Presseschau vom 27. Februar 2014 – Die Süddeutsche Zeitung über die Abhängkeit der freien Szene und die Freiheit der Stadttheater
Wechselnde Vorlieben beim Geldgeber
Wechselnde Vorlieben beim Geldgeber
27. Februar 2014. Stadtheaterstrukturen gelten als unbeweglich, die Freie Szene als Vorbild für innovative Flexibiliät. In einem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung (26.2.2014) weist Peter Laudenbach auf einige (Denk)Fehler in dieser Gleichung hin. So markiert der "Charme der Projektfinanzierung, ihre Beweglichkeit" aus Laudenbachs Sicht nämlich "gleichzeitig ihre Risiken und Zumutungen".
Denn finanziert würden die Produktionen in der Regel von Einrichtungen wie der Bundeskulturstiftung, dem Hauptstadtkulturfonds, EU-Töpfen und Stiftungen. "Einzelfall-Evaluierungen prüfen geplante Produktionen, Geld wird mal bewilligt, mal verweigert." Zu den notwendigen Kernkompetenzen der Künstler gehöre es daher auch, "die entsprechende Antragslyrik zu verfassen". Symptomatisch für diese Zwangslage findet Laudenbach die jüngsten Entwicklung um das NRW-Festival Impulse: "Wechselnde Vorlieben bei einem Geldgeber genügen, um ein wichtiges Festival zu gefährden, ohne dass die einsame Entscheidung in den Gremien einer öffentlichen Diskussion unterworfen wäre."
Verglichen mit diesen vielfältigen Abhängigkeiten der Freien Szene genössen Stadttheaterintendantinen und -intendanten ungleich größere Autonomie. "Kein zurechnungsfähiger Kulturpolitiker", so Laudenbach, "käme auf die Idee, ihren Etat von bestimmten Spielplanschwerpunkten abhängig zu machen". Umgekehrt spürten Theaterleiter die Folgen ihrer Entscheidungen: Wenn ihr Theater nicht funktioniere, werde im Zweifel ihr Vertrag nicht verlängert. "Das ist," so Laudenbach, "der Unterschied zum Wirken von Gremien-Entscheidern (...). Treffen sie Fehlentscheidungen, finanzieren sie beispielsweise sinnfreie Projekte, müssen sie nicht unbedingt mit Konsequenzen rechnen."
Besonders kompliziert wird es aus Laudenbachs Sicht, "wenn Kuratoren Eigeninteressen haben und zum Beispiel mit Theaterprojekten selbst gerne Geld verdienen". Als Beispiel nennt Laudenbach den für Theater zuständigen Juror beim Hauptstadtkulturfonds, den Dramaturgen und Journalisten Tobi Müller. Müller sei auch schon für das HAU, das Deutsche Theater und die Volksbühne tätig gewesen. Alle drei Bühnen könnten ihrerseits für Sonderprojekte Mittel beim Hauptstadtkulturfonds beantragen, über deren Vergabe dann Müller entscheide. "Wie soll sich eines dieser Theater verhalten, wenn Müller ihm mit einer guten Idee ein gemeinsames Projekt vorschlägt? Das ist, unabhängig von der unbestrittenen persönlichen Integrität der Beteiligten, eine missliche Situation." Verglichen damit haben die Stadttheaterstrukturen für Laudenbach "den Vorteil ungleich größerer Transparenz".
(sle)
Mehr lesen? Der Hildesheimer Theaterwissenschaftler und Dramatiker Jens Roselt schreibt über Erfahrungen als Juror in Projektfördergremien.
Wir halten Sie auf dem Laufenden
Wir sichten täglich, was in Zeitungen, Onlinemedien, Pressemitteilungen und auf Social Media zum Theater erscheint, wählen aus, recherchieren nach und fassen zusammen. Unterstützen Sie unsere Arbeit mit Ihrem finanziellen Beitrag.
mehr medienschauen
- SZ über Stadttheater: endlich unromantisch
- #1
- olympe
meldungen >
- 24. April 2024 Deutscher Tanzpreis 2024 für Sasha Waltz
- 24. April 2024 O.E.-Hasse-Preis 2024 an Antonia Siems
- 23. April 2024 Darmstadt: Neuer Leiter für Schauspielsparte
- 22. April 2024 Weimar: Intendanz-Trio leitet ab 2025 das Nationaltheater
- 22. April 2024 Jens Harzer wechselt 2025 nach Berlin
- 21. April 2024 Grabbe-Förderpreis an Henriette Seier
- 17. April 2024 Autor und Regisseur René Pollesch in Berlin beigesetzt
- 17. April 2024 London: Die Sieger der Olivier Awards 2024
neueste kommentare >
-
Essay Berliner Theaterlandschaft Freie Radikale
-
Essay Berliner Theaterlandschaft Die Wagnisse
-
Neue Leitung Darmstadt Stabil geblieben
-
Deutschlandmärchen, Berlin Musical mit großen Gefühlen
-
Neue Leitung Darmstadt Saustark ohne Label
-
O.E.-Hasse-Preis 2024 Berichtigung
-
Bachmann an der Burg Klingt sympathisch
-
Intendanz Weimar Nicht zeitgemäß
-
Neue Leitung Darmstadt Der wahre zeitlose Kern
-
Intendanz Weimar Vielklang an Haltungen
nachtkritikcharts
dertheaterpodcast
nachtkritikvorschau