Ein Spiel ist ein Spiel ist kein Spiel

von Petra Kohse

Berlin, 12. Januar 2008. Am Anfang, zumal von etwas weiter hinten, sieht die Bühne aus wie ein mit goldenem Samt ausgeschlagenes Kästchen. Später und bei anderem Licht wird deutlich, dass Boden, Decke und Wände mit Lehm getüncht sind, in der Tat sogar recht grob, und die Schattierung der typischen Samtoptik resultiert aus den noch feuchten Stellen. Neun Menschen in einem Erdgefängnis, mit hohen Wänden zwar, aber nur geringer Tiefe. Sie kommen vom Zuschauerraum aus freiwillig herein, aber dann geht es dreieinhalb Stunden lang nicht mehr hinaus.

Der Bühnenkasten, den Johannes Schütz für Jürgen Goschs Inszenierung von Tschechows "Onkel Wanja" im Deutschen Theater gebaut hat, verursacht schon beim Hinsehen Beklemmungen. Kein Fenster und keine Perspektive. Wer nicht spielt, steht reglos an der Wand, wer nach seiner Szene abgehen will, wird hier jäh gestoppt.

Wanja ist Verwalter auf dem Gut seiner verstorbenen Schwester. Sonja, die Erbin und Nichte, lebt auch da, desgleichen der ehemalige Gutsbesitzer, Wanjas Mutter und die Kinderfrau. Das erwirtschaftete Geld jedoch geht zum Großteil an Alexander, den Schwager und Vater, der mit seiner neuen, jungen Frau in der Stadt lebt und kunstwissenschaftliche Abhandlungen schreibt. Als er sich das Leben dort nicht mehr leisten kann, kehrt er aufs Gut zurück, und das Drama beginnt.

Im Geiste fortgeschrittener Enthemmung

Sowohl Wanja als auch der Landarzt Astrow verlieben sich in Alexanders Frau Elena. Sonjas unerwiderte Liebe zu Astrow wird ebenso unerträglich wie Elenas Ehe mit Alexander, und Wanja glaubt zu erkennen, dass Alexander, den er in den letzten 25 Jahren als Intellektuellen verehrt hat, ein nutz- und ahnungsloser Schwätzer ist.

Die birkenrauschende Heiterkeit, die Tschechow-Inszenierungen oft haben, die standesbewusste Formvollendung, aus der sich Melancholie und Verzweiflung erheben – in Jürgen Goschs Inszenierung ist nichts davon. Stattdessen wird die Geschichte im Geiste einer bereits fortgeschrittenen Enthemmung erzählt, als hätten alle schon zu Anfang bereits einen Wodka zuviel getrunken.

Ulrich Matthes als Wanja sitzt auf der Bank, in die die rückwärtige Wand nach unten mündet und kaut etwas, während er mit schwerer Zunge über Alexander schimpft, es kleckert aus seinem Mund, wie es aus der Teetasse des ehemaligen Gutsbesitzers (Bernd Stempel) tropft und die alte, gebückt schlurfende Kinderfrau (Christine Schorn) einen Rosenstrauß fast brutal von der Bank wischt. Auch Jens Harzer als Arzt wirft achtlos Brot und Käse auf den Boden und Christian Grashof als Alexander schwitzt, sabbert und schlenkert auf das Erbarmungswürdigste mit seinen Gliedmaßen. Das grob Körperliche und Verachtungsvolle, die Selbstverachtung natürlich, die dahintersteckt.

Bleischwere Ganzkörperfrustration

Hier wird in den Szenen nichts untergründig offenbart, sondern werden die Verhältnisse im vertraut-vorwurfsvollen oder hochgradig gereizten Ton demonstriert. Es hat etwas von Schaukampf: Sie lösen sich von der Wand, treten auf der Mitte der Bühne gegeneinander an und kehren an den Rand zurück. In den Pausen ziehen sie sich auf offener Bühne bei vollem Licht um, die Wechselkleider liegen in Wäschekörben.

