Die Sehnsucht der Veronika Voss - Am Thalia Gaußstraße versetzt Bastian Kraft den Fassbinder-Film in ein Selbstbespiegelungskabinett
Der lächelnde Schmerz
vom Jens Fischer
Hamburg, 23. Februar 2014. Bastian Kraft ist von seinen zu inszenierenden Stoffen (Felix Krull, Orlando, Axolotl Roadkill) manchmal so trunken, dass er Figuren doppelt, dreifach, vierfach sieht – und mehrere Darsteller für eine Rolle braucht. Oder er ist so verkatert nüchtern, dass er alle Figuren (als Projektionen, Gedanken) in einer konzentriert – und so Kafkas Amerika oder Hugo von Hoffmansthals Jedermann als Schauspielsolo für Philipp Hochmair inszeniert. Und dabei gern Licht, Text, Spiel, Musik und Video mit- und nebeneinander ausprobiert, ihre Gleichwertigkeit für den Bühneneinsatz behauptet. All diese Mühen des Bewusstseinsstromtheaters nahm ihm jetzt am Thalia Theater die Vorlage ab. "Die Sehnsucht der Veronika Voss" hat Rainer Werner Fassbinder bereits als Kopfkunstkino angelegt.
Die Hauptfigur, eine vergessene Filmdiva, wird in einer teilweise kaleidoskopartig verspiegelten, blendend weißen, steril glühenden Welt kenntlich. Realität blitzt nur geisterhaft auf im Identität auflösenden Taumeln durch Bilder der Morphium- und Alkoholsucht. Und weil Kameramann Xaver Schwarzenberger das optisch und metaphorisch so schön gelungen ist, sitzt die Voss nun auf Peter Baurs Bühne in einem 12-eckigen, weiß grundierten Selbstbespiegelungskabinett, das mal Garderobe, mal Filmset, mal Praxis ihrer Therapeutin/Drogen-Dealerin ist. Und sich immer nur mit Veronika Voss um sie dreht: eine alternde, depressive, beängstigend einsame Frau.
Die unerwünschte Nazi-Schönheit
Natürlich hängt in ihrem selbst gewählten Gefängnis eine Kamera, die das Geschehen, die vielfältig zersplitternde Selbstinszenierung als Erinnerungsarbeit auf eine gebogene Cinemascope-Wand überträgt – mit all den Spiegelbildern, verfremdet durch Überbelichtungen und Überblendungen. Lediglich Sportreporter Robert Krohn (André Szymanski) holt in seiner schlaksigen Neugier die Voss mal kurz und mitleidig ins Offene der Bühne. Nur für einen Moment.
Der verblasste Prominentenstatus nährt panisch ihre Angst, in der Öffentlichkeit nicht mehr erkannt zu werden. Unmöglich, das zu akzeptieren: War sie doch im Nazi-Kino ein großer Star, durfte stets die Schönste, Verführerischste, Begehrteste spielen. Nun wird sie von der Nachkriegs-Ufa vollends entgöttert, ist unerwünscht. Selbst um kleinste Nebenrollen im Mutterfach muss sie betteln. Ihre trotzdem noch kapriziösen Ansprüche machen einen Teil der weiterhin vorhandenen Verwundbarkeit aus. Weswegen sie noch intensiver den Betäubungsmitteln zuspricht.
Das ist es, was Victoria Trauttmansdorff in memoriam Rosel Zech spielt: Immer lugt scheu aus ihrer Rollengestaltung das geliebt werden wollende Mädchen, darüber liegt das professionell hart erarbeitete Filmstarstrahlen, das die dröhnend leere Gewissheit nicht unsichtbar werden lässt, alles verloren zu haben. Ein Bündel abwesend lächelnder Schmerz ist sie, vegetiert lebensmutlos im Dauerrausch dahin. Die Spiegelwände werden zunehmend hermetischer, immer enger um sie gruppiert und am Ende auch noch mit Klebeband verriegelt. Voss' Selbstmord: eine Art Implosion. Toll gespielt, aber was soll uns das sagen?
Kopierte Ästhetik, überladene Tonspur
Bei Fassbinder war die Voss eine von den Geistern der deutschen Vergangenheit, die in der Wirtschaftswunder-Bundesrepublik nicht mehr gebraucht wurden. Dazu gehört auch ein altes Ehepaar. Es hat die KZ-Folter in Treblinka überlebt – und wählt nun ebenfalls den Freitod. Siegerin bei Fassbinder ist die "Nervenärztin" der drei: eine eiskalte, skrupellos geldgierige Nutznießerin der Nöte ihrer Patienten. Die sie beerbt. Dagegen hat Krohn mit seinem journalistischen Aufklärungsversuch keine Chance.
Das sind Themen, die Kraft zugunsten des Schauspielerinnendramas recht weitreichend beiseite geräumt hat. Wie auch einen Verweis auf "eine Reise ins Licht", für die das Weiß steht: Fassbinders utopische Sehnsucht nach so etwas wie erlösender Grenzenlosigkeit. Die natürlich nur im gleißenden Tod zu haben ist. Aber auch das unterschlägt Kraft. Einfach nur das bekannte Kino-Melodram einer ziemlich arbeitslosen Schauspielerin melodramatisch nacherzählen, dazu die ziemlich berühmte Ästhetik kopieren, alle weiterführenden Inhalte streichen und die Tonspur wie bei Fassbinder mit Musik überladen: So kommt Bastian Kraft nicht vom Film-Vorbild weg – und nicht richtig hin zu einem eigenständigen Theaterabend. Fade, schade. Lobenswert nur das Schauspielsolo und seine Stichwortgeber.
Die Sehnsucht der Veronika Voss
nach dem Film von Rainer Werner Fassbinder
Drehbuch von Peter Märthesheimer und Pea Fröhlich
Regie: Bastian Kraft, Bühne/Video: Peter Baur, Kostüme: Anna van Leen, Musik: Arthur Fussy, Dramaturgie: Beate Heine.
Mit: Christoph Bantzer, Sandra Flubacher, Marie Löcker, Günter Schaupp, André Szymanski, Victoria Trauttmansdorff, Marina Wandruszka.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause
www.thalia-theater.de
Viktoria Trauttmansdorff gebe die Filmdiva Veronika Voss "mit hinreißender Hysterie, Verzweiflung und Kleinmädchencharme", schreibt Annette Stiekele in einer Kurzkritik im Hamburger Abendblatt (25.2.2014). Bastian Kraft füge der Vorlage mit seiner Inszenierung nichts hinzu, liefere aber "eine schlüssige, fabelhaft gespielte Theaterversion des Fassbinder-Stoffs" ab.
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Aber sehr wohl raffiniert und nicht platt abgearbeitet.Die Drehbühne und Glasflächen galten der Selbstbespiegelung - ja. Aber sie war auch Rückzugsort in der Krise, Zwangsaufenthalt in der Zelle, Ort des Scheiterns beim Versuch, eine Filmrolle zu spielen, bis hin zur Todeszelle ohne Fluchtmöglichkeit. Und keiner versuchte eine wirkliche Rettung aus der Gefangenschaft, sondern starrte nur alles an, als wenn es keine Wirklichkeit, sondern eben Theater wäre.
Ich fand den Film genial umgesetzt. Und nicht nur ich - das Stück war an einem Sonntagabend ausverkauft und das Publikum war begeistert.