Mysterien der Probebühne

von Andreas Wilink

Bochum, 14. Dezember 2013. Kommen zwei Schauspieler zur Bühne Welt – und das geht so: Zur Einstimmung erfolgt ein Vorruf auf dem Theater. Er klingt wie ein Hymnus, als würde ein Poeta laureatus in die Saiten greifen: "Der bisweilen leere Raum" titelt der Prolog von Martin Heckmanns und hört hinein in den Echoraum der möglichen (oder nötigen) körperlichen und geistigen Gemeinschaft in ihrer "gemeinsamen Atmung", die das Theater herstellt. Manchmal. Motive von Vergänglichkeit, Zeitlichkeit, Verausgabung werden angeschlagen, aber nicht so, wie ein Antiker oder der Deutsch-Hellene Hölderlin gedichtet hätten, auch wenn der ferne Klang der Götter Griechenlands herüber zu tönen scheint. Vielmehr gebrochen, ironisch, scherzhaft, nonchalant mokant. Das auktoriale "wir" ermuntert uns zu erheitertem Einverständnis.

Vielleicht ist der erste Fehler von Anselm Webers Uraufführung in den Bochumer Kammerspielen der, den Prolog von der "Hospitantin" im Stück sprechen zu lassen und ihn an Ort und Stelle zu konkretisieren, dort, wo das Folgende stattfindet. Exterritoriales Gelände wäre besser. Ungreifbarer.

Der unsichtbare Regisseur, der einmal "Düsseldorfer Welttheater" inszenierte

"Ich nehme an, Sie haben sich in der Zeit vertan", sagt in der ersten Szene von "Es wird einmal" der ältere Schwinder (ein sprechender Name wie der seines Rivalen, des Jungspunds "Neumann"). Heckmanns selbst wiederum hantiert hier bewusst und virtuos mit historischen Formen des Dramas. Beide, Schwinder und Neumann – Günter Alt und Matthias Kelle im habituellen Theater-Schwarz – haben einen Termin für ein Vorsprechen, der von der Hierarchie des Systems geschürt wird zum Konkurrenzkampf auf der Bühne unter einem Baum (Beckett?). Ihr Spiel und das einer dritten Person, der vom Zufall heran getragenen Sophie Sikora (Therese Dörr), steht unter dem Patronat derer, die gern den Vorhang lüpfen und zeigen, wie es zugeht. es wird einmal 7042 560 thomas aurin u"Es wird einmal" © Thomas Aurin

Regie-Anweisungen lassen auf ein modernes, ordnungswidriges Mysterienspiel schließen, profanisiert von Aktualitäts-Partikeln (etwa Heidi Klum als modischem Schönheitsideal, neuer Helena oder bärtiger Venus). Schwinder und Neumann warten auf einen dritten: Obermann (sprechend!), den Regisseur, der etwa das "Düsseldorfer Welttheater" inszeniert habe, aber seit längerem mehr durch Abwesenheit als durch seine Arbeiten von sich reden mache. Er bleibt unsichtbar, indes ein Kind (Beckett!) ein Nachspiel bescheren wird. Im Gegensatz zu Obermann sind Schwinder und Neumann Jedermänner bzw. Kandidaten für diese Rolle von Geist und Tat im Welt- und Lebenstheater.

Der Wahnsinnige und der Ignorant im Vergangenheitsfutur

"Es wird einmal", ein Futur mit Vergangenheit, verbreitert sich zur aktuellen Bestandsaufnahme. Dabei immer unter Druck und in ständiger Beweisführungspflicht und als Bewährungsprobe für Schwinder und Neumann. Karl Joseph und Max heißt solch ein Duo bei Botho Strauß ("Besucher"), Jay und Goldberg in Taboris "Variationen". Wahlweise: der Wahnsinnige und der Ignorant. Der Realismus des Altmeisters Schwinder, der passend über Grabbes "Don Juan und Faust" referiert, trifft auf die unhistorische "Gegenwartsversessenheit" des Schnösels Neumann.

Zur Kenntlichkeit entstellt begegnen uns in ihnen und ihren Darstellern Günter Alt (versonnen, argwöhnisch, zart, wie es die Dicken oft sind) und Matthias Kelle (von angestrengt williger Einsatzfreude) Ernst und Spiel, schöne Lüge und Expertise der Wirklichkeit, Hohe Schule mit Lebenskrise versus performativer Kunst, die sich versiert zeigt in Fiktionen und Simulationen, über die Neumann ("der Performer ist der Aussteiger") erschöpfend Auskunft zu geben imstande ist.

Ein Stück, klüger als seine Uraufführung

Die Figuren tasten sich vor im vorgeblichen oder tatsächlichen Raum der Freiheit (Hermann Feuchters Bühne bietet ein grau-weißes Abstraktum im Karree). Aber das laut Gustaf Gründgens legendäre einstige "Planquadrat" mit festen Regeln, Gewissheiten und Abläufen hat seine Grenzen längst verschoben, nicht nur die vierte Wand wurde geschleift.