Jens Harzer, neu in Berlin und von Dieter Dorn aus München kommend, hat einen quakig-nölenden, komisch-kauzigen Tonfall, mit dem er Astrows Eigenbrötlertum betont. Der Schritt der schwarzen Anzughose hängt tief, und so spöttisch wie selbstvergessen hebt er die Arme zum folkloristische Groove, wenn Bernd Stempel Entsprechendes auf der Gitarre klampft. Später aber, nach der Pause, reißt er Constanze Becker an sich und verfängt sich in ihr, wie auch sie, als Elena, sich verzweifelt an ihn drängelt, um ihrer ganzen Frustriertheit zu entsteigen wie einem bleischwerem Ganzkörperkostüm.

Ein Moment des Kampfes zur Befreiung, der jäh endet und auch sonst nichts Gutes bringt. Wanja und Sonja, deren Liebessehnsüchte durch das Zusammenkommen von Astrow und Elena enttäuscht werden, kompensieren dies, indem sie alle Hemmungen gegenüber Alexander verlieren, was erst zu Tränen und versuchtem Mord führt, dann zu der langen Düsternis der Depression. Ein merkwürdiger Ton herrscht in dieser Inszenierung. Auf verschiedene Weisen gekünstelt, aber trotzdem einer jeweiligen Authentizität entspringend, sperrig also und glaubhaft. Ein Spiel ist ein Spiel ist kein Spiel.

Einsprengsel von Schießbude und Ohnsorg

Die Inszenierung hat Längen, und sie hat Dichten. Man blickt ins Erdloch und fühlt sich selbst wie in einem, oder wie mit nassem Sand behäuft, immer tiefer sinkend, sich wegwünschend und doch gespannt verharrend, in welche Tiefe es führen wird, das mal mähliche, mal eruptive Sinken. Grashof hat große Momente des Unappetitlichen, Matthes exerziert Verlorenheit, Constanze Becker straßenrealistisches Erlöschen.

Die gelungen umgangssprachliche deutsche Fassung von Angela Schanelec hat Gosch als Modell- und Ernstfall zugleich inszeniert, als Kopf- und Knasttheater, mit Einsprengseln von Schießbude und Ohnsorg zwar, aber ohne auch nur das Jota eines Erlösungsangebots. Die Figur eines ab und zu von außen einbrechenden "Arbeiters" steigert dies nur: der Schauspielstudent Rahul Chakraborty tölpelt über die Bühne und singt zuweilen aus voller Kehle herzergreifend sehnsüchtig in einer fernen Sprache. Hier ist es arg, hat man gelernt. Und anderswo womöglich noch viel ärger.

 

Onkel Wanja
von Anton Tschechow
deutsch von Angela Schanelec nach einer Übersetzung von Arina Nestieva
Regie: Jürgen Gosch, Bühne und Kostüme: Johannes Schütz, mit: Constanze Becker, Rahul Chakraborty, Meike Droste, Christian Grashof, Jens Harzer, Ulrich Matthes, Gudrun Ritter, Christine Schorn, Bernd Stempel.

www.deutschestheater.de

 

Kritikenrundschau

"So hat man Tschechow lange nicht gesehen", jubelt Rüdiger Schaper im Berliner Tagesspiegel. "Gnadenlos hart." Schon das Licht sage: "Es gibt kein Entrinnen. Die Situation ist offen und intim wie auf einer Probe. Goschs Schauspieler, die Johannes Schütz recht ärmlich und heutig kleidet, wirken splitternackt. Entblößte Seelen." Allerdings würden einige Figuren Karikatur bleiben ("Warum brüllt Christian Grashof, der Professor und Sommergast, dieser eingebildete und von sich so eingenommene Kranke, wie der letzte Knallcharge einer missratenen Molière-Komödie?") Die aber "machen Platz für die anderen, die sich tragisch auswachsen. Ulrich Matthes also: So intensiv hat er noch nie gespielt." Und Constanze Becker, die "groß und schön, herausfordernd" sei, "und gleich wieder ungelenk, angsterfüllt, von Zweifeln getrieben. Großartig!"

