Respekt für die Kunst

von Herwig Lewy

Sankt Petersburg, 3. Dezember 2013. Zum zweiten Mal fand jetzt in St. Petersburg das  Internationale Kulturforum der Russischen Föderation statt, und ganz oben auf der Programmliste steht das Theater, gefolgt von Museum, Musik, Literatur, Bibliotheken, Kino, traditioneller Kultur und Volkskunst usw. Der Katalog liest sich flott und die Trennung der Sparten fällt wohltuend ins Auge. Hochrangige Vertreter der Russischen Föderation begrüßen freundschaftlich, darunter Olga Golodets, stellvertretende Premierministerin, Vladimir Medinsky, Kulturminister, auch Georgy Poltavchenko, Gouverneur von Sankt Petersburg.

Anlass ist das kommende Jahr, das als Jahr der Kultur in Russland ausgerufen ist. Die Zwecksetzung des Forums macht dennoch stutzig. Denn diese besteht im Schutz und in der Förderung der Kultur in Russland, der Unterstützung für kulturelle Initiativen auf regionaler, föderaler und internationaler Ebene und in der weiteren Entwicklung der internationalen Zusammenarbeit.

tagunginternationaleskulturforumst.petersburg 560 vladimircherenkov uVor der Konferenz: der Tagungssaal im Ethnografischen Museum St. Petersburg © Vladimir Cherenkov

Eine eigenständigen Kulturpolitik kann völkerrechtlich dabei nur die UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen absichern, doch diese hat Russland nicht ratifiziert. Da liegt die Vermutung nahe, dass man sich über die Situation in Europa erstmal informieren wollte, über die kulturellen Auswirkungen einerseits des Sparkurses und andererseits des Drucks der WTO.

Bestandsaufnahme

Wie existentiell der Kampf der Theater um Anerkennung bereits ist, machte der Runde Tisch deutlich, den das internationale Theaternetzwerk Union des Théâtres de l'Europe (UTE) als offene Generalversammlung auf Vorschlag von Lev Dodin, künstlerischer Leiter des Maly Theaters und Ehrenpräsident der UTE, einberief.

Neben 17 Theaterschaffenden aus der Russischen Föderation, darunter auch aus Voronesh, Perm und Jekaterinburg, setzten sich insgesamt 46 Personen an einen Tisch, um die Frage der Verantwortung der öffentlichen Hand für das Theater zu diskutieren. Zu beobachten war ein konstruktiver Austausch über die verschiedenen Modelle der Unterstützung in den jeweiligen Ländern. Allerdings beschränkte sich dabei jedes Statement auf einen etwa fünfminütigen Bericht über die aktuelle Situation und die eigentliche Diskussion verblieb im Informellen. Im Staccatostil vergingen die zwei Stunden recht emotionslos. Nüchtern reihte sich ein Beitrag an den anderen, eine Bestandsaufnahme.

tagunginternationaleskulturforumstpetersburg 560 vladimircherenkov uVladimir Medinsky, Kulturminister und Olga Golodets, stellvertretende Ministerpräsidentin der Russischen Föderation sowie Lev Dodin, Ehrenpräsident der UTE  © Vladimir Cherenkov

Nur noch 30 Prozent Subvention

Repräsentativ ist der Fall Israel. Ilan Ronen, aktueller Präsident der UTE, war auch als Vertreter des Habimah Nationaltheaters aus Tel Aviv angereist, das übrigens 1917 in Moskau gegründet wurde. Neben den Kürzungen der Finanzmittel sei in den letzten Jahren das Verschwinden ganzer Theatergruppen in Israel zu beobachten. Verglichen mit der Einwohnerzahl sei die Anzahl der verkauften Theaterkarten zwar eine der höchsten in der Welt, sagt Ronen. Zugleich sei die Unterstützung seitens der israelischen Regierung wie auch das Verständnis über die Aufgaben von Theater sehr gering.

Nur 30 Prozent des Finanzbedarfs würden durch Subventionen der öffentlichen Hand abgedeckt, was zur Folge hätte, dass 50 Prozent des Programms auf Unterhaltung entfallen und eine jede Show mit einer 150fachen Wiederholung kalkuliert sei. Der Spielraum für künstlerische Wagnisse bleibe sehr klein.

Auf die Zukunft der nachwachsenden Generation von Theaterschaffenden und Theaterbesucher blicke er deshalb angstvoll. Denn anstatt das europäische Modell zu adaptieren, wie es in seiner fortschrittlichen und engagierten Form noch vor zehn Jahren existierte, sei man im Begriff, die gegenwärtige Entwicklung zu forcieren. Und die finanzielle Situation sorge für eine fragile Beziehung zum Establishment, denn sobald eine Inszenierung politische Handlungen kritisiere, bekäme man Hinweise, die auf eine Benachteiligung in der nächsten Subventionsrunde hindeuten. Doch diese Punkte würden nie offiziell verlautbart. Da half es nichts, dass man sich vom Obersten Gerichtshof die Freiheit der Kunst bestätigen ließ. Diese Perspektive konstatierte er für die jüngsten Entwicklungen in der europäischen Kulturpolitik generell – sie sei im Begriff, sich den israelischen Verhältnisse anzunähern.

