Meinungsfreiheit ruiniert

4. März 2014. Wütendes Geschrei darüber, dass "Kopftuchmädchen" den Auftritt von Thilo Sarrazin im Berliner Ensemble verhindert haben, erheben heute Die Welt und die Frankfurter Allgemeine Zeitung.

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (4.3.2014) macht Regina Mönch neben den "selbsternannten Gesinnungswächtern" noch weitere Gegner aus. Den Beweis für Sarrazins These, dass "linker Tugendterror" jede andere Meinung unterdrücke, hätten "etwa fünfundzwanzig Schreihälse, einige auch zu Handgreiflichkeiten neigend, am Sonntag" im Berliner Ensemble angetreten. Die Veranstaltung wurde abgebrochen, Sarrazins These sei "also bewiesen". Warum habe der Hausherr, Claus Peymann, nicht die Polizei gerufen, sondern lieber zweihundert arglose Besucher nach Hause geschickt, fragt Frau Mönch und antwortet gleich selbst: Einige hätten das für einen besonders perfiden Werbetrick des Autors gehalten. Andere dagegen hätten ihr Theater-Abo kündigen wollen, weil man Sarrazin kein Forum bieten dürfe. Dieser Meinung sei etwa auch der Berliner SPD-Vorsitzende Jan Stöß sowie die [grüne] Bürgermeisterin von Kreuzberg gewesen, "deren ruinöser Politikstil Teile ihres Bezirkes inzwischen schwer bewohnbar macht". Nach dem Abbruch der Veranstaltung sei mit jeder Menge Flaschenbier "thesenfrei" der Sieg gefeiert worden. "'Menschenfeind' mundtot gemacht, Bürger verschreckt, Meinungsfreiheit ruiniert."

Auseinandersetzung mit Fremdenfeinden führen

Im Gespräch mit Lucas Wiegelmann in der Welt findet Claus Peymann, Sarrazin spreche die Ängste aus, die "offenbar viele Menschen in Westeuropa und speziell in Deutschland haben". Es gebe in Deutschland eine "starke Xenophobie" und man müsse die Auseinandersetzung mit diesen Menschen führen. "Ich bin gegen Verbieten, Verschweigen, Vergessen, Vorverurteilungen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man Frau Le Pen in Frankreich das Wort verbieten würde. Oder Herrn Blocher in der Schweiz." Es helfe nicht, zu sagen: "Was uns nicht gefällt, gibt es auch nicht. Aber Sarrazin gibt es."

Für die Demonstranten habe er, Peymann, "gar kein Verständnis. Es war ein undemokratisches, nazihaftes Gepöbel, dem wir uns schließlich beugen mussten." Diese "unbelehrbaren 'Linken'" benähmen sich wie "die Brandstifter von Hoyerswerda". Sie seien nicht erreichbar. "Sie brüllen nur, beschimpfen normale Zuschauer als Nazis und Rassisten. Sie haben sogar Leute geschlagen, draußen vor dem Theater." Um die Veranstaltung durchzusetzen, hätte man die Polizei rufen müssen. Aber er, Peymann, wolle nicht, dass in "meinem Haus" Gummiknüppel über die Meinungshoheit entschieden.

Jetzt gäbe es "natürlich einen Shitstorm im Internet". Die Leute schrieben ihm, Peymann habe "Brecht verraten, Heiner Müller würde sich im Grabe rumdrehen und so weiter. Naja, die allgemeine Pöbelei, dass ich, um den Rechten zu gefallen, Sarrazin ins Theater geholt hätte". Aber er sei einfach der Meinung, dass man das offene Gespräch suchen und dass "wir uns unseren Gegnern auch stellen müssen". Natürlich sei das, was Sarrazin schreibe und sage, "stellenweise wie Gift". Aber er, Peymann, müsse sich doch nicht von so ein paar Jungs vorsagen lassen, was Rassismus sei und was nicht. Das wisse er schon selber.

(jnm)

Kommentare  
Presseschau Sarrazin im BE: von wegen "paar Jungens"
Wer sich Videoaufnahmen von der Veranstaltung im Berliner Ensemble ansieht, wird vor allem Frauen erkennen, die auf der Bühne ihre Kritik an Sarrazins rassisitischen Thesen äußern. Das sind also die "paar Jungs", die Peiymann zu sehen meint.

