Zaun aus Sternen

von Sophie Diesselhorst

Berlin, 13. Dezember 2013. Eigentlich hat das EU-Logo – gelber Sternenkreis auf blau – an sich ja schon was Ausschließendes. Da müsste die EU-Grenzschutzorganisation Frontex in ihrem eigenen Logo gar nichts mehr dazu tun, um zu signalisieren: Wer von draußen hier rein will, muss über einen zackigen Zaun.

Mit diesem Logo wird anspielungsreich hantiert in dem neuen Dokumentartheaterabend "FRONTex SECURITY" von Hans-Werner Kroesinger. Es hängt hinter weißem Schreibtisch an weißer Wand auf der Bühne des HAU1, und mal werden von einem Frontex-Funktionär die Lücken mit weiteren Sternen gefüllt, mal heftet sich einer der vier in nichtssagende Bürokostüme gekleideten EU-Schreibtischhelden einen wie einen Nazi-Judenstern ans Revers, als es um Ausgrenzung geht. Und wofür steht eigentlich das leere Blau im Innern des Sternenkreises – was wird hier eigentlich bewacht? Über dieses EU-Logo kann man eine Weile nachdenken, dazu regt "FRONTex SECURITY" an.

Mit Floskeln bewaffnet

Explizit beschäftigt der Abend sich mit der "Festung Europa". Er baut sie einmal auseinander und dreht und wendet ihre Bausteine. Analysiert werden die Organisation der in Warschau ansässigen Frontex (Abkürzungsdschungel, mit Floskeln wohlbewaffnete Sprecher), es gibt einen historischen Exkurs zur Migrationsförderung: Europa als Einwanderungsland mit Tradition. Die deutsche Politik muss sich wegen des Dublin II-Abkommens gar nicht so sehr für den Ansturm auf die europäischen Außengrenzen interessieren – das Abkommen besagt, dass EU-Flüchtlinge in dem Land Asyl beantragen müssen, das sie zuerst erreichen. Also kann Ex-Innenminister Otto Schily es sich locker leisten zu sagen: Klar würde er als Hobbysegler Menschen in Seenot retten, das sei doch moralisch geboten. Schließlich gibt es wiederholte quälend lange und medizinisch präzise Beschreibungen des Todes durch Ertrinken.

frontex1 560 foto hau xVorm exklusiven Sternenzaun: Armin Wieser und Sina Martens. © David Baltzer

Viele der Vorträge entstehen aus Interviewsituationen, in denen die Befragten stets irgendwann von menschenfreundlichen Floskeln ("Durch unsere Einsätze retten wir Leben", "Zäune sind keine Lösung") in einen integrativen Pragmatismus kippen: "It works" ist eine Antwort, die den stellvertretend fürs Publikum recht schnell verunsicherungsgelangweilten Nachfrager verlässlich zum Schweigen bringt.

Was wäre, wenn wir die Grenzen öffneten?

Gegen Ende fragt auf einmal einer der vier Spieler ins Publikum: "Und was wäre, wenn wir die Grenzen öffneten?" Das Saallicht geht an, und die Zuschauer werden auf die Hinterbühne in ein familiäreres Setting gebeten, wo sie im U um die Bühnenfläche sitzen, Frontalunterricht ist nicht mehr möglich. Nein? Doch. Es geht nämlich genauso weiter wie bisher, nur dass den Vorträgen ein bisschen mehr szenisches Fleisch auf die Rippen gepflanzt wird. Auf Tischen aus Plastikpaletten wird Schiffe Versenken gespielt. Eine Sängerin, die schon vorher ab und zu mit Rezitativ-artigen Einsprengeln aufgetaucht war, läuft im Glitzerkleid um das Bühnenkonstrukt herum und ist das Gewissen, das immer lauter werden muss, um sich zu beruhigen: "Ich bin nicht grausam!" Von wegen, was wäre, wenn. Von dieser Frage, das ist das deutlichste Statement dieses Abends, sind wir weit entfernt. Because it works.

 

FRONTex SECURITY
Regie / Konzept: Hans-Werner Kroesinger, Bühne / Kostüme: Valerie von Stillfried, Sound / Musik: Daniel Dorsch, Licht: Thomas Schmidt, Dramaturgie / Recherche: Regine Dura.
Mit: Judica Albrecht, Sina Martens, Lajos Talamonti, Armin Wieser, Gesang: Yuka Yanagihara.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.hebbel-am-ufer.de

 

Kritikenrundschau

In der Berliner Zeitung (16.12.2013) beschreibt Doris Meierhenrich den Abend als "überreich an Definitionsversuchen und Selbstauskünften, die die vier bewährten Kroesinger-Darsteller wie immer in trockener Arroganz abspulen, als sprächen sie auf der Jahreskonferenz eines Dax-Unternehmens". Am Ende der ersten eineinhalb Stunden sitze man vor einer einzigen „Frontex“-Wand hohler Rhetorik. "An ihr sieht man seinen eigenen Kopf und jede demokratische Kontrolle so abprallen, wie Flüchtlinge abprallen müssen an den ins südliche Mittelmeer und Nordafrika vorverlagerten EU-Grenzkontrollen, die jedes Asylrecht zunichte machen." "Frontex security" sei ein Abend für fortgeschrittene Kroesinger-Fans. "Die Phrasengitter dieses ersten Teils schnüren einem die Luft ab." Aber in der letzten halben Stunde bekomme das Selbstdenken wieder Sauerstoff: "Eigenartige Tische werden aufgefahren, die aussehen, als bestünden ihre Platten aus Hüllen von Fernsichtgeräten. Sie bilden ein Gittermeer, auf dem kleine Faltboote bewegt werden, bis sie gezielt in die Ritzen fallen. Und wir sehen zu."

"Es ist ein Bombardement mit Informationen, die seine vier Schauspieler in etwas mehr als zwei Stunden auf das Publikum niederprasseln lassen", schreibt Katrin Bettina Müller in der taz (16.12.2013). Aber es sei auch ein kleinteiliges Abtasten der Sprache einer Institution, die sich mithilfe der Sprache von den Menschen, über deren Leben sie entscheidet, distanziert. Kroesinger kommentiere nicht, er sampele das Material der beteiligten Institutionen, er schneidet aus den Bergen juristischer Regelungen kleine Schnipsel heraus. "Und doch würde man kein Aktenstudium solange ohne Unterbrechung aushalten, wie man diesen Mitteilungen hier zuhören kann."

"Empörtes Frontex-Bashing ist die Sache dieses reflektierten Abends nicht", schreibt Christine Wahl im Tagesspiegel (17.12.2013). Vielmehr betrachte Kroesinger die Grenzschutzagentur im größtmöglichen historischen Kontext und arbeite präzise heraus, an welchen Fixpunkten sich die europäische Asylpraxis jeweils durch welche Interessenlagen verändert hat und qua welcher glasklarer juristischer Argumente legitimiert. "Kurzum: Die rhetorischen Figuren, die die Schauspieler entsprechend scharfsinnig gegeneinander ausspielen, zielen vor allem auf die Fragwürdigkeit unseres (europäischen) Selbstverständnisses."

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