Münchner Diskussion über Menschen mit Migrationshintergrund am Theater
"Ich wurde zum Migranten gemacht"
von Petra Hallmayer
München, 9. Dezember 2013. Damit hatte keiner gerechnet. Per Mailaufruf hatten die Kammerspiele versucht, Akteure für ihr Stadtraumprojekt "Niemandsland" zu gewinnen, bei dem "ein Mensch mit Migrationshintergrund einen Theaterzuschauer durch ein migrantisch geprägtes Viertel führt", und dadurch eine Flutwelle der Empörung ausgelöst. Der Kulturschaffende Tuncay Acar machte seinen Zorn im Internet publik und viele schlossen sich ihm an. Sie hätten es satt, meinten sie, dass Migranten und Flüchtlinge als Stofflieferanten und Schauobjekte für Vorzeigeprojekte benutzt und auf ihre Familiengeschichte reduziert werden, und forderten eine öffentliche Diskussion. Zu der lud nun unter dem Titel "Welch ein Theater?" das Netzwerk "Göthe Protokoll" Vertreter der großen Häuser und der freien Szene in den Milla-Club.
Den Besen des türkischen Straßenkehrers ausleihen
Solch einen Proteststurm hatte es im friedlichen München bislang nicht gegeben. Staunen aber kann man eigentlich nur darüber, dass er erst jetzt losbrach. Um zu verdeutlichen, was sich da angestaut hat, muss man ein wenig ausholen. Schon unter Frank Baumbauer begannen sich die Kammerspiele in Stadtraumprojekten dem Thema Migration zuzuwenden. Das glückte manchmal sehr überzeugend, doch fraglos gab es auch äußerst fragwürdige Aktionen. Da durften uns Flüchtlinge bekochen, besuchten wir als Wirklichkeitstouristen die Bewohner sozialer Brennpunkte. Unvergesslich ist jener groteske Ausflug, bei dem sich Kammerspiel-Zuschauer kurz den Besen eines türkischen Straßenkehrers ausleihen konnten, um sich in so ein Schwerarbeiter-Migrantenleben authentisch einzufühlen.
Tatsächlich, bekannte Acar, war der Kammerspiel-Aufruf für ihn ein
willkommener Anlass, eine seit langem gewünschte Diskussion in Gang zu
bringen. Dass die Mail "unglücklich formuliert" gewesen sei, räumten Chefdramaturgin Julia Lochte und Intendant Johan Simons ein, wehrten sich aber entschieden dagegen, die Wortwahl spiegele eine "rassistische Denkweise" wider. Das sahen einige ganz anders. Wobei der Regisseur Bülent Kullukcu, der an dem kritisierten Theater selbst verschiedene Projekte realisiert hat, betonte, dass sich der kollektive Protest keineswegs speziell gegen die Kammerspiele richte, sondern gegen eine Theaterlandschaft, die die kulturelle Diversität der Gesellschaft ignoriert und in der Menschen mit Migrationshintergrund nach wie vor nicht selbstverständlich präsent sind. "Es gibt", erklärte er, "eine kulturelle Apartheid in Deutschland."
Migranten nur für die Street Credibility zuständig?
Das bestätigten andere anhand einer Fülle von Beispielen von der Verdrängung migrantischer und postmigrantischer Geschichten auf Nebenbühnen über klischeehaft beschränkte Rollenangebote für Schauspieler mit türkischen Eltern bis zu fremden Identitäts- und Themenzuschreibungen. "Ich fühle mich nicht als Migrant", betonte der Regisseur Karnik Gregorian. "Ich werde dazu gemacht." Irgendwann, gab er unumwunden zu, habe er begonnen, "den Migranten zu spielen", da dies beruflich von Vorteil sei. "Die Hochkultur ist von Bio-Deutschen beherrscht. Wir sind für Street Credibility zuständig. Das ist ein institutionalisierter, unbewusster Rassismus." Wie tief die Wut in all jenen nistet, die im Kulturbetrieb an den Rand und in ungewollte Rollen gedrängt werden, das wurde an diesem Abend eindringlich deutlich.
Nicht ausnahmslos jeder Vorwurf an die Theatermacher allerdings war begründet. So wies Johan Simons die Behauptung, die Kammerspiele seien "früher offener" gewesen, sehr zu Recht vehement zurück. Überhaupt hatte man bei einigen Diskutanten den Eindruck, dass sie die Spielpläne der Bühnen kaum kennen.
Man darf immer wieder zutreten
Die Kulturwissenschaftlerin Simone Egger und der BR-Autor Peter Arun Pfaff bemühten sich als Moderatoren redlich, die dreizehn Gäste an der überlangen Tafel sowie alle sich per Fingerzeig meldenden Zuschauer zu Wort kommen zu lassen. Allein durch die Vielzahl an Stimmen, die gehört werden wollten, verpuffte manch spannender Denkansatz und blieb so manche Frage unbeantwortet in der Luft hängen.
Zwischenzeitlich verzettelte sich die Runde in der Auseinandersetzung über Begrifflichkeiten. Während die meisten Ausdrücke wie "Migrant" und "Menschen mit Migrationshintergrund" kategorisch ablehnten ("Wir sind alle Deutsche!"), stellte deren Vermeidung für die Soziologin Tunay Önder eine Ausblendung sozialer Realitäten dar.
Bei allen Differenzen herrschte Einigkeit darüber, dass sich die Theater strukturell verändern und öffnen müssen. "Die Hochkultur sitzt immer noch auf einem viel zu hohen Ross", meinte Julia Lochte. Einer aber zeigte sich inmitten des Chors der Klagen über eine Kultur der Ausgrenzung frohgemut zuversichtlich. "Zur Zeit", erklärte Volkstheater-Chef Christian Stückl, "drängt eine neue selbstbewusste Generation von Menschen aus Migrantenfamilien in die Theater. Der Prozess der Veränderung hat längst begonnen, auch wenn wir uns noch zu langsam voranbewegen. Darum darf man uns gerne immer wieder einen Tritt geben."
Das war ganz im Sinne der Moderatoren, die ankündigten, dass sie weiter nachtreten werden. Das Gespräch im Milla, so Simone Egger, sei nur als ein "erster Anstoß" gedacht gewesen für eine in München überfällige und hoffentlich nicht mehr abreißende Diskussion.
Auf die Berichterstattung in der Süddeutschen Zeitung antwortete der Schauspieler Murali Perumal in einem offenen Brief.
Der Beginn der Debatte ist nachzulesen unter www.triptown.de.
Ausschnitte der Diskussion kann man im Beitrag von Lisa Schurr auf BR2 nachhören.
Presserundschau
In der Süddeutschen Zeitung (11.12.2013) schreibt Christiane Lutz, es sei "bemerkenswert", dass die Intendanten der "drei großen Häuser der Stadt" Tuncay Acar und "Göthe Protokolls" Aufruf zur Auseinandersetzung "artig gefolgt" und mit "einer Entourage von Dramaturgen" erschienen seien. Das sende die Botschaft: "Seht her, das Thema ist uns so wichtig".
"Die Vorwürfe von Göthe Protokoll: Menschen mit Migrationshintergrund dürften an den Theatern stets nur als solche auftreten. Die Zuschauer blickten interessiert auf die Exoten, ließen sich ein bisschen was aus deren andersartigem Leben erzählen und glaubten, damit sei ein gegenseitiges Verstehen bereits geglückt." Die Künstler mit migrantischen Wurzeln würden dadurch ausgegrenzt, hätten auch an "Schauspielschulen und Schaltstellen der Kunst" keine Chance. Acar vermisse die Perpektive derjenigen, die keine "Bio-Deutschen" seien.
Die Bloggerin Tunay Önder habe zu bedenken gegeben, dass es eine Differenzierung der Menschen mit Migrationshintergrund in "bessere und schlechtere" gebe. Niederländer wie Johan Simons gehörten "zu den besseren".
Die Theatervertreter hätten sich aber nicht zu Rechtfertigungen hinreißen lassen, "geduldig" hätten sie darauf hingewiesen, dass etwa im Ensemble der Kammerspiele "Niederländer, Esten, Schweizer, eine türkischstämmige Schauspielerin, eine aus Uganda" arbeiteten. "Ein Schauspieler werde eingestellt, weil er gut sei, nicht weil oder weil er kein Türke sei." Sicher sei in den vergangenen Jahrzehnten viel versäumt worden, habe Christian Stückl gesagt, "aber die drängen schon rein, die Türen sind offen". Die Kritiker habe das nicht überzeugt.
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"Migration" bringt halt Aufmerksamkeit in den Gazetten und Kohle bei Förderanträgen!!!
Hochkomplexes Thema und im Theater sehr oft "Unterkomplex" angegangen.
Multikulturelles im Cyber Space Ein sehr gelungenes Projekt!!!!
Empfehlung:
http://www.postnatyam.net/manifesto-2-2/yes-to-each-other-a-cyber-manifesto-video/
Ich fange an unfreiwillig meine "Heimat" zu lieben.
Danke!
Und natürlich bewerbe ich mich ab sofort nur noch in den Niederlanden, in der Türkei, einfach überall im Ausland, wo die meisten deutschen Schauspieler höchstens als Nazi-Darsteller akzeptiert werden, ausgenommen die "Vereinigten Staaten", von "Inglourious Bastards" mal abgesehen.
dieses migranten spielen, um arbeit zu bekommen ist sicherlich eine beschissene karriereleiter, aber es ist faktisch auch eine.
ich glaube, genauso wie viele so genannte Aktivisten, dass die Polis, die sich auf Bühnen abbilden sollte überprüft gehört, aber mit dieser schlimmen Sprache mit der da gekämpft wird, werden andauernd weitere Gewaltzustände herbeikrakeelt. Nicht zieldienlich. Nein.
ich finde ihre haltung in dem artikel geradezu etwas pampig, aber diese diskussion macht ja einige leute pampig, was man den kommentaren unter dem artikel auch entnehmen kann.
dass ich nur auf einen moment wartete, meinen seit jahren gehegten zorn loszuwerden, habe ich weder in meiner haltung an dem abend, noch in meinen aussagen wiedergegeben.
ich meinte lediglich - und das habe ich auch schon einige male nun geäussert - dass ich diese wut (die ich als erfahrung lange zeit verarbeitet habe) nun als stilelement benutze, um eine diskussion zu entfachen. auf "diese" gelegenheit warte ich seit langem. so habe ich das gemeint. es geht mir also um die sache und nicht - wie sie es mir vorwerfen - nur um die entladung eines zornes (das würde anders aussehen):
sie wundern sich, warum das so spät erst passiert ist? das kann ich ihnen sagen: weil alle darstellerInnen, regisseurInnen, theatermacherInnen, die sich äussern wollten, sich in abhängigkeitsverhältnissen befinden, innerhalb derer sie sich nicht aufmucken trauen. so wird eine ganze kreative masse zum schweigen gebracht.
deswegen ärgern sich alle nun über mich, denn ich habe mich aus allen abhängigkeiten bisher bewusst ferngehalten. ich kann es mir leisten, nun als hazardeur aufzutreten und das mache ich mit viel spielfreude. schade, dass sie das nicht wahrgenommen haben.
letztlich gibt es FÜR ALLE und jede/n nur genau EINE Möglichkeit in bestehende System einzudringen und/oder sie zu übernehmen: und zwar besser (anders/relevanter/erfolgreicher/polarisierender/ausstrahlender) zu sein als diejenigen die diese bereits bevölkern. Gut, gegebenenfalls muss man heute in manchen Bereichen dazu auch noch cleverer (wahlweise vernetzter/hipper/skrupelloser/populistischer) sein. Alternativ dazu ist es immerhin möglich die Systeme abzulehnen, zu ignorieren, sich nicht dafür zu interessieren, sie doof zu finden. Weil es die Systeme von anderen sind... von Älteren, von Jüngeren, von Jungen, von Mädchen, von Bauern, von Städtern, von Spießern, von Hipstern usw. und/oder sich ein eigenes System auszudenken. In (meinetwegen formalistischem) Zorn verpacktes Jammern (und vor allem dieses Migranten vs. Biodeutsche Geblubber) wird die Welt nicht verändern, macht sie als Ort nur noch bescheuerter. Hochachtungsvoll
1. "Unvergesslich ist jener groteske Ausflug, bei dem sich Kammerspiel-Zuschauer kurz den Besen eines türkischen Straßenkehrers ausleihen konnten, um sich in so ein Schwerarbeiter-Migrantenleben authentisch einzufühlen." - Liebe Frau Hallmayer, leider haben Sie, obwohl nicht selbst kehrend, nicht die Zeit gehabt den Ausführungen der beiden Fachkräfte (beide deutsche Staatsbürger!) der Straßenreinigung des Baureferats der Stadt München zu folgen. Diese haben nicht von ihrem "Schwerarbeiter-Migrantenleben" erzählt, sondern von Reinigungstechniken und der Logistik die notwendig ist um die Straßen ganz Münchens sauber zu bekommen, solange die meisten BewohnerInnen der Stadt noch schlafen.
2. "durften uns Flüchtlinge bekochen" - auch hier hätten Sie, Frau Hallmayer, sich besser an der Inszenierung beteiligen sollen, statt als objektive Journalistin nur dabei zu sein. So konnten Sie leider nicht mit jugendlichen Flüchtlingen zusammen ein Gericht kochen und dabei in einen Dialog über deutsche, afghanische, somalische, nigerianische, burmesische usw. Kochkunst treten und sogar noch etwas über die Qualität des Miteinander lernen, die für die Jugendlichen sehr wichtig ist. Alle weiteren wichtigen Dinge über die Situation von jugendlichen Flüchtlingen in München, die Sie bestimmt in Ihren Beobachtungen mitbekommen hatten, haben Sie wahrscheinlich nur vergessen.