Alles, was Heckmanns über den Theaterbetrieb weiß – offenbar eine ganze Menge –, fließt ein. Dora, die Assistentin des unsichtbaren Regie-Gottes (Minna Wündrich – tough wie Bettina Böttinger), treibt die drei Schauspieler durch Liebesszenen, philosophische Reflexionen mit Nietzsche und Adorno, Camouflagen und Stationen entlang von Konsum und Kanzler Kohl, Finanzkrise, Schulwesen und Infotainment. Der Zusammenhang verschwimmt: Schwamm drüber! Heutzutage flutet alles. Der 100-jährige Ur-Jedermann hatte nur allegorische Auftritte zu verkraften. Problembewusstsein, soziales und politisches Engagement der moralischen Anstalt, Diskurs-Theorien werden ebenso gestreift wie die schelmische Selbstbespiegelung, nicht zuletzt die des Autors, des "kleinen Martin" aus dem Niederrheinischen und seines Alter Ego Neumann. Biografie – noch ein Spiel.

Anselm Weber fällt einiges ein – Auftritte im Skelett-Kostüm und als Nijinsky-Faun, das Dies irae. Zu viel. Und dabei zu munter, zu fix, zu kess. Das Stück ist um einiges klüger, als seine Uraufführung. Mehr Botho Strauß wäre drin gewesen. Mehr menschliche Komödie, die im Idealfall Leben respiriert und reflektiert, weniger maskierte, mit Requisiten behangene Komik. Mehr Kunst. Mehr Leicht-Sinn. Mehr Einfachheit. Man muss nur das Kind vom Ende beim Wort nehmen: "Ich bin kein Zeichen. Ich bin einfach nur da." Der Rest kommt von selbst. Fast.

 

Die letzte Heckmanns-Uraufführung Einer und eine besprachen wir 2012 Jahr in Mannheim.

 

Es wird einmal (UA)
von Martin Heckmanns
Regie: Anselm Weber, Bühne: Hermann Feuchter, Kostüme: Meentje Nielsen, Musik: Oliver Siegel, Choreografie: Guido Markowitz, Licht: Bernd Felder, Dramaturgie: Kekke Schmidt.
Mit: Günter Alt, Therese Dörr, Matthias Kelle, Kristina Peters, Minna Wündrich, Paula Stelte/MarlenTyburzy.
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten

www.schauspielhausbochum.de

 

Kritikenrundschau

"Über die Bochumer Bühne huschen der Tod, die Liebe und die ganz großen Fragen, aber eben in ihrer heutigen Gestalt", schreibt Max Florian Kühlem in den Ruhrnachrichten (16.12.2013). "Kann das Theater nicht einmal aufhören, Fragen zu stellen und stattdessen eine Antwort geben?", werde einmal kurz Schluss gefragt. Heckmanns und Webers Theater jedoch will das gar nicht und folge damit einem Trend. Denn dieses Sprechtheater gehe einen Schritt auf das diskursive Performance-Theater der Freien Bühnen zu, biete ein Panorama aktueller Themenlagen, Welt- und Lebensentwürfe. "Das macht Spaß und fordert den Geist, wirkt manchmal aber etwas zu lose geknüpft."

"Alles hier riecht nach Beckett", schreibt Arnold Hohmann im WAZ-Portal Derwesten.de (15.12.2013). Das Bühnenbild von Hermann Feuchter wirke leer und abstrakt, "ein großer Möglichkeitsraum für alles". Regisseur Anselm Weber, eher ein Freund des Greifbaren als des Nebulösen, bediene zu Beginn den Schmunzelfaktor. Danach jedoch ziehe diese zweistündige Aufführung sich gefährlich in die Länge, weil Heckmanns ein wahres Textkonvolut auf die Zuschauer niedergehen lasse. "Es wird salbadert auf Teufel komm raus, nur kein Leerlauf ist die Devise. Philosophische Reflexionen türmen sich, Nietzsche und Adorno treffen auf Allegorien und Diskurs-Theorien. Was anfangs sich noch klar erschloss, das vernebelt immer mehr."

Martin Heckmanns hat nach Meinung von Andreas Rossmann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (17.12.2013) "ein witziges, intelligent verschachteltes Stück über das Theater geschrieben, das so nonchalant mit großen und kleinen Themen jongliert, dass der Tiefsinn nicht ins Pathos und der Leichtsinn nicht flach fällt". In einem "szenisch gescheit kalkulierten Durcheinander" lasse der Autor "seine Figuren durch Theater- und Realgeschichten, Familien- und Finanzkrise, Schulbetrieb und Medienzirkus taumeln und dabei immer wieder die Orientierung, aber nie die Bühnenbodenhaftung verlieren". Schade allerdings, dass "die Inszenierung des Hausherrn Anselm Weber die Möglichkeiten des Theaters" nicht "grundsätzlicher reflektiert und das Versprechen" des Stücks nicht auch "als Vorwurf verstanden hätte". Hier werde "mehr der Betrieb des Theaters abgebildet als seine Poesie und Phantasie in Anschlag gebracht".

Das Spiel der beiden Protagonisten wirke in der Uraufführung von Anselm Weber "seltsam unglaubwürdig", schreibt Cornelia Fiedler in der Süddeutschen Zeitung (20.12.2013). Die "Inszenierung setzt auf Schnelligkeit, auf ständige Kostüm-, Musik- und Lichtwechsel und will unbedingt unterhalten. Von der sprachverspielten Leichtigkeit, mit der Martin Heckmanns Alltagsideologien und philosophische Fragen, Theater- und Gesellschaftstheorie, Signifikanten und Signifikate durcheinanderwirbelt und neu kompiliert, bleibt da wenig mehr als Seichtheit."

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