Im besten Fall entstehe aus dem reinen Spiel in den Inszenierungen Jürgen Goschs, "des Anti-Pathetikers des deutschen Theaters", Wahrheit, meint Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (14.1.2008). "Onkel Wanja" sei "so eine Inszenierung. Tschechows Figuren sind hier keine elegischen Theater-Russen, sondern gereizte, nervöse Menschen". Nichts sei "in dieser Aufführung so selbstverständlich wie das Unglück". Wie etwa Ulrich Matthes in das Unglück seiner Figur vordringe, "von den Momenten trauriger Sehnsucht bis zum Zustand illusionsloser Abrechnung mit sich selbst", sei "von beängstigender Wahrhaftigkeit". Nichts daran sei wehmütig oder larmoyant. "Man hat für einen kurzen, gespenstischen Moment das Gefühl, einem Menschen zuzusehen, der gerade seinen eigenen Tod zu Lebzeiten konstatiert."

"Dreieinhalb eindringliche Stunden Theater, die eine Lehrstunde für das grosse Abc des Scheiterns sein wollen", hat Dirk Pilz für die Neue Zürcher Zeitung (14.1.2008) bei Goschs "Wanja" gesehen. Die Inszenierung kenne " keine Gnade – sie ist unnachgiebig realistisch in ihrem Blick auf das zum Tode bestimmte Leben." Ulrich Matthes schreite "als Protagonist jene Empfindungsskala von Hochfahrigkeit bis Eigenhass ab, die alle andern in einen Strudel aus Gram und Grimm reißt." Der Abend gehorche "ganz dem Regelwerk eines psychologischen Realismus, dessen oberstes Gesetz Wahrhaftigkeit heißt." Lernen könne man aber "beim Durchbuchstabieren dieser mit Vergeblichkeit infizierten Seinsweisen" nichts. Man mache "vielmehr eine so tiefgreifende wie allgegenwärtige Erfahrung: Etwas fehlt immer zum Glücklichsein."

Goschs "Wanja"-Inszenierung sei "frei von aufdringlichen Regie-Methoden, wie sie Gosch zuletzt bei seinen Shakespeare-Arbeiten überstrapaziert hatte", meint Matthias Heine in der Welt (14.1.2008) Der Regisseur lenke "ein großartiges Schauspielerensemble nur sanft und lässt es die Zuschauer ergreifen, ohne sich in den Weg zu stellen." Neben Harzer, Matthes und Becker rühre "vor allem Meike Droste zu Tränen. Die Tristesse des Schlusses, als Sonja und Wanja allein auf dem Gut zurückbleiben", werde "gnadenlos langsam ausgespielt und so der religiöse Zweckoptimismus von Sonjas Monolog über die heilsame Kraft des Ausruhens konterkariert. Das ist so traurig, dass sich der Herzmuskel zusammenzieht und man darüber zum Hypochonder werden könnte wie der Professor."

Johannes Schütz' Bühnenkästen für Jürgen Goschs Inszenierungen interpretiert Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (14.1.2008) als "so etwas wie die Grund-Theateranordnung: ein Ur-Raum, der nichts zu tun hat, als drei Dimensionen abzugrenzen, und Ur-Licht, das für nichts als Helligkeit sorgt." "In aller Selbstverständlichkeit" kletterten die Schauspieler dann in den Schütz-Kasten und machten sich bereit "für das geballte Menschenunglück, für das Spiel mit der Ausweglosigkeit". Und das spielen sie laut Seidler gut: Ulrich Matthes spiele sich gar "in absturzgefährliche Sphären hinauf", Jens Harzer lasse "seinen Astrow stets mit warmen Augen aus seiner Rolle herausschauen" – "weswegen sich alle anwesenden Frauen unter vierzig unverzüglich in ihn verlieben" –, Meike Droste beherrsche "aufs Rührendste alle Spielarten des vergeblich unterdrückten Weinkrampfs" und Constanze Becker strahle "verschwenderische Sinnlichkeit" aus.