3. "Super! Ich bin jetzt "Bio-Deutscher"! Bekomme ich ein meine Herkunft bestätigendes Gütesiegel vom Demeterhof?" - Lieber wolfangk, ganz sicher bin ich mir nicht, aber vielleicht erkundigen Sie sich am Besten mal hier: http://www.demeter.de/Verbraucher/Über uns/unterschiede bio demeter
4. Ich darf einen migrantisch-postmigrantischen Besen von einem Türken ausleihen, um die Straße zu fegen? - Haha, lieber wolfgangk, der Besen der Münchener Straßenreinigung ist tatsächlich "migrantisch", denn das Reisig kommt aus Italien.
5. "der begriff "biodeutscher" ist eine dumme, rassistische wahl. was für eine biologie wird da bemüht - rassenlehre???." - Liebe/r herrmann, wenden Sie sich bitte an Prof. Dr. Hess, die mir den Begriff vor vier Jahren in Abgrenzung zum 'Deutschen mit Migrationshintergrund' als wissenschaftlichen Terminus vorgestellt hat. Abgesehen davon, was am Begriff 'Migrant' ist nicht "eine dumme, rassistische wahl. was für eine biologie wird da bemüht - rassenlehre???."
Das wird man ja wohl als DEUTSCHER sagen dürfen. (...)
Theater ist ein weißer Raum. Und wird es so lange bleiben, wie weiße Journalist_innen und weiße Theaterkritiker_innen als Handlanger der Deutungshoheit dienen!
(Liebe Kanaka, wir wären sehr dankbar, wenn Sie Ihre Vorwürfe konkretisieren könnten. So pauschal in den virtuellen Raum gerufen, wirken sie nur polemisch und tragen wenig zum Erkenntnisgewinn in dieser Sache bei. Und wir wollen hier doch weiterkommen. Freundliche Grüße aus der Redaktion, Esther Slevogt)
das ist ja interessant, dass ein Begriff, der nicht Biologie beinhaltet semantisch identisch sein soll mit einem Begriff der explizit "Bio" als Distinktionsmerkmal aufweist - oder wird hier die Rede von Bio-migranten geführt.
Migration ist doch wohl eine Aktivität und keine Wesenszuschreibung. Die Verwischung von der Aktivität des Migrierens hin zur Wesenszuschreibung, dass ein Migrant so oder so ist und nicht so konkret - nämlich migrierend - gehandelt hat, ist doch wohl einer der wichtigeren Kritikpunkte am gegenwärtigen Diskurs über Menschen, die dauerhaft nach Deutschland gekommen sind. Wenn man aber nun auch noch durch die Bemühung von Biologie eine Abgrenzung der Ankunftsgesellschaft vom Migranten unternimmt, landet man doch ziemlich daneben im Clash of Cultures - lauter statische Identiätszuschreibungen jenseits der von mir zumindest erlebten Realitäten.
So gesehen, würde ich widersprechen: Nein, auch wenn es Frau Professorin sagt, Biodeutsch ist kein guter Begriff, weil er nicht dass leistet was er vorgibt zu leisten, nämlich adäquate Trennschärfe herzustellen. Stattdessen ruft diesr Begriff m.E. fatale Assoziationen auf und zementiert Gegenüberstellungen auf gedanklich falscher Basis.
Und nein, Migrant ist nicht das Gleiche. Es ist mir schleierhaft, wieso bei der Substantivierung einer Bewegung/Tätigkeit notwendigerweise Biologie als Assoziation aufgerufen werden soll. Dass das bei Sarrazins auf dem Sofa so geschieht, ist nicht der Begrifflichkeit anzukreiden.
Und sind sie dann in der bürgerlichen Sichtbarkeit angelangt, wünschen sie sich nichts mehr, als immer schon eine bürgerliche Biographie gehabt zu haben.
Sehr obskur! Dieses Theater. Befremdliches Instrument.
Lieber Herr Gregorian,
auf der anderen Seite schaue ich auf die beschriebenen Aktionen nach Ihrer Darlegung durchaus differenzierter und respektiere Ihre Arbeit. Im Besonderen sehe ich die Bekochung in einem positiven Licht. Mit diesem Hintergrund würde ich sogar gerne teilnehmen.
Aber es hat für mich eher weniger mit Theater oder "Hochkultur" zu tun.
Hier mal ein kleines Interview von Herrn Acar, in dem er kein gutes Haar an Deutschland lässt und das Wort "Bio-Deutscher" als Gegenreaktion auf den Begriff "Menschen mit Migrationshintergrund" verteidigt.
(...) Christian Stückl in Ehren, aber ich brauche keine Tritte.
Ich hab es so satt mich ständig als irgendetwas beschimpfen zu lassen und als "wie-auch-immer Deutscher" ausgestellt zu werden, von anderen Deutschen, die auch hier aufgewachsen sind, und denen nichts besseres einfällt, als sich in einem Berufsfeld wie dem Theater, in dem es nur darum geht Menschen "auszustellen", darüber beschweren, dass sie auch ein wenig ausgestellt werden und Stoffe liefern. (...) Ich habe es so satt ständig für irgendetwas sensibilisiert zu werden, für das ich schon längst sensibel bin. Ich bin einfach nur genervt. "Kulturelle Apartheid", da dreht sich mir der Magen um, so ein Quark. Und was heißt schon, ganz "selbstverständlich" besetzt werden, in diesem Beruf? Wer wird das schon? Alle werden nach ihrem Aussehen und was damit assoziiert wird besetzt, und da spielt bei jedem die Lebensgeschichte und die Herkunft mit herein. Diversifizieren sollten solche Leute wie Acar erst einmal, wieviele unterschiedliche "Deutsche" ohne Migrationshintergrund es gibt, und wie deren Leben aussieht. (...)
Diese Debatte geht bei mir sowas von nach hinten los! Da funktioniert erst mal gar nichts! Man ist nur sauer und denkt, (...) hack nicht ständig auf der "Hochkultur" herum, weil du meinst unterrepräsentiert zu sein, was du so, wie du es darstellst nicht bist, da kommen andere viel schlechter weg.
(...)
Vielleicht erfindet ja noch jemand ein paar blöde Begriffe über die man sich ärgern kann.
(...)
Der Begriff Bio-Deutscher hat - offensichtlich im Gegensatz zu Migrant, Poc, etc - das Potenzial zur positiven Identifikation. Ich hoffe sehr ihre verquastete Agitation faellt Ihnen nicht vor die Fuesse.
Das findet er doof.
Besser wäre stattdessen: Migranten/Schauspieler werden im ersten Schritt Dramaturgen. Im zweiten Schritt dann Autoren, heben so die Trennung von Körper und Geist auf und erhöhen nicht nur die Relevanz von Theater, sondern verbessern es auch moralisch-ethisch.
Man schämt sich ein bisschen fremd für Sie, Herr Schwarz.
was für ein wohlgemeinter Stuss.
Nur weil man Nazinazi schreit wird eine Argumentation nicht gewichtiger. Gleiches gilt für, Frau Professor hat aber gesagt.
Ich glaube, die Hamburgische Dramaturgie ist ein wenig vor 1933 veröffentlicht worden und auch die Einlassungen zur Disziplinierung von Schauspielern durch Goethe waren wohl ein paar Jahre vor der Machtergreifung im Druck.
Wo ich Ihnen recht gebe ist, dass die Dramaturgien im deutschsprachigen Raum eine starke Lenkungsfunktion übernehmen, ohne dafür in angemessener Weise in der Haftung zu stehen / sichtbar werden. Ob dabei "dem Körper", "dem Migranten" etc. so unendlich viel Leid angetan wird... ich weiß nicht. Es sind lauter angstbesetzte Amtsfunktionsträger unterwegs, die sicherlich nicht den Geist eines Mitglieds einer troupe haben. Da wird sich viel akademisch verschanzt inklusive zweifelhafter philologischer Beweisführungen zur Legitimierung des Berufsstandes Dramaturg. Ja stimmt. Ein bio-politisches Programm kann ich aber wirklich nicht erkennen. Am ehesten noch die Verteidigung gewisser Bildungsstandards und da finde ich, muß man erst mal qualitativ ein gleichwertiges Niveau erreichen, bevor man diese Tugenden in den Dreck zieht. Kinder- und Jugendtheaterniveau à la Erpulat mit einer pubertären Pose des "so jetzt gehört es mir und ich wahrheite hier vor mich hin, ihr doofen Bio-deutschen" ist einfach zu wenig. Viel zu wenig, um alternative Denk und Lebensweisen zu befördern. Es ist leider so, dass erst ein Mal das Niveau erreicht werden muß, um die Richtung zu verändern. Alles andere geht nur im gewaltsamem Umsturz, und der ist wohl nicht angemessen für die Entwicklung des deutschsprachigen Stadttheaters.
Meine Herren (die Damen scheinen sich schon früher aus der Diskussion verabschiedet zu haben)!
Kann es sein, dass hier viel Hitze und wenig Sinn entsteht?
Das Wort «Bio-Deutsch» ist ein lustiges Wort und belegt vielleicht auch nur den gar nicht lustigen Umstand, dass Deutsche in zweiter oder dritter Generation nicht wissen, warum sie nicht einfach Deutsche sind (oder Schweizer oder Österreicherinnen), sondern immer noch mit dem M-Wort behängt werden.
Dass die Diskussion jetzt darum kreist, wer wen wie nennen darf ist albern. Und wenn selbstidentifizierte Deutsche jammern «der Migrant hat mich Bio-Deutscher genannt», ist das peinlich.
Zur Sache:
Wo Samuel Schwarz recht hat, ist im Punkt, dass die Dramaturgien letztlich die Gatekeeper sind, die entscheiden, wer besetzt wird, in welchem Stück, in welcher Rolle, etc. – nicht alleine, aber immerhin sind sie wesentlich verantwortlich für die Art der Repräsentanz dieser Gesellschaft. Diese Entscheidungen werden bewusst oder unbewusst auch ideologisch getroffen. Dem Dramaturgen ist vielleicht nicht einmal bewusst, dass der Satz «Dass Hamlet schwarz ist, muss ich doch für die Zuschauer irgendwie begründen können» rassistisch ist. Jetzt schreiben sich zwar alle «Migration» als Thema auf den Spielplan, aber es sind immer noch mehrheitlich weisse Männer der oberen Mittelschicht (Mein Gott: Bio-Deutsche, -Schweizer, -Österreicher eben), die hier das Territorium «Migranten» kolonisieren und den Theaterrohstoff «Migration» ausbeuten wollen.
Dass die Migranten eben erst mal Dramaturgen und Autoren werden sollen, wie «Walzerschmaus» (ehrlich? Walzerschmaus?) andeutet, ist grosser Quatsch. Erstens: Warum sollten sie das wollen, wenn sie nicht repräsentiert werden und sich mit der Institution nicht identifizieren können (Im Film funktioniert's. Warum wohl …) ? Zweitens: Die Leitungen der Häuser reproduzieren sich selbst über bio-deutsche (ich mag das Wort) Assistentinnen und Assistenten. Und die finden dann Migration auch wieder ein ganz doll wichtiges Thema, über das man was machen sollte. Drittens: Wer sagt denn, dass es diese Autoren und potentiellen Dramaturginnen nicht längstens gibt? Vielleicht kennt sie einfach keiner von den Entscheidenden (obwohl wahrscheinlich viele von deren besten Freunden Migranten sind, was?). Viertens: Migrantische Herkunft wird in den Theatern nach wie vor entlang einer medial transportierten Problemhaftigkeit repräsentiert. Wer sich für diese Repräsentanz nicht hergeben mag, wird noch mehr Schwierigkeiten haben, im Beruf auf einen grünen Zweig zu kommen.
Die Diskussion über Migranten in den Ensemble ist so öde, weil sie immer noch so geführt wird, wie die aktuelle Diskussion auf Fox News, ob der Weihnachtsmann schwarz sein kann: Dieser Türke kann zwar am Nordpol leben und mit fliegenden Rentieren reisen, aber schwarz? Nei-en!
Der Dänenprinz kann zwar vom 11. Jahrhundert ins 17.Jahrhundert verpflanzt werden, englisch reden und dann ins deutsche übersetzt und heute ganz grungie-weltschmerzie durch sein Elend tapern, aber dunkel? Nicht doch, wie sollen wir das dem Abonnenten erklären …
Matthias Lilienthal hat mal etwas Kluges zum Thema gesagt: «[…] es funktioniert nach einem Prinzip einer Bar. In einer Bar stehen immer die gleichen Menschen hinter der Bar wie vor der Bar […].»
Wer die letzten Jahre verschlafen hat, kann das hier nachlesen:
http://www.deutschlandradiokultur.de/migration-als-thema-reicht-nicht.954.de.html?dram:article_id=144927
Beste Wünsche aus der Schweiz (hier alles noch im Tiefschlaf …)!
ohne es zu wollen, haben sie einen guten Vorschlag gemacht. Ich wäre sehr dafür, dass sich einige Migranten und Postmigranten einmal ernsthaft mit dem künstlerischen Prozess des Theaters auseinandersetzen. Denn dann würden sie schnell feststellen, dass man die Diversität einer Gesellschafft nicht komplett in einem Ensemble abbilden kann und, dass dies auch nicht Sinn und Aufgabe eines Ensembles ist. Darüberhinaus könnten dann soviele Gruppen, auch ohne Migrationshintergrund einen Anspruch auf einen Platz in städtischen Schauspieltruppen erheben, dass diese Anforderung bei weitem die Möglichkeiten eines Stadttheaters übersteigen würden.
Man stelle sich eine solche Anforderung mal an die Malerei vor.
