Zerstörte Glaubwürdigkeit

13. März 2014. Das freie Budapester Theater Krétakör hat seine Teilnahme am Ungarn-Festival des Burgtheaters in der kommenden Woche abgesagt. Das geht aus einer Mitteilung des freien Theaters um den Regisseur Arpád Schilling hervor. Nach der Entlassung von Matthias Hartmann als Burgtheaterdirektor im Kontext des Finanzskandals habe man am Mittwoch beschlossen, die Produktion "Corruptio" nicht in Wien zu zeigen.

Die Inszenierung von Márton Gulyás befasst sich an Hand einer kruden Familiensaga mit der Korruption in Ungarn, die als symptomatisch für den Zustand der Gesellschaft in der FIDESZ-Ära gedeutet wird. Unter den gegebenen Umständen findet es "Krétakör" jedoch kontraproduktiv und moralisch (nicht nur im eigenen Land) unvertretbar, diese Arbeit am Burgtheater zu zeigen.

Die Idee für das Ungarn-Festival als Plattform für einen kulturpolitischen Dialog am Burgtheater entstand aus einer Initiative von Matthias Hartmann im Frühjahr 2013. Damals hatte der Burgtheaterintendant in einem Offenen Brief an Kulturminister Balog seine Sorge über die Umstrukturierung der ungarischen Theaterlandschaft unter der FIDESZ-Regierung zu Ungunsten freier Theater wie Krétakör zum Ausdruck gebacht. Das Festival, so Krétakör, hätte eine reale Chance für freie Meinungsäußerung und demokratischen Austausch bieten können. Die gegenwärtige Lage seines Initiators Matthias Hartmann jedoch habe die Glaubwürdigkeit dieses Anliegens zerstört, so berechtigt seine Kritik grundsätzlich auch gewesen sei.

Bereits im Februar hatte das Budapester Nationaltheater seine Teilnahme am Ungarnfestival in Wien abgesagt. Angesichts der beunruhigenden Nachrichten, hieß es in der Begründung, scheine das Burgtheater nicht diejenige Institution zu sein, "die für eine Vermittlerrolle der Angelegenheiten eines anderen Landes infrage kommen könnte. – Solange es seine eigene finanzielle Lage und seine eigenen moralischen Angelegenheiten nicht in Ordnung bringt."

(Krétakör / sle)

 

Hier die Krétakör-Erklärung im Wortlaut.

 

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Kommentare  
Krétakör sagt Wien ab: Frage
Warum ist Schilling nicht nach Berlin gekommen? Da hätte er gut ins Programm am HAU gepasst.
Krétakör sagt Wien ab: kommen vorbei
Liebster Stefan, schöne Wortwahl: Die bereits bekannten "kommen" (mal vorbei), die Unbekannt(er)en werden gefunden und eingeladen. "Trotzdem" Dank an das HAU.
Krétakör sagt Wien ab: Ausrede?
Ich finde das eine mehr als seltsame Haltung - keine Gastspiele mehr in Häusern, die finanzielle Probleme haben? Denn Hartmanns Rolle / Verantwortung hin und her, inwiefern hätte das die Aufführung selbst und das Publikum direkt beeinflusst? Das klingt ein wenig nach einer Ausrede.
Kretakör sagt Wien ab: Verschwörung?
@3: Nicht nur das. Gibt es eigentlich einen Zusammenhang zwischen dem aufgedeckten Finanzproblem an der Wiener Burg und dem Engagement des Theaters zum Erhalt von Demokratie, insbesondere mit dem Druck, der auf die Theaterschaffenden in Ungarn lastet? Fragt mal wieder "verschwörungstheoretisch"
Ihr
Kretakör sagt Wien ab: Ungarn-Festival im HAU
Im HAU Hebbel am Ufer läuft noch bis zum 16. März das Ungarn-Festival "Leaving is not an option?" - bis einschließlich Sonntag sind noch Arbeiten von Béla Pintér, Little Warsaw, Árpád Kákonyi, Hodworks, SpeakEasy Project, Krétakör und anderen zu sehen: http://www.hebbel-am-ufer.de/programm/festivals-und-projekte/leaving-is-not-an-option/
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