Haus des Todes

von Dorothea Marcus

Bochum, 19. Januar 2008. Staatsräson gegen innere Freiheit zum Tode - nicht gerade Dinge, die einen jeden Tag beschäftigen, und umso rätselhafter, welche Anziehungskraft dieser Machtkampf zweier Frauen aus dem Jahr 1587 immer noch ausübt. Auch auf Elmar Goerden. Der Bochumer Intendant ist nach der kürzlichen Shakespeare-Katastrophe seine zweite Großinszenierung in wenigen Wochen gewichtig, wenn auch ganz vorsichtig angegangen: Seine Maria Stuart ist dreieinhalbstündiges, kaum gekürztes Text- und Stehtheater alter Schule - aber das muss ja nicht immer Schlechtes bedeuten.

Maria Stuart darf ein mal die Samtvorhänge lüften

Das Bühnenbild in Bochum sieht zunächst aus, als wäre es gar keins, sondern ein riesiger, leerer Theaterraum. Erst nach und nach zeigt sich, wie diskret er in jenes "düstere Haus des Schreckens und des Todes" verwandelt wurde, als das Leicester den Palast zum Schluss bezeichnet. Schwere schwarze Samtvorhänge verhängen Hintergrund und Seiten, nur Maria Stuart darf sie lüften, als sie kurz vor ihrem einzigen Treffen mit Elisabeth im Park herumtollt.

Von oben hängen nackte Glühbirnen, nach vorne schließt eine Rampe mit zwei Treppen die Bühne ab, in die eine winzige Tür eingelassen ist: Verlies und Todesort der Maria Stuart. Und hoch oben thront ein riesiges glitzerndes Wappen wie eine Totenmaske: Rüstung und Krone auf den zweifelhaften Strahlen der Aufklärung, als könne man ihnen in diesem Haus eben doch nicht so ganz trauen.

Brandmarkungen und Tätowierungen

Ulli Maiers Maria Stuart ist befremdlich burschikos. Mit wirren Haaren, Strickjacke und ausgestelltem und tailliertem Hofgewand wirkt sie wie eine zottelige Bäuerin und exaltierte Proletin. Gymnastisch schwingt sie ihre Beine wie eine Boxerin vor dem Kampf, selbstgefällig lehnt sie sich zurück, lärmend schlägt sie ihre Hände auf den Bühnenboden.

Seltsamer sind nur Elisabeths Hofchargen: Baron Burleigh, der unerbittliche Hüter der Staatsräson, ist ein bleich geschminkter Giftzwerg-Gruftie in Leder (Oliver Möller). Der humane Talbot ist auf der Glatze über und über mit rätselhaften Zeichen tätowiert (Martin Rentzsch). Und schließlich der Graf von Leicester, der berühmte Doppelagent der Liebe und schmierige Opportunist, der vor allem die eigene Haut retten will: er wird von Uwe Bohm als weibische Witzfigur überzeichnet und in keiner Sekunde ernst genommen. Die Männer am Hofe küsst er auf den Mund, bricht unmotiviert in lautes Gelächter aus, züngelt wüst an Elisabeths Dekolleté und bleibt immer das Klischee seiner selbst.

Matrone, Mädchen, mütterliche Gönnerin und besser als Blanchett

Bevor Elisabeth auftritt, wirkt all dies wie ambitioniertes, aber unentschiedenes Klassikertheater fürs Abonnement-Publikum. Doch dann kommt Imogen Kogge und wird sofort Zentrum und Herz der Inszenierung. Obwohl von Bild zu Bild immer grotesker mit bunten Glitzer-, Feder- und Rüschgewändern ausgestattet wie ein Weihnachtsbaum (Kostüme: Esther Walz), zeigt sie eine psychologisch atemberaubende Charakterstudie der seltsamen Königin, die England wohl unter anderem deshalb rund 45 Jahre lang regierte, weil sie charakterlich kaum zu fassen war.

Imogen Kogge muss sie bis in ihre letzten Ticks, Stärken und Schwächen studiert und durchdacht haben. Sie zeigt sie als eitles Mädchen, einsame Matrone, mütterlich verliebte Gönnerin. Mal tätschelt oder kitzelt sie ihre Untertanen, dann beweint sie selbstmitleidig ihr Schicksal, um im nächsten Moment wieder eiskalte und willkürliche Machtpolitikerin zu sein oder in lähmende Unentschiedenheit zurückzufallen, an der natürlich immer die Untertanen schuld sind.

Treffen zweier ungleicher Frauen

Mit ihrem roten zurückgesetzten Haar wirkt sie wie eine ältere und kräftigere Ausgabe von Cate Blanchett in dem Hollywood-Streifen "Elisabeth" und sticht sie dabei lässig aus. Sie übersteht die lächerlichsten Szenen mit Würde, etwa die verlogene Fummelszene zwischen ihr und Leicester, in der er in ihren üppigen Busen schnauft und ihr unter den Rock greift.

Leider spielt sie auch Ulli Maier an die Wand, die das, was Maria Stuarts Größe sein könnte, in ihrem exaltierten Spiel immer wieder verpasst. Das merkt man vor allem beim einzigen großen Treffen der beiden, in dem Maria Stuart unmotiviert vom Proletencharme zu Königinnenstolz wechselt, ohne dass man es nachvollziehen könnte. Bei Elisabeth spürt man dagegen die komplizierten Subtexte in jedem Wort, die Vergangenheit als unakzeptiertes Kind und halb illegitime Throninhaberin. Kogge verschmilzt so deckungsgleich mit dieser Figur, dass es fast unheimlich ist. Einzig Henning Hartmann als Mortimer, der hitzig in Maria verliebte sterbende Retter, kann es an Bühnenpräsenz mit ihr aufnehmen.