Man stelle sich einmal vor Neo Rauch wolle ein preußisches Gruppenbild mit dem Titel "Prinz von Homburg" malen, und eine Gruppe Postmigranten würde ihn "zwingen" wollen dort mindestens so und soviel Menschen mit Migrationshintergrund und eine bestimmte Anzahl Frauen, Kinder und Behinderte hineinzumalen. Das würde auf der Stelle als absurd erkannt, denn Neo Rauch folgte in einem solchen Falle seiner künstlerischen Auffassung und nicht Forderungen, die von außen an ihn herangetragen werden. Dies ließe sich mit seiner künstlerischen Freiheit nicht vereinbahren.
In einem Ensemble der Hochkultur verläuft der Anerkennungstransfer nicht zwingend nach der Herkunft der Beteiligten. Dort ist alles möglich, wenn man talentiert und fähig genug ist bestimmten Anforderungen der Hochkultur zu entsprechen und ihren Werten, die oft einem "Bildungsadel" entsprechen, nachkommen möchte. Der Zugang wird einem nicht a priori verwehrt, weil man Migrant ist.
Im Gegenteil, eine solche Herkunft gepaart mit ein paar akademischen und künstlerischen Kompetenzen kann in manchen Fällen durch aus von Vorteil sein, wie man an Herrn Simons sehen kann, der hier in dieser Debatte, ohne weitere Begründung, ja nicht als Migrant anerkannt wird, obwohl er als einen Grund für seinen Fortgang aus München auch benannte, dass seine Frau hier in Deutschland nicht genügend Anerkennung bekäme und er wieder näher bei seiner Familie und seiner Heimat leben wolle. Wenn das kein Problem eines Migranten ist, dann weiß ich es auch nicht?! Da wäre ein Besuch bei Herrn Simons und eine weniger vordergründige Auseinandersetzung in der Tat einmal angebracht.
Das die postmigrantische Besetzung nicht automatisch zu einer Besserung der Gesellschaft führt. habe ich schon unter dem Kommentar 25 dargelegt und möchte es hier nicht wiederholen.
Gute Güte, Herr Baucks! Da kommt mir aber die Mässigung auch ziemlich flott abhanden …
Sie schreiben: «Über das individuelle Bedürfnis nach einer solchen Rolle hinaus, gibt es kaum Nachweise, dass solche Besetzungen wirklich zu einer gesellschaftlichen Besserung führen.»
Wie sähe ein solcher Nachweis denn aus: «Dunkelhäutige spielt Ophelia –Rassismus ist Geschichte!»?
In Ihrer Logik war Rosa Parks also nur naiv und vermessen, weil sie meinte, wenn sie im Bus vorne sitzen bleibt, wird die Welt besser? Also wirklich …
Später schreiben Sie: «Ich wäre sehr dafür, dass sich einige Migranten und Postmigranten einmal ernsthaft mit dem künstlerischen Prozess des Theaters auseinandersetzen. Denn dann würden sie schnell feststellen, dass man die Diversität einer Gesellschafft nicht komplett in einem Ensemble abbilden kann und, dass dies auch nicht Sinn und Aufgabe eines Ensembles ist.»
Ich beiss mir in die Faust, wenn ich so etwas lese. Gehen Sie wirklich davon aus, Migranten und Postmigranten setzten sich nicht ernsthaft mit «dem künstlerischen Prozess des Theaters auseinander»? Das ganze Studium hindurch nicht? In den Anfänger-Engagements nicht? In den Gastrollen als eigens gecasteter Problem-Migrant nicht? Wo leben Sie denn, Mensch?
Ihre Analogie zur Malerei ist wirklich lustig, aber auch nur das (und wahrscheinlich auch nicht freiwillig).
Dann sind also alle anderen Beteiligten im Theater nur Leinwand, Pinsel und Farbe in den Händen des Grosskünstlers? Autsch …
Und weiter unten sagen Sie – ja, was eigentlich? Dass der Migrant ja willkommen wäre in den Ensembles, dass er aber einfach nicht «talentiert und fähig genug ist, bestimmten Anforderungen der Hochkultur zu entsprechen»? Da kommt einem ja das Fruchtwasser hoch.
Ich stimme Ihnen natürlich zu, dass – um auf Rosa Parks zurückzukommen – die Aufhebung der Rassentrennung im Bus nicht auf magische Weise auch gleich für Rollstuhlplätze sorgt. Aber wofür soll das ein Argument sein? Dass man die Rassentrennung nicht hätte aufheben sollen, weil danach prompt die Rollstuhlfahrer frech geworden sind?
Bitte verzeihen Sie mir die Polemik, aber ich werde den Verdacht nicht los, dass es in dieser Auseinandersetzung auf «bio-deutscher» Seite um ein reales oder imaginäres Rückzugsgefecht geht, von Theaterschaffenden, die fürchten verdrängt zu werden. Denn ich höre die exakt gleichen Pseudo-Argumente wie im Bezug auf Frauenquoten, Affirmative Action, etc..
Und es stimmt ja auch: Die «Unterdurchschnittlichen» der bisher dominierenden Gruppe (ob es Weisse, Männer oder «Bio-Deutsche» sind) würden durch ihnen Überlegene aus der bisher marginalisierten Gruppe ersetzt. Und wie wäre das? Prima.
Wenn man der Westfälischen Rundschau, die in Ihrem Wikipedia-Eintrag zitiert wird, glauben darf, haben Sie selbst in dieser Hinsicht ja nichts zu befürchten.
Stimmt's?
.Das ist hier das Thema, aber nicht, ob nun ein Deutsch-Türke oder Deutsch-Afrikaner den Clavigo (oder sonst einen Schinken) besser oder schlechter inszenieren würde oder besser oder schlechter inszeniert hat (oder besser "spielen" würde). Es wäre ja wirklich erschreckend, wenn die Diskussion in diese Richtung laufen würde. Die furchtbare Konsequenz ihres Theads 25 wäre: Lasst weiterhin die "Deutschen" inszenieren, spielen, bestimmen.... es ist nicht bewiesen, dass es die anderen besser könnten. Hä? Ok, man kann jegliches moralisches oder politisches Kriterium aus der Diskussion rauslassen, aber dann würden man so argumentieren wie sie - und das wollen wir nicht wirklich, oder?
wie ich bemerke, wird hier viel über mich hergezogen, aber meine kommentare wereden nicht veröffentlicht.
herr martin baucks
ich kann mich nicht erinnern, ein interview gegeben zu haben, in dem ich kein gutes haar an deutschland gelassen hätte. ich bin teil dieser gesellschaft und bringe mich als vorstandsmitglied von mehreren kulturellen und soziokulturellen vereinen ins gesellschaftliche leben ein. ich würde mich jodoch mich genauso wenig als deutscher, wie ich die bezeichnung türke für mich angemessen erachte. denn ich glaube nicht an nationale identitäten.
sie anscheinend schon. das mag ihnen auch vergönnt sein. nur was hat das mit dieser diskussion hier zu tun?
auch wenn ich den nationalstaat als solchen kritisieren würde. was ändert das an der glaubwürdigkeit meiner position?
ich freue mich sehr darüber, solche leute wie sie provoziert zu haben, ihre zeit, ihre aufmerksamkeit in anspruch genommen zu haben und sie mit politisch relevanten themen beschäftigt zu haben.
das verbuche ich schon als erfolg für mich und ich werde auch nicht nachgeben. sie werden noch genug gelegenheit haben, sich über mich und meinesgleichen zu ärgern.
abgesehen davon bin ich die überhebliche haltung von solchen leuten wie ihnen schon seit jahren gewohnt. das erschüttert mich keineswegs. ich amüsiere mich nur noch darüber.
hier übrigens noch ein wunderschönes interview mit mir zum totärgern:
https://www.youtube.com/watch?v=MJXkqgtBP6o
viel spass allerseits
an die redaktion: hoffentlich bleibt dieser kommentar von ihrer zensur verschont?
das ist mir dann doch ein wenig zu selbstgerecht. Weder bin ich überheblich, noch sprach ich von einem Glauben an Nationen. Weder haben sie mich provoziert, noch haben sie mich auf irgendetwas aufmerksam gemacht und eine Heranführung an politisch relevante Themen brauche ich nicht. Sie haben lediglich einen nicht tragbaren Begriff entwickelt, den ich hier nicht wiederholen möchte.
Aber amüsieren sie sich ruhig weiter.
Wichtig ist, wie verändern wir den Status Quo, in dem ein russischer, schwedischer, schweizer, polnischer, flämischer, niederländischer Migrationhintergund kein Problem ist, aber eine Abstammung südlich Lampedusas oder östlich von Belgrad, zu einem Problem wird.
Ein sehr guter Regisseur sagte einmal als Mitglied einer letzten Runde eines Vorsprechens an einer staatlichen Schauspielschule über einen Schauspieler: ''Er ist gut, aber wir tun ihm keinen Gefallen wenn wir ihn aufnehmen, er hat keine Chance auf dem Markt.''
Nicht nötig zu erklären: Die Eltern des Schauspielers stammten aus Nigeria.
Das Problem ist real und jeder Schauspieler ohne (dunklen) Migrationshintergund kann davon ein Lied singen, wenn er bereit ist, es zu sehen.
Ein Dramaturg argumentierte mal mir gegenüber, man könne Patrick Abozen nicht als Sous Chef in einer Inszenierung besetzen, wie ich vorschlug, da Dominique Horwitz (den hier keinerlei Schuld trifft) klar als unterstes Glied einer Küchentruppe erkennbar sein müsste.
Das ist die Denke die am Theater vorherrscht. Man meint den Rassismus weit überwunden zu haben, indem man Stücke über arme Migranten und deren Not macht, wenn aber der Hamlet zb. ein Araber ist, außerhalb von Shermin Langhoffs Einflussbereich, und dies kein Thema der Inszenierung ist... na das würde ja gar nicht gehen.
Anstatt nach dem Warum der Besetzung zu fragen, sollte man diese Frage mal überwinden und es als Abbildung der Realität betrachten.
Wir können auch gerne die Begriffe wie Migrant und Biodeutsch überwinden.
Es geht ganz klassisch um Schwarz und Weiß, wobei der Mehmet schon der Schwarze ist und der Pjotr noch weiß.
Es wird Zeit, dass auch Theaterschaffende ohne Migrationhintergund sich für eine Veränderung offen aussprechen.
wie ihnen als Mann das Fruchtwasser hochkommt, werden sie mir sicher auch noch erklären. Ihre Polemik verzeihe ich ihnen gerne. Nur leider führt sie zu nichts. Das ist das Problem.
(Anm. Wir veröffentlichen den Brief in Kürze. Mit freundlichen Grüßen, Christian Rakow / Redaktion)
es geht um klassenkampf und es geht um die verteilung des kuchens. exakt.
es könnte auch darum gehen, den kulturetat des bundes um ein wesentliches zu erhöhen. es könnte auch darum gehen, dass man strukturellen rassismus frühzeitig erkennt und sich damit auseinandersetzt. es könnte auch darum gehen, dass man es akzeptieren kann, wenn menschen, die systematisch subtil ausgegrenzt werden, ihre lust und freude an der kultur anfordern, dass man dies einfach auch mal zulassen kann und sich ihre meinung mal anhört.
es könnte auch darum gehen, dass man sich vergegenwärtigt, dass das subjektive empfinden einer kulturellen oberhoheit in seiner "heimat" ein bedürfnis ist, das deutsche sich mit dem rest der welt durchaus teilen. gehen sie in ein dorf im nigerianischen edo state und sie werden auf irgendeine kulturautorität treffen, die ihnen vom hohen entwicklungsstatus seiner kulturellen tradition erzählen wird, oder gehen sie nach anatolien, oder nach thessalien, ins baskenland oder sonstwohin.
ich will damit nur sagen: "wir" deutschen sind in der hinsicht nichts besonderes. wir haben die leitkultur nicht mit löffeln gefressen. wenn ich mich kritisch dagegen äussere, dann tue ich das, weil ich gerne hier lebe und diese gesellschaft, in der ich verortet bin liebe.
sprich: ich fühle mich in allen kulturen heimisch, mit denen ich mich befasse und empfinde dort auch eine spezielle verantwortung, mich mit wort, tat und meinung einzubringen. denn es liegt mir am herzen und die überhebliche haltung mit der sich menschen überall auf der welt über andere stellen, aufgrund von religiösen, kulturellen, ethnischen oder sonstigen unterschieden tut mir seit meiner kindheit einfach weh, denn ich kenne sie gut. ich bin sensibilisiert.
das ist der grund, warum ich mich hier einbringe. der grund, warum ich so provokativ bin ist eigentlich nur folgender: wenn ich mich nicht drastisch äussere, dann hört mir einfach keiner zu! ich bin mitlerweile 45 jahre alt und habe erst vor kurzem angefangen, mir eine strategie auszudenken, wie ich mal menschen erreichen kann, die mich aufgrund meines namens schonmal erst gar nicht für voll nehmen. sie brauchen sich jetzt nicht zu wundern. das ist tagtäglich gang und gebe hier in diesem land.
diese formen der ausgrenzung gibt es weltweit. ich befasse mich aber mit denen, die in deutschland und der türkei passieren. warum? weil das meine beiden heimaten sind. weil ich mich in diese systeme eingebunden fühle. ich stehe damit auch zu meiner verantwortung als teil der menschlichen gesellschaft.
in dieser diskussion geht es mir nicht nur ums theater. es geht mir um das ganze soziale/gesellschaftliche system, in dem wir leben. ich fühle mich nicht wohl, wenn beamte des bnd und der polizei fast 10 jahre lang eine fiktive dönermafia bekämpfen und dabei hunderte unschuldige menschen drangsalieren, bedrohen und diskriminieren, während 3 mordlüsterne voĺlspongos mordend durchs land ziehen. ich fühle mich nicht wohl, wenn in deutschland im 21.jahrhundert ein mann 1,5 millionen exemplare eines machwerkes verkaufen kann, in dem er behauptet "muslime seien genetisch bedingt" nicht in der lage sich zu integrieren!
wenn solche dinge in deutschland passieren, dann deswegen, weil eine masse an menschen ganz viel angst und gefährliche bilder im kopf hat. angst for dem vermeintlich "fremden". das fremde wird momentan mit dem begriff migrant verbalisiert und das wort migrant dringt in abstufungen in die wahrnehmungsebene der heimatlich hier selbstverorteten menschen vor. die bedrohlichste stufe nehmen folgende attribute oder zuordnungen ein: türken, afghanen, pakistanis, roma, afrikanr (in diesem zusammenhang fällt auch oft das wort "muslimisch" oder "muslimischer kulturkreis")
dabei richtet man sich eben nicht nach der wörterbuchdefinition, sondern nach einer machtbasierten faschistoiden eigendefinition, die nach tageslaune variieren kann. heute steht die kopftuchtragende frau im vordergrund, morgen ist es der afrikaner, übermorgen vielleicht der bulgarische billiglohnarbeiter.
diese menschen werden oft genug auf eine anmassende weise als kulturell desinteressiert, als unqualifiziert, als artikulationsunfähig und unmündig eingestuft. ich rede hier von einem generellen bild, dass in der gesellschaft vorherrscht.
