Wir Armen irren

von Jürgen Reuß

Freiburg, 24. Januar 2014. Beim Einlass ist das komplette Kleine Haus des Theater Freiburg in eine mindestens ebenso dichte Nebelbank gehüllt wie das Schiff in der Themsemündung, auf dem Joseph Conrads Marlowe die Erzählung seiner Reise ins "Herz der Finsternis" beginnt. Irgendwie liegt es wohl nahe, bei einem weißen Autor aus Südafrika auf eines der literarischen Urbilder europäischer Kolonialgeschichte anzuspielen. Vernebelung ist auch keine schlechte Beschreibung für J. M. Coetzees Zugriffsvariante auf diese Thematik, abstrahiert Coetzee doch seine Apartheiderfahrungen zu einer Begegnung kafkaesker Besatzungsmächte mit Barbaren, die ganz unbestimmt für das Andere der Kolonialkultur stehen und auf der Bühne auch kein eigenes Gesicht bekommen, sondern nur eins, das aus der Zuschreibung eines Vertreters der Kolonialmacht entsteht.

Dieter Nuhr und Mario Barth?
Ein Magistrat aus der Provinz entwickelt Interesse für die Barbaren, zweifelt deren Bedrohlichkeit an, bezweifelt, dass der vom Gouverneur angeordnete Feldzug gegen die Barbaren nötig ist, entwickelt Skrupel gegenüber den Foltermethoden des vom Gouverneur geschickten Oberst gegen besonders eine gefangene Barbarin, nimmt sich ihrer nach der Folter an, bringt sie zu den Barbaren zurück und gerät deshalb selbst wegen Verrat in die Fänge des Oberst.

WartenBarbaren1 560 MauriceKorbel u"Warten auf die Barbaren " © Maurice Korbel

Die Stimme dieses Magistrats, die von der nur schemenhaft auf der Bühne erkennbaren Gestalt zum Publikum vordringt, hat in Thomas Krupas Inszenierung einen zunächst irritierenden Entertainerklang. Wenn sich später der Nebel lichtet und die Protagonisten ihre Wortgefechte über den Wahrheitsgehalt von Foltergeständnissen führen, bescheuerte Frauenwitze erzählen, Durchfall mimen oder eine Expedition pantomimisch durchalbern, verstärkt sich der Eindruck noch, sodass man bisweilen eine Geplänkel zwischen Dieter Nuhr und Mario Barth zu lauschen glaubt.

Bestenfalls Vernichtungsinteresse
Wenn am Ende der Magistrat als armer Irrer in ähnlichen Kleidern wie die gefolterte Barbarin herumgeistert, sich in ihre Rolle versetzt ohne die leiste Ahnung von ihrer Situation zu haben, dämmert eine Ahnung, was Regisseur Thomas Krupa mit der Inszenierung vielleicht sagen möchte: Wir drehen uns im endlosen Selbstbeschauen um uns selbst und bringen dem anderen bestenfalls Vernichtungsinteresse entgegen. Unsere einzige Hoffnung ist der Sieg dieser unbekannten Barbaren, dass sie uns, wie im Stück, wenn wir zu ihrer Vernichtung ausreiten, ans Kreuz nageln und als verwesende Kadaver in die vermeintliche Zivilisation zurückschicken. Eine Form der Heilsgeschichte, die nicht an die Möglichkeit einer Erlösung unserer Weltsicht zu einer besseren glaubt.

Als Wehklage darf dann die gequälte Barbarin als Nina-Simone-Wiedergängerin die seltsamen Früchte besingen, die als Folge der Unbelehrbarkeit der Menschen an den Bäumen aufgeknüpft werden. Das Ganze ist ganz achtbar gespielt, es gibt gerade im Nebel schöne Lichteffekte (Stephanie Meier), aber im Grunde hat sich am Ende des Stücks der Nebel zwar von der Bühne verflüchtigt, wabert dafür aber im Hirn des Betrachters als zähe Masse zwischen Allegorie und Albernheit herum. Der freundlich anhaltende Schlussapplaus könnte allerdings bedeuten, dass viele bessere Nebelsuchscheinwerfer für das Stück gefunden haben.

Warten auf die Barbaren (DEA)
nach dem Roman von J. M. Coetzee
deutsch von Reinhild Böhnke
in einer Fassung  von Tilman Neuffer und Thomas Krupa
Regie: Thomas Krupa, Ausstattung: Jana Findeklee, Joki Tewes, Licht: Stephanie Meier, Musik: Sven Hofmann, Dramaturgie: Tilman Neuffer.
Mit: Marco Albrecht, Melanie Lüninghöner, Victor Calero, Heiner Bomhard, Mathias Lodd.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.theater.freiburg.de

Mehr Coetzee auf deutschen Bühnen: Im Dezember 2013 inszenierte Luk Perceval Coetzees "Schande" an den Münchner Kammerspielen als Ausstellung weißer Schuld vor schwarzer Kulisse.

 

Kritikenrundschau

Thomas Krupa setze bei seiner Bühnenfassung von Coetzees Roman "auf bedeutungsvolle Winke mit dem Zaunpfahl und alberne Scherze", schreibt Martin Halter in der Badischen Zeitung (27.1.2014). Krupa wolle "das Innerste nach außen kehren, aber weder Klamauk noch Blues, weder wabernde Nebel noch die Idealisierung des Barbaren können die spröd-abstrakten 'allegorischen Spiele' im Wüstenfort mit Leben füllen." Und so gerate "Coetzees Gleichnis auf der Bühne zum nebulösen Puppenspiel und das Warten auf die Barbaren zur Geduldsprobe".

"Wer das Buch nicht kennt, ist verloren", urteilt Siegbert Kopp im Südkurier (27.1.2014). "Kein Hinweis in Coetzees Roman" sei "harmlos genug, um daraus nicht den Theaterhonig des Spektakulären zu saugen" und so lege die Freiburger Theaterfassung "wilde Spekulationen" nahe. Thomas Krupa sei "einer jener Regisseure, die vom postdramatischen Theaterstil überholt wurden und die sich jetzt verbissen an die eigenen Theatermoden von anno dazumal halten. In diesem Fall ist es der wiederholte Griff in die Clownsklamottenkiste." Das "Kafkaeske bei Coetzee" werde heruntergespielt "aufs Clowneske – ein Stereotyp fürs Groteske. Krupa setzt bei der Wahl seiner Mittel statt auf vitale Affekte auf den Effekt der Wiedererkennung."

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