"Mit der Melancholie, die es dem Publikum sonst ermöglicht, Tschechows Wahrheiten zu ertragen", habe Goschs "Wanja" wenig zu tun, schreibt Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau (14.1.2008). In Goschs "Wanja" werde "gebrüllt und sich an die Schläfen gefasst, und oft können die Zuschauer nur noch lachen. Und trotzdem ist die Verzweiflung in den Herzen zu sehen." Ulrich Matthes' Wanja etwa sei "derartig verloren, dass es schwer fällt, ihn sich am Ende wieder ruhig bei der Arbeit vorzustellen." "Nur wenn Matthes lächelt, ist es noch trauriger, als wenn Matthes weint." Und Constanze Beckers Elena "ist gar nicht so schön ..., aber sie ist vernichtend langweilig." Der letzte Akt sei bei Gosch "sehr still und sehr träge": "Sieht man ihn gerne, diesen vierten Akt? Nein. Wird man ihn je vergessen? Wohl kaum."

"Weil Wanja einmal sagt, dass er seit Ewigkeiten ‚wie ein Maulwurf'" auf dem Anwesen hocke, habe der Bühnenbildner Johannes Schütz Tschechows Drama "in einen engen, hohen Guckkasten aus feuchtfleckigem Lehm" gepresst, glaubt Irene Bazinger in der Frankfurter Allgemeinen (14.1.2008). Ob es nun an diesem Erdloch liege, "in welches die Darsteller kollektiv versenkt wurden, oder an Jürgen Goschs Weigerung, als Regisseur Position zu den russischen Verhältnissen, zum Stück oder zumindest zum Stand der Dinge zu beziehen – alle wirken so, als würden sie nicht Tschechow spielen, sondern Tschechowspielen spielen." "Obwohl räumlich eigentlich auf Tuchfühlung" bleibe das Ensemble "seltsam unverbunden und inhomogen". Goschs Inszenierung versinke "bis zum tranigen Ende immer tiefer in Kitsch und Klischees", selbst der Professor Christian Grashofs – "unter aller schlüpfrigen Edelschmiere bestürzend glaubwürdig" – könne "keine vieraktige Aufführung retten".

"Wer wirklich sehen will, wie es ausschaut, wenn Träume platzen und sich dann ein ganzes fehlgeleitetes Leben auflöst – gnadenlos überzeugend, äußerst schmerzhaft und dabei vollständig unsentimental – muss diesen Schauspieler als Onkel Wanja erleben!" schreibt Christine Wahl auf Spiegel online (13.1.2008). "Matthes lässt den Titel-Antihelden, der dem egomanischen Kunstwissenschaftler-Pflegefall aus verfehlter Verehrung sein ganzes Leben zu Füßen gelegt hat, vom anfänglichen Zynismus des Intellektuellen Stufe um Stufe fallen: Irgendwann gibt es wenigstens noch die rückwärts gewandte Sehnsucht, was das hätte sein können: ein Leben. Nach dreieinhalb Stunden ist dann noch nicht mal mehr sekundenweiser Selbstbetrug möglich."

Etwas später, aber nicht minder begeistert, stimmt Peter Kümmel in der Zeit (17.1.2008) in den allgemeinen Jubel ein. Auch, weil die Form der Inszenierung noch mal Goschs Sicht auf Stoff und Drama für ihn so zwingend deutlich macht. "Hier sieht man Menschen die Zeit aushalten, die nicht vergehen will", beschreibt er die Stand-By-Haltung derer, die gerade nicht agieren, sondern stumm an der Wand ausharren. Weshalb es für Kümmel konsequent gewesen wäre, wenn auch das Publikum die ganzen 3 1/2 Stunden hätte stehen müssen. Und was hat das Spiel dann diesem Kritiker gezeigt? "Es gibt kein Vergessen und keine Erfüllung. Wenn wir einen anderen umarmen, hören wir nicht auf, allein zu sein. Und wenn wir einen anderen vergessen, ist er noch immer da." Auch Kümmel verneigt sich tief vor Ulrich Matthes' Darstellung der Titelfigur. Matthes' Wanja begehre ins Leere, werde in seiner Gier immer weniger und schwinde dahin, was für Kümmel ebenso grauenvoll wie komisch wirkt.