Was mich an dieser Sache stört ist folgendes:
die selbsternannte hochkultur fungiert in diesem kontext als prägeinstrument für eine kulturelle elite. sie setzt bilder fest und verstärkt sie. sie hat symbolische sendekraft. die art wie an einem solchen haus mit kultureller heterogenität umgegangen wird, prägt auch den rest der gesellschaft. deswegen tragen diese institutionen gesellschaftlich eine grosse verantwortung. eine solch heterogene vielfalt, wie sie in dieser gesellschaft mitlerweile zu tage tritt, muss sich in den grossen kulturellen institutionen, in der freien kultur- und kunstszene, in den medien, in der politik, in den politischen verwaltungen wiederfinden - nicht nur an exotenpositionen, sondern sparten und hierarchienübergreifend. man muss mit allen menschen auf augenhöhe kommunizieren, in dem vertrauen, dass die gesellschaft auch in der lage ist, ein gemeinsames niveau zu halten.
wo ist das bitte möglich, wenn nicht in deutschland? es gibt weltweit nicht so viele länder, die solch grosses potenzial alleine aus ihrer humanistischen tradition schöpfen können? haben wir nicht alle mehr vertrauen verdient?
alle menschen in dieser gesellschaft haben dieses vertrauen verdient. auch die menschen, die im osten dieses landes seit jahrzehnten als verlierer der wiedervereinigung herausgegangen sind.
natürlich geht es um ein klassending. alle menschen haben den zugang zu kunst und kultur verdient.
die hochkulturvertreter unterteilen gerne in niederschwellig und hochschwellig. dabei ordnen sie gesellschaftliche gruppen mit einem perfiden automatismus je nach stigma einer dieser beiden gebiete zu. durch eine abscheulich elitäre haltung werden menschen vom kulturbetrieb ferngehalten. im nachhinein beklagt man sich dann über das vermeintlich mangelnde interesse. man muss sich jedoch mehr mühe geben mit den mitgliedern einer heterogenen gesellschaft. man muss türen öffenen, einladen und reinlassen. viele barrieren gründen nicht auf niveau, sondern liegen im zwischenmenschlichen bereich. das führt dazu, dass viele grossartige potentiale nicht genutzt werden.
verstehen sie mich endlich richtig: mir liegt die kulturelle entwicklung dieses landes am herzen. ich habe bisher mein bestes getan. ich setze mich tagtäglich mit der geschichte, der sprache, den kulturen dieses landes auseinander. Ich bin dankbarer absolvent eines geisteswisschenschaftlichen studiums in münchen. ich habe mich mit den grundfesten der westlichen zivilisation beschäftigt.
ich spreche fliessend türkisch und deutsch und bewege mich in beiden ländern so, wie man sich zuhause eben bewegt.
ich habe meine hausaufgaben gemacht. jetzt sind sie an der reihe, mit „sie“ meine ich diejenigen, die mir immer noch eine deutschlandfeindliche gesinnung vorwerfen.
ich fordere einfach nur eine würdigung meiner existenz und die anerkennung meiner herzlichen verbindlichkeit, die annahme meines beitrages zur gesellschaftlichen verantwortung in diesem land.
in diesem sinne verabschiede ich mich nun aus diesem reigen mit einem herzlichen: "heidewitzka"
p.s.: herr schwarz: sie waren mir am sympathischsten.
ich verabschiede mich, weil ich denke, dass ich ihnen gute denkansätze geliefert habe. da können sie doch hier mal ein bisschen dranrumkauen.
falls ihnen meine authentizität gefallen hat, freue ich mich. aber wissen sie. die habe ich jahrelang bemüht. darin bin ich richtig gut. aber bewirken konnte ich damit nichts.
in dieser kombo aber schon.
ich nutze eben beide und auch noch viel mehr stilmittel. da gibts noch ne ganze palette.
ich bin nicht mehr in der bringschuld, das habe ich oben schon erläutert - und das ist das, was sie nicht verstehen. zumindest fühle ich ich nicht bemüssigt, in dieser form zu geben. das sind zu kleine schritte.
ich und meinesgleichen haben schon genug gegeben. wir holen uns jetzt satt, was uns zusteht für all die mühen und meinen es richtig gut dabei. ich weiss nicht, ob sie das verstehen können?
sie werden noch genug von uns hören, keine sorge - ich melde mich dann schon, wenn was is
sie können sich ja schon mal merken: göthe protokoll (münchen)
und ärgern sie sich nicht, wenn ich ein wenig arrogant oder anmassend klinge. das ist auch nur ein stilelement, das ich hier in deutschland gelernt habe. da gibt es im kulturbetrieb einige meister in diesem fach.
aber eigentlisch bin isch rischtisch guter junge. ich mach das nur, weil das publikum so schön reagiert. und wenn das publikum reagiert, dann reagiert auch die presse und dann hoffentlich der ganze rest.
ich finde polemik für die gute sache durchaus legitim. es macht sogar spass, solange man den bogen kriegt. und den habe ich doch gekriegt, oder?
bussi
Sie fühlen sich also in allen Kulturen heimisch? Und werfen anderen Überheblichkeit vor? Da mangelt es ihnen wohl ein wenig an Respekt vor dem „Fremden“, den anderen Kulturen. Nun gut. Sie sind also auch in der japanischen Kultur zu Hause, in der chinesischen, balinesischen, einfach heimisch in der Weltkultur, muss man wohl annehmen. (...)
Sie sind vielleicht für die Überheblichkeit anderer sensibilisiert, aber nicht für die Eigene.
Ich für meinen Teil bin nicht in allen Kulturen dieser Welt „heimisch“, dies würde meine Möglichkeiten übersteigen, wohl aber versuche ich, falls ich sie kennenlerne, zu respektieren, ausgenommen sie sind menschenverachtend, wie man beispielsweise von der nordkoreanischen Kultur annehmen darf.
Jeder kultivierte Mensch hört ihnen besser zu, wenn sie weniger provozieren und mehr differenzieren. Da dürfen sie sich sicher sein. Auch ist für mich ihr Name kein Problem, sondern ihre fahrlässige Vorgehensweise.
Es geht ihnen nicht um das Theater, wohl aber benutzen sie es gerne als Vehikel für ihre Strategie.
Das relativiert so Einiges. Es geht also mal wieder um das ganze soziale und gesellschaftliche System, dass sie umstürzen wollen, und das Theater so hierbei hilfreich dienen. Nun, das tut es zu Recht nicht einfach so, denn es ist nicht so einfach dienstbar zu machen, weil es sich seine künstlerische Freiheit bewahren muss, in dem zwar auch ihre Themen aufgehoben sein können, aber eben nur als ein Thema neben einer Vielzahl anderer, ebenso relevanter Themen.
Auch ich fühle mich mit der NSU nicht wohl. Nur hilf es nicht, wenn sie mit dem größten gemeinsamen Nenner ihr Anliegen beglaubigen wollen. Ihre Herleitung aus Extremen ist nur bedingt tauglich und ich hoffe sie wissen das, denn die Haltungen der NSU sind nicht auf die gesamte deutsche Bevölkerung zu übertragen.
Aber anscheinend sind sie sich darüber nicht ganz im Klaren, denn sie unterstellen, es gäbe eine Masse an Menschen, die ganz viel Angst haben und zu dem gefährliche Bilder im Kopf. Ja, Herr Acar, da draußen ist eine „Mehrheit an deutschen, gefährlichen Phobikern, die alle nur Monstrositäten im Kopf haben“ und sonst niemand?! Ehrlich gesagt, eine solche Sichtweise ist so arg von rassistischen Aspekten durchsetzt, dass mir schwindelig wird, denn auch sie schreiben der Mehrheit der „Deutschen“ feste Charaktereigenschaften zu, von denen sie, „die Deutschen“ als Gruppe betroffen sein sollen. Diese ihre Auffassung ist angesichts der Realität so traurig und verkürzt, dass es nun leicht wäre einfach diese Debatte zu verlassen. Mit Unwahrheiten muss man sich nicht zwingend auseinandersetzen.
Aber lesen wir weiter. Dort draußen ist also ein „man“, das je nach Tageslaune macht basierte, faschistoide Eigendefinitionen über ausländische Bürger kreiert und sie erkennen in diesen launigen Kreationen ein generelles Bild, und diese Annahme der Generalität unterstreicht ihren „rassistischen Ansatz“ abermals.
Inwieweit ist ihrer Ansicht nach die Hochkultur eigentlich selbsternannt? Können sie das einmal erklären. Und diese Hochkultur ist also ein „Prägeinstrument“ jener generellen, macht basierten, faschistoiden Gruppe deutscher Phobiker, die je nach Belieben die Bilder dieser Welt definieren?! (...) Spüren sie nicht, wie sehr diese „Hochkultur“ sich gerade um ihre Themen bemüht hat? Sehen sie nicht, wie sehr sie ständig versucht ist eine breite Verantwortung wahrzunehmen?
Nein Herr Acar, sie haben ihre „Hausaufgaben“, wie sie es nennen nicht gemacht. Sie stehen noch ganz am Anfang der Debatte, eben weil sie sich selber von Wut und Angst leiten lassen. Und Angst ist stets ein schlechter Begleiter.
Am Ende weisen sie auch noch in einer großen Geste die Rollen zu. Ein „Sie“ ist jetzt an der Reihe und in der Pflicht, denn sie haben ja alles getan, bei ihnen gibt es für sie keine erkennbaren Defizite mehr. Doch, ich erkenne Defizite, sogar erhebliche und habe sie dargestellt, und auch ich kann sie leider nicht von dem Vorwurf einer „deutschlandfeindlichen Gesinnung“ freisprechen, denn sie verbreiten von sich aus allzu viele auf eine solche Haltung verweisende Äußerungen.
Letztendlich fordern sie als „adult third culture kid“, dass die gesamte „deutsche“ Hochkultur durch eine ihnen gemäße multikulturelle Haltung ersetzt wird. Das dürfte ein ebenso macht basiertes Prägeinstrument in ihrem Kopf sein, wie sie es anderen unterstellen. Denn es geht meiner Meinung nach nicht darum, die gesamte „deutsche“ Hochkultur abzulösen und sie einer nicht näher definierten Multikulturalität der „Völker und Kulturen aller Welt“ zu übergeben, es geht vielmehr um ihre Erweiterung, um eine Erweiterung um all die kulturellen Diversitäten in unserer Gesellschaft, die vorhanden sind, und dieser Vorgang ist längst im Gange, und für diesen Vorgang muss keine bisherige Kultur, aus dem er erwachsen ist, liquidiert werden, denn sie erweist sich als kompetent und fähig genug, diesen erfreulichen Vorgang auszulösen, ihn zu befördern und hoffentlich zu seinem besten Ende zu führen, eben ohne sich selber abzuschaffen.
Freundlichst
Ihr
Martin Baucks
Lieber wolfgangk
Hauptsache, wir reden noch miteinander. Die Form zu beklagen, ist eine wohlfeile Art, auf den Inhalt nicht einzugehen. Ich glaube, Sie irren sich in einem Punkt: Wenn jemand «Aua, Idiot! Dein Auto steht auf meinem Fuss!», schreit, dann ist nicht das Wort «Idiot» das Problem, sondern immer noch das Auto auf dem Fuss. Dem «Zusammenleben in dieser Gesellschaft» ist nicht die Polemik abträglich, sondern der als Elitebewusstsein camouflierte Rassismus. Und ich finde, wenn Ahnung und Meinung besonders weit auseinanderliegen, wenn jemandem der Chauvinismus der eigenen Äusserungen noch nicht einmal klar ist, darf man schon mal ein bisschen «kriegerisch» werden im Ton, solange man auch noch zur Sache spricht. Schlimmer wäre, noch Übleres zu denken und sich der Diskussion nicht mehr zu stellen.
@martin baucks
Lieber Herr Baucks
Da Sie auf alles andere, was ich Ihnen entgegnet habe, mit keiner Silbe eingehen, nehme ich mit verwegenem Optimismus an, dass ich in diesen Punkten zu etwas mehr Klarheit beitragen konnte. Das würde mich aufrichtig freuen.
Wenn es mir erlaubt ist, will ich gerne auch noch in Sachen «Fruchtwasser» weiterhelfen. Sie müssen sich den reifen Fötus (Geschlecht spielt hier keine Rolle) ein bisschen wie ein staatliches Theater vorstellen: Er schwimmt schwerelos in einer Blase, die ihn von äusseren Einflüssen weitgehend abschirmt und ernährt sich quasi parasitisch. Dann und wann trinkt er einen Schluck vom Fruchtwasser und dann pinkelt er wieder rein und dann trinkt er wieder und dann pinkelt er wieder rein. Im Falle des Fötus ist das ganz in Ordnung so. Im Falle des Theaters weniger.
