, und von einer einflussreichen Schlingensief-Hegemann-Familie wüsste ich jetzt auch nichts, auch wenn Teile dieses "Bundes" das sicher gerne sähen. Der Regisseur, hat Zadek gesagt, ist ohne den Dramaturgen alles, der Dramaturg ist ohne den Regisseur nichts. Darauf beruht seine ganze Neurose.
Musik. I make hits..., Köln: Debüt-Differenzierung
Lieber Topos,
ach, warum müssen wir uns streiten?
Habe ich je behauptet, Carl Hegemann habe Schlingensief an die Volksbühne geholt?
Bevor Schlingensief erstmals Theater machte, hat er kein Theater gemacht. Erstmals Theater machte er an der Volksbühne. Es ist gut gegangen.
Bevor Helene Hegemann erstmals Oper machte, hat sie nie Oper gemacht. Erstmals Oper machte sie an der Oper Köln. Es ist (möglicherweise, wenn man einigen Zeugen glaubt) schief gegangen.
So. Mehr will ich eigentlich gar nicht sagen. Ich glaube nicht, damit allzu viel zu unterstellen.
Musik. I make hits..., Köln: auch auf Dramaturgie gucken
Na ja, wenn man hier in diesem Zusammenhang über die Regie diskutiert, dann müsste man auch über die Dramaturgie diskutieren....
Aber war und ist es am Theater nicht immer so?
Musik. I make hits …, Köln: was richtig ist
@ Lieber Herr Behrens,
leider doch, sie unterstellen einen Karrierebezug zwischen einer protegierten One-Hit-Autorin und einem zu Zeiten seines Theaterdebüts bereits gestandenen Filmemachers (dessen Theaterdebüt außerdem, wenn ich es in der Schlingensief-Retro richtig gelesen habe, eine eigene Drehbuchadaption gewesen ist). Und das ist fahrlässig und falsch. Darüber braucht man sich nicht zu streiten. Das ist richtig.
Musik. I make hits …, Köln: Wenn ich Intendant wäre
Lieber Herr Behrens,
wenn ich Intendant wäre, würde ich mich mal mit Frau Hegemann unterhalten. Wenn ich fände, sie ist außergewöhnlich intelligent und interessant und würde was Verrücktes und Eigenes anstellen, würde ich sei engagieren. Wenn ich den Eindruck hätte, da ist nix Eigenes, sie surft nur auf einer Welle, würde ich es nicht tun. Wenn ich den diesen Eindruck hätte und ich gäbe ihr trotzdem die Produktionsmittel, weil der Name Aufmerksamkeit verspricht, dann ist das kunstfern oder zynisch oder korrupt.
Musik. I make hits …, Köln: genau kalkuliert
...würde helene hegemann nicht helene hegemann sein, die als medial interessantes produkt in einer spezifischen kunst-bzw. gesellschaftszone gemacht und dann herauskatapultiert wurde, sein, dann wäre ihr niemals die aufmerksamkeit zugekommen, die ihr zukommt, weder beim ersten noch beim 2. roman noch bei ihrem operndebut. hier kalkulieren alle sehr genau, was für sie im Umgang mit dem produkt rausspringt….allerdings ist die frage, ob helene hegemann nicht die leidtragende ist und das macht doch am ende traurig?
Musik. I make hits …, Köln: Arien wie Performances
Ich finde es schade, dass hier von mangelndem Handwerk die Rede ist. Ich habe die Premiere gesehen und fand die Regie flüssig und natürlich. Keine Statik oder Langeweile sondern souveräner Umgang mit der Raumbühne und viele überraschende Momente. Die Liebesgeschichte zwischen Klara, ihrem Gesangsprofessor und dessen Ehefrau hatte eine tolle Erotik, die nie geschmacklos war. Die Arien waren wie Performances inszeniert, was super zu den restlichen Popanspielungen des Abends gepasst hat.
Und warum sollte Frau Hegemann auch keine handwerklich einwandfreie und noch dazu ansprechende Arbeit gelingen? Schließlich hat sie bereits einen Film gedreht, als Schauspielerin gearbeitet und ein Sprechtheaterstück inszeniert. Das ist mehr als die meisten von sich behaupten können, die zum ersten Mal eine Oper auf die Bühne bringen.
Musik. I make hits …, Köln: bloß falsch gelabelt
Sehr geehrte Freunde des Musiktheaters,
ich schätze eure Debatten, denn eure Debatten werden die Oper überleben lassen. Unter Anderem. Diese Streitbarkeit der Oper zeigt mir, dass sie noch lebendig ist, und da ich die Oper sehr gern mag, goutiere ich auch diese teilweise doch ganz arg von Neid und Unwissen geprägten Kommentare.
