Vertreibung aus der Weihnachts-Puppenstube

von Elisabeth Michelbach

Coburg, 22. Dezember 2013. Als Weihnachtsgeschichte für Erwachsene wird Ibsens "Nora oder Ein Puppenheim" gerne tituliert, also für Realisten, Atheisten und andere Weihnachtsskeptiker: Das Stück spielt an Weihnachten, wurde am 21. Dezember 1879 uraufgeführt und feiert in diesem Jahr fast auf den Tag genau 134 Jahre später am Landestheater Coburg Premiere. Wichtiger noch ist der familiäre Super-GAU: Zu keinem anderen Zeitpunkt sieht man so viele private Puppenstuben-Träume vor die Wand fahren wie über die Feiertage. So verspricht uns "Nora" einen Theaterabend, der die Weihnachtssehnsucht nach der geborgenen und geordneten Welt des Puppenhauses mit der Enge und Totalität desselben kollidieren lässt.

nora 280h andreakremper uKrogstadt (Frederik Leberle) und Nora
(Philippine Pachl) vorm Baum. © Andrea
Kremper
Das Landestheater Coburg erlebte in den vergangenen Wochen seine eigene Vertreibung aus der Puppenstube: Ende Oktober hatte ein Wasserschaden die Bühnentechnik des neoklassizistischen Prachtbaus am Schlossplatz ruiniert, erst Anfang des neuen Jahres wird die Rückkehr auf die große Bühne möglich sein. Für das Ensemble bedeutete das den Umzug ins Industriegebiet Coburg-Cortendorf, wo zwischen Getränkemarkt und Fertigungshalle die Theaterwerkstätten untergebracht sind. Weit weg von Spiegelsaal und Kristalllüster hängt man hier seinen Mantel ins Lampenlager und steht mit tapferen Premieren-Abonnenten im Sonntagsstaat vor dem Dixieklo.

Menetekel am Baum

Es wirkt, als hätte der erzwungene Auszug aus dem Guckkasten auch die Regisseure Malte Kreutzfeldt und Dariusch Yazdkhasti beeinflusst. Die von ihnen entworfene Bühne nimmt sich wenig verspielt aus: Neben fünf Stühlen an der Rampe und wenigen Utensilien steht ein nackter Christbaum in der Mitte des schwarzen Bühnenraums. Daneben steht eine Kiste mit roten Kugeln, die es aber nie an den Baum schaffen werden. Der einzige Schmuck, den dieser über den Abend erhalten wird, sind die Briefe des Rechtsanwalts Krogstadt (Frederik Leberle), in denen er Noras Betrug aufdeckt und die wie ein Menetekel am Weihnachtsbaum das kommende Unheil anzeigen.

Mit ihrem stimmigen Formalismus erfinden Kreutzfeldt und Yazdkhasti Ibsens Dauerbrenner zwar nicht neu, setzen ihn aber gekonnt in Szene. Sie finden unaufgeregte, treffende Bilder, die die Emanzipation der Nora Helmer weder krampfhaft modern noch traditionalistisch erzählen. Konzentriert, ohne Auf- und Abgänge zeigt das Ensemble Noras Puppenheim als Miniaturhölle, aus der es kein Entrinnen gibt. Genau gesetzte Regieeinfälle sorgen für Dynamik, etwa wenn sich Nora im Versuch, das Unheil durch die Verführung sämtlicher anwesender Männer abzuwenden, ihres Schlüpfers entledigt, der dann kurzzeitig zum Baumschmuck avanciert. Katharina Beths Kostüme zwischen Evergreen und Pop beweisen mit Doktor Ranks (Thorsten Köhler) nerdigem Superman-Strickpulli in Beigetönen sowie dem Elch-Kostüm der verhärmten Frau Linde (Sandrina Nitschke) und Krogstadts Weihnachtsmann-Outfit Sinn für Humor.

Ziemlich schlimme Weihnachten

Etwas feiner wird der Humor immer dann, wenn die Regisseure den Schauspielern einen privaten, beiläufigen Ton neben Ibsens zwingenden Sätzen zugestehen: Floskeln ("Schöner Baum"), kaum vernehmbare Kommentare und Schimpfwörter sorgen dafür, dass Noras Geschichte für den zeitgenössischen Betrachter mehr ist als historisches Dokument patriarchaler Gesellschaftsstrukturen. Besonders Torvald und Nora Helmer werden bei Alexander Peiler und Philippine Pachl als Charaktere erfahrbar, die aber beide ziemlich schlimme Weihnachten erleben. Pachl lässt ihre Nora zwischen kindlichem Übermut und gurrender Verführungskunst pendeln, spielt eine Frau, die stets um die Wirkung ihres Verhaltens weiß und es entsprechend kalkuliert. Ihren Mann zeichnet Peiler als cholerischen Gernegroß, der sich in seinen Ausbrüchen selbst demontiert.

Währendessen bliebt der Baum nicht nur schmucklos, sondern auch duster. Erst ganz am Ende knipst der allein in seinem zerstörten Puppenheim zurückbleibende Torvald den Christbaum an. Frohe Weihnachten.

 

Nora oder Ein Puppenheim
von Henrik Ibsen
Deutsch von Hinrich Schmidt-Henkel
Regie und Bühne: Malte Kreutzfeldt und Dariusch Yazdkhasti, Kostüme: Katharina Beth, Dramaturgie: Georg Mellert.
Mit: Alexander Peiler, Philippine Pachl, Thorsten Köhler, Sandrina Nitschke, Frederik Leberle.
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause

www.landestheater-coburg.de

 

Mehr Nora-Inszenierungen? Die berühmteste Version des vergangenen Jahrzehnts, Thomas Ostermeiers Schaubühnen-Inszenierung (für die Hinrich Schmidt-Henkel das Werk neu übersetzte), entstand vor der Geburt von nachtkritik.de. Im Programm haben wir aber zum Beispiel die Interpretationen von Lars-Ole Walburg in Hannover (April 2012), Wojtek Klemm in Graz (Februar 2012), Jorinde Dröse am Maxim Gorki Theater Berlin (Januar 2011) und Herbert Fritschs zum Berliner Theatertreffen eingeladener Inszenierung aus Oberhausen (Oktober 2010).

Kommentare  
Nora, Coburg: Alles nur geklaut?
schön wenn bühnenbilder geklaut werden. vgl. oberhausen nora inszeniert von herbert fritsch. Nur da war es dann natürlich gut gemacht.
Nora, Coburg: kein Plagiat
aber hallo Oberhausens Bühnenbild hat mit dem gestern Abend wenig bis gar nicht gemeinsam ist va aber KEIN PLAGIAT in jeder Hinsicht
frohe Weihnachten
Nora, Coburg: neue Akzente
damit ich's nicht vergesse : ich stimme Frau Michelbach s Kritik überwiegend zu
ein sehr gelungener Abend der es tatsächlich geschafft hat trotz Fritsch trotz Ostermeier und wie die Regisseure
legendärer Nora Inszenierungen auch heißen mögen
neue Akzente zu setzen
keine der Inszenierungen die ich kenne wurde nachgeahmt
die Inszenierung war eigenständig
und aus meiner Sicht richtig gut!
Nora, Coburg: ein Vorwurf wird entkräftet
http://www.theater-oberhausen.de/files/2/1/1/601_8213.jpg

Herrmann bitte Link ansehen und dann nochmal neu nachdenken

liebe Grüsse
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