Es kommt vor, dass mir von Meinungen über Partizipation und «Hochkultur» 35 Jahre nach Erscheinen von Bourdieus «feinen Unterschieden» (die ich Ihnen sehr empfehlen möchte) so übel wird (bildlich gesprochen), dass mir scheint, Gift und Galle reichen nicht, da muss dieser für besondere Gelegenheiten aufgesparte Schluck Fruchtwasser auch noch raus (NB: Auch bei Frauen gibt es keine Verbindung zwischen Uterus und Oesophagus).
Was den Brief von Murali Perumal angeht, der mir wirklich eine äusserst taugliche Diskussionsgrundlage scheint, sind wir ja offenbar in einem Punkt einer Meinung. Das soll mich freuen.
Grüsse
Arroganz und Anmassung sind also Stilmittel, die sie der deutschen Kultur entlehnen, Herr Acar? Aber sie haben sich schon mal mit den Haltungen der "third culture kids" auseinandergesetzt, und wissen woher sie meinen ihre Überlegenheit zu beziehen. Eben nicht aus nur einer Kultur, in die sie hinein versetzt wurden, ihre scheinbare Überlegenheit meinen sie aus dem Erleben zweier oder mehreren Kulturen zu beziehen, die sie auf verschiedenen Zeitschienen erlebten, die sich zum Teil auch überschneiden.
Vielleicht kauen sie ja mal ein wenig auf dieser Erkenntnis herum. Auf der Selbsterkenntnis, dass sie sich für überlegen halten und von dieser Position aus eine nachweislich despektierliche Haltung einnehmen, in dem sie frei nach Tageslaune einer Kultur, so wie es ihnen dünkt, alle für sie von Vorteil erscheinende Eigenschaften zuschreiben, die ihrer Strategie gerade dienlich sind.
Das Thema "Migrationshintergrund" darf im Deutschsprachigen Theater bei der Besetzung keine keine Rolle spielen.
Leider ist es ein Thema und das ist eine Schande.
Dieser "Unterschied", den sie da Festmachen, hat in Inszenierungen die sich nicht mit dieser Thematik auseinander setzen überhaupt keine Bedeutung.
@ wolfgangk: wie herr schwarz schon richtig bemerkt hat: ich bin nicht für ihr romantisierendes authentizitätsbedürfnis zuständig.
ja zefix halleluja kreizkruzitürkn no amoi! sackizement:
man traut mir allen ernstes zu, den deutschen staat umstürzen zu wollen? haha
ich bin schon zu einigem fähig, ich weiss, aber jetzt mal ganz ehrlich herr baucks: diese phalanx von grosser koalition könnte nicht mal die geballte wut aller migranten dieser erde stürzen. hahaha.
obwohl ich mir das ja wirklich gerne wünschen würde. sie bringen mich auf ideen!
im grunde zeigen diese und auch weitere völlig überdrehte kommentare, wie wenig es ihnen um kommunikation geht, sondern vielmehr um ihre eigene existentielle angst. sie haben ja sogar angst vor mir. ich hoffe sie können schwimmen, wenn sie sich schon in so unruhige gewässer manövrieren. sie reden ja immer noch von nationalen kulturen? hab ich ihnen nicht gesagt, dass das unartig ist? sowas macht man doch nicht! also wirklich.
und wenn jetzt wegen ihnen bald der bnd bei mir vor der tür steht, dann werde ich sie wegen rufmordes verklagen müssen.
haha
grossartiger schenkelklopfer!
ihre Arroganz in Ehren, aber ich wüßte nicht so ganz, was ich von ihnen lernen sollte.
Gut ist, dass die Debatte nun den Titel „Diversität“ trägt. Wie man aber eine solche in einem Ensemble umsetzen kann, welche Wege dort beschritten werden könnten, bleibt weiterhin ungeklärt. Denn es reicht nicht allein die Besetzung von Postmigranten in einer Festanstellung. Damit ist der Qualitätssprung noch nicht geschafft, wie man gerade am Gorki ablesen kann, dass mit dem Ereignis „Übergangsgesellschaft.“ gerade auf einem vorläufigen, traurigen Höhepunkt angelangt ist, wo der Begriff „postmigrantisch“ zur Pose erstarren könnte.
Wie soll ein Wuppertaler Ensemble mit neun Schauspielern die Diversität dieser Gesellschaft durch das Engagement von Postmigranten abbilden? Welche Position fällt dann an wen? Diese neun Positionen sind so schnell aufgebraucht, bis dahin haben sie nicht einmal alle Interessengruppen aufzählen können, die ein Anrecht anmelden könnten. Dieses „Wie“ sollte geklärt werden.
Dann stellt sich die Frage: Sollte jedes Ensemble in der Bundesrepublik so aussehen, wie das Ensemble am Gorki Theater in Berlin?
Nach ein wenig zeitlicher Distanz zu diesem „Fruchtwassergemetzel“, werde ich versuchen mich diesen Fragen auf Grundlage des Briefes von Murali Perumal, dessen Veröffentlichung ich mit anregte, zu nähern.
Bis dahin
Alles Gute hier
"Am Anfang war die Geburt. Die Geburt Jesu. Ich gebar ihn. denn ich war die heilige Maria. Die Maria des Kleinostheimer Gemeindekindergartens, einer Gemeinde im unterfränkischen Landkreis Aschaffenburg, auch genannt: Aschebäschch. Das war schön. Meine Mutter hatte sich große Mühe beim Nähen meines Kostüms gegeben.
1. Szene Maria und Josef gehen einen kleinen Weg entlang. Sie wirken schon sehr erschöpft.
Maria:
Ach Josef, weit schaff ich es nicht mehr! All die Leute dort drüben in Bethlehem... Und keiner hat uns reingelassen! Wie lange soll ich denn noch laufen?
Noch lange sollte ich auf Bühnenbrettern laufen, stolpern, hetzen, rennen, eilen, tanzen, kullern, schwanken, jagen, auftreten und abgehen. die Stationen, die den Kleinostheimer Brettern folgten waren: Aschaffenburg, München, Wuppertal, Zürich, Basel, Baden-Baden, Hamburg, Berlin, Hannover, Ludwigshafen, Bregenz, Ludwigsburg, Köln.
Doch Maria sollte ich nie mehr spielen. Auch nicht Luise, nicht Käthchen, nicht Hedda, nicht Hermia, nicht Julia, nicht Helena, nicht Nora, nicht Penthesilea, nicht Effi, nicht Lulu, nicht Johanna, nicht Mirandolina, nicht Gretchen, nicht Eve, nicht Agnes, nicht Viola und auch viele andere nicht.
Aber 11 von 13 unterschiedlichen TV-Produktionen durfte ich Aysche sein. Wer war diese Aysche? Irgendwann fand ich heraus, das war eigentlich nicht wichtig. Wichtig war: Aysche nix schipirehen doysch. Nur das wihtig, also gans ayınfach: Aysche glaysche. Das einzig schwierige daran war aber eben genau das einzig wichtige: eine Aysche spricht niemals hochdeutsch. So, nu krieg das mal hin Ilknur, bist doch ein Schwartzkopf, da kann man das halt. Denkt zumindest jeder nicht Schwartzkopf. Waaas mit Lessing, Schiller, Kleist, Goethe, Hebbel groß geworden?! Schiwarskoff nix Göte möte! Schiwarskoff Aysche! Fillayıscht Aysche Pusfırau oder Terörist oder Kofftuchmäschen oder Küsche arbayten oder Dinsmäschen, dasselbe wie Pusfırau nur in Teyata. Ok ok, ich habe es verstanden.
Aber dann am schönen Theater Basel! Ich durfte ANNA spielen! Anna in Max Frischs "Biedermann und die Brandstifter". Oh ich war glücklich! Eine Anna! Doch zu meiner Überraschung: Lustig, Anna war "zufällig" wieder eine Dinsmäschen. Aber eine schöne Rolle. Anna, ich mache aus dir eine besondere, feine, kluge, liebenswerte, eine mutige Anna! Ja, mutig musste meine Anna unbedingt sein, denn der Regisseur hatte sich mit dem lustigen Dramaturgen ein ganz dolles Konzept überlegt: Die Brandstifter waren nämlich Neonazis in Springerstiefeln, Glatzen und grünen Jacken! Wow! Und natürlich waren sie böse und voller Fremdenhass gegen Anna. Sie quälten sie, schnitten ihr Haare ab, begossen sie mit Wachs.
Erster Probentag/Leseprobe "Biedermann und die Brandstifter"
Der Regisseur unterbricht mich nach wenigen Sätzen.
Regisseur (peinlich berührt bis verklemmt grinsend):
"Äh, könntest du das auch mit Akzent sprechen?"
Schauspielerin (stockt, weint innerlich):
"Ja, ich versuche es."
Bei weiteren Proben tanzt Aysche-Anna leicht bekleidet immer wieder Bauchtanz (das machen Aysches so, denkt der Regisseur und der lustige Dramaturg), summt auf Wunsch des deutschen Regisseurs ein türkisches Volkslied, stolpert durch die schöne deutsche Sprache Max Frischs und weint immer weiter, doch nur innerlich nur, nur.
Die Jahre vergehen, insgesamt 14. Ich lerne die Ateliers (so heißen die Aufnahmestudios in Synchronfirmen) aller großen deutschen Synchronfirmen kenne. Oh, wie ich diese Arbeit liebe! Die Rolle und ich ganz nah, ganz allein! Ihre Sprache wird meine, ihre Lippen, die ich gebannt studiere, werden meine. Es geht nur noch um Sprache! Die Rollen, für die ich gebucht werde, sind international. Sie sprechen iranischen, paschtunischen, rumänischen, persischen, aserbaidschanischen Dialekt. Als ich einer Aufnahmeleiterin sage, dass ich leider nur Ayschisch mir angeeignet hätte, doch nicht Paschtun beherrsche, sagt sie: "Och Frau Bahadir, dit kriegen sie schon hin! Da bin ick mir janz sicher!"
Wow, was man mir alles zutraut, toll! Hab wohl mittlerweile in meinem Beruf den Ruf eines Sprachtalentes! Das ist schon schön! Doch warum gehört Deutsch, meine eigentliche Sprache, in der ich lebe, liebe, schreibe, träume, schimpfe, weine, mein Kindchen großziehe nicht dazu?
Donnerlittchen nochmal (das war bayrisch)!"
Naiv, Herr Schwarz, naiv. Wenn ich aber das von Herrn Acar mit gebrauchte "romantisch" mit einbeziehen darf, ist mir das am liebsten. Auf keinen Fall habe ich "authentisch" im Umfeld ihrer Darlegung zur Dramaturgen- oder Theaterwissenschaftlerwelt gebrauchen wollen. Es ist schon erstaunlich wie weit "Senden" und "Empfangen" auseinanderliegen können.
Systemisch betrachtet ergeben sich aber jetzt genau die Fragen, die Herr Baucks in Nr. 50 aufgeworfen hat: Wie kommt man denn weiter? Wie muß denn das System Theater aufgesetzt sein, daß Intendanz, Regie, Dramaturgie, SchauspielerInnen, Auswahl der Stücke und so weiter den Anforderungen der Diversität gerecht werden? Und mit wem, gegen wen?
sie sollten lesen lernen
;-)
erster akt beendet - herr baucks geht in klausur. werden er und sein assistent wolfgangk diese mysteriöse migrantenproblematik, die sie ja selber erzeugt haben, endlich auch im sinne der deutschen hochkultur lösen können?
was werden die untersuchungen von martin baucks zu tage bringen? ein witzebuch? wird er wirklich für den integrationsbambi nominiert werden?
das erfahren sie in "DISKUSSION DIVERSITÄT II".
hier in diesem kino!
auch am Gorki spielt kein Postmigrant "Werther." Eine multikulturell besetzte Klassiker Inszenierung, die uns vom Aische Gesetz erlöste, findet dort auch nicht statt.
es gibt keine Migrantenproblematik innerhalb des Theaters. Auch die sogenannten "Betroffenen" sind nicht kompetenter, als alle anderen Theatermacher. Es geht immer nur darum, wie klug und talentiert jemand ein Thema künstlersch ausarbeitet. Auch ein rein "bio-deutsch"
besetztes Ensemble kann "migrantische" Themen hervorrragend bearbeiten. Das "Gorki" ist nicht der Maßstab und sie auch nicht. Die Fehlleistungen vom "Gorki" kann man ja eh kaum noch unterlaufen.
Es geht nicht darum "wer" Theater macht, es geht darum "wie" man Theater macht. Und da traue ich jedem alles zu. Ich denke, dass gegebenenfalls Inder etwas über Deutsche erzählen können, wenn sie sich professionell um eine Sicht auf diese Kultur bemühen. Eine Bemühung, die ich bei ihnen kaum erkennen kann, denn ihr Bekenntnis zu ihrer Staatsangehörigkeit ist doch sehr unglaubwürdig.
Widmen wir uns doch bitte wieder dem Thema zu.
Sehr geehrte İlknur Bahadır, ich schätze von Ihnen stammt der Text über Anna und die Brandstifter.
Ich kann ihren Groll sehr gut nachvollziehen, und dass sie nun vor allem den Einsatz als Sprecherin finden, ist ja mittlerweile auch schon wieder typisch.
Sie sind die vierte Kollegin von der ich höre, dass sie nur bei Funk und Synchron wirklich ihren Beruf ausleben kann.
Dies ist meiner Ansicht nach ein perfektes Beispiel für glasklaren Rassismus.
