Wuchtige Worte

von Valeria Heintges

Chur, 8. Januar 2013. Auf der Bühne sechs Frauen, alle in weißen Hosen, weißem Oberteil, braunen Stiefeln. Sie sind Pompeius und Cäsar, Julia und Cornelia, Erichtho und Sextus. Und sie sind der Chor. Bürger, Boten, Trauernde, Überlebende. Sie berichten vom römischen Bürgerkrieg, in dem sich 49 bis 45 vor Christus die Armeen von Julius Cäsar und von Pompeius niedermetzeln und das Land verwüsten. Sie sprechen den Text "Der Bürgerkrieg" von Marcus Annaeus Lucanus am Theater Chur.

Buergerkrieg2 560 BjoernStork xIm Fadenkreuz des "Bürgerkriegs" © Björn StorkLucanus wurde 39 nach Christus in Corduba geboren und musste sich im Alter von 26 Jahren auf Geheiß des Kaisers Nero selbst umbringen. Rund hundert Jahre nach dem Krieg berichtet er in seinem Versepos in zehn Büchern von den Gräueln des Krieges und gleichzeitig von den Traumata der Überlebenden. Lucanus ist heute fast vergessen, obwohl er, so berichtet Regisseur Achim Lenz, bis ins Mittelalter hinein bekannter gewesen sei als Vergil oder Homer.

Erinnerung der nächsten Generationen

Lenz, in Chur im schweizerischen Graubünden geboren, studierte Altphilologie in Basel und Regie an der Folkwangschule Essen, machte sich vorwiegend mit Chorinszenierungen einen Namen und ist derzeit Hausregisseur am Theater Nordhausen, kommt aber immer wieder mit Inszenierungen in seine Heimatstadt zurück. Dort brachte er am Mittwochabend als Uraufführung seine dramatisierte Fassung von "Der Bürgerkrieg" als Koproduktion mit dem Ringlokschuppen Mülheim a.d.R. und dem Schlachthaus Theater Bern auf die Bühne.

Die Frauen kommen in Lucanus' Kriegsepos zwar nur als Gattinnen und blutrünstige Hexe vor, doch erschließt sich die Besetzung sofort, wenn man das Werk weniger als Zeitzeugenbericht, sondern als Erinnerung und Vergegenwärtigung der nächsten Generationen liest – auch Lucanus berichtet ja ein für ihn historisch gewordenes Ereignis. Zudem sind die Frauen in allen Kriegen weniger die aktiv Kämpfenden als vielmehr die passiv Leidtragenden, die mit dem Tod der Männer und der Söhne und der Zerstörung des Landes weiterleben müssen.

Allianzen, Reihen, Gegenüberstellungen

Lucanus' Werk ist ein gigantischer Textberg, den Lenz zudem in der Hexameter-Fassung von Dietrich Ebener auf die Bühne wuchtet – damit macht er es weder seinen Darstellerinnen noch den Zuschauern leicht, denen er höchste Konzentration abfordert. Lucanus analysiert zunächst genau die Mischung aus Ehrgeiz, Machtstreben und  Geltungssucht, die die beiden Heerführer antreibt. Dann aber lenkt er den Blick auf die korrupten, das Gesetz nicht achtenden Menschen, die willig und freudig in den Krieg ziehen, weil ihr gesamtes Gemeinwesen von Gewalt und Willkür beherrscht wird. Bewusst missachten Herrscher und Kriegslüsterne die Zeichen der Natur und die Prophezeiungen der Weisen, die die totale Zerstörung, ja, den Untergang der Welt vorhersehen.

Die fast leere Bühne des Churer Theaters wird in der Ausstattung Silke Bauers von zwei in sich drehbaren Wänden und einer riesigen Neonlampe in Form eines Fadenkreuzes beherrscht. Dazwischen und davor formieren sich die sechs Frauen zu ständig wechselnden Allianzen, Reihen, Gegenüberstellungen. Sie absolvieren die rund 90 Minuten fast durchweg im Stehen, sprechen mal chorisch, mal solistisch, aber im immer gleichen, hypnotischen Hexameter-Rhythmus. Einmal setzen sie sich hin, einige Male drehen sie die Wände im vergeblichen Versuch, dem Elend zu entkommen.