Z. B. auf der Internetseite des veranstaltenden Magazins Cicero, dass diesen würdigen Namen eigentlich nicht tragen sollte.
Presseschau Sarrazin im BE: unwürdig
Peymann vergleicht die Protestierenden mit dem Pogrom-Mob von Hoyerswerda? Es reicht, dieser Mann ist der Leitung des Berliner Ensemble unwürdig. Er muss gehen. Das muss ab jetzt die Forderung sein: die Absetzung von Claus Peymann als Intendant des BE!
Presseschau Sarrazin im BE: kein Brecht nach Sarrazin
(...)
Wer sich mit Sarrazin einlässt, hat mit Brecht und Müller nichts mehr zu tun. Da kann man nur Gift und Galle spucken.
Presseschau Sarrazin im BE: demagogische Verdrehung
Der progrom mob von hoyerswerda hat menschen angezündet von denen herr sarrazin meint sie hätten es nicht verdient hier zu leben. also er hat das ausgelebt was herr sarrazin verbalisiert.
kausale zusammenhänge so zu verdrehen ist ziemlich demagogisch.
wenn es ein hoyerswerda mob gewesen wäre hätte das be zudem wohl gebrannt. es ist keineswegs ein zufall das die sarrazin gegner andere mittel gewählt haben. protestdemonstrationen sind ein demokratisches mittel auch wenn es solchen autokraten wie peymann nicht gefällt, der ja offensichtlich das aleinige recht besitzt zu entscheiden was rechts ist.
das er blocher als beispiel bringt ist geradezu absurd. dieser mann hat mit seiner kampagne erreicht das die schweiz nun einwandererfrei wird.
wäre es möglicherweise besser gewesen sich frühzeitig gegen diesen mann zu wehren?
eine demokratie die sich gegen undemokraten nicht wehren kann existiert bald nicht mehr.
hat der mann schon mal was von der weimarer republik gehört und davon was der namensgeber seines hause zu deren zeiten tat?
peinlich!
Presseschau Sarrazin im BE: mehr Selbstvertrauen
@ Jubelperser. Sie liefern ein beredtes Beispiel dafür, dass Dramatisierer, Aufbauscher und Angstmacher mindestens ebenso eskalierend wirken können wie diejenigen, die sie mit ihrer Aufbauscherei bekämpfen möchten: Es ist schlimm genug, dass Blocher mit seiner Kampagne eine KONTINGENTIERUNG der Zuwanderung in der Schweiz erreicht hat. Von «einwandererfrei» war zu keinem Zeitpunkt die Rede. Mit einem Ausländeranteil von durchschnittlich 25% bleibt die Schweiz sogar in diesen schwierigen Zeiten eines der vergleichsweise offensten Länder in Europa, auch wenn diverse Kampagnen - u.a. auch Ihre - noch so sehr an einem anderen Bild klittern.
Und zu Sarrazin/Peymann: Ich verstehe die Diskutanten hier nicht. Hier wurde doch wirklich eine Auseinandersetzung mit einem streitbaren Menschen und seinem streitbaren Buch verhindert, niedergebrüllt, tabuisiert, verteufelt. Das ist nicht nur demokratiefeindlich, sondern auch dumm. Das Theater MUSS ein Ort des Diskurses sein und bleiben!! Wenn Sarrazin eingeladen wird, fängt es doch erst an interessant zu werden. Was für ein Menschenbild pflegen Sie eigentlich, wenn Sie glauben, man dürfe einem Theaterpublikum derartiges nicht zumuten? Denken Sie, dass alle - außer sie selber natürlich - augenblicklich verführt, eingefangen und gehirngewaschen werden? - Ich bin für mehr Selbstvertrauen und unbedingt für Mündigkeit und selbständiges Denken!
Presseschau Sarrazin im BE: Schnittstelle
Nun kann man nachvollziehen, wie sich Karl Kraus gefühlt haben muss - mir fällt zu Sarrazin auch einfach nichts mehr ein. Es ist ja auch alles gesagt worden - auch von ihm, er hat alles, was er zu sagen hatte in sein erstes Buch gesteckt. Das zweite war dann nur noch der Versuch, ein bisschen auf der rechten Welle weiterzureiten, er hat quasi den Aufstieg der AfD flankiert, nun wärmt er nur noch olle Kamellen aus den 90er Jahren auf: die anti-PC-Debatte, die damals schon eine olle Kamelle war, nämlich ein Import aus den USA (von seinen Gegnern). Seitdem ist diese Debatte die diskursive Schnittstelle für (neo)konservative Kulturkrieger, jungrechte Nachwuchspublizisten und ressentimentgesättigte alte Männer. Dazu muss man nichts mehr sagen. Aber dazu, dass dieser Diskurs in Brechts Haus aufgeführt wird, schon. (...)
Presseschau Sarrazin im BE: von links zum Märtyrer stilisiert