Es wird ja häufig die Schutzbehauptung aufgestellt, dass das Ausbildungsniveau bei Schauspielern mit Hintergrund, häufig schwächer sei (Privatschulen etc).
Dabei ist der handwerklichste Teil des Berufs mit Sicherheit das Sprechen.
Das wir also in den Studios mehr Diversität finden als in den Ateliers, spricht Bände.
Wie ist das eigentlich an der Oper? Bilde ich mir das mit meiner rudimentären Zuschauererfahrung nur ein, oder ist man da schon viel weiter?
Man kann Tanz und Oper nicht mit dem deutschsprachigen Schauspiel vergleichen. Schauspiel basiert immer noch weitgehend auf deutschsprachiger Literatur oder Übersetzungen in deutscher Sprache. Die beiden anderen Medien sind per se internationaler ausgerichtet, und sind bereits globalisierte Kunstformen. Sie können Tänzer, Opernsänger, Musiker aus aller Welt engagieren und die Inszenierungen sehr viel leichter rund um die Welt schicken, als Inszenierungen die auf Sprache beruhen. Die bleiben weitgehend nur innerhalb der Sprachgrenzen interessant.
Da haben wir auch schon das Problem mit einem gesamt-europäischen Theater-Begriff. Deutschsprachiges Schauspiel ist, wenn man ehrlich ist, in dem kleinen Grätzl zwischen Hamburg, Zürich, Berlin, Wien angesiedelt.
Deutsche Schauspieler möchten in die Rollen der deutschen Literaturkanons glänzen. Ist eine verständliche Forderung? Meine Sprache, meine Literatur, mein Theater.
als jeübter Ossi wollte ik ma zu Wort melden: Wir sin ja ooch sowat wie ne Migrationsgruppe! Die Frau Professor Pates hat det erkannt. Da häng ick ma jetze rin. Also ick wollt wat saren zum Besen. Ick hab och jearbeetet als Putze. Det machen ville Ossis in ner alten BRD. Und ick bin männlich, wat ja in die akademische Jeblubberei so ooch nich uftoochen tut! Sense, wir haben ja nich ma richtich jelernt zu schreiben oder zu sprechen, hatten immer Hunger hinter Stacheldraht und Mauer, waren alle bei der Stasi und sind de Nazis par excellence. Gloobt ihr, ick fühl mich wohl in meiner Haut? Un wo sinnse denn hin die DDR-Schauspieler_Innen? Wer hat denn den Osten erobert?
Det ne nur am Rande! Ich je widder. Noch viel SPass euch bei die Diskussionen. Ick les et ja jerne.
Juten Tach!
ein Einwand: das ist so einfach nicht richtig.
Auch das Sprechtheater hat, gerade in Zeiten der Postdramatik, nicht mehr das Sprachsystem als Grundlage; man denke nur an "Murmel, Murmel" oder Johan Simons doch internationales Haus [die Gute-Schlechte-(Post-)migranten-Diskussion lasse ich hier einmal außen vor, da ich schon mit eckigen Klammern arbeite], das trotz Sprachbarrieren von ganz oben zum Theater des Jahres gewählt wurde. Und auch sonst werden Inszenierungen immer häufiger beispielsweise zweisprachig angelegt. Ich habe noch niemanden getroffen, der danach meinte "Hab ich nicht verstanden." Weil auch im Sprechtheater über ganz andere Kanäle Informationen vermittelt werden als nur über das Textsubstrat. Ihre Ausführungen passen in meinen Augen eher schlecht zu unserem Theaterbegriff von heute.
Die Oper ist übrigens auch nicht international geboren, man arbeitet mit Übertiteln. Von einem Alleinstellungsmerkmal kann also nicht gesprochen werden. Doch selbst wenn es so wäre: Sie sagen doch im Endeffekt "Das war schon immer so." Ich finde diesen "Das geht nicht, das gibts nicht"-Ansatz für die Kunst nicht adäquat.
Ihre Argumentation passt vor allem deswegen nicht zum Thema, da hier über Leute gesprochen wird, die der deutschen Sprache ebenso mächtig sind wie Urbayern oder IM Lustig: Wir sprechen von ausgebildeten, sprachaffinen Menschen, die mitunter "sogar" hier geboren wurden. Sie haben nur vielleicht einen Namen oder Teint oder Ohrwatscheln, die sich für sie stigmatisierend auswirken. Darum kreist doch die ganze Diskussion.
Schon nur der Gedanke, dass eine Änderung der Ensembles eine Änderung der Qualität beinhalten würde, ist doch per se - in diesem Zusammenhang - rassistisch, oder etwa nicht?
eine unfassbare verquickung...
@yann jasper: die ungerechte geld- und machtverteilung stigmatisiert. es geht hier glaub ich einigen um die grossen töpfe. um was sonst? kennen sie brecht?
"Jeden Morgen, mein Brot zu verdienen,
Fahre ich zum Markt, wo Lügen gekauft werden.
Hoffnungsvoll
Reihe ich mich ein unter die Verkäufer."
bitte missverstehen Sie mich nicht. Ich finde es richtig, dass hier Schauspieler, die virtuos mit der deutscher Sprache arbeiten können, weil es ihre Sprache ist, nach allen Rollen des Kanons streben. Egal, ob ihr Familienname oder Vorname türkisch, arabisch oder indisch ist.
Und die gemeinsame Sprache ist die Basis der Arbeit, ob die Aufführung dann in einem postdramatischen oder Textflächen-Dingsbums, oder im Drama endet.
Die nicht-literarischen Spiel-Formen sind aber doch eher die Ausnahmen im Betrieb des deutschen "Sprechtheaters".
In der Oper hat mein ein Musikalisches Gerüst und ziemlich fertige Rollenbilder und im Tanz stehen die Bewegung im Vordergrund. Aber niemals so die Identitäten der eintretenden Spieler. Identitäten entstehen durch die Sprache.
das ganze residenztheater hat eigentlich geschwiegen.
warum?
das würde mich auch interessieren.
sagen sie mir bescheid, wenn sie mehr in erfahrung bringen, bitte.
vollkommen richtig bemerkt!
ich solidarisiere mich zu hundert prozent! bitte teilen sie ihren anspruch hier noch öfter mit. genau mit dieser sprache auch! wunderbar! wir sitzen im selben boot, kollege.
ick liebe dir! geh rin inne diskusjon un lass disch nüscht untakrijn! akademisches jeblubber is jenau wat dette is hia, sonst nix feschtese?
jenauso denk ick ooch. wia sin det folk! her mit de moneten un mit de kulturräume!
suppa host des gsogt! kimmst obe z'minga gema brezn essn ind kammaspui und ins volkstheatta mia zwoa!
http://www.sueddeutsche.de/kultur/intendant-kusej-fuer-mehr-migranten-im-theater-leiden-und-lernen-1.1315414
ich hatte nicht ganz verstanden, was er mit leiden und lernen meinte (wer leidet, wer lernt? wäre ein thema für martin baucks, haha) und habe ihn explizit eingeladen, weil wir gerne mit ihm darüber gesprochen hätten, aber er hat nur seine schweigemaschinen geschickt (sebastian huber und andrea koschwitz). christine umpfenbach hat sich leider auch nicht geäussert, dabei wäre das eine einmalige gelegenheit gewesen, aber ich kann sie auch verstehen, wenn sie sich da erstmal bedeckt hält. sie wird ihre gründe gehabt haben.
im allgemeinen fand ich die haltung der intendanzen dieser grossen häuser sehr unsicher und rechtfertigend. wenn ich noten verteilen müsste, würde ich sagen: residenztheater 6, kammerspiele 4, volkstheater christian stückl eine 2, denn er war immer noch derjenige, der sich am selbstbewusstesten und verbindlichsten geäussert hat und keine angst vor begrifflichkeiten hatte. ich habe mich nach der veranstaltung gut mit ihm unterhalten und wir haben uns ausgetauscht. auf meine anfrage hat er mir auch seine geschichte mit abdullah erzählt. die klingt natürlich sehr naiv und vereinfachend von aussen, aber sogar ich habe ihm sein authentisches interesse, mit dem er dieses regienachwuchstalent fördert abgenommen.
abdullah hat sich mit 8 jahren in den chor der oberammergauer passionsspiele eingeschlichen und war so gut, dass stückl ihn zum vorsänger ernannt hat. als er ihn darum bat, seine haare wachsen zu lassen für seine rolle, hat dieser gemeint, dass das nicht ginge, weil sein vater gar nicht wisse, dass er gerade hier sei. als strenger moslem würde er es ihm verbieten.
daraufhin ist der gute stückl zu dem mann nach hause und hat ihn schlicht und einfach von dem talent seines sohnes überzeugt, woraufhin dieser wohl meinte: "gut ich vertraue dir. du bist der chef. aber mach ihn ja nicht zum katholiken". fand ich sehr lustig! das ist die basis der hoffentlich zukunftsträchtigen karriere von abdullah karaca.
klar ist es eine sonderposition, aber ich finde das eine tolle geschichte und muss stückl für sein engagement, sein feines gespür und seinen mut ein kompliment aussprechen.
des hod a scho suppa gmocht!
an martin baucks: jetzt mal ganz ehrlich, zieren sie sich doch nicht so. natürlich ist neben dem "wie" auch wichtig, "wer" theater macht. je nachdem, welche persönliche erfahrung man gemacht hat und welchen background man mit sich bringt, sieht man die welt, themen und inhalte anders. man transformiert athmospären, anmutungen, eindrücke anders.
indem wir heterogene besetzung nicht "verhindern" (und darum geht es in diesem diskurs vor allem), können wir doch sicherstellen, dass die inhalte, die methoden, die blickwinkel auch so vielfältig bleiben, wie die ansprǘche in einer sich ständig verändernden gesellschaft. im endeffekt bedingen sich das "wie" und das "wer" doch gegenseitig. das bringt doch noch mehr variantenreichtum in die sache und steigert die kreativen möglichkeiten.
auch die vielseitigkeit des publikums wird damit leichter zu erreichen sein, denn jeder künstler, jede künstlerin hat eine andere strahlkraft und zieht auch unterschiedliches publikum. jeder intendant oder intendantin erreicht unterschiedliches publikum.
zum thema staatangehörigkeit: ich bin deutscher, ob es ihnen passt oder nicht. ich habe sogar eine staatsangehörigkeitsurkunde. ätschibätsch. sowas haben sie wahrscheinlich nicht?
sie sind doch ein cleverer kerl eigentlich - was lassen sie sich denn auf solche nationalistischen untiefen ein und machen sich damit hier zu meinem spottziel? was soll ich denn sonst machen, als mich über sie lustig machen? so einen nationalkäse kann man doch nicht ernst nehmen.
machen sie sich locker. schreiben sie ein witzebuch. humor hilft!
"Gerade Menschen die sich freiwillig mit diesem Thema beschäftigen (freiwillig weil nicht hineingewzängt durch die Gesellschaft, wobei das auch Auslegungssache ist)" - mein lieber scholli
also ich wollte ja nichts sagen, weil ich mir dachte: nicht noch eine front. aber solche äusserungen wecken schon wieder den satiriker in mir: gute frau, was soll denn das?
christine umpfenbach ist begeistert von dem thema, weil wir migranten einfach umwerfend sind, verstehen sie? charismatisch, temperamentvoll, sexy, liebenswürdig, gastfreundlich, kommunikativ, zuvorkommend.
noch dazu haben wir interessante lebensläufe, kommen aus wundervollen ländern, sonne, mond, sterne....
wir kochen gut, sind lustig, sehen meistens äusserst gut aus, sind intelligent, eloquent, können uns gut ausdrücken, sind gebildet, riechen gut, machen stimmung und laune...
ich könnte ihnen noch tausende gründe aufzählen, warum man sich durchaus für uns begeistern kann und sich mit uns beschäftigen sollte.
puuh - so jetzt hab ich wirklich mein bestes gegeben. tschüss leute. beleidigt werden und dann noch gut drauf sein. das soll mir mal hier jemand nachmachen.
(...)
Ich muss nicht Ali heißen, um die weiße Vorherrschafft in Personal und Perspektiven am deutschen Theater für sehr befremdlich zu halten.
Es geht also nicht darum, irgendeine aufstrebende, oder sagen wir es mit Stückl, arschtretende Migrantengeneration einzubinden. Es geht auch schlicht darum, kulturell auf der Höhe zu bleiben.
So war ich bedenklicherweise in meinem Leben erst dann in einem fast ausschließlich weißem Umfeld, als ich zum Studium auf die Schauspielschule kam.
Da hatte ich als Weißer auch erstmal einen Kulturschock.
Ich möchte an dieser Stelle auch mal kritisieren, dass man oft den Wunsch nach mehr migrantischem Publikum in die Forderung einbindet.
Zum Beispiel den Klassiker: "...mehr Kopftücher im Publikum...".
Erstens tragen die wenigsten Migranten in Deutschland Kopftuch,
zweitens geht es ja nicht nur darum, das Publikum personell zu erweitern, sondern das bestehende Publikum nicht ausschließlich einen weißen Kunstraum zu bieten, der in der Welt einfach nicht mehr existiert. Und wenn wir ganz ehrlich sind, auch nie existiert hat. Brechts Theater zb. ist ohne durch das Deutschland der Zwanziger ziehende afroamerikanische Jazzbands, auch nicht denkbar.
PS @ Herr Schade,
sie sagen "Schauspieler deutscher Sprache möchten in deutscher Sprache glänzen."
Woher allerdings ihre Eltern stammen oder wo sie geboren sind, ist in meinen Augen dabei vollkommen uninteressant.
