Subtil bedrohter Realismus

von Hermann Götz 

Graz, 18. Januar 2008. Anna Badora hat nun bereits die Hälfe ihrer zweiten Spielzeit als Intendantin in Graz hinter sich. Es ist also wirklich nicht mehr nötig ihre Arbeit mit der des Vorgängers zu vergleichen. Im Fall von Cornelia Crombholz' David-Greig-Inszenierung geht es aber nicht ganz ohne einen Hinweis auf das – künstlerisch durchweg konträre – Wirken von Matthias Fontheim.

Crombholz ist die einzige Regisseurin, die in Graz unter Badora eine ähnliche Präsenz genießt wie zuvor, was auch damit zusammenhängt, dass sie sich stilistisch immer wieder neu erfunden hat. Dennoch liefert Crombholz in der Regel Arbeiten, die sehr genau und ernsthaft beim Kern eines Stücks landen.

Für die deutschsprachige Erstaufführung von David Greigs "Pyrenäen" (Barbara Christ hat das Stück des 1970 in Edinburgh geborenen Autors übersetzt) wählt sie nun einen Zugang, der überraschend stark an jenes Theater erinnert, für das Matthias Fontheim steht: eine szenische Umsetzung, die vorwiegend darauf setzt, den Text detailgenau abzubilden. Im Fall von Greigs "Pyrenäen", das 2005 in London uraufgeführt wurde, bedeutet das allerdings auch, Bilder und Töne für Dinge zu finden, die sich weder sagen noch sehen lassen.

Unsichere Romanze
So startet der Abend: Zu zähen Akkorden einer durchaus pathetischen Nummer aus dem musikalischen Kosmos von Radiohead dreht sich die Bühne, darauf Der Mann (August Schmölzer), der sein Gedächtnis verloren hat, hinter ihm auf die Kulissenwand geplottet ein fotografisches Pyrenäen-Panorama – ein Abbild eben, das sich jedoch, sobald es dem Auditorium die Rückseite zukehrt, in eine weiße Wand verwandelt: tabula rasa.

Was vor diesem Augenblick im Schnee der französischen Berge liegt, weiß Der Mann nicht mehr, auch nicht wer, oder was er ist. Anna, die für das Britische Konsulat eruieren soll, ob der bereits etwas ältere Findling britischer Staatsbürger ist, verliebt sich in den Mann ohne Namen. In seinem Auftauchen aus dem Ungewissen sieht sie, die Epileptikerin, eine Seelenverwandtschaft.

In diese unsichere Romanze bricht erstens der Hotelchef ein, immer wieder und immer im falschen Augenblick. Und zweitens Vivienne, die behauptet des Unbekannten Frau zu sein. Während sich die Bühne fast unentwegt weiterdreht, werden die Umbauten von stillen Gestalten in braunen Kutten erledigt (Der Mann wurde mit einer Jakobsmuschel in der Hand gefunden). Unterstützt von der Musik zieht Crombholz so einen zweiten Boden unter der realistischen Oberfläche ein, eine unwirkliche Stimmung, die ihren Schatten über den vordergründigen Realismus des Gezeigten wirft.

Geheimnisloses Gezappel
Es braucht ein exzellentes Ensemble, um in diesem Kammerspiel die Spannung zwischen Oberflächenschau und Hintergründigkeit zu halten. Ein Opfer des subtil bedrohten Realismus ist die sonst so verlässliche Martina Stilp. Als Anna-Abbild hat sie nicht nur einen epileptischen Anfall in Echtzeit zu spielen, sondern vor allem eine höchst nervöse junge Frau, die sich ganz und gar nicht wohlfühlt in ihrer Haut. Erdrückt von der filmischen Kulisse und vom monumentalen Gleichmut der Drehbühne wirkt dieses Unterfangen zu oft zappelig, zuweilen sogar platt.

Schuld daran trägt auch Jan Thümer, der den Kellner und Gastronom ebenfalls zappelig gibt, was allerdings ganz seinem persönlichen Ausdrucksrepertoire und seiner genialisch-lockeren Komik entspricht. August Schmölzer, dessen physische Präsenz ganz im Gegensatz zu Stipls fahriger Unsicherheit steht, muss Gefühle zeigen – sprich: weinen oder voll Verzweiflung ins finstere Auditorium starren. Ob das so unbedingt nötig ist?

Josefin Platt legt ihre Rolle subtiler an, bleibt dabei aber das Geheimnis schuldig, das Greig dieser Figur als Möglichkeit mitgegeben hat. Überhaupt: Greigs Stück ist einfach ein Stück besser als diese Umsetzung, Crombholz hat gewiss den Kern des Texts ausgemacht, aber ihre Inszenierung ist – zumindest am Premierenabend – noch nicht dort gelandet.