Auch ich war an besagtem Abend anwesend, kann von daher sagen: Es war keinesfalls ein Totalausfall der Kunst. Wie eine gute Freundin von mir treffend bemerkte war es schlicht und einfach ein falsch gelabelter Theaterabend, den man von vornherein an ein jüngeres Publikum hätte adressieren sollen. Ich sah aber ausgesprochen viele deutlich ältere Menschen um mich herum, von denen sogar nicht mal der größte Unmut ausging. Das waren mittelalte Verfechter der Hochkultur, man konnte sie sehen. Es waren nicht viele Buhs, aber zähe; es waren ziemlich viele Bravos, und die Hegemann-Fan-Clique auf der Premierenfeier war ziemlich klein. Könnten es vielleicht auch Bravos für die Leistung der Darsteller gewesen sein? Nein, es waren diese schrecklich unreflektierten Hegemann-Groupies, schon klar. Darunter die Sängerin der seit Jahrzehnten erfolgreichen Band 2Raumwohnung, wie ich meinte zu erkennen- weit über 50, wahrscheinlich keine Ahnung von Musik. Ein unreflektierter Groupie..-
Da ich in Köln und Umgebung doch öfters mal ein Theater besuche und gerade in Köln im Vergleich zu anderen großen Städten immer wieder den im Inneren unheimlich konservativen (wenn auch dadurch nicht immer schlechten) Regiestil bewundere, habe ich mich darüber gefreut, dass man hier in einem Förderprojekt für junge Künstler einem Team (nicht einer Einzelperson, an der sich hier alles aufhängt!!!) die Chance gibt, neues Theater zu machen. Wenn man mit den Damen oder dem Komponisten ins Gespräch kommt fällt einem vor allem die unheimliche Eloquenz, die Kompetenz und auch die Bescheidenheit der Frau Hegemann und ihrer Kolleginnen/Kollegen auf. Herr Guttenberg: Diese junge Frau IST wirklich ausgesprochen klug; säße sie Ihnen gegenüber, würde sie Sie eventuell gegen die Wand reden können. Und Die Intendantin der Kölner Oper sowie die Herren dieses Fonds hätten keinen klügeren Schachzug planen können, als die Bewerbung dieses Teams anzunehmen, um mediale Aufmerksamkeit für junges Musiktheater zu bekommen.
Die kann das Medium Oper in Zeiten der Sinnfrage und der Theaterschließungen nun wirklich ausgesprochen gut gebrauchen, oder?
Man kann hier über Geschmack streiten; auch über die Balance Musik-Sprechtheater-Film kann man gerne diskutieren, aber ich persönlich habe mich lange nicht mehr so gut unterhalten in der Kölner Oper (am allerwenigsten jüngst im von der Presse als "Geniestreich" hochgejubelten "Onegin", wo nicht nur ich gegen mein bleierndes Müdigkeitsgefühl ankämpfte und seltsam unberührt blieb). Und bei dieser Inszenierung hat wahrscheinlich allein das Bühnenbild mehr als 80.000 € verschlungen.
Wer mit dem Wunsch enttäuscht zu werden in eine Aufführung wie "Musik" geht, der wird auch enttäuscht. Man findet immer etwas, wenn man es möchte. Wer das ganze lösen kann von dieser unsinnigen Klüngeldebatte, der weiß es zum Glück besser und kann sehen, dass hier einer jungen Künstlerin, die einen Film, ein Hörspiel, zwei Theaterstücke und zwei Bücher produziert hat, die Chance gegeben wird, ein zeitgenössisches Musiktheater zu inszenieren. Wäre sie mit "Figaro" oder "Traviata" oder gar einem Wagner gestartet: Man hätte wohl zu recht mit den Augen gerollt. Aber ihre Dramaturgin ist meines Wissens nach Expertin für zeitgenössische Oper. Die Bühnenbildnerin, der Komponist, die Videofrau sind anerkannte Größen im Theaterbereich... Wer darf denn eher modernes Theater machen, für 80.000 Euro?
Ich stimme Herrn Behrens zu- der Versuch ist es in diesem Falle wert. Wenn es für die Zuhörer nicht funktioniert, dann darf es natürlich gerne dabei bleiben.
Und für die nächsten Aspiranten:
Bewerbungen bitte am besten direkt an die Intendantin der Oper Köln. Und wenn diese dann in einem Gespräch feststellt...dann...
Mit besten Grüßen,
K. H.
Musik. I make hits …, Köln: keine Begründung fürs Scheitern
Ich kann die negative Kritik von Frau Müller nicht verstehen. Wie auch? Sie liefert ja keine Begründung für das angebliche Scheitern der Regie! Stattdessen war die Kritik in der Süddeutschen von Michael Struck-Schloen sehr erhellend, der den Abend mit schlüssigen Argumenten (!) als "poetisches Pop-Spekatkel" mit traurig-melancholischen Untertönen beschreibt. Das deckt sich mit meinem Eindruck der Premiere. Leider hat Nachtkritik genau die zwei kritischen Punkte aus Struck-Schloens Artikel zitiert, das viele Lob hingegen weitgehend ausgespart.