@das warme eckchen: Kunst mag vielleicht nicht ihre ästhetische Vollendung finden in dem Beschreiben oder Lobpreisen von "Gerechtigkeit", das führt zu langweiliger Pädagogik. Aber die Zustände in der Herstellung von Kunst unterliegen arbeitsrechtlicher und demokratischer Standards. Die Konsequenz ihres atemberaubend dummen Kommentars ist: Es ist gut, dass die Diversität fehlt. Weil Kunst die in ungerechten Verhältnissen entsteht, "besser" ist. Wieso sollten unsere demokratische Gesellschaft für so etwas aufkommen? Red Bull ist bei der Zelebrierung dieses Zynismus ( Opfer machen unseren Brand sexy ) viel besser und konsequenter, die behaupten auch nichts anderes als diesen Zynismus - und dass man fliegen kann, wenn man das trinkt.
ich kann mich gar nicht erinnern, geschwiegen zu haben. Allerdings habe ich mit großem Interesse zugehört. Das geht besser, wenn man nicht ständig selber redet. Ich bin in dem offenen Brief von Murali Perumal sogar zitiert. Allerdings in missverständlicher Weise, und zumindest soviel will ich versuchen beizutragen, dass ich diese Missverständnisse aufkläre. Meine Bezugnahme auf „ästhetische Fragen“ ist selbstverständlich nicht im Zusammenhang mit der Zusammensetzung des Ensembles gefallen, wie sich das in dem offenen Brief liest, sondern hat sich auf einen Teil der Debatte bezogen, in dem es um verschiedene Theaterformen und ihren möglichen Beitrag zu einer „Öffnung“ des Theaters ging. Das ist mir wichtig. Zweitens haben wir nicht „versucht, den Ferdinand mit einem Halb-Nigerianer“ zu besetzen, sondern Michael Klammer hat bei uns den Ferdinand gespielt, hatte ein Angebot für ein Festengagement und hat sich anders entschieden. Ich habe es als ein Zeichen einer unspektakulär und hoffentlich unaufhaltsam sich vollziehenden Entwicklung gedeutet, dass niemand in der wahrnehmbaren Rezeption der „Kabale“-Inszenierung darüber ein Wort hat fallen lassen, dass ein von Murali Perumal so genannter „sichtbarer Migrant“ (ein Südtiroler mit nigerianischem Vater) den deutschesten aller deutschen Jünglinge spielt. Jetzt tut er es nicht mehr, weil er andere Pläne hat, und ist durch einen anderen sehr guten Schauspieler ersetzt worden, Johannes Zirner, einen Deutschen (mit vielfältigem, aber „unsichtbarem“ Migrationshintergrund). Diese Geschichte war nicht als Beschreibung einer vorherrschenden Realität an unserem Theater gemeint, das habe ich auch am Abend deutlich gemacht, sondern als Anzeichen einer entstehenden Selbstverständlichkeit. Dass diese bei weitem nicht erreicht ist, ist uns allen klar, und ich bin, ganz ehrlich gesagt, dankbar für die Debatte und den Abend im Milla, weil sie eben nicht ein „Thema“, sondern eine Praxis betrifft. Dazu gehört natürlich auch die Frage, wer auf welchen Wegen entscheidet, bei wem es sich um einen „sichtbaren“ Migranten handelt. Wer also „zählt“, wenn gezählt wird.
Mit besten Grüßen,
Sebastian Huber
Juten Tach
Wenn jemand eine alte Frau spielen möchte, muss er nicht alt sein, er muss nicht einmal eine Frau sein, er sollte das Talent und die handwerklichen Fähigkeiten mitbringen, um eine solche Rolle zu spielen. Michael Vogel von der Familie Flöz spielt ihnen einen Säugling oder Kleinkind mit nichts weiter als einer entsprechenden Maske. Er beobachtet Kleinkinder wochenlang, er studiert sie und dann versucht er ihre Bewegungsabläufe, ihre Verhaltensmuster, ihren Charakter auf der Bühne umzusetzen und das mit sehr großem Erfolg. Setzte man statt seiner einfach ein Baby auf die Bühne, wäre dies einen moment lang interessant, würde aber noch lange nichts über das Wesen und den Charakter von Babys erzählen.
Es geht darum, was man sich erspielen kann, und danach wird ein Ensemble besetzt. Auch ich glaube, dass das Residenztheater sich mehr „Farben“ in seinem Ensemble erlauben könnte und empfinde es als sehr kritisch, dass es dies nicht tut, da dieses Haus über 47 Stellen verfügt, wenn ich richtig informiert bin und ich fand nur eine Frau aus Russland. Da werde ich skeptisch und Vermutungen werden laut in mir. Trotzdem weiß ich, dass keine dieser Stellen eingeklagt werden können. Die Zusammenarbeit am Theater beruht auf Freiwilligkeit und dem Begriff der Freiheit. Auch mit einem rein „deutschem“ Ensemble kann ich postmigrantische Stoffe und Themen erarbeiten.
Auch bildete ich mir nicht ein, dass wenn ich, wie Eingangs erwähnt, über ein internationales Ensemble verfügen würde, ich automatisch besser wäre als das Ensemble des Residenztheaters, noch dass ich nun schon Diversität abbilden würde. Ich würde wissen, dass ich mit einem solchen Ensemble mir diese Stoffe genauso hart erarbeiten müsste, wie jedes andere Haus. Ich käme nicht auf die Idee mich selber zu labeln und mir einen Stempel auf die Stirn zu drücken mit der Aufschrift „postmigrantisch“ oder „deutsch“. Solche Vorgänge sind mir völlig fremd und ihre Entzauberung dürfen wir ja gerade am Gorki Theater in Berlin erleben.
Wenn ich einen Inder auf die Bühne stelle, egal mit welchem Pass, habe ich noch nichts über Indien gesagt. Und wenn ich neben ihn einen Senegalesen und einen Koreaner stelle, sind wir gemeinsam noch nicht „international“. Der Stoff ist dann noch lange nicht bewältigt, er liegt immer noch vor uns und ob es uns gelingt, wird sich am Ende zeigen. Und dabei geht es natürlich auch um Qualität. Über Qualität zu reden soll schon an sich „rassistisch“ sein?! Höre ich. Hier ist eine Gruppe ständig damit beschäftigt jemanden zu verdächtigen, ihn zu überführen, ein Beweis für die eigenen Thesen muss her und man sucht nach einem Täter, einem Verdächtigen, den man verantwortlich machen kann und sei es auch mit der Brechzange. Das ist unangenehm und peinlich und macht die Debatte schwer und fußlahm. Da schweigen eben einige auch lieber, statt sich hier öffentlich demütigen zu lassen. Und dafür habe ich ebenso Verständnis, wie für die Nöte und Leiden einiger Postmigranten. Nur teilen diese Menschen diese Leiden mit vielen anderen in dieser Republik, die auch keinen Zugang zur Hochkultur bekommen. Ihre Nachteile sind oft ihre mangelnde Bildung, ihre soziale Herkunft, aber auch ihr zu „prolliges“ Aussehen, eben ihre ungeliebte Kultur der Unterschicht und vieles andere mehr. Gründe für einen verweigerten Zugang zur Hochkultur können mannigfaltig sein und trotzdem gibt es in ihr keine einklagbaren Positionen, um einer wie auch immer gearteten Gerechtigkeit nachzukommen. Das mag für einige „hart“ klingen, aber sobald für ein Theaterensemble Quoten gelten, wird ein Druck ausgeübt, dem die künstlerische Freiheit entgegensteht.
Ich weiß nicht, woher sie die "Klage" nehmen; hier handelt es sich doch um einen Aufruf zur Selbstreflexion. Die künstlerische Freiheit sollte nicht als Totschlagargument benutzt werden, respektive als Instrumentarium der Willkür. Im besten Fall ist man sich doch dessen bewusst, was man warum tut. Wenn man ein nach den hier thematisierten Differenzkriterien einseitig besetztes Ensemble hat weil diese Schauspieler die von allen Bewerbern "die Besten" waren, bitte. Man muss sich aber fragen, ob man ein einseitiges Bild von "Gut sein" hat, wenn am Ende immer das Selbe rauskommt. Ich denke, dass die im Milla anwesenden Vertreter der Hochkultur diesen Appell vernommen haben und hoffe, dass das Schweigen Ausdruck von Denkprozessen ist. Komisch sind Leute, die immer auf alles und sofort eine Antwort parat haben.
Liebe/r Schade, ich glaube zu verstehen, was Sie meinen, finde in Zeiten der Intermedialität Ihre doch sehr spezifizierten Spartenbegriffe aber wie gesagt überholt. Ich denke, dass von Ihnen beschriebene Produktionen heute eher die Ausnahme sind. Aussage gegen Aussage ;-)
Sie schreiben: "durch eine abscheulich elitäre haltung werden menschen vom kulturbetrieb ferngehalten. "
Könnten Sie bitte erläutern, was Sie damit meinen? Beispiele nennen?
Sie schliessen vom Sein auf das Sollen (quasi ein naturalistischer Fehlschluss): «Was […] wäre das denn für eine Welt wenn es im Theater gerecht zugänge (sic!) - und draußen im wahren Leben alles so bliebe wie es ist.»
Ausserdem sprechen wir doch hier von den Produktionsumständen, den Herstellungsbedingungen von Kunst und nicht vom «Produkt», der Theateraufführung. Es soll ja bitte auf der Bühne nicht die Welt schön und gerecht sein, aber im Betrieb soll der Rassismus aufhören. Ich hoffe, Sie können das unterscheiden.
Ausserdem: Sie argumentieren mit der Freiheit der Kunst. Dann hätte ich mal ne Frage: Stellen Sie sich ein europäisches Land in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts vor, in dem Menschen einer bestimmten Religion, Herkunft oder sexuellen Orientierung aus dem Kunstbetrieb gedrängt werden. Ist das eine Frage der künstlerischen Freiheit? Ja? Und warum nicht?
Zugegeben, ein sehr deutliches Beispiel. Aber manchmal hilft der Tritt gegen den Cola-Automaten, wenn der Groschen nicht fällt.
Und dann Sie wieder, wolfgangk:
Sie leiten im Bezug auf Brecht die Gültigkeit des Denkens eines Menschen von seiner Moral ab. Mir ist das Beispiel eines Vegetariers bekannt, der ein richtig kolossaler Idiot und Massenmörder war. Beweist das jetzt, das wir den Vegetarismus in die Tonne treten sollen?
Überhaupt, Herr Baucks, wolfgangk, warmes Eckchen: Hier wird doch nichts anderes als mehr Diversität in den Ensembles gefordert. Wogegen wehren Sie sich denn? Ich versteh's wirklich nicht mehr.
Nicht dass ich englisches Theater immer ganz grossartig fände, aber die Förderkriterien des Arts Council in Grossbritannien finde ich in dieser Hinsicht äusserst tauglich: Keine Diversität, keine Kohle.
(http://www.artscouncil.org.uk/media/uploads/criteria_for_regular_funding.pdf).
das kann man weitgehend so unterschreiben.Aber mein Ansatz ist ein anderer. Ich würde ein "diverses" Ensemble aufstellen wollen, weil ich Lust dazu habe, weil ich es als lustvoll und anregend empfinde, im Sinne eines Erkenntniszugewinns und eines emotinalen, sinnlichen Zugewinn, mich mit anderen Kulturen möglichst unvoreingenommen auseinanderzusetzen
Die Sparten sind sehr wohl lebendig. Denn der Alltag des Theaters sind nicht die zwanzig etwas spezielleren Inszenierungen die monatlich in Theater Heute vorkommen, sondern sehr viele durchschnittlich Arbeiten, die nach herkömmlicheren Strick-Mustern gemacht wurden, und die dazu dienen einfach das Progamm für die Stadttheater zu machen.
Diese Diskussion ging doch los, weil ein "zeitgemäßes" Projekt, Migranten gesucht hat, die sich da als Migranten im Kunstkontext präsentieren wollen. Und wenn ich die Stimmen hier richtig deute, dann geht es darum dass nun Menschen die sich als deutsche Schauspieler/Künstler verstehen, angepisst sind, weil sie aufgrund ihres Namens oder ihrer Herkunft immer nur als "unsere Migranten" mitspielen dürfen, aber eigentlich einfach auch mal im ganz normalen Stadttheaterbetrieb als normale deutsche Schauspieler/Künstler mitmachen wollen.
Ich finde schon, die Diskussion hat einige Kurven gemacht. Aber wenn sie als Destillat nehmen ihr "Hier wird doch nichts anderes als mehr Diversität in den Ensembles gefordert", dann haben wir Konsens. Absolut.
aber wie sieht nun Diversität auf der Bühne aus? Ganz praktisch, konkret?!
kann es sein, dass sie nur zum Schein eine Theaterdebatte führen und eigentlich auf etwas ganz anderes Zielen? Kann es sein, dass sie damit in dieser Debatte nicht alleine dastehen? Kann es sein, dass sie dies Forum nur nutzen, um eine gesamtgesellschaftliche Debatte zu führen? Und kann es darüberhinaus sein, dass ihre Position in ihrer Gesamtheit auch einmal auf den Prüfstand gehört?
Der "Fisch" Theater stinkt also. Es hat also dort nie Impulse zu einer Besserung einer geistigen Verfasstheit gegeben?! Dort wurden also nie soziale Misstände, Ungerechtigkeiten aufgegriffen und kritisch hinterfragt?! Weder gestern noch heute?!
Wer soll ihnen das glauben?!
Herr Baucks, fremde Kulturen sind ohne Zweifel ein tolles Sujet für das Theater. Von den Leuten, von denen wir sprechen, trennt uns aber eben oft gar keine cultural gap. Oder nur eine halbe. Stattdessen werden sie wegen ihrer Haarstruktur zu Botschaftern von Kulturkreisen, zu denen sie oftmals gar keine Bindung haben. Und selbst wenn da eine Bindung ist, kann die Person und ihr Potential für die Kultur doch nicht auf diesen einen Aspekt minimiert werden.
