Three Kingdoms - Dominik Günther inszeniert Simon Stephens in Osnabrück
Europäische Doubles
von Kai Bremer
Osnabrück, 14. Dezember 2013. Englische Gegenwartsdramatik ist in der Regel eine Bastion der Kammerspielästhetik: Brav die vierte Wand einziehen, die böse Welt außerhalb durch ein paar Gewaltexzesse und Schimpftiraden ins Haus holen und den Figuren so viele Nuancen gestatten, dass sie ansatzweise als Charakter durchgehen. Autoren wie Simon Stephens, die das gut beherrschen, erlauben sich in ihren Stücken zudem gerne die eine oder andere Spielerei, indem Genrekonventionen durchkreuzt werden und Typen nicht das sind, was sie scheinen. Ein gutes Beispiel dafür ist Stephens' "Three Kingdoms".
Nachdem Sebastian Nübling das Stück vor zwei Jahren in München uraufgeführt und mit englischen, deutschen und estnischen Schauspielern entsprechend den Schauplätzen London, Hamburg und Tallinn besetzt hat, folgten weitere Inszenierungen, zuletzt in Tübingen.
Weiter Raum, viele Schauplätze
Gestern nun hat Dominik Günther "Three Kingdoms" für das Theater Osnabrück eingerichtet, und es wird von Anfang an deutlich, dass er gewillt ist, einen eigenständigen Zugriff zu entwickeln. Zusammen mit Bühnen- und Kostümbildnerin Heike Vollmer hat er kurzerhand die Stuhlreihen ausräumen lassen und damit die Grenze zwischen Parkett und der kleinen Studiobühne aufgehoben. So schafft er einen großen schwarzen Bühnen-Kasten, in dem das Publikum auf Pappkartons sitzt, die zum Teil hübsch mit britischen, deutschen oder estnischen Flaggen bemalt sind, während die Schauspieler um sie herumtoben oder auf fünf Podesten spielen. Wer auf Kammerspielästhetik steht, den mag das stören. Beim Osnabrücker Publikum kommt es gut an.
Günther lässt komplett auf Deutsch sprechen, so dass Stephens' zum Teil recht munteres Sprachgewirr sich nur andeutet. Stattdessen setzt er auf Vielfalt in der Ausdrucksweise: emotionale Ausnahmezustände, Situationskomik und subtile Annäherungen lösen einander ab. Die beiden Detectives Stone (Stefan Haschke) und Lee (Martin Schwartengräber) sind ganz coole Jungs, die offenbar genauso viel Wert auf farblich gut abgestimmte Anzüge legen und genauso oft gern fluchen wie Bunk Moreland in "The Wire". Marcus Hering interpretiert den deutschen Kollegen Dresner als eine Mischung aus hanseatischem Provinzpopstar und Brutalo-Arschloch. Die übrigen Schauspieler changieren ähnlich und sind vor allem gefordert, weil sie je nach Schauplatz in unterschiedliche Rollen schlüpfen: harte Rotlichthelden und Pornodarsteller auf St. Pauli, softe, aber abgebrühte Mädchenverschieber in Tallinn.
Spiel mit Sein und Schein
Stephens wiederum nutzt diese Doppelbesetzungen geschickt für die Handlung, so dass Detective Stone in Hamburg wie in Tallinn einer Frau begegnet, die wie seine Frau Stephanie aussieht (gespielt von Marie Bauer). Wie schon in David Gieselmanns Die Phobiker zeigt Bauer erneut, dass sie eine Bereicherung für das Osnabrücker Ensemble ist. Als Caroline Stone tritt sie ihrem Mann als selbstbewusste wie liebevolle Ehefrau entgegen. Im Hamburger Hotel nähert sie sich als Stephanie Friedmann Detective Stone auf den Hotelfluren an, so dass man meint, einer lustvollen Phantasie des Ermittlers zu begegnen, während sie in Tallinn eine Prostituierte ist.
Aber ist all das tatsächlich dermaßen eindeutig, wie es zunächst scheint? Das ist die Frage des Stücks, die Günther noch akzentuiert, indem er Kammerspielästhetik und Figurenrealismus auflöst. Stephens beantwortet sie, indem er die Krimilogik unterläuft und die Frage aufwirft, wer Täter ist und wer nicht, ob Detective Stone im Rausch selbst einen Mordversuch begeht oder nur einen untergeschoben bekommt. Am Ende aber ist bei Stephens in der Hinsicht wieder alles gut, dass der recht verstörte Stone wieder bei seiner Stephanie landet und die beiden zumindest miteinander reden. Willkommen in Muttis guter Stube. Günther misstraut diesem Realismus ein letztes Mal entschieden. Von den zu einer Spielfläche zusammengeschoben Podesten herab spricht Stone Stephanie an. Er blickt auf sie, sie sucht seinen Blick, schaut wissend, geht weiter. Aber sie antwortet nicht. Sie geht durch den Raum, der alles sein kann.
Three Kingdoms
von Simon Stephens
Deutsch von Barbara Christ
Regie: Dominik Günther, Bühne/Kostüme: Heike Vollmer.
Mit: Marie Bauer, Patrick Berg, Stefan Haschke, Magdalena Helmig, Marcus Hering, Jakob Plutte, Dennis Pörtner, Thomas Schneider, Martin Schwartengräber.
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause
www.theater-osnabrueck.de
"Gottlob lässt Regisseur Dominik Günther dem philosophischen Spiel mit (europäischen) Identitäten nicht allzu viel Raum", findet Christine Adam in der Neuen Osnabrücker Zeitung (16.12.2013). Günther habe sich für ein temporeiches, zupackendes Agieren auf den Spielebenen der drei Länder entschieden. "Mit neun starken Schauspielerinnen und Schauspielern, die jeder ihrer Figuren eigene maßgeschneiderte Kontur verleihen." Diese Inszenierung vermittele den Eindruck: Hier hat ein starkes Schauspielensemble endlich zusammengefunden, hier wird nicht nebeneinander hergespielt, sondern sich aneinander entzündet. "Welch ein Seh-Vergnügen."
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