 

Pyrenäen
von David Greig
Deutschsprachige Erstaufführung in der Übertragung von Barbara Christ
Regie: Cornelia Crombholz, Bühne: Natascha von Steiger, Kostüme: Andrea Fischer.
Mit: August Schmölzer, Martina Stilp, Jan Thümer und Josefin Platt.


http://www.theater-graz.com/schauspielhaus/

 

Kritikenrundschau

In der Wiener Zeitung (19.1.) schreibt Ernst Scherzer: Der Abend beginne und ende "in der Art, die man als stimmungsvoll zu bezeichnen, sich gewöhnt" habe. Hui, das klingt gar nicht gut. Unfroh geht die kurze Kritik weiter: "Weil August Schmölzer und Martina Stilp das Anliegen des Autors, die Frage nach der Identität in uns allen, zu ihrer Sache" machten, genieße der "Theaterbesucher etwa zwei Drittel der Aufführung die sprachlichen und auch körperlichen Annäherungsversuche zwischen dem namenlosen Mann und Anna". Indes ginge die "Frage nach Identität auf banale Art verloren", sobald Vivienne auftauche und den Mann als den ihren reklamiere. Dann werde alles "seicht", "leicht durchschaubar" und im Grunde offenbar recht überflüssig.

Colette M. Schmidt schreibt im Standard (21.1.): "David Greig hat mit Pyrenäen ein Stück über Identitäten verfasst, das hinterfragt, ob man mit oder ohne eine solche eigentlich besser dran ist. Denn eine Identität zu haben heißt auch, einen festgefahrenen Platz in der Gesellschaft sowie Dinge, vor denen man Angst haben kann - wie Nähe oder Verantwortung -, übernommen zu haben." In dem "auf Papier humorvollen Stück" überzeuge Fernsehstar August Schmölzer "wenn er den solide in sich Ruhenden gibt". "Temporäre Gefühlsausbrüche... wirken dagegen irritierend." Trotz einer wunderbaren Übersetztung und einem famosen Bühnenbild, könne es Regisseurin Crombholz nicht lassen, fast jede Szene mit der Fantasy-Musik von Sigur Rós "zu ersticken". Die deute auf einen mystischen Weg hin, dessen Ziel sich dramaturgisch nicht erschließe.

 

Kommentare  
zu Greigs Pyrenäen in Graz
Abgesehen davon, daß die Greigsche Geschichte seit der Existenz eines "Stiller" weit mehr als Geisteswitz bedurft hätte, ist die schauspielerische Leistung, einschließlich des vorauseilend gelobten (Fernsehidols) August Schmölzer auf einem mediokren Niveau angesiedelt; das trifft leider auch für die in anderen Stücken so brillante Martina Stilp zu, welche erst in einem ihr adäquaten Milieu aufblüht. Die "standing ovations" und Bravo-Rufe der hinteren Ränge waren nichts als Selbstbeklatschungen des (reichlich erschienenen) Fernsehpublikums.
Zu Pyrenäen: hätte mehr Geisteswitz bedurft
Abgesehen davon, daß die Greigsche Geschichte seit der Existenz eines "Stiller" weit mehr Geisteswitz
bedurft hätte, ist die schauspielerische Leistung,einschließlich des vorauseilend gelobten (Fernsehidols) August Schmölzer euf einem mediokren Niveau angesiedelt; das trifft leider auch für die in anderen Stücken so brillante Martina Stilp zu, welche erst in einem ihr adäquaten Milieu aufblüht. Die "standing ovations" und Bravo-Rufe der hinteren Ränge waren nichts als Selbstbeklatschungen des (reichlich erschienenen) Fernsehpublikums.
Pyrenäen: Cornelia Crombholz macht das Beste draus
Mit "Pyrenäen" ist dem Autor kein sehr besonderes Stück gelungen. Keine Frage, das Thema ist ein sehr präsentes, von Frau Crombholz symbolhaft aufbereitetes, das uns - seien wir ehrlich - alle bewegen sollte. Die eher phantasielose Idee, das Geheimnis um den "verirrten Mann" (August Schmölzer) durch die auftauchende Vivienne als seine Ehefrau zu lüften, mag man Autor Greig ankreiden. Crombholz macht wohl das Beste daraus. Josefin Platt rettet allerdings das Stück endgültig vor dem Abgleiten, indem sie es mühelos schafft, die Figur der Vivienne abseits aller Komik dergestalt zum Leben zu erwecken, dass wir mit ihr fühlen und zu denken beginnen, und dass uns eines klar wird: sie ist es, die liebt, und sie ist es, die wir wieder lieben.
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