Beeindruckende Ensemble-Leistung

Sie sprechen perfekt synchron, kneten den sperrigen, Ehrfurcht einflössenden Text nach Kräften, um ihn geschmeidiger, eingängiger zu machen. Vor allem Charlotte Kath gelingt das beeindruckend: Aus ihrem Mund wirken die Sätze wie eben erdacht und spontan geäußert. Doch ist es fast unfair, einzelne Namen zu nennen, baut der Abend doch komplett auf die beeindruckende Leistung der Sechs als Einheit, als Ensemble.

Auch Lucanus weist nicht nur den beiden Herrschern Schuld zu, sondern findet sie auch bei den einfachen Bürgern und den Soldaten in den Lagern. Darüber hinaus überrascht der antike Text mit beinahe modern anmutenden Passagen und vor allem überdeutlichen, detailreichen Schilderungen immer noch brutalerer Gräuel. So genau, wie es im Kino wohl nur Horrorfilme zeigen, berichten die Nachgeborenen von abgetrennten Gliedmaßen, zerteilten und durchstochenen Körpern und spritzendem Blut. Nach dem Krieg "kennt man die Römer nur noch als Namen", heißt es am Ende. "Wohin versank die Masse der Menschen?" Mit diesen wuchtigen Worten fällt der Vorhang.

 

Der Bürgerkrieg (UA)
von Markus Aennaeus Lucanus
in der Übersetzung von Dietrich Ebener
Regie/Fassung/Konzept: Achim Lenz, Bühne und Kostüme: Silke Bauer, Licht: Roger Stieger, Maske: Annina Schmid, Dramaturgie: Matthias Frense, Hanns-Dietrich Schmidt.
Mit: Newa Grawit, Charlotte Kath, Nina Mariel Kohler, Hanna Schwab, Sarah Speiser, Anna Staab.
Koproduktion: Theater Chur, Ringlokschuppen Mülheim a.d.Ruhr, Schlachthaus Theater Bern
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.theaterchur.ch

 

Kritikenrundschau

"Dieser 'Bellum civile' ist ein merkwürdiger Text – gleichzeitig fern und nah", schreibt Andreas Klaeui in der Neuen Zürcher Zeitung (10.1.2014). Trotz des virtuosen und hochkonzentrierten Chores werde der Abend nicht zur Evokation eines kollektiven Kriegsschocks: "Er bleibt distanziert, zuweilen etwas manieriert, jedenfalls immer auf der sicheren Seite. Dies hat mit einer einheitlichen Sprechhaltung zu tun, einem deklamatorischen Zeigefinger, der sich durch den Abend reckt."

"Der Chor spricht – und fertig! Und er tut dies virtuos", charakterisiert Matthias Balzer den Abend in der Südostschweiz (10.1.2014). Doch obwohl die sechs Schauspielerinnen die Heldinnen des Abends seien, bleibe der erschütternde Text seltsam blutleer. "Seine dionysischen Qualitäten zeigt er kaum, und stellenweise scheint das Ensemble unter der Last des Hexameter-Rezitierens zu erstarren. So ganz kommt dieser Krieg doch nicht bei uns abgebrühten Zeitgenossen an."

Der zunächst sperrig klingende Text entwickle bald "einen eigentümlichen Sog", so hingegen Julian Reich im Bündner Tagblatt (10.1.2014). "Zu verdanken ist das auch und zunächst den Schauspielerinnen, die nicht nur eine gigantische Textmasse zu bewältigen haben, sondern diese zugleich unter peinlich genauer Einhaltung von Rhythmik- und Tempovorgaben sprechen müssen. Dass sie dabei nie nachlassen, sich nie ins blosse Runterleiern zurückziehen, ist das eigentliche Wunder dieses Theaterabends."

 

 

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