Pädagogisch wertvoll

von Frauke Adrians

Gera, 1. Februar 2014. Im Dezember 1950 und im April 1951 wurden in Moskau vier junge Männer aus dem ostthüringischen Altenburg – zwei Lehrer, zwei Oberschüler – mit Pistolenschüssen hingerichtet. Ein sowjetisches Militärgericht hatte sie zuvor in Weimar zum Tode verurteilt. Ihr Vergehen: Sie hatten gegen das Entstehen einer neuen Diktatur auf deutschem Boden rebelliert, hatten die Ausstrahlung einer Wilhelm-Pieck-Rede mit einem selbstgebauten Sender gestört, hatten Flugblätter verteilt und Stalin einen Tyrannen genannt. Eine der in Deutschland seltenen Geschichten von Gewissen, Mut und Aufbegehren. Stoff fürs Theater? Unbedingt.

Aber dann kommen die Stückautorin Mona Becker, der Regisseur Bernhard Stengele und das Theater Altenburg-Gera und machen diesen Quark daraus. Auf der Bühne des Großen Hauses in Gera erzählen die Opas. In den Rollen zweier überlebender Mitglieder der Altenburger Widerstandsgruppe schreiten Ulrich Milde und Peter Prautsch mit großväterlicher Bedächtigkeit in langen Mänteln einher und berichten, wie das damals war vor über 60 Jahren, wer die Idee hatte mit diesem Störsender und wer davon wusste oder auch nicht. Das verplaudert und vertut sich so schön, das erzählt sich alles mit einem altersmilden Lächeln, und nach diesem Vorspiel haben alle anderen Schauspieler – diejenigen, die in Szene setzen sollen, was sich Ende der 40er-Jahre in Altenburg abgespielt hat – schon verloren. Sie dürfen nur noch bebildern, was das Publikum schon von den beiden alten Herren erfahren hat.

dieimdunkeln4 560 uDie Bastler: Henning Bäcker (Hans-Joachim Nöther), Ulrich Milde (Gerhard Schmale) © Stephan Walzl

Kein Mangel an unfreiwilliger Komik

Wo die junge Autorin Mona Becker selbst Dialoge ersinnt, da sind sie eher dümmlich. "Wir wollen doch nur dein Bestes", mahnt die Mutter des aufbegehrenden Schülers Hans-Joachim Näther (Henning Bäcker) ihren Sohn, "was soll bloß aus dir werden" und "wie groß du geworden bist". Sätze, die selbst in einem ambitionierten Schülertheater nichts verloren haben. Aber das ist eben das Problem: Die Autorin und die Regie haben keine Ambitionen. Sie wollen keine Bühnenkunst, sie wollen die Schulklassen; ihr Stück ist auf den Geschichtsunterricht zugeschnitten, vielleicht auch auf den Deutschunterricht, denn am Ende muss noch der arme Heine herhalten mit seinem immer wieder gern missverstandenen "Denk ich an Deutschland in der Nacht". Es war zu erwarten.

Dass die verschworenen Rebellen bei der Installation ihrer Störsender-Antenne durch den Theatersaal turnen und per Leiter in den 1. Rang klettern, freut nicht nur die Schüler im Publikum; endlich ist mal Action. Dass die Altdarsteller Milde und Prautsch in den Rückblenden auch noch die jugendlichen Ausgaben der Widerständler spielen müssen – das sorgt hingegen für unfreiwillige Komik, an der an diesem Theaterabend ohnehin kein Mangel herrscht.

Gequassel, Blabla, Wortfetzen

Die stärksten Texte des Abends – Gnadengesuche von Müttern, Großmüttern, Ehefrauen, unterwürfig gerichtet an die Machthaber – beraubt Regisseur Bernhard Stengele ihrer Wirkung, indem er sie von mehreren Schauspielerinnen durcheinander vortragen lässt. Aus ergreifenden Bitten wird ein Gequassel, ein Blabla, Wortfetzen. Kennt denn die Regie kein Erbarmen? Schlimmer: Sie hat kein Gespür für das Authentische.

Es gibt durchaus Ansätze, das Grauen von Willkür und Diktatur im Stück widerzuspiegeln. Etwa, wenn die kleine Jazzkapelle auf der Bühne ungerührt "In The Mood" spielt, während ein Tanzpaar nach dem anderen ausscheidet und sich stumm seitab setzen muss: alle verhaftet, einer nach dem anderen. Bühnenbildnerin Gesine Pitzer hat die Szenerie der Altenburger Traditionskneipe "Goldener Pflug" nachempfunden; auch derjenige, der diese ehrwürdige Lokalität nicht mehr kennengelernt hat, wird den Charme des Provisorischen nachempfinden können. Die Kneipe ist, je nach Sicht des Betrachters, im Auf- oder Abbau, ein Gerüst stützt die Empore. Hier herrschen noch die Kriegsschäden – oder regiert schon der Schlendrian des sozialistischen Staates?