Kommentare  
Goschs Wanja: Größter Theaterabend der letzten Jahre
Hier wird immer nur über schlechte Aufführungen geschimpft! Keine einzige Meinung zu Goschs Wanja. Für mich einer der größten Theaterabende der letzten Jahre. Ich werde nie vergessen, wie Ulrich Matthes an Constanze Beckers Haaren riecht.
Goschs Wanja: Haareriechen
und warum riecht sie nicht an seinen?
Goschs Wanja: ödes Mainstreamtheater!
Ich kann das leider nicht bestätigen. Der Abend ist ödes Mainstreamtheater - Ulli Matthes ist ein Authentizitätsvorgaukler - diese Art von Theater war schon vor 20 Jahren langweilig, und sie ist es auch heute. Dass diese Inszenierung so gefeiert wird, ist nur Ausdruck einer extrem unpolitischen, das nicht innovative fördernde Theaterkritkerflaute, die wir derzeit haben - Gosch ist das, worauf sich alle einigen können - deshalb ist es noch lange nicht gut - und wie schön der Ulli an den Haaren seiner Kollegein riecht - liebe Leute - so ein verlogenen, bürgerlichen Dreck wollten wir doch nie sehen und ich will es auch heute nicht sehen. Der Antischaper.
Goschs Wanja: Innovativste Aufführung seit langem
Meiner Meinung nach ist Goschs Wanja die innovativste Aufführung seit langem. Weil sie den Schauspieler (und damit den Menschen) herausschält und auf jeden Effekt verzichtet. Man kann den Menschen beim Leben zuschauen und der Zeit beim Vergehen. Was kann man Größeres und Tieferes von einer Theateraufführung sagen? Keiner dieser Schauspieler gaukelt Authentizität vor, man sieht immer die Distanz vom Schauspieler zur Rolle und von uns zu Tschechow, den Weg sozusagen. Die Mittel des Theaters bleiben sichtbar, gerade das ist doch das Authentische, gerade das eröffnet doch einen unglaublichen Denkraum über unsere Distanz zu diesen Gefühlen und über das Theater an sich. Nichts an diesem Bühnenbild, an dieser Spielweise, an dieser Aufführung gaukelt irgendetwas vor. Es ist nackt, im schönsten Sinne.
Es ist immer sehr leicht, sich mit dieser Art von Klassenkämpfer-Polemik zu distanzieren. Wie oberflächlich...
Goschs/Matthes' Wanja: Tränen aus der Schmuckwerkstatt
nein,das stimmt so nicht. zu behaupten gosch"s theater kennt keine effekte ist naiv oder gefühlsduselig. effekte gibt es permanent in gosch"s reich der angeblichen wahrhaftigkeit. und die funktionieren auch ganz simpel. denn das theater, daß gosch spielen lässt ist auf improvisation aufgebaut, d.h. es existiert kaum konzept.der scheinbare clou ist,daß das dann schon das konzept darstellt. will sagen : endlich: freie sicht. deswegen ist jeder raum von herrn schütz, nur die abwandlung eines schon irgendwie und irgendwann vorhandenen raumes von herrn schütz. und darin sollen dann die schauspieler wieder frei oder losgelassen jedenfalls ungehindert enthemmt sein und spielen und auftrumpfen. ob das nun eitel, oder laut oder stimmig ist, egal, es soll ja echtens raunen. weil nackt oder entblösst oder ungeschickt im leeren raum. die spieler spielen dann in jeder situation so drauf los. also bloß kein hermeneutischer oder konzeptioneller sinn. wollen gosch und schütz sichtlich auch nicht, oder halten das nicht für notwendig. und natürlich sind die tränen von uli matthes echt und berührend.aber das macht nur überhaupt keinen sinn, wenn die aufführung konzeptionslos wie z.b.in der letzten halben stunde von onkel wanja in alberste schalmeienromantik hineintaumelt und rührig vor sich eiert, und der efffekt eintritt, rette sich wer und wie er halt so kann. jetzt mach doch mal. und damit sind die tolle tränen von uli matthes dann nur noch schmuckwerkstatt.
Goschs Wanja: für die schaperlaudenbachwahlwelt