Auch die Bildauswahl zu dem vorliegenden Artikel von Frau Müller scheint mir umfundiert, um nicht zu sagen geradezu gehässig. Aus der Pressefotoauswahl, die auf der Homepage der Oper Köln für jeden einsehbar ist, wurden zwei betont statische Fotos genommen, und kein Foto, das die tolle Arbeit mit den doppelten Projektionsflächen zeigt, zwischen denen sich die Darsteller häufig bewegen. Man kann die Regie im Grunde gar nicht bewerten, ohne das Zusammenspiel mit den Videos von Kathrin Krottenthaler zu betrachten, die den Abend wesentlich mitgestalten.
(...) Ob es sich unter diesen Umständen überhaupt lohnt, seine Eindrücke mit anderen zu vergleichen? Vielleicht doch lieber wieder eine Tageszeitung kaufen und hoffen, dass das Feuilleton es besser kann?
Warum Frau Müller trotz Mikroport-Unterstützung in den Melodramen und Sprechszenen nichts verstanden hat, ist mir schleierhaft. Ich hatte eine günstige Karte im hinteren, seitlichen Bereich erstanden und konnte alles glasklar hören.
Musik, Köln: beleidigend
Der Titel sagt alles: modisch englisch (gähn gähn), beleidigend und präpubitär! Grow up, Fräulein Hegemann, und dann können wir dich ernstnehmen.
Musik, Köln: Vorteil der Jugend
Da wird sie wahrscheinlich relativ gelassen antworten können "Ihr werdet früher sterben als ich" :D
Musik, Köln: hihi
PS: Präpubitär. Präpubitär? Ernst nehmen? ... (vergnügtes Kichern)
Musik, Köln: wie sieht das Klischee aus?
Ich würde gern wissen, wie das "Klischee von der verwöhnten, bisexuellen Großstadtzicke" aussieht. So richtig abstoßend arrogant und überheblich? Ansonsten klingt's irgendwie eher daneben gegangen.
Musik, Köln: Zugang zum Koloraturgesang gefunden
Zugegeben als ich in die Vorstellung rein bin (verspätet) hab ich mit allem gerechnet. Ich mein, wenn von Hegemann, da hatte ich zunächst Bammel auf der Zuschauertribühne einen Stuhlkreis vorzufinden, indem man ein Kennenlernball zum Warmwerden rumwirft. Ich hab irgendwie auch gar nicht mit Operngesang gerechnet. Den konkreten Hinweis außer Operköln gab es auch nicht zwingend.
Ich hab mit Liveband oder Musikeinspielern gerechnet. Das war nen fieser Schock zu Anfang als ich die Treppe hinten mitten im Stück hochkam.
War zunächst frustriert, weil ich mit Experimetaltheater gerechnet hatte und ist auch schon was her das ich so ein Koloratursopranistin live gehört hatte.
Was mich auch gleich zu Anfang überrascht hatte ist der Altersdurchschnitt von 55. Beim Rausgehen und im Foyer 95% Grauhaar und Jacket. Zwei drei Mädelgruppen waren mit Abstand die Jüngsten.
Zurück zum Stück: Die Orchestermusik fand ich top. Sehr professionell auch die Texte von Hegemann so umzudampfen, dass man sie singen kann. Hab ich Tatsache den Zugang zum Koloraturgesang gefunden.
Das hat einen oft fies überfordert mit den Flickering Lights, Tänzern und Orchester. Ich glaub nicht das sowas abgedroschener Standard ist. Bei dem "normalen" Gesangspart mit dem "Warum bist du schöner?" mit der akzelerierten Projektion und der Musik hab ich dann nicht bereut gekommen zu sein.
Da sind dann auch Leute gegangen glaube ich.

Auf jeden Fall hat man die Handschrift von Hegemann durchgesehen mit ihrem pseudophilosophischem Palaver und den ganzen verbauten Gimicks die für die Handlung überflüssig sind. Stichwort Pizza und Schweinfurther Grün. Sowas gibt es halt nicht überall und deswegen hab ich auch Karten vorbestellt. Wer damit nichts anfangen kann oder oder sich nicht freut, wenn zum Schluss nen "Thank you Cologne, I´m out of this shit" kommt, für den denke ich muss das reichlich unkoordinierter Dummfug sein. Mich wundert´s das die gesitteten Theatergänger mit Dauerabo solange durchgehalten haben.
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