Wer hier mit Vergleichen mit der der Weimarer Republik die Stimmung anheizen will, sollte sich die Geschichte genau angucken. Es war ein Kennzeichen der Spätphase der WR, dass rechte Sturmtrupps die gelebte Meinungsfreiheit mit Füßen traten und mit dem Recht des stärkeren, lauteren und brutaleren Diskussionen über politische Inhalte verhinderten. Wenn man den Bericht auf der Cicero-Seite sieht, wird schnell deutlich, dass hier von links ein Stück gelebte politische Kultur verhindert wurde - und ein Abend, an dessem Verlauf Sarazzins krude Thesen mit Sicherheit entzaubert worden wären. Gewonnen haben die linken Weltverbesserer mit ihrem undemokratischen Protest überhaupt nichts, im Gegenteil: statt Sarazzins argumentativ zu begegnen stilisieren sie ihn zum Märtyrer - der Zweck heiligt nicht immer die Mittel!
Presseschau Sarrazin im BE: Protest in notwendig
@7: protest ist notwendig. Sarrazin tritt in die fussstapfen von stoecker um anno 1878, was noch weit vor der weimarer republik liegt.
Presseschau Sarrazin im BE: entkerntes Haus
jubelperser et al: bitte runterkommen, sich nicht von der eigenen Arbeit ablenken lassen! Ich denke, Claus Peymann ist der Trubel recht, weil er von ihm selbst ablenkt und damit von einer Generationsfrage im Fachbereich Theater, die er nur sehr ungern gestellt bekommen möchte- Er sagt es selbst: ich bin jetzt 76 Jahre alt... Damit blockiert er seit 11 Jahren eine hervorragend dotierte Stelle, auf der ein dafür herangereifter Regiemensch eine künstlerische Mittlerposition zwischen Tradition und junger, wilder Vernunft hätte einnehmen können, die auch dieser bereits schon wieder übergeben könnte... Wo sind seine Vorschläge für eine Nachfolge? Wo ist seine - bitte, nicht nur, aber auch ökonomische - Solidarität mit der jüngeren Künstlergeneration, die sich ebenfalls schon ein großes Lehr-Potential erarbeitet hat? Niemand braucht sich beklagen, dass das BE von Claus Peymann besetzt gehalten oder was weiß ich, entehrt durch solche Veranstaltungen, oder ähnliches, wird. Das BE steht für einen Geist. Der lässt sich nicht vereinnahmen. Von niemandem und von Nix. Ich habe das Gefühl, dass in diesem Sinne das BE das BE schon vor längerer Zeit verlassen hat... ein entkerntes Haus, mehr nicht
Presseschau Sarrazin im BE: zu alt, zu konservativ
@9: seit 11 jahren? Seit 26 jahren! Im osten fliegst du spaetestens mit 50 auf die strasse! Schauspielerinnen mit ende 30! Was will der typ, 76, wie alt ist sarrazin? Rentner sind das, das ganze deutschland ist viel zu alt, viel zu konservativ, viel zu reaktionaer.
Presseschau Sarrazin am BE: runterkommen
10: nein, auch im Westen etwa so und im Allgemeinen. Alt sein heißt nicht automatisch reaktionär oder konservativ sein. Rente bekommen, heißt nicht, nicht mehr tätig sein zu können. Dass Deutschland zu alt ist, liegt nicht nur an den Alten, sondern auch an den Jungen, die sich ihre Jugend wegreglementieren lassen. Und: es gibt genügend Leute im Osten, die niemals auf die Strasse geflogen sind, weil sie weder vor noch nach der Wende überhaupt je in einem Haus angekommen sind. Mussten erst alle tapferen Schonimmeraufrechten durchgeschleust werden, dann alle verdienten "Dissidenten". - Ich sagte es schon in 9: runterkommen bitte. Arbeiten. Weitermachen.
Presseschau Sarrazin im BE: unter sich bleiben
@ D. Rust: Runterkommen? Einem Intendanten, welcher einem Politiker wie Sarrazin auch noch eine (politische) Bühne bietet, kann ich keinen Respekt mehr erweisen. Demokratische Meinungsfreiheit hin oder her. Es geht auch um die Frage der Sprachmacht bzw. des Anstands in der Sprache. Es ist völlig egal, ob Peymann nun ein "konservativer" oder "linker" Alter ist. Denn das Problem bei einer solchen Buchvorstellung liegt doch darin, dass die Menschen, welche ebenso verdreht denken wie Sarrazin, unter sich bleiben (wollen). Warum also hält Peymann ihnen zu diesem Zweck auch noch die Hand hin? Niemand kann mir weismachen, dass Sarrazin nur deswegen eingeladen wurde, um ihn zu kritisieren. Ein wenig Sympathisieren mit dem Skandalon gehört wohl dazu. Und genau das ist ekelhaft. Dass Peymann sich hier nicht von vornherein klar positioniert.
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