matthes weint nicht echt, er spielt das und wer hier sagt, das sei so schön, dass der liebe ulli weint, will theater als kitschnudelfabrik - matthes stellt sich nie als mensch mit seinem leben und seiner existenz zur verfügung, er produziert genau die art gefühle, die für laudenbach/ wahl/ schaper gerade noch lesbar sind, ungefährlich, leicht fernsehhaft, die für die schaperlaudenbachwahlwelt "wahrheit" herstellen sollen - dieser tschechowabend ist wirklich ein theatergeschichtlicher rückschritt - wie gosch insgesamt eine retrobewegung einleitet, unter der wir noch einige zeit zu leiden haben werden - "der mensch" ach, ja, der mensch in seiner ganzheit und echtheit und der kleine ulli matthes weint so schön, dass alle gleich ganz gerührt mtweinen, ich kotze!
Goschs Wanja: Wieso immer diese Keulen?
"Ich kotze" habt ihr es auch eine Nummer kleiner? ich finde es echt anstrengend, dass in diesen Foren ständig mit solchen Keulen um sich geworfen wird. Ist doch toll, wenn Menschen einen Theaterabend sehr unterschiedlich erleben. Aber nein: was ich schlecht finde, ist gleich ein "rückschritt", oder die andere Meinung "stimmt nicht". Alle Argumente sind scheinbar abgeschafft, es lebe die Polemik, DAS ist ein Rückschritt!
Goschs Wanja: super
Wanja war super!
Goschs Onkel Wanja: Meinungsfreude
ich fands ganz toll!alle waren toll!!!wüsste jetzt hier nicht womit ich anfangen und enden sollte!erscheind mir anmaßend!
Goschs Onkel Wanja: Das Schöne existiert
laudenschaper verwechselt offenbar den Empfinsamkeitsbegriff des 18. Jahrhunderts mit spürbarer Begeisterung, die man in Gosch-Inszenierungen erleben kann, sofern man sich drauf einlassen möchte. Niemand hat heute abend mitgeweint. Aber auch kein einziger hat den 3,5 Stunden langen Abend vorzeitig verlassen. Von uns wollte keiner sich eine bestimmte, "politische" Interpretation des Dramas vorspielen lassen; wir haben uns das Theater aus unserer Imagination heraus geholt. Das war sehr anstregend, aber auch sehr schön. Ja, das Schöne existiert, man soll es nicht glauben, im Theater von Zeit zu Zeit noch, wenn man spürt, dass da Menschen miteinander zu tun haben, reden, denken, schweigen, was tun oder auch nicht. Dazu brauchts keine Ideologie, keine Kürzungen oder Effekte, sondern bloß gute Schauspieler und ein aufmerksames, in diesem Sinne empfindsames Publikum, das sich nicht mi Figuren identifiziert, sondern mit dem Spielvorgang selbst, der da oben stattgefunden hat.
Mag das Schöne bei anderen gleich zynisch als das Banale abgetan oder "entlarvt" werden, bei Gosch hat es mitunter Selbsterfahrugnswert und steht in keinerlei Verbindung zum bürgerlichen Begriff des Guten, Wahren, Schönen.
Goschs Wanja: Debatte um kulinarisches Theater?
Peter Laudenbach versucht sich im letzten Tip zu rächen. Gemeinsam mit Ulli Matthes stellt er fest, dass nur Leute "die Ahnung haben" über Theater urteilen sollten. Er nennt Leute, die den Hype um das explizit unpolitische, allein die Virtuosität des einzelnen Schauspielstars zelebrierende Theater "unappetitlich". Und damit greift er genau den Kern der Debatte, die er momentan vergeblich versucht ins Leben zu rufen: Es geht ums Kulinarische. Theater soll kulinarisch sein, es soll appetitlich zubereitet sein. Dies ist sicher ein legitimer Wunsch, er hat schon immer bestanden - das Theater der schönen Gefühle und ansehnlichen Kostüme, das uns einen appetitlichen Abend bereitet. Das st auch völlig in Ordnung, lieber Laudenbach, aber Sie sollten das nicht zu einer Art neuen Ideologie heraufbeschwören, Sie sind mit zunehmendem Alter und seit Sie bei der SZ arbeiten, einfach wertkonservativ geworden - das sei Ihnen