Der Kampf um die Kreditkarte

von Christian Baron

Jena, 24. Januar 2014. Dieses verdammte phallokratische System. Bringt eine Macho-Welt hervor, die den Frauen im Weg steht. Soviel ist klar in Moritz Schöneckers Inszenierung des auf Henrik Ibsens "Nora oder Ein Puppenheim" basierenden "Nora (Dollhouse)". Rebecca Gilman verlegt die Handlung in das Chicago des Jahres 2004. Nora (Lena Vogt) und Terry Helmer (Matthias Zera) sind ein junges Ehepaar, das in dem wohlhabenden Stadtteil Lincoln Park lebt. Sie ist dreifache Mutter und shoppingsüchtiges Heimchen am Herd ohne Karrieredrang, er erfolgreicher Bankangestellter mit winkender Beförderung und ostentativem Drang zur paternalistischen Gängelung seiner Gattin.

Er nennt sie sein "Püppchen" und kontrolliert jeden ihrer Einkaufszettel, derweil sie ungelenk auf Stöckelschuhen balancierend über ihre neuesten Errungenschaften aus der Welt der Luxus-Modemarken jubelt. Veronika Bleffert und Benjamin Schönecker haben den beiden eine Wohnung auf die Bühne gezimmert, die zwar eher nach bodenständigem Ikea denn nach steriler Upper Class aussieht; die durch den falschen Magritte und die von aufgesetztem Grinsen übersäten Fotos an den Wänden die Oberflächlichkeit der Hauptfiguren aber dennoch angemessen rahmt.

Ein Finale, das die Verhältnisse betoniert
Vor Jahren hat Nora ihrem Terry einen Drogen-Entzug mit Geld bezahlt, das sie angeblich von ihrem Vater geerbt, in Wahrheit jedoch hinter Terrys Rücken von dessen Intimfeind Raj (Benjamin Mährlein) geliehen hat. Dieser benötigt nun seinerseits einen Kredit, den ihm Terry nicht genehmigen will. Raj erpresst Nora, die jedoch unter allen Umständen verhindern will, dass Terry erfährt, wer dereinst den Entzug wirklich finanziert hat.

nora 560a joachimdette uProst! Lena Voigt als Nora und Matthias Zera als Arschloch-Gatte Terry © Joachim Dette

So nimmt das Unheil seinen Lauf. Bei Ibsen gipfelt es in der Flucht der Protagonistin aus den Klauen des ob der ans Tageslicht gedrungenen Wahrheit wütenden Mannes. Da die Autorin Rebecca Gilman hier aber nicht nach einer bloßen Aktualisierung strebt, sondern wohl zeigen möchte, wie wenig sich die eingefahrenen Geschlechterrollen verändert haben, hat sie das Finale umgeschrieben. Bei ihr flieht Nora nicht, sondern entscheidet sich für das Aufrechterhalten ihres luxuriösen Lebensstils und verharrt resigniert in den Konsumketten des Mannes. Eine frech gemeinte Pointe, die aber weniger radikal ist als es scheint.

Widerspruchsfreie Homo-Oeconomicus-Hüllen
Gilman erzählt von den Problemen reicher Leute. Nora hat doch die Wahl: Sie könnte sich auch selbst verwirklichen – müsste dafür halt die Sicherheit des Oberschichtsdamen-Status' aufgeben. Noras verzweifelter Kampf gegen die Wahrheit ist eigentlich ein Kampf gegen den Verlust ihrer Kreditkarten. Wie zur Bestätigung lässt Schönecker mehrmals Charthits von Aushängeschildern der Bling-Bling-Welt wie Rihanna ("Diamonds In The Sky") oder Britney Spears ("Scream & Shout") einspielen.

Gleichwohl sieht man Lena Vogt gerne dabei zu, wie sie 120 Minuten lang permanent mit sich ringt, ihrem Terry unter dilettantischem Einsatz weiblicher Reize den Laptop wegschnappt und ihrer verdutzten Haushälterin (Dolores Winkler) erklärt, wie schwer sie selbst im Haushalt zu arbeiten habe. Ihren Antagonisten mimt Matthias Zera mit einer diabolischen Intensität, die seinen Terry zur idealen Projektion des Macker-Arschlochs avancieren lässt.

Diese Zeichnung der Figuren als widerspruchsfreie Homo-Oeconomicus-Hüllen macht das von Ibsen abweichende Ende so vorhersehbar wie das des zeitgleich in Mönchengladbach stattfindenden Bundesligaspiels des FC Bayern München. Und dass nicht ökonomische Strukturen, sondern die Männer an allem Schuld seien, kann man sich auch bequemer auf dem heimischen Sofa von der talkshowtingelnden Alice Schwarzer einreden lassen.

Nora (Dollhouse) (DSA)
von Rebecca Gilman nach Henrik Ibsens "Nora oder Ein Puppenheim"
Regie: Moritz Schönecker, Dramaturgie: Friederike Weidner, Bühne und Kostüme: Veronika Bleffert, Benjamin Schönecker.

Mit: Ines Hollinger, Benjamin Mährlein, Lena Vogt, Dolores Winkler, Yves Wüthrich, Matthias Zera.

Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.theaterhaus-jena.de

 

Kritikenrundschau

Moritz Schönecker zeige Rebecca Gilmans Stück "in einer trügerischen Wohnzimmer-Idylle als beklemmende Zustandsbeschreibung einer Gesellschaft, die unweigerlich auf den Abgrund zusteuert", schreibt Sabine Wagner in der Ostthüringer Zeitung (27.1.2014). "Nora (Dollhouse)" sei "klug inszeniert, von der Theaterhaus-Crew, darunter vor allem von Lena Vogt und Matthias Zera, großartig gespielt" und erreiche "Kopf und Herz gleichermaßen." Wagners Fazit: "Muss man sehen. Unbedingt!"

Moritz Schönecker dekonstruiere in seiner Inszenierung "gekonnt das Bild von einer glücklichen Familie", meint Stefanie Bühlchen in der Thüringischen Landeszeitung (27.1.2014). Wer indes "eine Erleuchtung seitens der Protagonisten erwartet, wird enttäuscht. (…) Gilmans Nora flieht, anders als bei Ibsen, nicht. Was hier auch nicht überrascht. Alles andere wäre Hollywood. Beim finalen Champagnertrinken springt die Kälte zwischen Nora und Terry, die Lena Vogt und Matthias Zera in 120 Minuten ausstrahlen, auf den Zuschauer über und sorgt für Gänsehaut."

Kommentare  
Nora, Jena: langweilig
Es war sehr langweilig. Alles war von Anfang an klar. Mehr gibts dazu nicht zu sagen.
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