Die Inszenierung lebt von Imogen Kogge

Diskret hat Elmar Goerden einige Einfälle in die Textwüste im fast leeren Raum gesetzt: schön ist es, wenn Leicester Maria Stuarts katholische Kreuzkette auf dem Rücken versteckt, als sie auf Elisabeth trifft oder wenn Burleigh nach erfolgreicher Hinrichtung die Schuhe von Maria Stuart mit aus dem Todesraum nimmt: ein wuchtiges Bild, das die kleinkarierte Grausamkeit des Hofes ausstellt.

Schade ist, dass die Schauspieler so uneinheitlich spielen – der Abend schwankt willkürlich zwischen ironischer Veralberung und ernstgenommener Verstrickung. Und doch ist es Imogen Kogge zu verdanken, dass der Abend immer wieder gewissenhaft und psychologisch durchdacht zeigt, wie Maria Stuarts Hinrichtung für Elisabeth eine tiefe seelische Notwendigkeit wird – und Schillers Trauerspiel damit zum Leuchten bringt.

 

Maria Stuart
von Friedrich Schiller
Regie: Elmar Goerden, Bühne: Silvia Merlo, Ulf Stengl, Kostüme: Esther Walz. Mit: Imogen Kogge, Ulli Maier, Uwe Bohm, Manfred Böll, Henning Hartmann, Michael Lippold, Bernd Rademacher, Martin Rentzsch, Oliver Möller, Franz Xaver Zach.

www.schauspielhausbochum.de

 

Kritikenrundschau

Eine "so zähe wie alberne Ausstattungsseifenoper" hat Theatertreffen-Juror Christopher Schmidt in Bochum gesehen. Er schildert das in der Süddeutschen Zeitung (23.2.2008) mit viel rhetorischem Aufwand. In Imogen Kogges Gestalt sei Elisabeth "die resolute, leicht ordinäre Wirtin eines Pubs namens Old England" und Ulli Maiers Maria eine "verlebte Thekenkraft vom Frauencafé", eine "krautige Kulturhexe aus der proletarischen Tiefebene", im "lallend-leiernden Unisono ihrer jambischen Beschallung" verstehe man kaum ein Wort. Die Herren gemahnten in ihren bodenlangen Röcken an "verhängte Vogelbauern", die Bühne habe etwas von einem "terrassierten Zoogehege für zwei Geschichtsbestien", und in jeder Szene dieser dreieinhalbstündigen Stretchlimo-Inszenierung erscheine Eilsabeth in einem anderen Prunkgewand, dass sie "man muss schon sagen, vorfährt wie eine Staatskarosse". Man wisse nicht, was schlimmer sei: "die anfängliche Ödnis, da Goerden den Sprachfluss interpretationsabweisend an sich abperlen lässt und zwischen oben und unten, laut und leise, schnell und langsam zäh kanalisiert ... oder die spätere Aufgekratztheit, wenn die Diven sich um England kloppen wie ums Schnäppchen am Wühltisch".

Bedauernswert auch Gerhard Stadelmaier! Er glaubte, so erzählt er in der FAZ (21.1.2008), er könne in Bochum einem klassischen Schiller-Drama beiwohnen. In Wirklichkeit fand er sich auf Platz 289, Reihe 9 mitten in einen Vokalsteinbruch wieder, in dem die Schauspieler "harte Schrei-Fron" leisteten. Wo einer auf der Bühne den bekannten Satz: "Der Lord lässt sich entschuldigen, er ist zu Schiff nach Frankreich" vermutlich gesprochen hat, verstand der Kritiker nur "Eee oooo ä ii ee-uuuuu--ii-eeee. ää-ii uu-iiiiiii a aaaaa-eii". Insofern steht seine gesamte Besprechung unter dem großen Vorbehalt "wenn ich denn irgend eines der Worte verstanden hätte, die  da auf der Bühne wallten und schwallten". So ist er sich auch nicht sicher, welchen Verantwortungsanteil Elmar Goerden, und die "sonst so trefflichen unterschiedlich königlich könnerischen Schauspielerinnen Ulli Maier und Imogen Kogge" an dem verheerenden Gesamteindruck hatten, der sich ihm bot. Allein die Haltungen, die einer "pumperlgesunden, rosig walisischen Porridge-Köchin" im Falle von Kogge, "ordinär, zickig, haus- bis putzfrauen- bis schnepfenhaft immer schlecht gelaunt zynisch hochfahrend und herumraunzend bei Maier, erregten bei ihm den Verdacht, er habe es mit einer "flau makabren Operette" zu tun.

Auf dem Internet-Portal "Der Westen" (21.1.2008) schreibt Rolf Pfeiffer für die Westfälische Rundschau, es handele sich bei Goerdens Inszenierung um eine "groß angelegte Stellprobe" einerseits und andererseits um "Startheater". Uwe Bohm, Ulli Maier und vor allen Imogen Kogfge lieferten "über lange Strecken zeitlose, psychologisch dichte Charakterstudien ab". Die "konzentrierte Inszenierung" nehme für sich ein, weil sie sich dem "sperrigen und üppigen Stück" stelle. Sie frage "sehr ernsthaft nach alten Kränkungen und unerfüllten Sehnsüchten, nach möglicherweise unbewussten Motiven". Dank "des furiosen Spiels Imogen Kogges" ahne man "die subversive Kraft Schillerscher Dramen in seiner Zeit: Angesiedelt im Zentrum der Macht fragen sie, wie das Regieren funktioniert und wie die Herrschenden ihr Handeln legitimieren."

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