zugestanden. Bitte gestehen Sie aber anderen zu, dass sie vom Theater mehr erwarten als nur das Kulinarische. ich zB möchte Theater, das sich mit gesellschaftspolitisch relevanten Themen beschäftigt, mich interessiert der Gedanke, das Konzept, ich will einen Regisseur oder Autor, der sich einmischt und Schauspieler, die nicht nur gefällig und sinnfrei Emotionen zur Verfügung stellen. Interessant an Ihrem Tip Artikel finde ich, dass Sie beschreiben, dass Sie weinen, wenn Sie Onkel Wanja sehen, weil Sie dort ihre eigene innere Leere durch Ulli Matthes gespiegelt sehen - Sie wollen angesichts Ihrer inneren Leere weinen, das gibt Ihnen ein angenehmen, erlösendes Gefühl. Wieso wollen Sie aber nicht weitergehen und Ihre eigene innere Leere anhand von inhaltlichen Auseinandersetzungen, die das Theater ja auch bieten könnte, bearbeiten, analysieren, hinterfragen. Wieso wollen Sie nur weinen? Wieso wollen Sie nicht mehr denken? Wieso bezeichnen Sie das Theater als "das Schöne und Wahre", das Ihnen einfach nur Ihr eigenes Leben vorführt und Sie emotional damit in Schwingungen versetzt - wieso treten Sie so vehement für ein vor-aufklärerisches Theater ein? Was ist da mit Ihnen passiert in den letzten Jahren? Sie waren doch mal ein ganz aufgeklärter, heller Kopf.
Onkel Wanja, Berlin: ein Glück
Welch großes Glück, dass das DT diese Inszenierung im Spielplan behält. Wie das Schicksal russischer Allerwelts-Menschen 150 Jahre nach deren Enstehung noch heute unter die Haut geht, bleibt ein kleines Wunder. Die Schauspieler sind einfach großartig. Bitte noch viele, viele Aufführungen!
Onkel Wanja, Berlin: großartige Schauspieler
Ich war gestern im Deutschen Theater und habe diese interessante Inszenierung von Onkel Wanja gesehen. Die Schauspieler waren wirklich großartig und insgesamt war es ein sehr gelungener Abend.
Ein Tschechow Liebhaber
Onkel Wanja, Berlin: im Laufe der Jahre gewandelt?
Habe den Wanja schon oft gesehen, und fast immer hat es mich begeistert - das ist einfach auch ein großartiges Stück, das sollte man nicht vergessen. Dennoch wird Goschs Inszenierung aus meiner Sicht zu Recht gelobt. Dank sei dem DT, dass wir so viele Jahre nach seinem Tod immer noch dieses Stück von ihm schauen können.
Das Trio Becker - Harzer - Matthes gehört sicher zum Elektrisierendsten, was ich auf deutschen Bühnen bisher so gesehen habe.
Mich würde noch interessieren, wie sich die Inszenierung im Laufe der Jahre gewandelt hat. Kann jemand das beurteilen?
Onkel Wanja, Berlin: Absetzung
Leider, leider taucht diese Inszenierung nicht mehr in den Wiederaufnahmen des DT für die kommende Spielzeit auf. Leider keine Dernière, ich bin traurig. Anders scheint es mit Goschs "Möwe" zu sein.
Onkel Wanja, Berlin, Stream: berührend
Fast drei Stunden lang voller Kunstpausen leiden die Tschechow-Figuren an ihrer Unzulänglichkeit, ihrer Langeweile und ihrer unerwiderten Liebe. Weitschweifige Klagen über ihr Schicksal und ihre verpassten Chancen wechseln sich mit kurzen Wut- und Zornausbrüchen, bevor Meike Droste als Sonja zum berührenden Schlussmonolog ansetzen darf. Beschwörend ruft sie „Wir ruhen uns aus! Wir ruhen uns aus!“, glaubt aber selbst nicht daran und wischt Ulrich Matthes, der als Onkel Wanja wie ein Häuflein Elend auf seiner Bank kauert, die Tränen aus dem Gesicht.

13 Jahre nach der Premiere ist dieser Theater-Klassiker noch bis 31. Januar 2021 als Streaming-Angebot des DT Berlin und der Plattform dringeblieben abrufbar.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2021/01/19/onkel-wanja-jurgen-gosch-deutsches-theater-berlin-kritik/
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