dieimdunkeln2 560 uAufwendiges Bühnenbild, oller Kostümschinken © Stephan Walzl

Aber selbst das beste Bühnenbild könnte nicht retten, was Autorin und Regie versäumen. Das Ensemble, man muss es ihm zugutehalten, gibt sich Mühe, aber in den häppchenweise servierten Szenen und klischeebeladenen Dialogen kann keiner der Schauspieler seine Rolle mit Leben erfüllen. Wenn's emotional werden soll, bleibt den Darstellern nur ein mehr oder minder gut motiviertes Schreien und Brüllen übrig. Jedes Pathos geht ins Leere, nichts ergreift, jeder große Gedanke wird klein gemacht – spätestens von den beiden Opas, die gefühlt hundertmal den Satz "Ja, so war das" sagen und die das, was der Zuschauer sich selbst längst erschlossen hat, langgezogen ausdeuten und kommentieren.

Ja, so war das damals. Damit die Lehre für uns, heute, hier und jetzt aber auch wirklich jedem offenbar werde, zählen die alten Herren zum Schluss noch aktuelle Ortsmarken auf, Syrien, die Ukraine, Lampedusa – und, jaaa, auch bei uns in Deutschland gibt es "Die im Dunkeln". Ein pädagogisch wertvoller Hinweis. Gut gemeint. Besten Dank.

 

Die im Dunkeln. Stück über Widerstand am Beispiel Altenburg
von Mona Becker
Regie: Bernhard Stengele, Dramaturgie: Geeske Otten, Musikalische Leitung: Olav Kröger, Bühne, Kostüme: Gesine Pitzer.
Mit: Nora Undine Jahn, Vanessa Rose, Mechthild Scrobanita, Henning Bäcker, Bruno Beeke, Manuel Kressin, Ulrich Milde, Peter Prautsch, Philipp Reinheimer.
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, eine Pause

www.tpthueringen.de

 

 

Kritikenrundschau

Über die Altenburger Premiere von "Die im Dunkeln" vor einem Jahr schrieb Hartmut Krug auf der Website des Deutschlandfunks (5.3.2013), die vielen "auf- und erklärenden Passagen", die "referierende Erzählungen" der beiden Zeitzeugen wechselten mit kleinen Spielszenen ab. Die "informative Geschichtsstunde" auf dem Theater lasse Bernhard Stengele "manchmal allzu bedeutsam und bedächtig voran schreiten". Andere Szene würden geschickt gelöst. Folterungen würden "nur berichtet oder angedeutet". Von Anfang an mache die Aufführung "überdeutlich", dass die Mitglieder der Widerstandsgruppe "schrecklich scheitern" würden. "Leider" fügten Autorin und Regisseur der "konkreten Geschichte noch Grundsätzliches und Parabelhaftes" an. Entstanden sei so ein "regionaler Geschichts-Theaterabend", der seine Kraft vor allem aus einem "aufklärerisch pädagogischen Impuls" bezieht, "weniger aber aus seiner künstlerischen Form".

Auf dem Online-Portal der Thüringischen Landeszeitung schreibt Ulrike Merkel (2.2.2014, 20:12 Uhr) über die Geraer Premiere: Vor allem in der ersten Hälfte beeindrucke das von Mona Becker geschriebene Auftragswerk. Die Wechsel zwischen den heute gealterten Erzählern Schmale und Brödel und ihren in Szene gesetzten Erinnerungen seien "dynamisch", wirkten "fast wie Filmschnitte". Dem gesamten Ensemble, der Bühnenbildnerin Gesine Pitzer und dem musikalischem Leiter Olav Kröger gelinge es, den Geist der damaligen Zeit zu wecken: "die Sehnsucht nach Veränderung, die Lust auf Rebellion und auch den jugendlichen Leichtsinn". In der zweiten Halbzeit breche Stengele mit dieser "authentischen, psychologischen Erzählweise". Verurteilung, Zugreise und Hinrichtung wirkten mitunter ausgestellt und plakativ. Dennoch: ein "gelungenes Geschichtsprojekt, näher könne man die Vergangenheit kaum holen".

 

Kommentare  
Die im Dunkeln, Gera: Sehr streng
Weeß nich ... Ich finde die Kritik etwas sehr streng, an den Möglichkeiten eines mit Verlaub Provinztheaters gemessen.
Ich sah das Stück vor einiger Zeit in Altenburg und hab mehr darin entdeckt.
(http://teichelmauke.me/2013/03/09/f-wie-freiheit-t-wie-tod/)
Die im Dunkeln, Gera: ergreifend
Meine Mutter, ebenfalls Zeitzeugin, fand das Stück sehr ergreifend und genauso dargestellt, wie sie sich selbst und ihre Situation am Beginn der jungen DDR erlebte. Die obige Kritik nannte sie völlig unangemessen und polemisch!
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