Dialog mit der Macht

Für die russische Seite ist die Situation nicht weniger ambivalent, wenn auch anders gelagert. Dass sowohl Vladimir Medinsky als auch Olga Golodets persönlich anwesend waren, ermutigte Valerie Fokin, künstlerischer Leiter des Alexandrinsky Theaters in Sankt Petersburg, dies recht offen anzusprechen. Die Situation für das Sprechtheater sei abhängig vom Dialog mit der Macht, meinte Fokin. Wenn die Macht in den Dialog komme, auch wenn sie eine andere Meinung habe, würde die Situation sich verbessern.

tagung internationaleskulturforumstpetersburg 560 vladimircherenkov uLev Dodin und Ilan Ronen  © Vladimir Cherenkov

Nur bestätigen konnte Michael Bytschkow, künstlerischer Leiter des Internationalen Platonow Festivals in Voronesh, diese Gemengelage. Seitdem in Voronesh ein neuer Gouverneur im Amt sei, der sich für Theater interessiert, würde er ein wenig Sonne am Horizont sehen. Unter seinem Vorgänger passierte dagegen nichts. Die Theaterschaffenden aus West- und Südeuropa hatten ähnliches zu berichten, wenn auch dies wiederum anders gelagert scheint.

Quartals-Rechenschaft

Allen fiel auf, dass die Kürzungen der Subventionen von neuen Maßnahmen und Verwaltungsvorschriften begleitet sind. Als besonders krasser Fall tritt Portugal in Erscheinung, wo die Theaterleitungen derzeit gezwungen sind, alle drei Monate Rechenschaft über den Spielplan abzulegen. Bezeichnend, dass seitens der Verwaltung auch schon mal gefragt wird, warum Beckett im Programm stehe.

Deutlich wurde auch vom Verlust der Medienaufmerksamkeit gesprochen. Fand man in der Tagespresse noch vor wenigen Jahren ganze Seiten über Schauspieler und Inszenierungen, sei die Berichterstattung heute auf den Starkult der Welt des Glamours gerichtet. Und natürlich suchte ich nach Anhaltspunkten für ein Statement zu den jüngsten Vorgängen um ein Gastspiel von Thomas Ostermeier. Ich fand es auf dem Weg zum Runden Tisch: Wer ihn erreichen wollte, musste an einer Ausstellung zur jüdischen Geschichte und Kultur vorbei. Schauplatz war das Ethnographische Museum Sankt Petersburg, in dessen Hallen die kulturelle Vielfalt analog zur UNESCO-Konvention enthalten ist.

tagunginternationaleskulturforustpetersburg thomasengel 280h lev dodinund ilan ronen vladimircherenkov uThomas Engel, ITI Deutschland
© Vladimir Cherenkov

Freies Sprechen

Hier verflog auch die anfängliche Skepsis von Jan Hein, leitender Dramaturg am Staatsschauspiel Stuttgart unter Armin Petras, ob einer möglichen Alibifunktion für die russische Kulturpolitik. Gefragt nach seinen Eindrücken entgegnete Hein, er sei angenehm überrascht gewesen, dass Lev Dodin anfänglich das Wort ergriffen und so einen Raum geschaffen habe, in dem jeder relativ frei sprechen konnte. Zwar hätte jeder Beitrag sehr viel mit der finanziellen Situation in den jeweiligen Ländern zu tun gehabt, aber jeder hätte im Grunde auch die Notwendigkeit einer Theaterutopie für unsere heutige Zeit formuliert.

Wie diese für Lev Dodin aussieht, sagt er im persönlichen Gespräch sehr klar. Da in den letzten Jahren alle Theater in Europa auf die Stufe von Bettlern reduziert worden seien, habe man aufgehört, Forderungen zu stellen. Dem sei aber nicht so, die Frage nach öffentlicher Unterstützung muss offensiv gestellt werden. Nicht einem Bettler solle man begegnen, es müsse vielmehr heißen: "Arbeite! Hilf uns! Mach eine gute Inszenierung!" – Da muss es als erster Erfolg gelten, wenn Vladimir Medinsky in seiner Abschlussrede auf dem Internationalen Kulturforum ausdrücklich sagte, dass die Regierung Interesse an starken, mit Talenten gefüllten Theatern habe und keinen Einfluss auf die Inhalte verfolge.

Das System stützen

Ein Brief wurde verfasst, der an alle Regierungen und Kulturministerien der Länder, auch an das Europäische Parlament verschickt ist. Das darin zum Ausdruck gebrachte Anliegen wird auch von Thomas Engel, Direkter des Internationalen Theaterinstituts Deutschland, unterstützt. Die Aufforderung, die Freiheit des künstlerischen Ausdrucks zu respektieren, zu fördern, das Theatersystem zu stützen und politische oder ökonomische Zensur nicht zuzulassen, seien darin sehr klar formuliert, so Engel.

 

 

 

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