Ich nehme an Ihre süffisante Frage nach meinem konkreten Programm soll sagen, dass meine Ausführungen unkonkret sind. Und das sind sie in ihren Augen vielleicht auch. Der Appell ist aber tatsächlich ein Aufruf zum Umdenken. Ein Diskurs, der geführt werden soll und muss und der auf der Basis einer Reflexion ein Andersreden, Andersdenken, Andershandeln nach sich ziehen kann. Menschen, die für Besetzungen zuständig und für Umdenken offen sind, werden ihr Vorgehen auf Denkbarrieren prüfen und auf einmal ist ein neues Käthchen von Heilbronn möglich. Das wäre doch ein konkreter Erfolg. Diese, in ihren Augen, wohl abstrakte Bewegung ist uns, wie ich meine, aus dem Theater bereits bekannt. Oder was ist der konkrete Mehrwert einer Hedda Gabler?
Sie führen sich doch hier selber vor. Glauben sie denn tatsächlich, dass einen Schlag in die Fresse, irgend jemand zum Boxer macht.
Die Erfahrung nützt wenig, wenn man sie nicht künstlerisch verarbeiten kann. Da hilft auch kein "Ätschi-Bätschi", sie "kindlicher" Charakter.
als Appell kann man ihre Haltung nur unterstreichen. Auch wollte ich meine Frage nicht als süffisant verstanden wissen. Aber, was ist das "ein neues Käthchen"? Warum stellt niemand die Frage: Warum überhaupt Käthchen?!
Gut, nun bin ich Kleist Liebhaber. Da stellt sich mir die Frage nicht so. Aber grundsätzlicher: Warum müssen Postmigranten in "deutschen" Klassikern reüssieren. Das erschließt sich mir nicht automatisch.
Nehmen sie einmal den Film "Inside Man." von Spike Lee. Da werden alle Bedingungen erfüllt, die hier so im "Groben" gestellt werden. Der Film beginnt mit indischer Musik, alle denkbaren Kulturen, Nationen und Besetzungen tauchen auf und doch ist es der "weißeste" Film, den ich seit langem gesehen habe, der fast ausschließlich nur "amerikanische" Botschaften versendet. Denzel Washington spielt den wahrscheinlich "weißesten" Farbigen aller Zeiten, trotz vordergründiger Multikulturalität. Und der einzige Fazit, den man diesbezüglich aus dem Film ziehen kann, ist, dass alle amerikanischen Bürger, egal welcher Herkunft in Krisen gleich schlecht behandelt werden dürfen.
Herr Acar freut sich ebenso sehr "Deutscher" zu sein, dass er vor lauter Selbsteuphorie gar nicht mehr dazu kommt seine Methodik, seine Vorgehensweise zu hinterfragen. Wir besetzen also das Käthchen mit "Aische" und legen danach die Hände in den Schoß, weil dann schon alles gemacht ist?!
Glauben sie das wirklich?
Ich nicht. Was heißt, "es wird selbstverständlich"? Selbstverständlich für wen?
Und wieso wehrt sich Herr Acar so sehr gegen den Begriff "Nation", wo doch die ganze Debatte nur deshalb besteht, weil es Menschen gibt, die im wesentlichen mit zwei oder mehreren "nationalen und kulturellen Identitäten" leben.
Gut, bei Herrn Acar lässt sich die Frage leichter beantworten, denn er wehrt sich in der Hauptsache dagegen, dass jemand von einer nationalen deutschen Identität spricht, die ist ihm aus "neo-rassistischen" Gründen verdächtig erscheint. Aber wahrscheinlich wehrt er auch hier gleich ab, denn in einem solchen Moment wird ihm gleich alles "egal". "Nationalität" völlig egal. Und das ist natürlich angesichts seiner eignen Lage "naiv".
Nationalitäten sind spürbar, im Leben, wie auf der Bühne. Und da haben sie einen schönen Punkt herausgearbeitet, dass nämlich postmigrantische Menschen häufig auf nur eine "Nationalität" festgelegt werden, und das ist verletzend. Ob sie deshalb auch gleich minimiert werden, bezweifle ich. Verstehe ich diese Menschen richtig, wollen sie gegebenenfalls als "Deutsche" in einer "deutschen" Rolle wahrgenommen werden, und sie wollen vom Publikum auch so angenommen und akzeptiert werden. Meinetwegen. Aber das ist eine so schmale Auffassung von Diversität und im Kern eigentlich ein Anpassungsvorgang. Das alleine kann nicht reichen.
Da fehlt noch so Einiges.
jede siebte Stelle also. Interessant. Warum? Weil die Woche sieben Tage hat?
Und offenbar funktioniert das auch wenn in München ein ganzes Theater sich dessen annimmt. Und für seine Arbeit überregional ausgezeichnet wird. Und sich andere Münchner Intendanten zu schwammigen Lippenbekenntnissen genötigt fühlen.
Die Frage ist, ob Theater überhaupt jemals niederschwellig sein kann. Und wenn Yasimina Reza als Französin mit Mitgrationshintergrund erfolgreiche Stücke schreibt, dann liegt dass wahrscheinlich daran, dass sie die Gesellschaftsschicht, für die sie diese Stücke schreibt sehr gut kennt. Und sie Themen der Bourgeoisie verhandelt, und sich Menschen als Publikum in den Theatern finden, die sich für bürgerlich halten. Ist das jetzt die Migranten-Erfolgsstory die alle herbeisehnen? Für Reza Stücke bekommt man wahrscheinlich keine Zuschüsse für den sozialarbeiterischen Mehrwert eines Projekts.
Aber ich habe gute Texte der aktuelleren Literatur gelesen - die schön langsam auch mit der heutigen Realität was zu tun hat. Wie wird das meist umgesetzt? Fehlt den "Weißen" Ensembles ein wenig die Lebenserfahrung und Bezug zur Realität? Aber die Verlage geben erfolgsversprechende Texte nicht so gerne an freie Gruppen; ist gegen die Geschäftsinteressen.
Womit wir wieder bei der Sprache wären. Und bei der Literatur. Und wie die mit dem Theater zusammenhängt. Und darum machen die freien Gruppen dann eben freie Projekte, mit der frei verfügbaren "Realität", weil sie sich keine Texte leisten können, oder auch nicht ran kommen. Weil die Verlage lieber mit den Institutionen Geschäfte machen, weil dort die Kohle leichter zu bekommen ist. Und deshalb sehen die guten Texte vermutlich auch das falsche Publikum mit den falschen Schauspielern besetzt an den falschen Orten.
Herr Baucks, ich sprach nicht von der Kunstform Theater, sondern vom System Stadttheater. Das stand auch so geschrieben dort. Und ja, als "gesamtgesellschaftliche Debatte" denke ich sollte man die Diskussion, die hier angerissen ist, führen, auch wenn der Eine oder Andere in diesem Forum Teilhabe insbesondere über ein Angestelltenverhältnis zu definieren scheint.
Mit freundlichen Grüßen
Aber auch, dass man gute Stücke mit relevanten Themen für die Theater-gehende bürgerliche Klasse schreibt. Und nicht Arbeiter-Kinder-Themen-Outlaw - Themen macht.
Lg
sie sind natürlich der Klassiker schlecht hin. Ohne irgendetwas auszugrenzen, sind sie einfach nicht in der Lage ihren bürgerlichen Anspruch am Theater zu definieren.
Schade, schade, sehr schade. Denn hier geht es Diversiät, um Vielfalt. Was soll man sagen: Thema verfehlt!
Welche Groß-Theater-Institution hat "Verrücktes Blut" auf der Großen Bühne vor den Abonnenten gespielt?
Wertes Schade,
zu ihrer Frage: auf nachtkritik.de wurde Verrücktes Blut außerdem in Braunschweig (http://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=6298:verruecktes-blut-nbraunschweig&catid=228) und Wien (http://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&id=6488:verruecktes-blut-oeea-mit-wenig-aufwand-inszeniert-volker-schmidt-die-oesterreichische-erstauffuehrung-des-erpulat-erfolges-in-der-wiener-garage-x) besprochen. mw
In dieser Diskussion hat niemand den Tatbestand der Benachteiligung von - ich nenne es mangels eines besseren Begriffes - farbigen SchauspielerInnen bestritten, im Gegenteil es herrscht Konsens. Also geht es doch nur um den politischen Willen etwas zu ändern, Kriterien und Quote. Wenn ein kleines Ensemble das abbilden will halt irgendeine Zahl/ Quote, die es ermöglicht entsprechend einzustellen.
Natürlich stimme ich Ihnen zu, dass sie die Themen mit jedem bestehenden Ensemble von schauspielerischer Qualität genauso gut abbilden können und dafür die Quote und den farbigen Schauspieler nicht benötigen.
Die Frage für mich ist, wird aus diesem Lamento über Ungerechtigkeit ein formulierter politischer Wille. Sie sind mir da über: formulieren sie. Gruss.
Allerdings habe ich mich gefragt, ob das jetzt gut oder schlecht ist, wenn Theater das nachspielen und die freien Spieler, die das entwickelt haben, wieder auf de Straße sitzen. Jens und Nurkan kriegen ja Geld für die Fassung, die Spieler, die alles mitentwickelt haben, deren Texte nun vom deutschen Stadttheaterpersonal mit Festanstellung gesprochen werden, allerdings nicht. Mmh, das kommt mir komisch vor. Warum hat kein Theater die Arbeit fest in Repertoire genommen und den Spielern damit eine temporäre Sicherheit geboten? Wieso teilen die "Macher" nicht mit den Mitmachern?
dafür benötige ich etwas Zeit, aber ich werde sie mir nehmen in dieser Vorweihnachtszeit.
Herzlicher Gruss zurück
nach reiflicher Überlegung ist mir wiederum klar geworden, dass ein Theater keine politische Partei ist, und es somit auch keinen allgemeingültigen politischen Willen formulieren kann, der auf andere Theater übertragbar wäre. Im Gegenteil. Die Theater sollten so viele gegensätzliche und sich widersprechende gesellschaftliche Bewegungen in sich aufnehmen, wie nur eben möglich. Sie sind kein Ort des politischen, kulturellen oder ästhetischen Gleichklangs und der Harmonie, sondern ein Ort der Spannung in all ihren Ausdrucksformen. Ein Zwang wäre für seine Arbeit an der Kunst tödlich. Ebenso jede Form der Quote. Die Basis für seine Offenheit gegenüber allem, wie auch dem Publikum ist die künstlerische Freiheit, innerhalb der jede Entscheidung auf Freiwilligkeit beruhen muss. Hieran kann auch kein „Tatbestand“ einer gesellschaftlichen Ungerechtigkeit etwas ändern, so lange die Theater in einem demokratischen und freiheitlichen staatlichen Gefüge arbeiten. Ausgrenzung von Themen, wie Menschen oder auch Ästhetiken und neuen künstlerischen Entwickelungen muss jedes Theater für sich alleine verantworten. Es bleibt aber zu vermuten und man kann positiv annehmen, dass eine solche Verweigerung nicht von Dauer sein kann, außer ein Theater lebt eine Tradition, die im Sinne des Kulturerbes der Allgemeinheit unverzichtbar und schützenswert erscheint. Politische Forderungen, welcher Art auch immer, die an ein Theater von Außen heran getragen werden, darf es ablehnen.
Auch im Falle der Postmigranten kann es gegenüber Theatern keinen Zwang geben. Wohl aber innerhalb der Gesellschaft, die nicht das Recht hat, diese Gruppe von Menschen zu benachteiligen und auszugrenzen. In diesem Sinne können sich Theater von der Umsetzung der politischen Grundrechte dieser Gruppe von Menschen nicht ausnehmen. Einem Zwang jedoch stehen die Interessen der künstlerischen Freiheit entgegen. Wer diese künstlerische Freiheit jedoch gegen den Sinn der menschlichen Grundrechte, welcher gesellschaftlichen Gruppe auch immer, missbraucht, wird nicht lange vor seinem Publikum bestehen können. Er wird Opfer der gesellschaftlichen Dynamik werden, auch wenn diese Vorgänge an einigen Theater gelegentlich viel Zeit verbrauchen, stehen in einer Demokratie solchen Gruppen stets genügend Kräfte gegenüber, denen ein solcher, schädlicher Anachronismus auf Dauer nicht standhalten dürfte.
Forderungen zur Realisierung von Rechten einzelner Interessengruppen oder aber auch politische Forderungen können an ein Theater lediglich inhaltlich herangetragen werden. Für die Umsetzung oder aber auch die Verweigerung einer Umsetzung solcher Forderungen ist jedes einzelne Theater eigenverantwortlich. Diese Eigenverantwortung muss im Sinne der Freiheit der Kunst unbedingt erhalten bleiben.
Kann mir bitte jemand erklären, warum die größte Gruppe der Schauspieler am Gorki in den achtzigern geboren wurde und heute so um die 30zig schwebt?!
Was soll diese Fixierung? Reichen drei ältere Schauspieler/innen wirklich aus?
Diversität drückt sich doch auch in Altersgruppen aus. Wieso ist dieses Ensemble so merkwürdig verkürzt?
hehe
hier noch ein paar radiobeiträge, die zu dem thema publiziert worden sind:
http://www.radiomuenchen.net/theater/184-am-theater-zu-wenig-buntes.html
http://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/kulturwelt/wem-gehoert-das-theater-100.html
also liebe schnückelchens - danke für die breite aufmerksamkeit - wir werden euch recht bald wieder ein wenig kitzeln.
bussi bussi aus münchen
Das hat ganz banale Gründe (genauso wie in Bonn siehe Theater heute 01/14): junge Schauspieler sind billiger als "alte". Um mit solch geschrumpften Budgets noch ein Ensemble zusammenzustellen, bleibt den Theatern gar nichts anderes übrig, als sich auf Junge zu beschränken.